... oder: wie ich die Bombe das Auto lieben lernte
Ich besitze kein KFZ und bin der Meinung, dass ich auch ganz gut ohne zurecht komme.
Allerdings wollten wir am letzten verlängerten Wochenende (Fr-Sa-So-Mo) einen Winterurlaub machen. Rennsteig, Thüringer Wald.
Bahnverbindung Jena-Oberhof: grundsätzlich machbar. Je nach Verbindung 2-3x umsteigen, 2h-3h unterwegs.
Variante 1: Freitag hoch fahren, 3 Nächte dort verbringen, Montag runter
1A - mit dem Zug
1B - mit dem Auto
Variante 2: an allen 4 Tagen hoch fahren, Skifahren, wieder runterfahren
2A - mit dem Zug
2B - mit dem Auto
Alles durchgerechnet, gesucht, geschaut und überlegt.
Ergebnis:
- Kombi gemietet für 67,- EUR
- 900km auf Autobahn, Landstraßen, Kreisstraßen und Stadtstraßen gefahren
- 65 Liter E10 in den Tank gekippt und dafür 87,- EUR hingelegt
- an 2 Tagen ein Ganztagesparkticket für jeweils 4,- bezahlt
und für den Spaß bekommt man:
- Sitzheizung (O-Ton: "Finger weg! Das kostet Benzin." )
- überhaupt Heizung, nachdem man schon den ganzen Tag im Wald im Schnee herumgetobt ist
- irgendwie genug Platz, um 4 Langlaufski-Ausstattungen nebst Verpflegung und Klamotten verstauen zu können
- Platz, um Freunde mitnehmen zu können
- eigene Musik
- Flexibilität in Hinblick auf Abfahrt-/Ziel- & -ort/-zeit
- Einparkhilfe und sonstigen technischen Schnickschnack.
Ohne Quark: die Bedienungsanleitung des Autos war ein gebundenes Handbuch, das sich zu 2/3 mit der Kopplung von Smartphone und KFZ-entertainmentsystem befasste! auf den restlichen Seiten wurde von ABS bis Zuladungsgrenze alles abgehandelt, was es an Sicherheitsausstattung und Problemlösung zu wissen gibt.
- auch generell das Wissen: steig ein, setz dich hin. Für jeden Gast ist ein Sitzplatz vorhanden. Bequem und kuschelig.
Und ehrlich, ich fahre gerne mit dem Fahrrad. Aber wenn ein Auto vor der Tür steht, ist die Versuchung, damit einfach zum verdammten Bäcker 1200m die Straße runter zu fahren, einfach da. Und wir sind letztlich mit dem Auto zum Bäcker gefahren. Weil er auf dem Weg aus der Stadt.. nee, ehrlich gesagt lag er überhaupt nicht auf dem Weg aus der Stadt heraus. Sondern in entgegengesetzter Richtung. Und wegen Ampel, Einbahnstraßen und Verkehrsregelungen waren wir auch nicht schneller als zu Fuß! Aber das Ding steht eben vor der Tür! Und selbst wenn es nicht vor der Tür, sondern in einer Garage gestanden hätte: wir wollten damit sowieso fahren!
Mit netten Radwegen und der Verkündung "fahrradfreundliche Kommune" oder solchem Schmarrn wird man bei dem Gegenwert an Luxus und Komfort, den ein KFZ bietet, keine weiteren Menschen in nennenswerter Zahl dazu bewegen, aufs Fahrrad umzusteigen.
Alles, was uns am Wochenende (erwartbar) genervt hat, waren:
- Stau (nur innerorts)
- Parkplatznot (umgangen, da früh am Ziel gewesen)
Die Mehrheit der Leute da draußen werden die eigene Karre nur dann stehen lassen, wenn die Benutzung mit derart großen inneren/äußeren Widerständen verbunden ist, dass ein Umstieg auf irgendwas anderes als eben das Auto quasi unumgänglich ist.
Die Herausforderung besteht nicht darin, mehr Leute aufs Rad zu bekommen. Die Herausforderung besteht darin, die Leute so vom Auto zu entwöhnen, dass die pendelnde alleinerziehende KrankenschwesterTM weiterhin mit dem Auto im Schichtdienst ins KH fahren kann, der Weg zum Supermarkt aber eben nicht mehr mit dem Auto zurückgelegt wird.
Dazu bedürfte es einer Diskussion darüber, welche Wege "nötig" und welche "unnötig" sind. Und dann auch noch: welche Wege sind unabdingbar mit dem KFZ zurückzulegen, welche nicht?
Hat man so eine Matrix gefunden/definiert, müsste man hingehen und 3 der 4 Quadranten der Matrix entsprechend (be-)steuern.
Waren meine 4 Tagesausflüge nötig? nein.
Waren meine 4 Tagesausflüge unabdingbar mit dem KFZ zurückzulegen? nein.
Das KFZ hätte hier keine 67,- EUR und das Benzin nicht nur rund 1,34EUR/l kosten dürfen
Erst dann wäre ich bereit gewesen, Alternativen in Betracht zu ziehen, die dann nämlich nicht mehr so exorbitant viel teurer geworden wären, als für Freizeitvergnügen 900km zurückzulegen.
Machen wir das nochmal? Ja, vielleicht. Oder auch nicht. Hängt davon ab. Aus Umweltgesichtspunkten war die Aktion relativ rücksichtslos. Standardausrede auch für uns: "ja, einmal geht das schon" und "mein Arbeitskollege fährt die 900km jede Woche als Pendler". Da isses wieder: "die anderen".
- die anderen doch auch
- die anderen viel schlimmer
- die anderen sollen erstmal selber anfangen/aufhören mit..
Wenn selbst "wir" als halbwegs "bekennende" Ökos einfach aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht (hier: unsere direkten Kosten, keine externen Kosten wie Umwelt, Verkehr, tralalala) aufs Auto zurückgreifen ...