Hamburg - Unfälle mit Radfahrern

  • Am 14.10.2020 findet ab 13:15 im Strafjustizgebäude in Hamburg der Prozess (mit Fortsetzung) gegen den LKW-Fahrer statt, der am 19.03.2019 den tötlichen Fahrradunfall Holstenkamp/ Große Bahnstraße verursachte. Ich werde mir den Prozess wohl nicht anschauen. Die Termine Strafjustizgebäude sind schon ohne Corona ätzend und wegen der zu erwartenden zahlreichen Pressevertreter, kann ich mir vorstellen, dass es schwierig wird, einen Platz zu finden. Aber vielleicht geht ja jemand anderes hin und berichtet hier hinterher. Den Folgetermin sollte es dann innerhalb der nächsten drei Wochen geben.

  • Aber vielleicht geht ja jemand anderes hin und berichtet hier hinterher

    Der NDR war da: Bewährungsstrafe für Lkw-Fahrer

    Was ich ja hinreichend tragisch finde, ist die Tatsache, dass der Lkw-Fahrer schon einmal einen Menschen überfahren hat und der Unfall an der Großen Bahnstraße sein zweiter tödlicher Unfall war.

    Da schüttelt’s mich ja geradezu: Ich geriet damals bei der Mahnwache mit einem Passanten aneinander, der sich beschwerte, dass wir nicht für den Lkw-Fahrer, sondern für den Radfahrer eine Mahnwache veranstalteten, weil der Radfahrer doch selbst schuld wäre und der Lkw-Fahrer seines Lebens nicht mehr froh würde. „Blödsinn“, entgegnete ich unsachlich zurück, „der sitzt längst wieder auf dem Bock, als wäre nichts geschehen.“ Und ich sitze hier gerade recht verdattert und überlege, ob der Fahrer wohl schon wieder unterwegs ist — und ob die zehn Monate auf Bewährung wohl dazu führen, dass er denn wenigstens ab jetzt die notwendige Vorsicht beim Abbiegen walten lässt, ja, womöglich sogar die vorgeschriebene Schrittgeschwindigkeit beim Abbiegen einhält.

  • "... und LKW darf er weiter fahren." (Schlusssatz im Video)

    „Zeigen wir dem staunenden Ausländer einen neuen Beweis für ein aufstrebendes Deutschland, in dem der Kraftfahrer nicht nur auf den Autobahnen, sondern auf allen Straßen durch den Radfahrer freie, sichere Bahn findet.“ (Reichsverkehrsministerium, 1934)

  • Der NDR war da: Bewährungsstrafe für Lkw-Fahrer

    Was ich ja hinreichend tragisch finde, ist die Tatsache, dass der Lkw-Fahrer schon einmal einen Menschen überfahren hat und der Unfall an der Großen Bahnstraße sein zweiter tödlicher Unfall war.

    Ich denke, die Beteiligung an einem tödlichen Verkehrsunfall ist mit „Pech“ ausreichend erklärt.

    Jeder Kraftfahrer füllt quasi mit dem Umdrehen des Zündschlüssels einen Lotto-Tippschein aus. Und so wie es beim Lotto regelmäßig einen strahlenden Gewinner gibt, gibt es beim Kraftfahren unweigerlich am Ende des Tages irgendwo in Deutschland auch zerknirschte Verlierer. Beide, sowohl der Lottogewinner, als auch der kraftfahrende Totschläger, können jedoch für ihr Schicksal nicht mehr als du und ich. Dafür verantwortlich ist allein die große Zahl der Mitspieler, die vor der Ausspielung alle die gleiche 1 zu 1 Billion-Unwahrscheinlichkeit geteilt haben, dass sie die Teilnahme diesmal mit Gewinn/Todesunfall beenden werden.

    Wer von uns ohne Fehler ist, der werfe den ersten Stein.

    Und ja, es gibt durchaus auch Menschen, die schon zweimal in ihrem Leben 6 Richtige hatten.

  • Es kommt darauf an, wie viele Tippscheine man ausfüllt. Beim Lotto ist es eine Frage des Geldes, im Straßenverkehr eine Frage des Fahrstils.

    Im Lotto kann man die Höhe vom Gewinn beeinflussen, indem man die richtigen bzw. falschen zahlt tippt. Wenn man mit 1,2,3,4,5,6 richtig liegt, gibt's nicht viel ;)

    Genauso kommt's beim KFZ-Fahren sowohl darauf an, wieviel man fährt, als auch, wie man fährt.

    Aber grundsätzlich stimme ich zu. Es gibt Unfälle, die halt einfach passieren, ohne dass der Unfallverursacher eine besondere Schuld daran hätte. Menschen sind mal kurz unaufmerksam, übersehen irgendwas, machen einen Fehler.

    Lösen kann man das Problem nur mit anderer Infrastruktur und besserer Technik.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Wer von uns ohne Fehler ist, der werfe den ersten Stein.

    Ich mag dem Vergleich nur bedingt zustimmen.

    Auf das Glück am Lenkrad, beziehungsweise das Glück gegenwärtiger anderer Verkehrsteilnehmer hat man ja noch einen gewissen Einfluss. Irgendwo hatte ich gestern gelesen, dass der Lkw mit 18 km/h abgebogen wäre — das ist ja nun weit über der Schrittgeschwindigkeit, die damals noch nicht vorgeschrieben war, aber auch weit über dem, was ich als „vorsichtiges Abbiegen“ verstünde. Wenn ich jede Kurve derart locker nehme, dann überfahre ich eben irgendwann mal einen Radfahrer. Und wenn ich’s nach dem ersten Unfall nicht lerne, dann fahre ich weiter mit 18 km/h um die Kurve und fahre irgendwann noch mal jemanden tot.

    Und ich habe mittlerweile bei Gerichtsverhandlungen, bei denen ich als Zeuge oder Zuschauer dabei war, in den einschlägigen Gruppen in gesellschaftlichen Netzwerken und draußen auf der Straße genügend Kraftfahrer erlebt, die einen anderen Menschen verletzt oder sogar getötet haben und das emotional gut genug weggesteckt haben, um vor Gericht mit stolz geschwellter Brust aufzutreten von wegen der Radfahrer wäre doch selbst schuld und ihnen könne keiner was. Die gehen dann mit der Bewährung an der Hand aus dem Gericht und machen auf mich nicht den Eindruck, als hätten sie irgendwas gelernt, beziehungsweise wären gewillt, ihr Fahrverhalten künftig zu ändern.

    Und irgendwo in diesem Gebiet sehe ich auch eine gewisse Schuld bei dieser autofreundlichen Berichterstattung mitsamt der dazugehörigen Drunterkommentare, die den verurteilten Kraftfahrer quasi von jeder Schuld freisprechen. Das halte ich für eine Art selbst verstärkende Dynamik, mit der sich die Leute gegenseitig versichern, dass das alles gar nicht so wild wäre.

  • Unfälle, die den Namen verdienen, sind wirklich seltene Ereignisse. Ein bei nicht übermäßigem Wind herabstürzender Ast, der direkt auf oder vor ein fahrendes Auto einschlägt. Ein Versagen der Bremsen in einer Kurve, obwohl das Fahrzeug in gutem technischem Zustand gehalten wurde. Ein Reifenplatzer beim Überholen auf der Autobahn, obwohl die Reifen nicht abgefahren waren. Ein durch unentdeckte Unterspülung plötzlich absackender Fahrbahnteil. Ein Herzinfarkt eines jungen Fahrers bei hohen Geschwindigkeiten, der eine bislang unentdeckte chronische Krankheit hatte.

    Das sind Unfälle, und man kann wirklich sagen, dass die wie Lottogewinne sind - sehr unwahrscheinlich und kaum vorhersagbar.

    Alles andere, und insbesondere auch das hier beschriebene, sind aber keine Unfälle, sondern Versagen mit Ansage. Hier z. B. die Kombination aus (unter anderem):

    • LKW ohne Abbiegenotbremsassistent und Warneinrichtungen
    • Nicht zum Führen schwerer Kraftfahrzeuge geschulter und geeigneter Fahrer, der nicht bereits beim ersten Mal aus dem Verkehr gezogen wurde
    • Rechts vom Abbiegestreifen verlaufender Radweg zur Geradeausfahrt bei nicht getrennten Ampelphasen
    • Gesetze und Strafen, die der Schwere des Vergehens angemessen sind und abschreckende Wirkung haben sowie deren Durchsetzung durch die Polizei

    Der Luftverkehr ist da schon weiter. Da ist nicht der Fahrer (Pilot) "schuld", sondern es wird erforscht, wie das Zusammenspiel aller Faktoren zu einem Vorfall führen konnte und wie dieser in Zukunft auch bei anderen vermieden werden kann.

    Modern accident investigators avoid the words "pilot error", as the scope of their work is to determine the cause of an accident, rather than to apportion blame. Furthermore, any attempt to incriminate the pilots does not consider that they are part of a broader system, which in turn may be accountable for their fatigue, work pressure, or lack of training. The International Civil Aviation Organization (ICAO), and its member states, therefore adopted James Reason's model of causation in 1993 in an effort to better understand the role of human factors in aviation accidents.

    Zurück im Straßenverkehr kann man leicht feststellen, dass diese Überlegungen bereits seit Jahren und Jahrzehnten gemacht wurden, es aber an der Umsetzung fehlt. Obwohl unstreitbar ist, dass z. B. getrennte Ampelphasen solche Situationen fast komplett vermeiden können, werden sie nicht flächendeckend geschaltet, sondern nur dann, wenn genug Menschenopfer an einer einzelnen Kreuzung dargebracht wurden und der Mob mit den Fackeln und Mistgabeln unruhig wird. LKW-Abbiegeassistenten werden nicht sofort zur Nachrüstung verpflichtend, sondern nur freiwillig und damit baut sie keiner ein. Strafen werden nicht oder nur sehr zögerlich angepasst und die Verfolgung nicht erleichtert. Arbeitsplätze werden höher gewertet als Menschenleben.

    Auf Flugzeuge übertragen wäre das in etwa so, als würde ein Pilot mit bekanntem Alkoholproblem und bereits mehreren Abstürzen weiterhin fliegen dürfen, und seine Maschine trotz entdecktem kritischem Serienfehler nur notdürftig repariert, anstatt den Serienfehler überall zu beheben. Die Bierindustrie und Boeing würden das sicher gutheißen, trotzdem wäre es ein Skandal. Wieso sehen wir das im Straßenverkehr dann als ganz normal an?

  • Beim Hamburger Autoblatt gibt es einen deutlich ausführlicheren Bericht: Radfahrer beim Abbiegen von Lkw getötet

    Da steht dann auch, dass der Angeklagte bei Weitem kein unbeschriebenes Blatt ist, die Sachlage sich allerdings anders darstellt als ich erst dachte. Es handelte sich beim ersten Todesopfer nicht um einen Radfahrer:

    • 1999 verursachte er einen Unfall, bei dem sein Beifahrer ums Leben kommt
    • drei Jahre später verletzt er beim Rechtsabbiegen eine Radfahrerin
    • es folgt eine Verurteilung wegen Fahrens ohne Führerschein
    • am 19. März 2019 tötet er mit einem Lkw beim Rechtsabbiegen einen Radfahrer

    Ich finde, das sieht jetzt nicht gerade nach einer steilen Lernkurve aus, beziehungsweise nach einer dem Straßenverkehr angepassten Verhalten im Straßenverkehr. Umso unverständlicher, dass der Mann direkt weiterfahren durfte und es am Ende „nur“ zehn Monate auf Bewährung und 3.000 Euro gab.

  • Eigentlich sollte sich bei diesem Herrn die FEB die Frage stellen, ob er geeignet, ein KFZ zu führen und dies durch eine MPU prüfen.

    Man sieht doch sehr schön, daß dies solche Leute nicht aufhält. Der tötet auch ohne Fahrerlaubnis, wenn er kann.

    Man muß das Problem bei der Wurzel packen und gründlich zufassen. Der Mann gehört in den Knast. Und die Richterin, die dieses Urteil sprach, gleich hinterher in die Zelle nebenan.

    Ich habe für eine Justiz, die solche Urteile fällt, keinerlei Verständnis mehr. Null. Kinder töten für 240€ z.B., nur noch irre...

    ebayForumKopfverkl.jpg
    Peter Viehrig

    "Glaube ist die Überzeugung, dass etwas wahr ist, weil die Belege zeigen, dass es falsch ist."
    (Andreas Müller)

  • Holstenstraße und Luisa-Schroeder-Straße: Auto erfasst Radfahrer – Notarzt rückt an

    Das war wohl hier. Der Radfahrer soll nach ersten Ermittlungen eine rote Ampel missachtet haben.

    die Kreuzung kenne ich zu gut, nur wer lebensmüde ist, fährt da bei rot rüber (egal aus welcher Richtung).

    Daher halte ich (bis zu einem gegenteiligen Beweis) die Annahme der Radfahrer wäre bei rot gefahren, definitiv für falsch. Allerdings saß ich selbst häufiger in Kfz, die deren Fahrer in diese "Einflugschneise" gen Pinneberg mit knapp 100 aus Richtung Simon von Utrecht befahren haben. Mal abwarten was die Ermittlungen am Ende ergeben.

  • in gesellschaftlichen Netzwerke

    Vielleicht einfach mal so zur Nachtlektüre, wie manch ein Berufskraftfahrer über das Totfahren anderer Verkehrsteilnehmer denkt: https://www.facebook.com/LkwFahrerUndTr…191829100925927

    Von „der Radfahrer ist selbst schuld“ bis hin zu „endlich kriegt der Radfahrer mal einen drauf“ ist alles dabei. Und das sind dann auch jene Verkehrsteilnehmer, die nach einer Gerichtsverhandlung nach einem tödlichen Unfall mit stolz geschwellter Brust aus dem Saal marschieren, gleich wieder auf den Bock steigen und ihr Fahrverhalten nicht ändern.