Woche 47 vom 21. bis zum 28. November 2022

  • Hier noch ein (inhaltlich zutreffender) Beitrag zum Thema "Tempo 30".

    Was würde denn ein Verwaltungsrichter zu dem Argument sagen:

    "Überall, wo es heute innerorts eine Radwegbenutzungspflicht gibt, ist die besondere Gefahrenlage bereits festgestellt, denn sonst würde es dort ja keine Benutzungspflicht geben. Also ist der Weg für Temo 30 für die Kommune dort frei" ?

  • Grundsätzlich hat die Behörde, sobald eine qualifizierte Gefahrenlage besteht, ein Einschreitensermessen (also ob sie überhaupt eingreifen will) und ein Auswahlermessen (zur Frage, welche Maßnahme zu greifen ist). Oder man macht es wie die Stadt München, und erklärt dem Bezirksausschuss, dass eine Tempo-30-Zone nicht geht, weil es einen benutzungspflichtigen Radweg gibt und Tempo 30 als Einzelanordnung nicht möglich ist, weil es keine Gefahrenlage gibt 🤦‍♂️.

    Bei dem Auswahlermessen hat die Behörde ziemlich viel Spielraum. Gerichte haben insbesondere bereits dazu geurteilt, dass Tempo 30 kein milderes Mittel zu einer Benutzungspflicht ist, weil es eine andere Regelungsrichtung verfolgt. Umgekehrt nehme ich durchaus an, dass die Gerichte es bei Tempo 30 statt der Benutzungspflicht genau so sehen werden und das Tempo 30 "halten". Die Behörde muss es halt vernünftig begründen können, zB weil der Radweg zu schmal oder sonst nicht für alle Radfahrer zumutbar ist oder gar keine freiwillige Radverkehrsführung vorhanden ist bei ungünstigen Querschnitt. Ich habe aber oft den Eindruck, dass das keine juristische Unmöglichkeit ist, sondern die Behörden einfach unwillig sind, in den "wichtigen" Verkehr einzugreifen. In meinem Verfahren in Poing war es so, dass die Aufsichtsbehörde sogar explizit Tempo 30 per Weisung untersagt hat und die Gemeinde dann einen 1,6m breiten Radweg in beide Richtungen benutzungspflichtig gemacht hat...

    Wenn man qualifiziert betroffen ist (zB vorm Haus oder tägliche Arbeitsstrecke) wäre es aber durchaus möglich, das mit einer Verpflichtungsklage zu verfolgen, am besten an einer Stelle, bei der weder eine Benutzungspflicht noch ein Radfahrverbot in Betracht kommt.

  • Hier noch ein (inhaltlich zutreffender) Beitrag zum Thema "Tempo 30".

    "Straßenverkehrsordnung bevorzugt Autoverkehr

    Die Leitgedanken dieses Regelwerks stammen aus der frühen Bundesrepublik, erklärter Zweck: die »Sicherheit und Leichtigkeit« des Verkehrs sicherzustellen. »Man wollte damit möglichst viel Straßenverkehr, sprich: Autoverkehr, ermöglichen«, sagt Stefan Klinski, Professor für Umweltrecht in Berlin. »Das war Zeichen von Fortschritt, Freiheit, Wohlstand, und dafür sollte das Straßenverkehrsrecht die Grundlage schaffen.«"

    Dieses Zitat aus dem von simon (Vielen Dank für den Link) verlinkten Artikel weist auf den Kern der Diskussion hin:

    Der Autoverkehr ist quasi der "Götze", dem alles untergeordnet werden muss, inklusive Leben und Gesundheit.

    Ich hatte an anderer Stelle schon beschrieben, dass Omnibusverkehr und Straßenbahnverkehr bei Tempo 30 als maximale Höchstgeschwindigkeit innerorts besser funktioniert im Vergleich zum Autoverkehr als bei Tempo 50, weil die unabdingbaren Beschleunigungsphasen und Bremsphasen, die durch das Halten an den Haltestellen notwendig sind, es ohnehin nicht erlauben, auf Tempo 50 zu beschleunigen, weil die Abstände zwischen den Haltestellen das nicht zulassen. Busse und Stadtbahnen beschleunigen und bremsen im Regelbetrieb maximal mit 1m/Sek" bzw. -1m/Sek".

    Eine solche Diskussion zu führen, wird aber auf Grundlage des geltenden Rechts unmöglich gemacht. Denn da steht ja eindeutig geschrieben, dass der Autoverkehr zu bevorzugen ist. Straßenbahnen und Omnibusse sind aus dieser Perspektive Verkehrshindernisse, die aus dem Weg geräumt werden müssen, genauso wie es in vielen westdeutschen Städten geschehen ist. Die Straßenbahnschienen wurden abgebaut und für die Omnibusse wurden Haltebuchten gebaut, aus denen sie sich mühsam erst mal wieder herauskämpfen müssen, wenn sie sich in den "fließenden Verkehr" wieder einfädeln wollen.

  • Wenn man qualifiziert betroffen ist (zB vorm Haus oder tägliche Arbeitsstrecke) wäre es aber durchaus möglich, das mit einer Verpflichtungsklage zu verfolgen, am besten an einer Stelle, bei der weder eine Benutzungspflicht noch ein Radfahrverbot in Betracht kommt.

    Da fällt mir spontan Emmering ein :). Das dumme dabei ist, dass man da nicht nur gegen die StVO, sondern auch gegen alles andere kämpft, insbesondere gegen diejenigen, die das eigentlich selber durchsetzen sollten.

    Wie es in den 300 angeblich willigen Kommunen tatsächlich aussieht, ist ja auch unklar. Durch juristische Kreavitität fallen sie jedenfalls nicht auf.

  • Eine solche Diskussion zu führen, wird aber auf Grundlage des geltenden Rechts unmöglich gemacht.

    M.M.n. nicht richtig. Siehe z.B. in unserm Emmering-Thread:

    • Innerörtliche Staatstraße T50
    • Besondere Gefahrenlage wird vehement von allen Seiten bejaht
    • geeignete Wege für Radfahrer existieren nicht

    Ein Paradebeispiel, wo die Verwaltung T30 einführen könnte.

  • M.M.n. nicht richtig. Siehe z.B. in unserm Emmering-Thread:

    • Innerörtliche Staatstraße T50
    • Besondere Gefahrenlage wird vehement von allen Seiten bejaht
    • geeignete Wege für Radfahrer existieren nicht

    Ein Paradebeispiel, wo die Verwaltung T30 einführen könnte.

    Klar, in so einem Fall hätte Tempo 30 möglicherweise eine Chance. Aber die Diskussion darüber fände auf der Grundlage statt, ob möglicherweise die Sicherheit für nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer*innen es nahelegt, Tempo 30 max. anzuordnen.

    Und solche Diskussionen finden ja auch statt. Leider selbst da meist erfolglos, Tempo 30 wird mit Macht abgeblockt. :(

    Eine Diskussion findet erst gar nicht statt, wenn es darum geht, Tempo 30 anzuordnen, weil davon Radverkehr und ÖPNV profitieren könnten in dem Sinne, dass der Autoverkehr auf ein Tempo heruntergebremst wird, der Fahrradverkehr und ÖPNV relativ schneller und damit attraktiver macht.

  • Vielen Dank für den Link zum FAZ-Artikel, in dem steht:

    "Neue Mobilitätsformen wie Carsharing und abrufbarer öffentlicher Nahverkehr, die den Bedarf an Personenkraftwagen dämpfen könnten, werden nicht berücksichtigt."

    Dieser Satz zeigt einmal mehr, dass eine wirklich lösungsorientierte Zukunftsvision von Mobilität nicht diskutiert wird. Es werden Schimären an die Wand gemalt, aber es wird nicht ausgesprochen, dass in Wirklichkeit Temporeduktion und klassischer ÖPNV die Basis für eine Verkehrswende darstellen.

    Stattdessen wird einmal mehr so getan, als gäbe es da die Möglichkeit, mit Carsharing, Ridesharing* und Ridepooling* und On-Demand-Services* die Verkehrswende herbeizuführen.

    *Diese Begriffe werden u. a. von "Moia" benutzt.

    Einmal editiert, zuletzt von Ullie (28. November 2022 um 05:17) aus folgendem Grund: Ergänzung On-Demand-Services

  • Wer noch einmal eine fachlich qualifizierte juristische Meinung zum Urteil lesen will, kann das hier tun:

    Klimanotstand über Gewaltenteilung

    Interessant. Ich finde aber die Elaboriererei darüber, dass es sich ja nur um einen einzelnen Baum handelt, etwas künstlich. Schließlich bewirken Baumbesetzungen ja regelmäßig, dass die Rodung des gesamten Areals nicht stattfindet?

    Da könnte man m.E. auch argumentieren, dass ein Klimakleber ja immer nur ein einzelnes Auto aufhält. Die restlichen Autos müssen zwar auch stehenbleiben, sind aber nicht unmittelbar vom Kleber betroffen. Ganz normaler Stau halt. :)

  • Beitrag von krapotke (11. Dezember 2022 um 19:40)

    Dieser Beitrag wurde vom Autor gelöscht (5. Januar 2023 um 09:43).