Woche 46 vom 15. bis 21. November 2021

  • In diesem (falschen) Argument liegt für mich der Schlüssel zu einer echten Verkehrswende.

    Kann ein verstärktes Fahrbahn-Fahrradfahren eine Verkehrswende begünstigen? Vermutlich ist das so, es muss aber auch immer wieder positiv kommuniziert werden.

    Leider werden knallharte Verkehrswende-Gegner die Skepsis vieler Fahrradfahrer*innen gegenüber dem Fahrbahn-Fahrradfahren immer wieder nutzen, um damit Polemik zu betreiben, die Verkehrsverwaltung instrumentalisiere die Fahrradfahrer*innen als "Raser-Bremse".

    Ab welchem Grad von Fahrbahn-Nutzung durch Fahrradfahrer*innen diese Polemik wohl nicht mehr fruchten wird?

    Diesen Zeitpunkt sehe ich jedenfalls noch lange nicht erreicht. Und es scheint mir wenig aussichtsreich, genügend Fahrradfahrer*innen damit zum Fahrbahnradeln zu ermuntern, dass man sie anspornt, mit dem Fahrbahn-Fahrradfahren zur Verkehrswende beizutragen.

    Trotzdem ist es natürlich wichtig, dass Fahrradfahrer*innen die Fahrbahn benutzen, wo das erlaubt ist, zum Beispiel anstatt einen Angebotsradweg zu benutzen. Aber es kann meines Erachtens nur Teil einer Strategie sein, eine echte Verkehrswende herbei zu führen. Ich glaube übrigens nicht, dass Fahrradfahrer*innen durch schlechte Radwege davon abgehalten werden, Fahrrad zu fahren. (Zu viele Fahrradfahrer*innen beweisen jeden Tag das Gegenteil. ;))

    Man wird aber auch nur eine sehr begrenzte Anzahl Fahrradfahrer*innen dafür gewinnen, das Fahrbahnfahren zu praktizieren. Auch Critical Mass-Veranstaltungen können da nur eine begrenzte Werbewirkung entfalten.

    Problematisch finde ich in dieser Diskussion Absolut-Setzungen, wie zum Beispiel:

    "Gäbe es an allen Straßen gute Radwege, dann hätten wir ganz schnell eine Verkehrswende."

    Aber auch die genau gegenteilige Argumentation kann nur Teil einer Gesamtstrategie sein:

    "Würden alle Fahrradfahrer*innen konsequent die Fahrbahn benutzen und die vorhandene Radverkehrsinfrastruktur würde abgebaut werden, dann hätten wir ganz schnell eine Verkehrswende."

    Richtig ungünstig wird es, wenn die beiden Positionen so sehr "kultiviert" werden, dass es zu Spaltungen und Grabenkriege zwischen den Fahrradfahrer*innen kommt. Das nutzt dann nur den Gegnern einer Verkehrswende.

  • "Ständig"? Gebrüllt oder sonstwie genötigt wird nur, wenn es bauliche Hinweise auf Radverkehrsanlagen und/oder Blauschilder gibt. Erfahrungsgemäß gibt es da aber absolut keinen Unterschied, der bei "getrennten" Wegen von der Frage der Anwesenheit einer Beschilderung (Z.237 bzw. 241 ja/nein?) und bei "gemeinsamen" Wegen von der Art der Beschilderung (Z.240 vs. 239 mit Fahrrad-Freigabe) abhinge. Sobald es an diesen Hinweisen auf Radelghettos fehlt, ist Ruhe, und es gibt auch keine ostentativen Engüberholer mehr. In meiner Heimatstadt Wuppertal, wo es aufgrund der Tallage abgesehen von der B7 entlang der Wupper praktisch keine flachen Strecken, ergo traditionell nur wenig Radverkehr und demzufolge bis heute quasi keine "Infra" gibt, kann man vollkommen unbedrängt im Mischverkehr mitfahren. Die Wuppertaler Autofahrer sind sogar so unerfahren im Umgang mit Radwegen, dass sie es sogar (noch...) klaglos hinnehmen, wenn man die paar Meter Radweg, die sie in den letzten Jahren doch noch irgendwohin gerotzt haben, rechts liegen lässt.


    Hmm, also bei uns reichen irgendwo in sicherer Entfernung von der Fahrbahn gemalte Radsymbole.

    Oder auch das Wissen des Autofahrers:innenes, dass es 300-500m entfernt einen "Radweg" gibt. Eine Entfernung, die heutzutage die meisten niemals freiwillig zu Fuß zurücklegen würden.

    Selbst Schilder mit "Fahrradfahrer dürfen auf der Fahrbahn fahren" reichen da nicht, die Zuckungen zur Hupe, des Scheibenwischers oder orale Flatulenzen mit "RRR" am Anfang und "adweeeegggg" danach zu unterdrücken.


    Liegt einfach am Typus.


    Du musst allerdings bedenken, dass du als Fahrbahn-Fahrradfahrer in den Augen der meisten Autofahrer ebenfalls unter der Kategorie "selbsternannter Verkehrserzieher" abgespeichert bist.

    Das ist völlig richtig, deswegen verkneife ich es mir in der Regel, wenn ich nicht wirklich direkt extrem betroffen bin, andere Verkehrsteilnehmer auf Ihre Fehler aufmerksam zu machen.

  • es gibt auch keine ostentativen Engüberholer mehr

    Die Motive des Fahrers sind mir ziemlich egal. Engüberholer begegnen mir leider so ziemlich überall.

    Ob normale Fahrbahn, Baustelle oder Fahrradstraße. Es ist überall etwas dabei. Und mit den Jahren sammeln sich in der Erinnerung die ernstlich kritischen Situationen und einige leichte Unfälle. Das führt nicht dazu, dass ich entspannter von A nach B fahre.

    Ganz anders im Auto: Da komme ich praktisch immer entspannt von A nach B. Und die (wenigen) engen Situationen brennen sich nicht ganz so sehr ein. Denn selbst wenn sich die Gefahr realisiert, enden sie innerorts normalerweise mit einem Blechschaden und nicht im Krankenhaus.

  • Richtig ungünstig wird es, wenn die beiden Positionen so sehr "kultiviert" werden, dass es zu Spaltungen und Grabenkriege zwischen den Fahrradfahrer*innen kommt. Das nutzt dann nur den Gegnern einer Verkehrswende.

    Diesen Punkt, den Ullie nicht zum ersten Mal erwähnt, finde ich sehr wichtig. Umso mehr, da die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Radfahrer eine größere Bandbreite haben als es in allen anderen Verkehrsmodi der Fall ist.

    Dazu kommen noch lokale Unterschiede, z.B. hat meine Urgroßmutter erst mit 30 Jahren Radfahren gelernt, nachdem sie von Hessen nach Nordsachsen umgezogen sind. Sie ist dann zwar auch regelmäßig gefahren, doch nicht wie die Einheimischen mit dem vollen Kuchenblech unter dem Arm.

    Würde ich z.B. in Münster wohnen, wäre meine Fahrweise warscheinlich eine andere als in Jena:

    gerade in Städten wie Jena wäre das mit dem VC sowas von angebracht und offen machbar:

    - relativ viele Rad Fahrende

    - kaum Platz für Radwegbau

    - kaum Radwege vorhanden

    Auch die eigene Erfahrungen (Stürze, Unfälle ..) gehen nicht spurlos an uns vorüber und können zu Vermeidungsreaktionen führen, bei Frauen oft stärker ausgeprägt.

    Wenn ich häufig auf der Fahrbahn fahre, dann natürlich erstmal, um zügig und sicher voranzukommen. An manchen Stellen aber auch, um diese Verkehrsfläche nicht kampflos aufzugeben, zumal ich auf dem Rad eher zur robusten Sorte gehöre. Auf unserer "berühmten" zHg 60 - Strecke stadtauswärts fast immer im Wettkampfmodus:

    #3794-2020 Straße/Gehweg/Radweg | Jena Mängelmelder

  • Würde ich z.B. in Münster wohnen, wäre meine Fahrweise warscheinlich eine andere als in Jena.

    glaub ich nicht. In Münster gibt's halt sehr viele Radwege - die aber nachhaltig scheiß Qualität haben und viel zu schmal sind, alle 5m Verschwenkungen haben... ach, eigentlich genauso beschissen wie in jeder anderen Westdeutschen Stadt, die in den 70ern das Radwegbauen angefangen hat.

    Wenn da aber 40.000 Studierende mit dem Rad unterwegs sind, sieht das halt aus wie "Fahrradstadt".

    Ich habe Münster stets als unhaltbare Frechheit empfunden und konnte bislang nicht nachvollziehen, was die Stadt nun zur "Fahrradstadt" machen soll.

    Auch die eigene Erfahrungen (Stürze, Unfälle ..) gehen nicht spurlos an uns vorüber und können zu Vermeidungsreaktionen führen, bei Frauen oft stärker ausgeprägt.

    die Aufzählung in der Klammer passt nicht ganz zur Aussage. ;)

    da müsste stehen

    (durch Engüberholer und Maßregler, das Gefühl, ein Verkehrshindernis zu sein, ...)

    wenn reale Unfälle an Kreuzungen auf Radwegen eine Auswirkung hätte, würden dort nicht so viele fahren. :S

  • Leider werden knallharte Verkehrswende-Gegner die Skepsis vieler Fahrradfahrer*innen gegenüber dem Fahrbahn-Fahrradfahren immer wieder nutzen, um damit Polemik zu betreiben, die Verkehrsverwaltung instrumentalisiere die Fahrradfahrer*innen als "Raser-Bremse".

    Um diejenigen, die derart offensichtlich um ihre Privilegien kämpfen, würde ich mir keinen Kopf machen. Die stehen zunehmend auf verlorenen Posten.

    Mir bereiten diejenigen Sorge, die die Skepsis befeuern, die sagen, nur mit Radwege könne eine Verkehrswende gelingen, Sicherheitsgefühl etcetera etcetera. Und nun erzähle ich, wo mir das Argument mit der gefühlten Sicherheit kennen gelernt habe. Jeder kann ja mal raten. Ja, OK, es ist nicht wirklich überraschend.

    Als ich mit der Verkehrspolitik angefangen habe, im ADFC war, wurden oft vom ADAC Radwege wegen der Sicherheit gefordert. Dann kam zuverlässig die Antwort vom ADFC, dass die ja gar nicht sicher seien. Daraufhin hat der ADAC sein Argumentation umgestellt: Radfahrer fühlten sich auf Radwegen sicherer und wünschten sich welche. Dagegen konnte man schwer argumentieren. Jetzt hält die Autolobby die Füße still. Warum sollten sie auch nicht?

    Es werden Radwege gebaut, Förderprogramme aufgelegt, ... und von der Automobillobby hört man praktisch nichts. Jedem mit einem IQ über Raumtemperatur sollte das zu denken geben.

  • Richtig ungünstig wird es, wenn die beiden Positionen so sehr "kultiviert" werden, dass es zu Spaltungen und Grabenkriege zwischen den Fahrradfahrer*innen kommt. Das nutzt dann nur den Gegnern einer Verkehrswende.

    Diese "Verkehrswende" ist ja eh nicht mehr als ein plakativer Marketingbegriff, so wie "Friedensprozess" für den Dauerkrieg im Nahen Osten. Beide sollen davon ablenken, dass niemand von den Entscheidungsträgern mit dem Status Quo so unzufrieden wäre, als dass er sich damit nicht längst bestens arrangiert hätte. Insbesondere will niemand von den Verantwortlichen wirklich riskieren, den Leuten klarmachen zu müssen, auf welche Einschränkungen eine ernstgenommene "Verkehrswende" hinauslaufen wird. Also vermitteln die Entscheider halt den Leuten vorerst den Eindruck, man arbeite eifrig an der Lösung des angeprangerten Problems, ohne dass sie (und die Leute!) ihre Positionen dabei ernsthaft ändern müssten. Hauptsache die Nervensägen aus dieser "Zivilgesellschaft" geben endlich Ruhe. :evil:

    Der Pro-Kopf-CO2-Ausstoß eines Niederländers ist übrigens ca. 10% höher als der eines Durchschnittsdeutschen.

  • Muss das sein?

    Jedem mit einem IQ über Raumtemperatur sollte das zu denken geben.

    Ich habe spätestens seit dem Corona-Faden schon mehrfach versucht, deine Beiträge zu blockieren, weil ich eine deratige unter dem Deckmantel der Sachlichkeit schwelende Aggression und Polemik nicht mag; aber aus unerfindlichen Gründen ist die Funktion bei dir nicht vorhanden.

    Hat Malte dir Moderatorenrechte verliehen oder woran könnte es liegen? Andernfalls würde ich darum bitten, dass du mich blockierst, das würde auf Dauer meiner Hypertonie zu Gute kommen.

  • Es werden Radwege gebaut, Förderprogramme aufgelegt, ... und von der Automobillobby hört man praktisch nichts. Jedem mit einem IQ über Raumtemperatur sollte das zu denken geben.

    Das stimmt so nicht. Aber die Autolobby ist geschickt geworden. Die verstehen ihre Kritik sehr subtil zu lancieren. Zum Beispiel indem man eine Fahrradfahrerin im Rentenalter zu Wort kommen lässt, die sich einen Popup-Radweg wünscht. Den Gegenpart spielt ein Buchhändler, der die vorhandene schlechte Fahrradinfrastruktur mit Engelszungen schön redet.

    Der ADAC-Propaganda-Film ist sogar so geschickt konstruiert, dass er auf das ewige Lamento vom Geschäftssterben der inhabergeführten Fachgeschäften verzichtet, dass immer dann lautstark angestimmt wird, wenn mal irgendwo ein Parkplatz im öffentlichen Straßenraum weichen muss. Trotzdem schwingt natürlich diese Botschaft stets unterschwellig mit, während der Geschäftsmann mit seinem Beitrag, vermutlich ohne das zu wissen die Frau als mehr oder weniger "grenzdebil" erscheinen lässt.

    Auch wenn die Botschaft teuflich ist, der ADAC-Filmproduzent beweist großes demagogisches Geschick.

    Dabei könnten auf der Hildesheimer Straße problemlos alle Autoparkplätze ersatzlos gestrichen werden, weil in den vielen Nebenstraßen jede Menge Parkplätze zur Verfügung stehen. Diese Forderung wird jedoch nicht von den Geschäftsleuten erhoben, weil sie es sich nicht mit den "lieben Nachbarn" verderben wollen, die dort zum Nulltarif ihre Autos abstellen.

    Urteile selbst wie der ADAC-Propaganda-Film gegen Popup-Radwege vom 30.7.2020 wohl auf viele wirken wird:

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

    Hier ist der Link zu streetview. Die Buchhandlung im Film ist die auf dem google-streetview-Bild.

    Und hier ein Link zu mapillary, wo eine Radwegfahrt zu sehen ist. Rechts ist die Buchhandlung aus dem Film zu sehen.

    https://www.mapillary.com/app/?lat=52.36…410&focus=photo
    Und jetzt stell dir einen dritten Interviewpartner in dem ADAC-Film vor, der dafür plädiert, den viel zu schmalen Radweg ersatzlos dicht zu machen und den Fahrradverkehr dazu zu bringen einfach auf der Fahrbahn der Hildesheimer Straße zu fahren, sozusagen im Autostrom "mitzuschwimmen".

    Was den Popup-Radweg angeht: Den hat der ADAC bislang erfolgreich verhindert, zumindest in diesem Abschnitt der Hildesheimer Straße, der im Film gezeigt wird. Weiter stadtauswärts wurde inzwischen ein Radfahrstreifen probeweise eingeführt. Hier ein Bild von einem Abschnitt weiter stadtauswärts in dem der neue Radfahrstreifen sogar mit Leitschwellen und Mini-Baken geschützt ist:

    radverkehrsforum.de/attachment/16537/

    Und hier dieselbe Sicht auf googlestreetview von 2008:

    Google Maps
    Find local businesses, view maps and get driving directions in Google Maps.
    www.google.com
  • Urteile selbst wie der ADAC-Propaganda-Film gegen Popup-Radwege vom 30.7.2020 wohl auf viele wirken wird:

    Etwa so: "Die Radfahrer können die Konsequenzen ihrer Forderungen i.A. überhaupt nicht überblicken. Ihre Verkehrskompetenz reicht dazu einfach nicht aus. Nur jemand, der noch über gesunden Menschenverstand verfügt, sieht klar, wo die Radfahrer am besten aufgehoben sind."

    "am besten aufgehoben" - das klingt sehr pädagogisch ;)

    Was mich an der Argumentation des Buchhändlers am meisten gewundert hat: "Auf der Straße könnten die Radfahrer schneller fahren als man von ihnen erwartet. Das wäre gefährlich! Deshalb sollten sie besser (zwischen den parkenden Autos und dem Gehweg) auf dem Radweg fahren. (Nur dort hat man die Radfahrer unter Kontrolle, und sie fahren nicht so leichtsinnig schnell.)"

    Grundstimmung: Die Radfahrer viel zu unberechenbar. Die will man lieber nicht auf der Straße haben.

  • Bei jeder Einmündung querstehende Autos auf der "Vorfahrtsstraße"...

    Querstehende Autos auf der "Vorfahrtsstraße" bei Grundstückszufahrten...

    Ständiges Bremsen wegen Fußgängern, Mülltonnen, Hunden...

    Würde mich als Autofahrer wahnsinnig machen, aber ich bin ja nur Radfahrer. Da geht sowas. :)