„Fahrrunter“-Kampagne

  • Ich sehe das nicht als Kernfrage.

    Wenn es um die Verkehrswende geht, geht es darum, möglichst viele Menschen auf's Rad zu bekommen. Und bei diesem Ziel sind gute Radwege der Führung auf der Fahrbahn überlegen. Keine Aufklärungskampagne der Welt wird dafür sorgen, dass die Mehrheit der Menschen die Führung auf der Fahrbahn besser finden als auf einem Radweg. So ist die Mehrheit nunmal einfach nicht gestrickt.

    Ich merke es an mir selbst: Früher hat mir der Verkehr von hinten nicht viel ausgemacht. Hunderte Nahüberholer später ist das anders. Der Kopf weiß, dass der Radweg gefährlicher ist. Und trotzdem finde ich es unangenehmer, wenn die Gefahr ständig von hinten lauert.

    Aufklärungskampagnen in Verbindung mit guten Gesetzen können das schaffen, zwei Beispiele:

    1. In Spanien (also auch im 17. Bundesland, auf Mallorca) muss zum Überholen von Radfahrern die komplette Gegenspur benutzt werden, bei empfindlichen Geldstrafen. Von dem, was ich lese, halten sich die Leute auch daran, was dann für deutsche Radfahrer ein bisschen wie der Kulturschock ist, den man in Ländern mit Tempolimit auf der Autobahn hat - entspanntes Fahren unabhängig von der Straße oder dem Fahrzeug ist möglich. Das bei uns einzuführen wäre ein leichtes, da es faktisch durch die bestehenden Regeln sowieso schon gilt, aber viel leichter zu ahnden ist und dadurch auch eher befolgt würde.
    2. Seit im Dezember die Diskussion über die neue StVO angefangen hat, habe ich eine stetige Verbesserung bei den Überholabständen feststellen können. Spürbar waren bereits die Nachrichten, Zeitungsartikel etc. zur Sache zu bemerken, und das hat sich bei der Gesetzesänderung dann nochmal verstärkt. Hat vorher vielleicht einer von zehn zu eng überholt, habe ich mittlerweile Situationen, wo über mehrere Stunden Fahrtzeit kein einziger zu eng überholt - wirklich ein spürbarer Unterschied. Die meisten Leute sind nicht bösartig, sondern unwissend, und können durch Aufklärung zu gutem Verhalten gebracht werden. Für die wenigen, die resistent sind, gibt es dann entsprechende Strafen, die wirken.

    Natürlich passiert das nicht von heute auf morgen, immerhin sind Jahrzehnte falsche Entwicklung zu korrigieren, und die bisherigen Änderungen seit 1998 wurden nicht wirklich eindeutig kommuniziert. Aber mit einer Kombination aus öffentlicher Aufklärung ("Der 7. Sinn" in modern nach der Tagesschau, Social-Media-Kampagnen für die jüngere Zielgruppe, entsprechende Schilder und Plakate in "Brennpunktregionen"), Durchsetzung der Gesetze (Gefährderansprachen durch die Polizei, viel mehr Kontrollen, Halterhaftung bei Ordnungswidrigkeiten) und Bildung (modernisierte Radfahrprüfung in den Schulen, regelmäßige Auffrischung der Führerscheine mit theoretischem Test) könnte das gelingen.

    Außerdem schadet es natürlich nicht, wenn Autofahren unattraktiver und Radfahren attraktiver wird - dann sind mehr Radler unterwegs und die Radwege automatisch unbrauchbar bzw. die Straße automatisch sicher. Einen Vorgeschmack hat man ja in den letzten Monaten bekommen, als Autofahren nur noch in Ausnahmefällen erlaubt war, Radfahren aber immer.

  • Ich fürchte, wir driften mit dieser Fragestellung wieder ganz weit vom eigentlichen Thema ab, aber ich bin mittlerweile nach ungefähr zehn Jahren in dieser Fahrradblase zu der Überzeugung gekommen, dass die Fragestellung falsch ist: Die Verkehrswende wird sich nach meiner momentanen Meinung nicht darüber entscheiden, ob auf der Fahrbahn oder auf dem Radweg gefahren wird. Da hängen noch eine ganze Menge anderer Faktoren dran.

    Jein! Das Kernproblem ist ein anderes: Das Primat des Kraftverkehrs. Daraus folgt die Diskriminierung der Radfahrer, aus der viele Probleme der Radfahrer hergeleitet werden können. Radwege sind dabei Indikatoren des Primats und Mittel zur dessen Erhaltung.

    Wenn es um die Verkehrswende geht, geht es darum, möglichst viele Menschen auf's Rad zu bekommen. Und bei diesem Ziel sind gute Radwege der Führung auf der Fahrbahn überlegen. Keine Aufklärungskampagne der Welt wird dafür sorgen, dass die Mehrheit der Menschen die Führung auf der Fahrbahn besser finden als auf einem Radweg. So ist die Mehrheit nunmal einfach nicht gestrickt.

    Es geht nicht darum, möglichst viele Menschen auf Rad zu bringen, sondern darum, möglichst viele aus ihrem Auto zu holen. Und für dieses Ziel sind Radweg, ob gut oder schlecht, hinderlich, weil sie das Primat des Kraftverkehrs erhalten.

    In der üblichen Argumentation der Verkehrswandler durch Radwegebau sind ja immer gleich zwei Fehler enthalten: Es wird behauptet oder konnotativ angedeutet, dass Radwege den Radverkehrsanteil erhöhen. Belege dafür habe ich noch nicht gesehen. Und es wird genauso angenommen, dass mehr Radfahrer weniger Kraftfahrer bedeuten. Auch da fehlt es an Belegen.

  • Wenn es um die Verkehrswende geht, geht es darum, möglichst viele Menschen auf's Rad zu bekommen.

    Für eine Verkehrswende muss man vor allem möglichst viele Menschen aus dem Auto holen. Da reichen positive Anreize zur ÖPNV-Nutzung und zum Radfahren alleine nicht aus, sondern man muss sich auch trauen, das Autofahren unbequemer zu machen. Radfahren wird erst dann sicherer (und auch als sicherer empfunden), wenn weniger Autos fahren und nicht, wenn die Busse und Bahnen nur halb voll sind.

    Dazu zähle ich auch, dass Autofahrer lernen müssen, dass es kein Grundrecht gibt, immer und überall so schnell zu fahren, wie man will oder kostenlos oder zum Schnäppchenpreis sein Auto im öffentlichen Raum abzustellen. Kopenhagen hat in den letzten 40 Jahren nicht nur die Radverkehrsinfrastruktur ausgebaut, sondern systematisch Parkplätze reduziert und das Parken teurer gemacht.

    Außerdem sollte man nicht immer nur an Hauptstraßen denken. In jeder Stadt wird man Nebenstraßen finden, aus denen man ein Netz von Fahrradstraßen aufbauen kann, auf denen wirklich alle auf der Fahrbahn fahren können.

    Im Übrigen will ich niemanden dazu zwingen, an Hauptstraßen auf der Fahrbahn zu fahren, wenn es genügend Platz für einen "Radweg" gibt. Ich möchte aber nicht dazu gezwungen werden, gefährlichen Murks benutzen zu müssen und ich möchte, dass Gehwege alleine den Fußgängern vorbehalten sind. Für ängstliche Radfahrer bedeutet das dann halt auch mal, dass sie sich einen anderen Weg suchen müssen, wenn der verfügbare Platz nicht für separate Wege ausreicht. Was nutzt es, wenn doppelt so viele Leute Fahrrad fahren und wir dann drei Mal so viele Unfälle haben?

  • Sind die Radwege in Stevenage gut ?

    Genau an diesen Artikel hatte ich auch gedacht. Die Verkehrswende erfordert Beschränkungen des Autoverkehrs und nicht nur die Förderung des ÖPNV und des Radverkehrs. Aber das traut sich hier in Deutschland (noch) niemand.

    Und so gilt dann eine Radweg-Stadt wie Münster, in der zwar überdurchschnittliche viel Fahrrad gefahren wird, aber in der selbst auf das Radverkehrsaufkommen gesehen auch überdurchschnittlich viele Unfälle passieren, in Deutschland als "Fahrradstadt".

  • Sind die Radwege in Stevenage gut ?

    Das Thema hatten wir doch schonmal.

    Das Fazit damals, wenn ich mich richtig erinnere:

    Alle Städte , die einen hohen Radverkehrsanteil erreicht haben, haben dazu eine Infrastruktur von gut befahrbaren Radwegen aufgebaut.

    Aber ganz ohne Leidensdruck von Autofahrern geht es dann halt doch nicht. In den meisten Großstädten dürfte der aber aufgrund der hohen Verkehrsdichte ohnehin gegeben sein.

  • Das Fazit damals, wenn ich mich richtig erinnere:

    Alle Städte , die einen hohen Radverkehrsanteil erreicht haben, haben dazu eine Infrastruktur von gut befahrbaren Radwegen aufgebaut.

    Alle Städte , die einen hohen Radverkehrsanteil haben, haben deswegen eine Infrastruktur von Radwegen aufgebaut.

    Henne - Ei. Scheinbar …

    In den ersten Jahren unserer Republik wurde noch geäußert, dass man die Radwege nicht für die Radfahrer sondern wegen ihnen gebaut habe. Alle jetzigen Radfahrerstädte hatten schon präradweg einen hohen Radverkehrsanteil.

    Um es wieder etwas fundierter zu betrachten: Es ist noch nicht einmal eine Korrelation zwischen Radwegenetz und Radverkehrsanteil belegt, auch wenn ich davon ausgehe (sO). Und selbst wenn es so wäre, könnte man damit nicht auf eine Kausalität schließen.

  • Harte Belege sind natürlich schwer. Allerdings gibt es diverse Interviews mit Verantwortlichen mit Kopenhagen und Amsterdam. Beide zeigen die üblichen autolastigen Fotos aus den 70ern und sagen dazu, dass die Stadt dann halt beginne hat, die Infrastruktur zu bauen.

    Aus London gibt es ein ähnliches Beispiel mit Radschnellwegen. Seit die in anständiger Qualität (erst im zweiten Anlauf stimmte die Qualität) zur Verfügung stehen, ist der Anteil der Radfahrer gestiegen.

  • Ich finde das überraschend. Vermutlich stimmen die meisten hier ziemlich vorbehaltlos der These zu, dass breitere, besser zu befahrende Fahrbahnen mehr Autoverkehr erzeugen.

    Aber aus irgendeinem Grund wird das von vielen für Radfahrer bestritten.

    Obwohl es eigentlich logisch ist, dass angenehm zu nutzende Wege auch die Nutzer anziehen.

    Selbst wenn die Verantwortlichen der erfolgreichen Städte sich äußern, wird das erstmal als unbelegter Quatsch abgetan. Ohne Quellen.

    Dabei habe ich mehrere konkrete Beispiele genannt: Amsterdam, Kopenhagen, sogar London.

    Es gibt auch einen schönen Artikel über Sevilla (https://www.zukunft-mobilitaet.net/168192/analyse…ci-bikesharing/).

    "Darmstadt fährt Rad" bringt es eigentlich ganz gut auf den Punkt (https://www.google.com/url?sa=t&sourc…GqEKTlifBeIS2): die Planung, Radfahrer auf großen Straßen im Mischverkehr zu führen, geht einfach an den Bedürfnissen der meisten Menschen vorbei.

    Adenauer hat das passende Zitat dazu: "Nehmen Sie die Menschen, wie sie sind, andere gibt's nicht."

    Von Kindern, die ab 10 nicht mehr auf dem Gehweg fahren dürfen, habe ich nichtmal angefangen.

  • Erinnert mich in zwei Jahren noch mal. Nürnberg ist gerade dabei ein relativ fantastisches Netz von Fahrradstraßen anzulegen. Die Bilder habe ich schon, die Kartenausschnitte und der Text kommt irgendwann demnächst.

    Im Endeffekt und als Kurzfassung: derzeit werden parallel zu Hauptstraßen für den Radverkehr bevorzugte Verbindungen (die waren es auch schon vorher) zu Fahrradstraßen mit guter Vorfahrt umgewidmet. Aus den ehemaligen Tempo-30 Zonen mit Rechts vor Links werden Fahrradstraßen mit durchgängigem Zeichen 301 und eindeutiger Wartelinie für die abgehenden Querstraßen. So sind "Schnellverbindungen" im entstehen, die mir recht gelegen kommen (über andere Stadtteile feihlt mir die Information - das Informationsblatt hat nur Straßennahmen aufgelistet und ich kenne nicht alle).

    Demnach: Es entsteht noch in diesem Jahr eine beeidruckende, teilweise durch die halbe Stadt ziehende Radverkehrsstruktur mit Vorfahrt und ohne Hindernisse. Wenn die These "Radverkehr steigt mir Infrastruktur" stimmt müsste sich das in den nächsten Jahren deutlich bemerkbar machen. Wir haben automatisierte Radverkehrszählung - ich bin mir sicher, dass die Daten von der Stadt mit Freude publiziert werden, wenn sich etwas positiv entwickelt.

  • Erinnert mich in zwei Jahren noch mal. Nürnberg ist gerade dabei ein relativ fantastisches Netz von Fahrradstraßen anzulegen. Die Bilder habe ich schon, die Kartenausschnitte und der Text kommt irgendwann demnächst.

    Da bin ich neugierig, denn in Hannover wurde dieser Tage das Veloroutennetz vorgestellt. Ziel ist es, in den nächsten 10 Jahren den Radverkehrsanteil von 20% auf 25% zu steigern.

    Siehe dieser NDR-Filmbeitrag vom 10.6.2020 https://www.ndr.de/nachrichten/ni…orouten104.html

    bei Minute 00:16

    Ich bin da immer vorsichtig mit solchen Zielformulierungen, denn insbesondere eine Steigerung des Radverkehrs kann auf der anderen Seite ein Absenken der ÖPNV-Nutzung bedeuten. Und zumindest was den Verkehrsflächenbedarf angeht ist der ÖPNV sogar dem Radverkehr überlegen.

    Und leider wird bei dieser Zielformulierung nicht deutlich gesagt, dass im Gegenzug der Autoanteil reduziert werden soll. Es wird dabei aber immer so getan, als sei das eine automatische Begleiterscheinung. Ich fürchte, das trifft nicht zu oder nur sehr geringfügig.

    Um es mal zugespitzt zu formulieren: Auf den Hauptverkehrsstraßen tobt der Autoverkehr und auf Nebenstrecken tobt der Radverkehr. Zumindest stört der nicht so sehr wie der Autoverkehr. Aber schöner wäre natürlich, dass die Hauptverkehrsstrecken nicht dem Autoverkehr vorbehalten werden, sondern vor allem vom ÖPNV und dem Radverkehr benutzt würden, und der Autoverkehr tatsächlich drastisch reduziert wird.

    Gibt es denn in Nürnberg auch eine "Zielvorgabe"? Und wird dort auch konkret etwas zur Absenkung des Autoverkehrs gesagt?

    Kartenmaterial hast du ja schon in Aussicht gestellt.

    Ich habe hier einen Link zu einer pdf-Datei mit einer Karte auf der die 12 Velorouten eingezeichnet sind, die in Hannover in den nächsten 10 Jahren verwirklicht werden sollen:

    https://presse.hannover-stadt.de/AttachmentDown…48E9ABDA76B2102

    An anderer Stelle im Forum, auf der Hannover-Seite, habe ich darüber schon etwas geschrieben:

    Siehe hier:

    Veloroutennetz Hannover - Zwölf Velorouten in zehn Jahren

    Hier ein Bild von einem Abschnitt der Veloroute 10 an der Davenstedter Straße.

    Die weniger forschen Fahrradfahrer*innen haben einen Hochbord-Angebotsradweg, die anderen, "die sich was trauen", können und dürfen die Fahrbahn benutzen.

    Aber warum wird nicht einfach der Streifen mit Stellplätzen aufgehoben und zu einem breiten geschützten Radweg für alle umgewandelt?

    zumal das Fahrradfahren auf der Fahrbahn hier tatsächlich herausfordernd ist. Auf der einen Seite die Straßenbahnschienen (nur wenige trauen sich zwischen dem Gleispaar zu fahren, was eigentlich das sicherste ist) auf der anderen Seite die Dooring-Zone. Die hast du natürlich auch auf dem Angebots-Hochbordradweg, nämlich auf der Beifahrerseite.

    Zur Zeit als das Bild aufgenommen wurde, war der Angebotsradweg als Fußweg ausgeschildert. Nach meiner Beobachtung waren die beiden Radfahrer*innen auf dem Bild aber nur zwei der wenigen, die das Befahrverbot des Hochbordradweges beachteten. Ob sie es mit Freude getan haben, konnte ich nicht herausfinden.

    Ein Radfahrstreifen wie auf dem folgenden Bild und dafür die Parkplätze weg, das würde doch sicher die allermeisten Radfahrer*innen sehr erfreuen, vermutlich auch mkossmann und Yeti?

    Und der Angebots-Hochbordradweg, der könnte dann auch weggepflastert werden. > Mehr Platz für Fußverkehr! Das Schild [Zeichen 239] hängt da ja schon!

  • Oh je, ich hatte befürchtet, dass es jetzt wieder mit einer solchen Diskussion losgeht :D

    Momentan bin ich seit anderthalb Wochen im entlegenen Niedersachsen unterwegs, jetzt gerade bei den Schwiegereltern im entlegenen Hankensbüttel. Radfahren ist hier in der niedersächsischen Provinz eigentlich nur etwas für Schüler oder für eine Radtour am Wochenende und auch da kommt man nur in eine überschaubare Anzahl von Himmelsrichtungen weg, nämlich nur entlang der Überlandstraßen mit einem straßenbegleitenden Radweg. Das heißt, man kurbelt entweder irgendwelche Feldwege entlang oder fährt nach Süden Richtung Gifhorn oder nach Osten Richtung Wittengen. Neuerdings geht es auch über einen neuen Radweg Richtung Südwesten in einen Flecken mit dem schönen Namen Wunderbüttel.

    Die übrigen Straßen sind häufig als mehr oder weniger prächtige Allee ausgebildet und damit, wenn ich das jetzt mal so flapsig formulieren darf, hier auf dem Dorf die Leute nach dem Schützenfest nicht vorzeitig wegsterben, wurden viele der Alleen mit Schutzplanken ausgerüstet. Das führt natürlich am Lenkrad zu einer gewissen Sorglosigkeit, denn dann kann ja offenbar nichts mehr passieren, was dann wiederum in einer ungesund hohen Geschwindigkeit resultiert. Wenn ich hier bei anderen Leuten im Auto sitze, stehen auf solchen Straßen selten weniger als 120 Sachen auf dem Tacho, da gehen auch locker 150. Als ich vor einiger Zeit die Landesstraße 310 von Mellendorf nach Celle entlangfahrbahnradelte, haben mir sicherlich 25 oder 30 Kraftfahrer zu verstehen gegeben, dass sie meine Anwesenheit nicht schätzen.

    Das ist zum Radfahren auch für uns Hartgesottene nicht unbedingt schön. Der Überholabstand haut hier auch nicht so ganz hin — die einzigen, die tatsächlich zum Überholen einen Spurwechsel mit allem drum und dran vollziehen, sind Lastkraftwagenfahrer. Abgesehen von einem einzigen, der mir erstmal auf ungefähr fünf Meter auffahren musste, um dann das Horn zu zünden, sind die hier ausgesprochen vorbildlich. Das kann man vom Rest der motorisierten Verkehrsteilnehmer aber nicht behaupten.

    Insofern: Was tun? Überall einen Radweg ranklemmen, innerorts wie außerorts? Das wird nicht klappen, weder finanziell noch zeitlich noch vom Platz und so weiter und so fort. Abgesehen davon, dass der Nutzen solcher Maßnahmen nicht so ganz eindeutig ist, wie wir ja alle mittlerweile wissen.

    Das Problem scheint mir außerhalb der großen Städte vor allem zu sein, dass man ohne Auto auf dem Dorf echt aufgeschmissen ist.

    Hankensbüttel liegt an der Lachtetalbahn von Wittingen nach Celle und hatte früher einmal ein recht ansehnliches Bahnhofsareal mit einem entsprechend umfangreichen Betrieb. Seit nunmehr 45 Jahren findet hier allerdings kein Personenverkehr mehr statt, der Güterverkehr wurde von der OHE vor einigen Jahren ebenfalls eingestellt, die ganze Strecke wird vermutlich in den nächsten Jahren stillgelegt. Gleis raus, Supermarkt rauf.

    Ebenjener Supermarkt ist vermutlich ebenfalls das Problem: Lebensmittel gibt es nur noch auf Supermärkten auf der so genannten grünen Wiese, die sich grundsätzlich in jedem Unterzentrum befinden. In den Straßen, die mal so etwas wie die Hauptstraße Hankensbüttels oder Wittingens waren, ist grundsätzlich alles tot. Der Schlachter, der das Vieh noch selbst beim Landwirt abholte und im Nebengebäude schlachtete, ist genauso fort wie der Obst- und Gemüsehandel, der Getränkemarkt oder die Bäckerei: Alle gingen relativ schnell pleite, nachdem die praktischen Supermärkte auf der grünen Wiese öffneten.

    Was ich in den Supermärkten nicht finde, finde ich aber im Elektronikfachmarkt im nächsten Oberzentrum. Dahin komme ich aber grundsätzlich nur mit dem Auto. Es gibt hier zwar einen Busverkehr, der sogar relativ häufig fährt, aber quasi nur von einem Dorf ins nächste. Ich komme zwar regelmäßig aus Hankensbüttel zum Wittinger Bahnhof und von dort aus mit dem Zug nach Uelzen oder Braunschweig, aber in alle anderen Richtungen quasi nur ein Dorf weiter. Nach Celle oder Lachendorf geht’s nur über einen riesigen Umweg über Uelzen oder Braunschweig und Hannover. Das macht natürlich kein normaler Mensch (unnormale Menschen wie ich sind mit dem Rad übrigens schneller in Celle als mit öffentlichen Verkehrsmitteln).

    Mit dem Auto fährt man aber nicht nur zum Einkaufen ins nächste Oberzentrum, sondern auch zur Arbeit. Aus dem Freundes- oder Bekanntenkreis, in den ich mich hier eingeheiratet habe, erfuhr ich, dass man gar nicht mal unbedingt in der IT-Branche arbeiten muss, um alle paar Jahre seinen Arbeitsplatz zu wechseln. Während man aber als Arbeitnehmer in der Großstadt gute Chancen hat, beim nächsten Arbeitsplatz noch immer in der Großstadt bleiben zu können, bewegt man sich hier mit dem Auto in einem Umkreis von 50 oder gar 100 Kilometern. Hat man bei einem Elektroinstallateur in Uelzen gekündigt, befindet sich der nächste Arbeitgeber vielleicht in Salzwedel oder in Salzgitter, aber sicherlich nicht in Hankensbüttel.

    Gut, zurück zur eigentlichen Ausgangsfrage hinsichtlich Radweg oder Fahrbahn und weniger Kraftverkehr.

    Ich meine, dass beispielsweise hier auf dem Land unendlich viele Faktoren die Frage nach der Verkehrswende beeinflussen und die Gegenwart von Radwegen nur ein Teil davon ist.

    Ich würde beispielsweise bestimmt nicht meinen täglichen Arbeitsweg nach Wittingen mit dem Rad bestreiten, wenn ich dort auf der mit Schutzplanken ausgestatteten Hochgeschwindigkeitsfahrbahn radeln müsste. Den Stress tue ich mir nicht an. Also muss entweder ein straßenbegleitender Radweg her oder ich fahre über die Felder, wo Regen und Schnee in Matsch resultieren.

    Andere Möglichkeit: Die Leute überzeugen, dass Tempo 120 oder — Gott behüte — 150 auf einer einfachen Überlandstraße trotz Schutzplanken eine dumme Idee sind. Nur: Wie? Mit Einsicht oder Kontrollen hat’s ja in den letzten Jahrzehnten nicht so richtig funktioniert und mir fehlt trotz des neuen Bußgeldkataloges der Glaube, dass sich das künftig ändern mag.

    Also den Stress am Lenkrad bekämpfen? Dafür sorgen, dass nicht jeder bis zu hundert Kilometer zu seinem Arbeitsplatz pendeln muss? Als Software-Entwickler ist die Sache mit Teleheimarbeit bestimmt eine leichte Sache, für viele andere Berufe vermutlich ebenfalls möglich — aber es scheitert vermutlich momentan noch an der Internetanbindung hier auf dem Land. Wenn der Nachbar Netflix anschmeißt, kann ich hier quasi nicht mal mehr ein Foto hochladen.

    Ich habe das Gefühl, wenn man weniger Kraftverkehr haben möchte, dann müsste man eine ganze Menge gesellschaftlicher Entwicklungen zurückdrehen. Zum Beispiel die Sache mit dem häufigen Wechsel des Arbeitsplatzes und der Bereitschaft zum Pendeln, die nunmal für diese Menschen längere Fahrten mit dem Auto bedeutet. Aber so etwas wie 75 Jahre lang bis zum Tod in der Fleischerei auf dem Dorf zu arbeiten wie eine Tante meines Vaters, das wird es heute wohl nicht mehr geben, denn es gibt ja nicht einmal mehr die Fleischerei, weil die in keiner Hinsicht gegen das Angebot eines Supermarktes bestehen kann.

    Wollen wir weniger Autofahrten generieren, müsste es mehr Angebote des täglichen und wöchentlichen Bedarfs in jedem Unterzentrum geben. Nur: Das lohnt sich einfach nicht mehr. Es gab hier im Ort beispielsweise bis vor ein paar Monaten einen „Fernsehermann“: Geschäftsaufgabe wegen Renteneintritt. Der konnte aber auch nur noch Fernseher reparieren, die so alt waren wie er selbst, denn an einem Flachbildschirm, wie man ihn heute aus MediaMarkt herausträgt oder bei Amazon bestellt, lässt sich ja nichts mehr reparieren. Brauche ich jetzt ein elektronisches Gerät, fahre ich entweder bis zum nächsten Oberzentrum oder bestelle im Internet. Wenn es kaputt geht, bestelle ich einfach ein neues.

    Will sagen: Man muss für jeden Scheiß ins Auto steigen und aus dem Dorf raus, meistens nicht bis zum nächsten Mittelzentrum, sondern gleich ins nächste Oberzentrum. Und das wird sich ja nicht zurückdrehen lassen. Die ganzen kleinen Betriebe, die Fleischerei, die Post, die Bäckerei, die können sich ja teilweise nicht mal in hippen Vierteln einer Großstadt gegenüber dem Supermarkt behaupten, wie soll das hier auf dem Land mit noch kleinerer Zielgruppe funktionieren?

    Und dann gibt es ja noch die angesprochene Bahnstrecke von Wittingen nach Celle. Ich fände es obercool, wenn dort mal wieder eine Regionalbahn führe, womöglich sogar direkt weiter nach Hannover. Das löst aber keines der übrigen Probleme: Ich kann dann zwar auf dem Dorf wohnen und in Hannover arbeiten und täglich meine drei Stunden im Zug absitzen, quasi immerhin für zwei Wege am Tag one less car, fahre dann aber für alle anderen Wege trotzdem mit dem Auto herum.

    Und irgendwie habe ich mich mit diesem Beitrag total verrannt zu dieser späten Stunde. Ich wollte eigentlich darauf hinaus, dass es viel mehr Aspekte für die Verkehrswende, beziehungsweise weniger Kraftverkehr auf der Straße gibt als nur die Frage nach Fahrbahn und Radweg, aber ich bin mir nicht sicher, ob mir das hier gelungen ist.

    Übrigens gab es hier im Dorf sogar mal einen Fahrradladen. Der hat aber auch nach ein paar Jahrzehnten vorletztes Jahr endgültig schließen müssen: Es lohnte sich nicht mehr. Das hat hinsichtlich der Verkehrswende auch wieder Auswirkungen: So ein normales Fahrrad, was schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat und vielleicht nicht immer pünktlich zur Inspektion erscheint und vielleicht nicht immer so gut gepflegt wird, das neigt dann auch mal zu Mätzchen. Wenn wir hier einen Ausflug machen wollen, finden wir zwar ein reichhaltiges Angebot an Rädern in der Nachbarschaft vor, aber keines, bei dem sowohl Bremse als auch Licht als auch Schaltung funktionieren, die Kette noch einigermaßen in Schuss ist und die Reifen aufgepumpt. Irgendwas ist immer. Weil man aber das defekte Rad erstmal auf einem Fahrradträger am Auto ins nächste Mittelzentrum zur Werkstatt fahren müsste, bleibt die Lage wie sie ist.

    Und am Ende fährt man so oder so mit dem Auto.

  • Das ist zum Radfahren auch für uns Hartgesottene nicht unbedingt schön.

    Das ist auch zum Kraftfahren nicht schön. Würdest du deine Tochter mit ihrem Moped dort fahren lassen? Oder deinen Sohn mit einem 10 Jahre alten Polo?

    Dass die Abwärtsspirale aus Zersiedelung und Autofahrerei sich so dreht wie sie es tut, liegt nicht an fehlenden Radwegen. Es liegt daran, dass die gewünschten Ziele auf dem Land immer schon erheblich oberhalb dessen lagen, was sich die allermeisten Leute freiwillig als Radfahrer antun würden. Die schweigende Mehrheit ist nicht "interested but concerned", sondern "interested but lazy". :evil:

    Und ist "der Wagen" erstmal da, will er halt auch ausgenutzt werden...

  • Das mit der stillgelegten Bahn klingt doch nach einer Möglichkeit -> Draisineneinsatz und Radl draufschnallen ;)

    Wir waren ja über Pfingsten auch in der Mitte und im Norden unterwegs. In der Uckermark zum Beispiel gibts außerhalb keine Radwege, ist auch nicht nötig bei dem bissl verkehr und ich fand die KFZ-Lenker haben ein ganz entspanntes Verhältnis zu Radfahrern, obwohl die Straßen recht ähnlich sind und einige durchaus flott fahren, gingen aber meistens vom Gas vor dem überholen. Vielleicht ist es aber deutlich kurviger, also weniger Sichtweite.

  • Harte Belege sind natürlich schwer. Allerdings gibt es diverse Interviews mit Verantwortlichen mit Kopenhagen und Amsterdam.

    Unter uns Pastorentöchtern: Was erwartest Du für ein Antwort, "Wir haben Millionen verbraucht und es hat nichts gebracht"?

    Was mich an dieser Diskussion immer am meisten irritiert: Es sind sich (praktisch) alle einig, selbst die, zu deren Lasten es angeblich gehen soll.

    Apropos harte Belege:

    Mir wurde eine Studie aus Kopenhagen genannt, die die Wirksamkeit belegen sollte. Dumm nur, dass die Autoren in der Studie selbst geschrieben haben, dass sie nicht wissen, ob die Steigerung durch Verlagerung, Steigerung oder andere Faktoren zustande gekommen ist. Dass sich von zwei möglichen Wege Radfahrer den mit dem Radstreifen aussuchen, halte ich nicht für abwegig.

    Oder die Studie (Bei der möchte ich eigentlich " setzen) aus den USA, in der sich 10 Städten der Radverkehrssteigerung durch Radstreifenbau lobhudeln lassen haben. Ich habe nachgerechnet. Die beiden Parameter waren negativ korreliert. Von der fehlenden Kontrollgruppestadt mal ganz abgesehen.

    Und London:

    Wann wurde dort noch einmal die City-Maut eingeführt?

    Es wurde Infrastruktur angelegt und der Anteil stieg, also lag es daran! Es wird grundsätzlich vergessen, andere Maßnahmen als Ursache in Betracht zu ziehen. Kopenhagen hat die Grüne Welle verlangsamt, Parkraumbewirtschaftung eingeführt, aber Erfolg hatten die Radsteifen. Allein die Diskussion über Radverkehrsförderung halte ich für förderlich (als förderlicher als die übliche Förderung). Fridays für Future? Staus? Benzinpreis? Wetter? Oder simpel Zeitgeist? Nö. Wegelchen!

    Was passiert, wenn andere Maßnahmen neben der Infrastruktur nicht getroffen werden? Stevenage wurde genannt. Ich nehme immer Milton Keynes. Flop!

  • Ich habe das Gefühl, wenn man weniger Kraftverkehr haben möchte, dann müsste man eine ganze Menge gesellschaftlicher Entwicklungen zurückdrehen. Zum Beispiel die Sache mit dem häufigen Wechsel des Arbeitsplatzes und der Bereitschaft zum Pendeln, die nunmal für diese Menschen längere Fahrten mit dem Auto bedeutet.

    Alle Probleme, die du sehr gut dargestellt hast, sind miteinander verknüpft. Die Entwicklung im ländlichen Raum war und ist keine gottgegebene Sache, sondern ein Prozess über Jahrzehnte. Wenn man genau hinschaut, entwickelt es sich allerdings deutlich langsamer als man denkt.

    Beispielsweise war ein Auto oder Motorrad als fahrbarer Untersatz in den 50ern etwas für wenige Reiche, in den 60ern für viele erschwinglich, in den 70ern hatte das fast jeder und in den 80ern außer vielleicht alten Leuten faktisch jeder (einige schon mehrere). Seitdem hat sich da wenig getan, die Autos wurden sparsamer und größer, die Motorräder mehr, die Todeszahlen sanken, aber im Prinzip war es so, dass jeder ein Auto (oder Zugriff darauf) hatte und hat. Das sind so gesehen 40-50 Jahre Stillstand. In dieser Zeit konnte z. B. ein Arbeitgeber davon ausgehen, dass er nicht nur Leute aus den 10 km Umkreis, sondern auch aus dem Nachbarlandkreis oder sogar weiter entfernt mit 50-100 km ansprechen kann, wenn es um die Besetzung von Arbeitsplätzen oder Neuplanung von Gebäuden ging. Ähnlich konnte ein neuer Supermarkt jetzt viel weiter draußen und damit größer und günstiger gebaut werden, weil man keine Rücksicht mehr nehmen musste. Büros konnten aus teuren Innenstädten in Industriegebiete verlagert werden, solange nur ein paar billige Parkplätze vorhanden waren. Statt ins Wirtshaus im Dorf zu laufen, fuhr man jetzt ins Vereinsheim in der Nachbargemeinde, usw. - es wurde also alles mit den entsprechenden Möglichkeiten geplant und umgesetzt. Das ist in etwa das, was im großen Maßstab in den USA passiert ist (urban sprawl), nur viel kleiner und "harmloser".

    Diese Entscheidungen, die ich beispielhaft genannt habe, sind aber wie gesagt nicht gottgegeben und sie sind änderbar. Das kann entweder durch äußere Einflüsse passieren, oder durch bewusste Anpassung. Äußere Einflüsse wären z. B. extreme Preisanstiege von Öl, Gas und Strom oder deren Verknappung, oder Umwelteinflüsse wie häufige Fluten und Stürme, die weite Überlandfahrten und Instandhaltung der Straßen unrentabel machen. Bewusste Anpassung ist die Entscheidung, das vorhandene System zu ändern, entweder individuell (Familie verkauft ihre Autos und benutzt nur noch E-Bikes, Verzicht auf Jobs die weiter weg sind, Gründen von Dorfläden, etc.) oder kollektiv (z. B. Gesetzesänderungen, die weite Pendelstrecken unattraktiv machen, Kopplung der Gewerbesteuer an die Aufteilung in der Fläche, Ausbau der Internetversorgung, E-Governance).

    Aus meiner Sicht wäre das effektivste eine Kombination von einfachen, aber wirkungsvollen Maßnahmen, die das ganze Stück für Stück voranbringen. Nach dem Krieg kamen ja auch nicht die Amerikaner und haben jedem Bürger zwei Cadillacs geschenkt und sie so ins Verderben gerissen, sondern das war ein langsamer schrittweise Prozess. In der umgekehrten Reihenfolge könnte ich mir beispielsweise folgende Dinge vorstellen:

    • Ausbau der Breitbandversorgung: das ist über 20 Jahre verschleppt worden und überfällig. Egal ob privat oder beruflich, wir sind weltweit gesehen Entwicklungsland und das ist einfach grundlegend wichtig. Es ist auch niemand, außer der großen TK-Konzerne und der Lobbyisten, dagegen. Damit hätte man wie bei Wasser und Strom einen Grundstock, auf dem die folgenden Maßnahmen aufbauen können. Man könnte die Ansprüche auch staffeln, mindestens 1 GBit/s für alle Gemeinden ab 1000 Einwohnern, 500 MBit/s für alle Dörfer ab 100 Einwohnern, 50-100 MBit/s über Funk für den Rest (einzelne Höfe etc.), um die Kosten zu reduzieren.
    • Umstellung der Ämter und öffentlichen Stellen auf moderne Technik: auch hier sind wir enorm zurückgefallen - ich brauche ein zweites fahrbereites Auto, um ein Auto anmelden zu können, genial! Muss man glaube ich nicht viel dazu sagen. Dabei ist es auch in den Ämtern ein Unding, dass alle eigene Software kaufen und benutzen, anstatt zentral für alle das gleiche zu verwenden. So könnte jeder Verwaltungsmitarbeiter mit minimaler Einarbeitungszeit überall arbeiten, und es würde auch noch Kosten sparen.
    • Förderung von dezentralen Arbeitsplätzen: es müsste starke steuerliche Anreize und/oder Verpflichtungen dafür geben, Arbeiten von zuhause oder von lokalen Büros und Firmenteilen aus zu ermöglichen. Das könnte sowohl firmenintern ablaufen (z. B. hat eine größere Firma in einem Landkreis 5 kleinere Büros, in denen verschiedene Mitarbeiter arbeiten, keiner muss dann mehr als 5 Kilometer fahren) oder gemeinsam (verschiedene Firmen teilen sich Büros und deren Infrastruktur ähnlich wie Crowdworking-Spaces). Für die öffentliche Hand gilt es sowieso, siehe vorheriger Punkt. Auch produzierendes Gewerbe kann das in begrenztem Umfang ermöglichen, wenn einzelne Bereiche zusammengefasst werden - ist natürlich deutlich schwerer, aber nicht unmöglich, auch hier wieder unterstützt von IT.
    • Förderung von lokalen Einkaufsstrukturen: teilweise existiert das schon, nur nicht durchgehend - wenn ich heute ein Buch haben will, kann ich es im lokalen Buchhandel wie auch bei Amazon bestellen und habe es in beiden Fällen am morgigen Tag in Händen. Wenn ich ein Medikament brauche, bringt es die Apotheke gratis noch am selben Abend vorbei. Wenn man diese Strukturen jetzt vereinheitlichen würde, z. B. durch ein für alle lokalen Geschäfte nutzbares Logistik- und Bestellsystem, dann könnte ich mir auch die neue Bratpfanne online bei meinem lokalen Händler bestellen und sie würde morgen zusammen mit den Büchern und Medikamenten auf der Tour durch die Dörfer in die große Ablagestation am Dorfplatz gebracht, wo ich sie mir abends zu Fuß abholen kann.
    • Bevorzugung lokaler Nahrungsmittelkreisläufe: abgesehen von Südfrüchten und Gemüse außerhalb der Saison (das eh einen furchtbaren ökologischen Fußabdruck hat) könnte man sehr viele Nahrungsmittel regional produzieren und vermarkten - so wie es vor der Verfügbarkeit billigen Öls auch üblich war, aber mit Verbesserung durch moderne Technik. Z. B. könnte man Verbrauch/Bedarf und Wünsche über ein System online anmelden und erhält dann die nähesten Liefermöglichkeiten. Es ist doch irre, dass Mehl oder Eier von den Mühlen und Höfen zu den Supermärkten gekarrt werden und von dort mit vielen Autos wieder zurück in die Gemeinden, aus denen sie kamen. Auch das gibts in Form von Direktvermarktung und Hofläden schon, aber eben noch mit viel Potenzial nach oben, z. B. lohnt sich ein Laden in kleinen Dörfern nicht, aber die könnten mit Verkaufsfahrzeugen zielgenau beliefert werden. Ähnliches gilt für Bäcker und Metzger - Spontankäufe sind da auch eher selten.
    • Für die verbliebenen tatsächlich notwendigen Fahrten, z. B. Besuche von Freunden, Kneipen, Konzerte etc. müsste die Infrastruktur bedarfsgerecht verbessert werden. Eine direkte Verbindung zwischen Dörfern und Städten bzw. Bahnhöfen mittels bei Bedarf beleuchteter, überdachter und wind-/regengeschützter breiter Radwege (wie große Glasröhren z. B.) in Kombination mit ein- und mehrsitzigen leichten E-Bikes und E-Mobilen mit 30 bis 50 km/h und den jeweiligen sicheren Abstellmöglichkeiten am Zielpunkt würde das ganze recht kostengünstig erschlagen. Man muss keinen Zug in jedes Dorf führen, wo er eh nicht schneller als 30 km/h fahren kann, man muss nur den Komfort und die Zuverlässigkeit des Zugs auf andere Art nachbauen. Das muss aber der letzte Schritt sein, sonst verlagert sich das Problem nur vom Auto hin zum E-Mobil. Zuerst weniger Verkehr nötig machen, und dann den restlichen Verkehr umweltfreundlicher und angenehmer machen.
  • Und am Ende fährt man so oder so mit dem Auto.

    Ich beschränke mich mit meiner Kritik sowieso auf geschlossene Ortschaften. Hier sollten m.E. alle alternativen Fortbewegungsmittel "freie Fahrt" haben.

    Das Verhalten der Leute wird sich danach richten, was für sie am bequemsten ist. Und solange es bequem ist, ins Auto zu steigen und die 1,5 km zum Bäcker zu fahren, wird das halt auch die häufigste Fortbewegungsart sein.

    Wenn in Ortschaften aber die Straßen voller Radfahrer, Segwayroller, eScooter und Fußgänger sind, wird das Autofahren unbequem.

  • Das Problem scheint mir außerhalb der großen Städte vor allem zu sein, dass man ohne Auto auf dem Dorf echt aufgeschmissen ist.

    Moderne Fahrzeuge sind in der Lage, vorgegebene Geschwindigkeitslimits einzuhalten, automatisiert! Selbst wenn der Fahrer schneller fahren möchte und entsprechend auf's Gaspedal drückt, fährt das Fahrzeug nicht schneller als erlaubt.

    Wenn du sagst, auf dem Dorf sei man echt "aufgeschmissen", ohne Auto, dann ist das eine Sache.

    Wenn du darüber hinaus gehst und sagst, auf dem Dorf sei man aufgeschmissen, wenn man dort mit einem Auto nicht mit 120, 130 und noch mehr km/h über die Landstraßen "brettern" kann, dann gefiele mir das gar nicht. :(

    Und wie kriegt man einen "Nachwuchs-Vettel" dazu, so ein Auto zu fahren, dass automatisch verhindert, dass damit die Höchstgeschwindigkeit überschritten wird? Indem man ihn vor die Alternative stellt, andernfalls gar kein Auto fahren zu dürfen!:saint: