Orthopädischer Sattel oder neues Fahrrad?

  • Hat jemand Erfahrungen oder Meinungen zu orthopädischen Sätteln? Meine Mutter wünscht sich zum 71. Geburtstag einen solchen Sattel: https://hwg-radsportshop.com/p/sq-lab-sattel-600-active-medical

    Ich habe bislang keine Ahnung von solchen Sätteln, meine bisherigen Berührungspunkte reduzieren sich auf ein Schmunzeln über das lustige Aussehen, wenn ich die Dinger im Fahrradladen gesehen habe. Da es momentan mit Ausprobieren und Beratung im Fahrradladen ein bisschen schwierig ist, für Risikogruppen sowieso, möchte ich mich erstmal zu diesem Thema informieren:

    Wenn ich das richtig verstehe, bedingt ein solcher Sattel eine aufrechte Sitzposition auf dem Fahrrad? Das heißt, eine Körperhaltung, die sich irgendwo zwischen „leicht nach vorne gebeugt“ und „sportlich“ orientiert, ist für einen solchen Sattel nicht geeignet?

    Denn damit schließt gleich das nächste Problem an: Bei dem Fahrrad handelt es sich um ein 34 Jahre altes Damenrad von Kettler, „Rad des Jahres“ von 1986. Lässt sich da hinsichtlich einer veränderten Körperhaltung überhaupt noch viel machen? Ein Foto liegt mir leider nicht vor, aber ich habe den Eindruck, dass auch der Lenker getauscht werden müsste, um eine aufrechte Sitzposition zu erreichen. Schon der jetzige Sattel lässt sich kaum noch weiter runterdrehen, der Lenker nicht so richtig weiter hoch, also müsste irgendwie die Lenkstange getauscht werden, um dort irgendwas verstellbares einzusetzen und so weiter und so fort.

    Auf mich macht die ganze Sache den Eindruck, als wäre es eine sinnvolle Überlegung, die Anschaffung eines neuen Fahrrades ins Auge zu fassen. Ich denke mal, die Anforderungen einer 37-Jährigen sind etwas anders als die einer 71-jährigen Radfahrerin, so dass ein Damenrad mit aufrechter Körperhaltung und eventuell auch mit elektrischer Unterstützung sinnvoller wäre als an einem 34 Jahre alten Zossen noch herumzuschnitzen.

  • Malte 11. April 2021 um 22:34

    Hat den Titel des Themas von „Orthopädische Sättel“ zu „Orthopädischer Sattel oder neues Fahrrad?“ geändert.
  • So einen oder so einen ähnlichen Sattel habe ich letztens bei den Bewegungs-Docs vom NDR gesehen. Der Patient meinte man muss sich an das sehr veränderte Fahrgefühl gewöhnen, aber er hat wohl tatsächlich zu Heilung beigetragen.

    https://www.ndr.de/fernsehen/send…ngsdocs298.html

    Aber ein neues Fahrrad wäre sicherlich auch sinnvoll, wenn denn kurzfristig eines lieferbar ist. Man hört ja inzwischen von mehreren Wochen/Monaten Lieferzeit.

  • Mag sein, dass der Sattel irgendwie den unteren Rücken entlastet. Signifikant aufrechter dürfte man dadurch aber nicht sitzen. Wie auch? Wenn ich an Rahmen und Lenker nix ändere, sind Hintern und Hände ja nach wie vor in der gleichen Position und damit auch die Neigung des Körpers halbwegs vorgegeben. Wenn man deutlich aufrechter sitzen will, muss man zumindest auch an die Lenkerposition ran (höher und ggf. kürzerer Vorbau) oder sogar eine andere Rahmengeometrie wählen (da wären wir dann beim neuen Fahrrad.

  • Das hier ist übrigens das Rad, um das es geht. Es handelt sich nicht um das Rad des Jahres 1986, sondern 1989, was aber an der wesentlichen Problematik nichts ändert. Der Sattel ließe sich wohl recht einfach tauschen, aber ich nehme an, für den Lenker wäre es ein ziemlicher Aufwand, etwas passendes zu finden und anzubauen, was sich in der Höhe verstellen ließe?

    Mag sein, dass der Sattel irgendwie den unteren Rücken entlastet. Signifikant aufrechter dürfte man dadurch aber nicht sitzen. Wie auch?

    Ja, das ist mir alles klar ;) Das war ja auch meine Frage, die so richtig gut allerdings nicht formuliert war. Der Sattel bedingt, dass auf dem Fahrrad eine aufrechte Haltung möglich ist und das Fahrrad gibt diese aufrechte Haltung ohne Umbaumaßnahmen womöglich nicht her.

  • Vielleicht solltest Du einfach mal auf die Seite von SQ-Lab schauen, da wird viel erklärt.

    Und unterem anderem geraten, sich fachlich beraten zu lassen, wenn man so extreme Lösungen wie diesen Sattel meint zu benötigen.

    Lenker hätten die übrigens auch.

    Ich fahre auch einen SQ-Lab-Sattel, allerdings keinen medizinischen und hauptsächlich, weil ziemlich bequem. Den 611er.

  • Das ist ein klassischer Vorbau mit Innenklemmung. Sowohl der Tausch (es gibt zahlreiche Varianten mit jeweils unterschiedlicher Länge und unterschiedlichem Versatz) als auch die Höhenverstellung sind problemlos. Wenn alle Stricke reißen, baut man den einfach um 180° nach hinten verdreht ein. Problem ist vielmehr die Länge des Steuerrohrs, das bei überlangen Vorbauten an seine Grenze kommt. Rahmen mit höher gelegenem und auch längerem Steuerrohr sind sehr selten und dann leider auch recht teuer.

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    Peter Viehrig

    "Glaube ist die Überzeugung, dass etwas wahr ist, weil die Belege zeigen, dass es falsch ist."
    (Andreas Müller)

  • Unser örtlicher Fahrradhändler bietet eine "3D-Analyse" an (zumindest hat er das mal). Da muss man sich kurz hinhocken und wird gescannt. Auch die Druckverteilung am Allerwertesten wird gemessen, um den optimalen Sattel rauszufinden. Anschließend wird das Fahrrad optimal eingestellt, Vorbau, Sattel, usw. Scheint ganz gut zu funktionieren.

    https://www.zweirad-fischbeck.de/bodyscanning/

  • Ich denke schon, das das Rad auch eine gebeugtere Sitzposition möglich macht. Das ist ja schließlich 32 Jahre alt, die Oberrohrlänge noch um einiges länger, als heutige Stadträder.

    Der Lenker sollte tiefer kommen. Sonst kommt die Wirbelsäule ins Hohlkreuz.

  • Bike-fitting ist so dermaßen individuell. Jeder Neigungsgrad, jeder Millimeter macht so extrem viel aus. Ich habe mich daher mit einer Beratung hier zurückgehalten, weil es einfach nur Kaffeesatzlesen ist. Und gerade bei Sätteln ist jeder Arsch anders: Was dem einen Wonnen bereitet, ist für den anderen Fifty Shades of Pain.

    Entweder bekommen wir sämtliche Geometrie-Daten des Rades inkl. insbes. "Stack" und "Reach" nebst Schritt-, Armlänge, Körpergröße, Rumpflänge etc. pp. der Radfahrerin oder man kann einfach nur testen. Übrigens: Ein neues Rad kann viel schlechter geeignet sein als das alte, wenn es nicht passt oder viel härter ist, da z. B. aus bockhartem Aluminium.

    Meine Erfahrung - deutlich jünger, aber mit Hüft-, Knie- und Rückenproblemen: "aufrecht" ist nicht komfortabel, nie!

    Ich verändere gerade die Sitzposition meines neuesten Lastenrads. Das war das letzte Modell (Riese und Müller "Packster", S-Pedelec-Version), das ich in Nord-Deutschland (na ja: Wolfsburg, südlich der Elbe, also eigentlich Bayern) auftreiben konnnte - darum leider in der "_Komfort_"-Version: starker Backsweep des Lenkers, kurzer Vorbau, Sattelfederung und recht breiter Sattel. Ich bekomme regelmäßig Rückenschmerzen trotz sehr guter Sattelfederung (Parallelogramm, anpassbar, "Thudbuster"), weil ich einfach zu aufrecht, zu "bequem", zu passiv sitze. Die Wirbelsäule bekommt jeden Schlag direkt ins Kontor, die Arme stützen und federn so gut wie nicht, da kaum Gewicht auf dem Lenker liegt.

    2 Mal editiert, zuletzt von cubernaut (13. April 2021 um 21:10) aus folgendem Grund: Tippfehler bereinigt

  • cubernaut hat eigentlich schon alles richtige und wichtige gesagt, ich möchte nur noch zwei Dinge hinzufügen:

    1. Will deine Mutter unbedingt diesen Sattel? Oder will sie einen Sattel, der bequemer ist? Oder hat sie Probleme X, Y, Z, die sie im Sattel vermutet? Jede dieser Antworten bringt dich zu einer komplett anderen Vorgehensweise: genau diesen Sattel kaufen und zur Not Rad umbauen; einen für sie und das Rad passenden Sattel finden und evtl. die Geometrie anpassen; Geometrie anpassen oder ein neues passendes Rad kaufen, Sattel so nebenbei erledigen da gar nicht so wichtig.
    2. Auch im Geschäft würdest du bei solchen Modellen nicht unbedingt glücklich. Aufrechtes Sitzen auf gepolsterten, evtl. sogar mehrfach gefederten Sätteln ist anfangs immer super. Wenn deine Mutter damit dann auch immer nur kurze Strecken von vielleicht 5 oder 10 km maximal fährt, dann wird sie womöglich nie merken, dass der Sattel nichts ist, weil die Federung anfangs darüber hinwegtäuscht.

    Ich würde auf jeden Fall erstmal die Basics ausmessen und eine ungefähre Grundhaltung setzen. Dazu reichen die Faustformeln in der Regel aus. Wenn bereits nach wenigen km Unbehagen eintritt, braucht man noch keinen Bikefitter, denn dann ist grundlegendes schon falsch. Danach dann fahren und (nach einer Umgewöhnungsphase) auf den Körper hören und anhand von z. B. https://bikedynamics.co.uk/saddlepain.htm die einzelnen Problemzonen angehen (die Seite ist auf Rennräder ausgelegt, aber die Grundprobleme sind bei allen Rädern gleich, außer vielleicht Liegerädern). Wenn das Problem Taubheit ist (was die Wahl des SQlab nahelegt, denn der ist gerade dafür, abseits von Reha-Zwecken), kann evtl. schon eine Anpassung der Neigung nach vorne und von Vor- oder Nachsitz helfen.

  • Die Möglichkeiten der Einstellungen am Fahrrad sind vielfältig. Und aus der Ferne ist es schlecht da Empfehlungen zu geben.

    Zumal bei Veränderungen jedesmal eine Probefahrt der betreffenden Person notwendig ist.

    Beim Bild ist mir aufgefallen das der Sattel ziemlich weit hinten hinter dem Tretlager ist. Wenn man sein Körpergewicht nutzen will muß man aus dem Sattel und nach vorne. Das mag in Ordnung sein wenn man jung ist und noch über ausreichende Kraft verfügt. Wenn man nicht mehr so fit ist sollte der Oberkörper nach vorne über das Tretlager, das man beim gasgeben automatisch hochgedrückt wird.

    Dadurch wird sicherlich die Lenkerposition verändert werden müssen, womöglich der Lenker selbst.

    Wenn das Bild perspektivisch richtig ist.

    Von SQLab gibts auch schlichter aussehende Sättel, die sehr gut sind, hab selber einen.

  • Idealerweise kann ich bei Sitzproblemen nur dieses empfehlen.

    http://www.anthrotech.de

    Dafür muss aber eine entsprechende Unterstellmöglichkeit vorhanden sein.

    Es löst aber sehr viele Probleme und macht das Radfahren wieder sehr attraktiv. Außerdem bietet es durch die hohe Sitzposition auch Senioren viel Komfort und es ist um einiges günstiger als die Varianten von HP Velotechnik.

    Grüße