"Was ist wichtiger: Gerechtigkeit oder Frieden?
Die Macher der Studie betonen, dass diese Ergebnisse der Haltung der europäischen Regierungen teilweise zuwiderlaufen. Bisher hat kein europäisches Land offiziell gefordert, die Ukraine solle Zugeständnisse machen, um den Krieg zu beenden. Ein Drittel der EU-Bürger, und in Italien sogar die Mehrheit, wünscht sich aber genau das. "Wenn die politischen Führer mit diesen verschiedenen Standpunkten nicht vorsichtig umgehen, könnten sie das Ende der bemerkenswerten europäischen Einheit beschwören", schreiben Krastev und Leonard."
Zitat aus: SZ vom 15.6.22, Geeintes Europa, gespaltene Bürger
Leider wird in der Studie nicht näher darauf eingegangen, was denn "Zugeständnisse der Ukraine" bedeutet.
Schon sehr früh hatte die Ukraine betont, dass der Krieg nicht am 24.2.2023 begonnen habe. Und es gab auch in Deutschland Politiker, die diese Darstellung über den Kriegsbeginn sehr ausdrücklich übernommen haben:
"Dieser Krieg hat bereits 2014 begonnen, als die Menschen in der Ukraine sich entschieden haben, in Richtung EU aufbrechen zu wollen. Dieser Weg in Richtung Demokratie und Freiheit war es, den Putin nicht hinnehmen wollte. Deshalb hat die Ukraine es verdient, dass wir mit offenen Armen auf ihren Wunsch (=EU-Beitrittsgesuch) reagieren."
Zitat aus einem Interview mit Robin Wagener (Leiter der Europa-AG der Grünen-Fraktion und Vorsitzender der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe).
NTV vom 10.3.2022: "Dieser Krieg hat bereits 2014 begonnen"
Folgte man dieser Darstellung, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine bereits 2014 begonnen habe, dann würde es bedeuten, dass man die Ukraine zu Zugeständnissen auffordert, um Frieden zu ermöglichen.
Allerdings sehen viele Menschen in Europa und in Deutschland die Sezession der Krim nicht eindeutig als einen kriegerischen Akt der Okkupation der Krim durch Russland. Es wäre also so betrachtet kein Zugeständnis der Ukraine an Russland, wenn zum Beispiel bei einem Friedensabkommen der Status der Krim zunächst offen bleiben würde.
Der zitierte Robin Wagener sieht das vermutlich anders und würde das als ein Zugeständnis der Ukraine an Russland bezeichnen, wenn bei einem Friedensabkommen der Status der Krim nicht ganz eindeutig so geregelt würde, dass die Krim Teil des Staatsgebietes der Ukraine ist.
Die Macher der Studie warnen davor, dass "die politischen Führer mit diesen verschiedenen Standpunkten nicht vorsichtig umgehen". (siehe oben) Diese Warnung ist nur allzu berechtigt, vor allem wenn nicht einmal ganz klar ist, welche Position denn die Regierungen einnehmen. Eine 1 zu 1-Übernahme der beschriebenen ukrainischen Haltung beinhaltet die Gefahr zu einem lang anhaltenden Dauerkonflikt. Und bald wird bei mehr und mehr Menschen die uneingeschränkte Solidarität mit der Ukraine schwinden.