Woche 49 vom 30. November bis zum 6. Dezember 2020

  • Abbiegeunfälle aus der anderen Perspektive betrachtet: Staatlich geförderter Ungehorsam

    Ich stimme dem Artikel sicherlich nicht in allen Punkten zu, schon gar nicht beim pauschal „verkehrswidrigen Verhalten eines Radfahrers“, der seine Vorfahrt wahrnimmt, aber es ist ja nicht von der Hand zu weisen: Einen Lkw durch die Stadt zu fahren und beim Abbiegen ein ganzes Spiegelkabinett auf andere Verkehrsteilnehmer abzusuchen, das ist sicherlich nicht so ganz ohne. Bleibt eben die Frage, was wir mit dieser Erkenntnis anfangen: Mit einer Gesetzesänderung dem Radverkehr an jeder Kreuzung die Vorfahrt nehmen? Das wird nicht funktionieren. Unsere Städte umbauen, so dass solche Unfälle nicht mehr passieren können? Würde Jahrzehnte dauern. Also doch Technik dagegen werfen? Puh.

    Die einschlägigen Kommentare sind hingegen mal wieder von der üblichen Qualität und berichten von der Erkenntnis, dass es gar keine tödlichen Unfälle gäbe, wenn Radfahrer nicht mehr auf der „Straße“, sondern endlich auf dem Radweg führen.

    Und dann habe ich wieder das Gefühl, dass es mit dem Problembewusstsein nicht so ganz weit her ist.

  • Bleibt eben die Frage, was wir mit dieser Erkenntnis anfangen

    "Schrittgeschwindigkeit beim Abbiegen" halte ich für eine sehr gute Maßnahme. Leider wird die Durchsetzung sehr schwer werden: in der Kurve kann man das kaum messen und die Bußgelder sind nicht sonderlich hoch.

  • "Schrittgeschwindigkeit beim Abbiegen" halte ich für eine sehr gute Maßnahme. Leider wird die Durchsetzung sehr schwer werden: in der Kurve kann man das kaum messen und die Bußgelder sind nicht sonderlich hoch.

    Ich hatte das gar nicht mehr auf dem Radar. Das Abbiegen mit Schrittgeschwindigkeit wird nach meiner Erfahrung von fast gar niemandem praktiziert, beziehungsweise sanktioniert, insofern kann man sich diese Regelung eigentlich auch schenken.

  • Ich hatte das gar nicht mehr auf dem Radar. Das Abbiegen mit Schrittgeschwindigkeit wird nach meiner Erfahrung von fast gar niemandem praktiziert, beziehungsweise sanktioniert, insofern kann man sich diese Regelung eigentlich auch schenken.

    Eine Regel einfach wegzuwerfen, weil die Opfer, die diese Regel schützen soll, nicht geschützt werden, weil die Täter, die diese Regel beachten sollen, sie zu oft missachten?

    Das ist schon reichlich zynisch, dann zu sagen, man könne sich die Regel auch "schenken".

    Dabei gibt es mehrere Möglichkeiten den Schutz der Radfahrenden zu verbessern, die jedoch eins um's andere Mal abgeschmettert werden, oder aufgrund von Trägheit und Innovationsfeindlichkeit nicht verfolgt werden.

    Eine Möglichkeit: Die Abbiegegeschwindigkeit kann durch ein entsprechend konfigurierten Intelligenten Geschwindigkeits-Assistenten (ISA - Intelligent Speed Assistent) gedrosselt werden.

    Die Route, die ein Fahrzeug fährt, wird in die EDV-Technik des Autos einprogrammiert. Das machen heute schon ganz viele Menschen mit dem Navi. Es spricht nichts dagegen, das zur Pflicht zu machen.

    Jetzt weiß das Fahrzeug, wann der Fahrer mit dem Fahrzeug abbiegen wird und kann rechtzeitig die Geschwindigkeit drosseln. (Diese Technik gibt es in stark vereinfachter Form als Tempomat serienmäßig bereits seit Ende der 50er Jahre. "Geschwindigkeitsregelanlagen wurden in Automobilen erstmals 1958 als cruise control bei Chrysler eingesetzt, in Europa erstmals 1962 bei Mercedes-Benz." https://de.wikipedia.org/wiki/Geschwindigkeitsregelanlage

    In modernerer Form gibt es die Technik im Abstands-Assistenten.)

    Trotzdem die ISA-Technik bereits seit rund 20 Jahren in erprobter Form zur Verfügung steht, scheute der Gesetzgeber bislang davor zurück sie verbindlich zu machen.

    In der Kombination mit der dem Fahrzeug bekannten Route und einer Motorsteuerung, die die geltenden Höchstgeschwindigkeiten berücksichtigt, kann das Einhalten der Regel, Schrittgeschwindigkeit beim Abbiegen, deutlich verbessert werden.

    Entsprechend konfigurierte Autos könnten übrigens auch dazu gebracht werden, dass sie innerhalb geschlossener Ortschaften nicht schneller als 50 fahren können, auf Straßen mit niedrigeren Tempolimits diese ebenfalls einhalten würden. Und ja, sie könnten auch in Fußgängerzonen nicht schneller als mit Schrittgeschwindigkeit fahren!

    Ja das geht alles, wird aber nicht gemacht, sondern es wird blockiert, verschleppt, schlecht geredet, unter anderem deshalb, weil der Verkehrsminister "Benzin im Blut" hat. Das ist seine Qualifikation, deshalb sitzt er auf diesem Posten. Und im Sinne der Autolobby macht er einen verdammt guten Job. Aber eben nicht im Sinne der Opfer von Abbiegeunfällen und, und, und ...

  • "Der in Trier geborene Mann fuhr am Dienstagnachmittag mit einem PS-starken Sportgeländewagen in Schlangenlinien durch die Trierer Innenstadt und überfuhr wahllos Menschen." aus: tagesschau.de, 2.12.2020

    https://www.tagesschau.de/inland/haftbef…lassen-101.html

    "In Trier ist ein Mann in einem Auto durch die Fußgängerzone gefahren und hat fünf Menschen getötet und achtzehn verletzt." aus: ZDFheute vom 2.12.2020

    https://www.zdf.de/nachrichten/pa…e-tote-100.html

    "Nach den bisherigen Ermittlungen hatte der Mann mit einem PS-starken Geländewagen am Dienstagnachmittag gezielt Menschen in der Trierer Fußgängerzone überfahren." aus: taz vom 2.12.2020

    https://taz.de/Nach-der-Amokfahrt-in-Trier/!5734741/

    Ist das jetzt Zufall oder Absicht, dass viele Nachrichten-Anbieter den Begriff SUV offensichtlich nicht benutzen? Vielleicht weil das SUV gerade kürzlich noch hochgejazzt wurde als der Hoffnungsträger für die angeblich darbende deutsche Autoindustrie: "Andererseits seien diese Modelle, vor allem die großen SUV-Plug-ins, sehr profitabel für die Hersteller, sagt Ralf Kalmbach, Autoexperte bei der internationalen Unternehmensberatung Bain & Company." aus: Läuft doch, Die Zeit vom 30.11.2020

    https://www.zeit.de/mobilitaet/202…komplettansicht

    "Immerhin gab es auch Medien, die das Mordwerkzeug (so muss man das Fahrzeug wohl nennen, denn mittlerweile wurde gegen den Fahrer Mord-Anklage erhoben) unter dem dafür gängigen Begriff erwähnten:

    "In Trier rast ein alkoholisierter Mann mit seinem SUV durch eine Fußgängerzone. Fünf Menschen sterben, mehrere werden teilweise lebensgefährlich verletzt." Frankfurter Rundschau vom 2.12.2020

    https://www.fr.de/panorama/trier…r-90117655.html

    Um welches SUV-Modell, von welchem Hersteller es sich dabei handelte, darüber wurde bislang anscheinend noch nicht berichtet. Oder hat das jemand hier im Forum rausgefunden, der gründlicher recherchiert hat?

    Dass auch ein Täter Persönlichkeitsrechte besitzt, die es zu respektieren gilt, ist demokratischer Konsens. Aber warum wird die Automarke nicht erwähnt? Haben die Produzenten davor Angst, dass an ihrem Firmenname Blut kleben bleibt? Und haben diese Konzerne den Einfluss auf die Medien, dass die sich darüber ausschweigen. Oder machen die Medienkonzerne das von sich aus mit der "Schere im Kopf", dass sie das Modell nicht erwähnen? Oder weil es den Autoproduzenten und den ihnen ergebenen Medienkonzerne es peinlich ist, dass sie bei anderen Gelegenheiten mit solchen Sprüchen Werbung machen:

    "Drei Power-SUV für große Jungs, die gern mal im Dreck spielen oder mit der Urgewalt von mindestens 500 PS auf Zeitenjagd gehen." *

    aus:

    "1612 PS: Drei leistungsstarke Power-SUV im Test

    BMW X5 M | Mercedes ML 63 AMG Performance Package | Porsche Cayenne Turbo"

    Auto-Zeitung vom 7.6.2012,

    https://www.autozeitung.de/power-suv-von-…est-174988.html

    Nur mal so angedacht: Wie lautet dieser Satz, wenn man die erste Hälfte von dem Wort "Zeitenjagd" durch "Menschen..." ersetzt?

  • ...Um welches SUV-Modell, von welchem Hersteller es sich dabei handelte, darüber wurde bislang anscheinend noch nicht berichtet. Oder hat das jemand hier im Forum rausgefunden, der gründlicher recherchiert hat?

    ...

    Ich hab mal recherchiert

    siehe da:

    Zitat

    ... 01.12.2020 Das Tatfahrzeug sei ein Geländewagen der Marke Land Rover. Das Fahrzeug war nicht auf den Beschuldigten, sondern auf eine andere Person zugelassen. Der Inhaber hatte dem 51-Jährigen den Wagen zur Verfügung gestellt. Welche Beziehung die beiden Personen miteinander haben, sei den Behörden bislang nicht bekannt. Der Fahrzeugbesitzer sei in die heutigen Vorgänge in der Innenstadt nicht involviert gewesen. ...

    https://www.wort.lu/de/lokales/liv…1?strytlpage=15

  • Danke für den Hinweis, MichiHH!

    In der taz bin ich mittlerweile ebenfalls fündig geworden:

    "Mit einem Land-Rover-SUV ist am Dienstag ein Mann durch die Fußgängerzone von Trier gerast. Unstoppable. Fünf Tote. Dank ausgereifter Technik ist zum wiederholten Mal ein Auto zur Mordwaffe geworden. So was könne man niemals zu 100 Prozent verhindern, sagten der Oberbürgermeister von Trier und der Innenminister von Rheinland-Pfalz nahezu wortgleich. Aber sollte man nicht wenigstens versuchen, es zu 90 Prozent zu verhindern? So klingt es doch fatal nach: Da kann man nichts machen. Schlimmer noch: Wir wollen nichts machen."

    Und in dem taz-Artikel wird auch die Möglichkeit erörtert, mithilfe von ISA-Technik solche Amokfahrten deutlich zu erschweren: "Die Lösung: Stoppt die Raser! Nehmt ihnen die Waffen weg! Wie? Mit einem Werbeklassiker der Autoindustrie: Vorsprung durch Technik! Deutschland ist doch das Land der Konstrukteure. Also her mit autofreien Zonen, geschützt durch formschöne Sperren, die schwuppdiwupp versenkt werden können, wenn doch mal ein Krankenwagen durchmuss. Vor allem aber: Her mit der automatisch per GPS gesteuerten Tempolimitierung, wenn ein Auto in einer Stadt fährt." Man muss wohl dazu sagen, nicht nur wenn es durch die Stadt fährt, schließlich funktioniert ISA auch außerorts.

    taz vom 2.12.2020

    https://taz.de/Konsequenzen-der-Amokfahrt-in-Trier/!5728990/

    Ob das einen Schatten auf BMW werfen wird; "In der Automobilindustrie hat sich eine neue Allianz gebildet, um die Last aus den enormen Entwicklungskosten für Elektro-Mobilität gemeinsam zu stemmen. BMW arbeitet künftig mit Jaguar Land Rover (JLR) eng zusammen, um Elektroantriebe zu entwickeln. Die zum indischen Tata-Konzern gehörende britische Premiummarke wird für den deutschen Automobilkonzern in diesem Bereich der wichtigste und einzige strategische Partner sein." FAZ vom 5.6.2019

    https://www.faz.net/aktuell/wirtsc…w-16223034.html

    Immerhin zeigt die Berichterstattung, dass es inzwischen kein Tabu mehr ist, ein Auto als Mordwaffe oder Mordwerkzeug zu bezeichnen: "Wer etwas so Alltägliches wie ein Auto als Mordwerkzeug missbrauchen will, wird immer irgendwo Opfer finden." rnd vom 2.12.2020

    https://www.rnd.de/politik/amokfa…RGZ5OYSF3Y.html

    "Die Erkenntnis, dass wir keine Fußgängerzonen abriegeln können, dass diese Art Täter mit automobilen Mordwerkzeugen immer irgendwo Menschenansammlungen finden können, ist so wahr wie unbefriedigend."

    Börse online vom 2.12.2020

    https://www.boerse-online.de/nachrichten/ak…rier-1029855666

    Der SPD-Innenminister Lewenz von Rheinland-Pfalz sagte im DLF an der Stelle, an der der Interviewer des DLFs auf Versäumnisse beim Absichern der Fußgängerzone abzielt:

    "Wir leben in einer sehr freien Gesellschaft, wenn das Auto zur Mordwaffe wird, dann ist es schwierig zu sagen als Staat: Das können wir zu 100 % unterbinden. Nein das können wir nicht"

    Audio-Link zum Interview:

    https://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/20…24_845d2de1.mp3

    Artikel-Link:

    https://www.deutschlandfunk.de/amokfahrt-in-t…news_id=1200839

    Die zitierte Aussage steht am Ende des Interviews.

    Vielleicht wird es Lewenz und anderen Verantwortungsträgern im Nachgang bewusst, dass auch die Versäumnisse bei der Eindämmung der vom Mordwerkzeug Auto ausgehenden Gefahren dazu beitragen, dass ein Auto so leicht zum Morden benutzt werden kann. Beim Hören des Interviews hatte ich allerdings den Eindruck, dass der SPD-Innenminister die "Freiheit des Autofahrers" an erste Stelle setzt.

    Da geschieht diese schreckliche Amokfahrt in Trier und dem zuständigen Innenminister fällt in einem Interview mit dem Deutschlandfunk nichts Besseres ein, als von der "Freiheit der Autofahrer" zu faseln. :(

  • Wo, habe ich jüngst gelesen, soll exakt so ein System in neu verkauften Pedelecs zum Einsatz kommen um diese in verkehrsberuhigten Gebieten zum langsamer Fahren zu zwingen? Rasende Rentner auf Pedelecs sind nämlich das wahre Problem, die Technik in Autos einzubauen? Völlig unlogisch, schließlich besitzen Autofahrer einen Führerschein und wissen, wie schnell sie wo fahren dürfen. (Einen Sarkasmus Smiley spar ich mir)

    Dank ausgereifter Technik ist zum wiederholten Mal ein Auto zur Mordwaffe geworden.

    Was hat die ausgereifte Technik mit dem Einsatz des Autos als Mordwaffe zu tun? Das Szenario hätte sich ähnlich auch mit einem Oldtimer abspielen können.

  • Ähm, ist der Mensch, der dort mit ADFC Logo auf der Brust spricht wirklich der Meinung er hätte Vorfahrt, wenn er über einen abgesenkten Bordstein wieder auf die Fahrbahn auffährt (ca. bei 0:40)? ?(

    Aber Radwege, sogar mit Benutzungspflicht, gerade dort zu bauen, wo Kreuzungen kommen zeigt doch, dass die Behörden keine Ahnung von der Materie haben. X(

    Doomsday: It's nature's revenge for what we've done (Chris Pohl)

  • Der ADFC Mensch in diesem Video kennt offenbar §10 StVO nicht.

    Und der Vertreter der Stadt verbreitet fleißig das Märchen "Radwege sind sicher".

    Und ist es nicht so: Bevor Radwege gebaut werden, muß zuerst ein ordentlicher Fußweg angeboten werden.

  • Ähm, ist der Mensch, der dort mit ADFC Logo auf der Brust spricht wirklich der Meinung er hätte Vorfahrt, wenn er über einen abgesenkten Bordstein wieder auf die Fahrbahn auffährt (ca. bei 0:40)? ?(

    Weiß nicht. Vielleicht meint er wegen dem anschließenden genauso langen Schutzstreifen, der ja eigentlich nicht ohne Grund von den Fahrzeugen auf der Fahrbahn befahren werden darf. Der dann direkt in die Dooring-Zone führt.

    Echt Premium.

    55m lange Radverkehrsführung. Total durchgängig.

    Vielleicht wollte man eigentlich eine Bushaltestelle bauen, aber es war nur noch Geld im Radfahrförder-Topf?

  • Das ist wirklich realer Irrsinn. Radwege sind besonders gefährlich an Kreuzungen und dort, wo sie enden und man zurück auf die Fahrbahn wechselt und wo Missverständnisse vorprogrammiert sind.

    Man hätte auch vor den Kreuzungen einen Spender für Cyankali-Kapseln aufstellen können, das wäre genauso sicher.

  • Was hat die ausgereifte Technik mit dem Einsatz des Autos als Mordwaffe zu tun? Das Szenario hätte sich ähnlich auch mit einem Oldtimer abspielen können.

    Dieser Satz, "Dank ausgereifter Technik ist zum wiederholten Mal ein Auto zur Mordwaffe geworden.", auf den sich deine Frage bezieht ist ein Zitat aus dem von mir zitierten taz-Artikel. Er nimmt die Tatsache auf's Korn, dass die Automobilfirmen ihre Produkte gerne mit dem Attribut bewerben, es handele sich um ausgereifte Technik, was sie da den Kunden anbieten.

    Tatsächlich sind es aber keine Produkte mit ausgereifter Technik, denn die hätte bewirken können, dass sich das Fahrzeug in der Fußgängerzone nur auf Schrittgeschwindigkeit hätte beschleunigen lassen.

    Hätte der Täter einen Oldtimer benutzt, dann hätte das natürlich auch nicht funktioniert, zumindest dann nicht, wenn der nicht entsprechend nachgerüstet worden wäre, was wohl nur sehr umständlich zu bewerkstelligen ist. Und dann ist es auch kein echter Oldtimer mehr. Aber vielleicht hätte der Bekannte, der dem Täter den Wagen geliehen hat, ihm auch gar keinen Oldtimer geliehen? Ín Oldtimer-Kreisen ist man meines Wissens eher sehr zurückhaltend, wenn es darum geht sein Auto zu verleihen.