Infrastruktur-Debatte aus dem Unfall-Thread

  • Mit anderen Worten: das systematische und bewusste Falsch-Planen von Radverkehrsführungen an Einmündungen trägt erheblich dazu bei, dass Augenblicksversagen tödliche Folgen hat. Das erste ist Absicht, das zweite Fahrlässigkeit.

    Eigentlich müsste jeder Planer einer solchen Radverkehrsanlage nach einem solchen Unfall auch eine Anzeige wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr bekommen. Und damit erreicht werden, das auch die Fehlplanung mit im Gerichtsverfahren zum Unfall gewürdigt wird. Was, außer die Höhe des provozierten Unfallrisiko, unterscheidet den Planer von einem "Witzbold", der einen Kanaldeckel entfernt. Denn es sollten eigentlich ja alle auf Sicht fahren und sollten somit auch den entfernten Kanaldeckel rechtzeitig sehen.

  • Man sollte die bauliche Anlage der Radwege in solchen Prozessen zum Thema machen. Die Radfurt ist an der Kreuzung in die Seitenstraße hinein verschwenkt, damit sie neben der Fußgängerfurt verläuft. Dadurch werden Autofahrer dazu verleitet, in die Seitenstraße ein Stück weit einzubiegen. Dort haben sie, schräg stehend, miserable Sichtverhältnisse in die Richtung, aus der Radfahrer entlang der Hauptstraße kommen. Würde die Radfurt konsequent auf Linie der Bordsteinkante geführt, dürfte der Autofahrer nicht einbiegen, sondern müsste sich den Radweg anschauen, während er noch parallel dazu auf der Fahrbahn steht - das sind deutlich bessere Sichtverhältnisse.

    Mit anderen Worten: das systematische und bewusste Falsch-Planen von Radverkehrsführungen an Einmündungen trägt erheblich dazu bei, dass Augenblicksversagen tödliche Folgen hat. Das erste ist Absicht, das zweite Fahrlässigkeit.

    Irgendwo hier im Forum habe ich von Radverkehrsanlagen in Holland gelesen, die im Kreuzungsbereich so gestaltet sind, dass der Hochbordradweg von der Straße weggeführt wird, also im Kreuzungbereich stark verschwenkt ist. Dadurch soll für den Autofahrer die Möglichkeit entstehen, dass er nach dem eigentlichen Abbiegevorgang noch einmal zum Halten und Gucken veranlasst wird, nämlich vor dem deutlich farbig abgesetzten Radweg, bevor er diesen kreuzt. Allerdings ging es dabei nach meiner Erinnerung besonders um Linksabbiegerverkehr, der ja an der Stelle nicht vorkommt.

    Habe gerade bei einem Blick auf google-street-view festgestellt, dass die eigentlich "nur" zweispurige (je Richtung) Alsterburgchaussee vor der Unfall-Stellen-Kreuzung über 100m dreispurig ist. Der rechtsaußen fahrende Verkehr fährt auf einer Abbiegespur.

    https://www.google.com/maps/@53.60548…!7i13312!8i6656

    Es drängt sich also auch die Forderung nach einem Rückbau der dritten Spur auf. Und mindestens eine Temporeduktion auf 50, das Tempo 60 Schild, das ca 500m vor der Unfallstelle steht gehört abgeschraubt. Aber das hat glaub ich weiter oben schon wer geschrieben. Dann macht auch ein konsequent auf Linie der Bordsteinkante geführter Radweg Sinn.

    Und mir ist aufgefallen, dass im Gehwegbereich zwei Autos auf dem Fußwegbereich zwischen Radweg und Straße parken (ein oranger Kleinwagen und ein roter Volvo-Caravan älterer Bauart. Oder ist das gar kein Fußwegbereich, sondern sozusagen von "Stehzeugen" okkupiertes Niemandsland? Standen da beim Unfall auch Autos an der Stelle?

    Ergänzung: Bei den neueren Satellitenbilder auf google-maps ist mir aufgefallen, dass vor der Unfall-Kreuzung Parkplätze weggefallen sind zu Gunsten der Bushaltestelle "Israelitisches Krankenhaus". Das "Niemandsland(?)" ist jedoch auch hier beparkt mit einem schwarzen "Stehzeug".

    https://www.google.com/maps/@53.60491…t/data=!3m1!1e3

  • Eigentlich müsste jeder Planer einer solchen Radverkehrsanlage nach einem solchen Unfall auch eine Anzeige wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr bekommen. Und damit erreicht werden, das auch die Fehlplanung mit im Gerichtsverfahren zum Unfall gewürdigt wird. Was, außer die Höhe des provozierten Unfallrisiko, unterscheidet den Planer von einem "Witzbold", der einen Kanaldeckel entfernt. Denn es sollten eigentlich ja alle auf Sicht fahren und sollten somit auch den entfernten Kanaldeckel rechtzeitig sehen.

    Das halte ich für äußerst unrealistisch, bei jeder Fehlplanung mit maximalem Aufwand und Härte den Planer belangen zu wollen. Zumal die Anschauungen darüber, was denn nun sinnvoll ist und was nicht auseinandergehen. In Hannover beispielsweise gab es unter den dreispurigen (je Richtung) Friedrichswall einen Fußgängertunnel, der vor wenigen Jahren endlich zugeschüttet wurde. Stattdessen gibt es dort jetzt eine Ampelanlage. Möglicherweise weil es diese Ampelanlage früher dort nicht gab wurde vor Jahren ein älterer Fußgänger auf dem Friedrichswall totgefahren. Was einige hämische Kommentare erzeugte nach dem Schema: Hätte er mal den Fußgängertunnel genutzt.

    Wofür würde denn denn ein Planer in der Hochzeit des Automassenwahns belangt worden sein, wenn er keinen Fußgängertunnel gebaut hätte? Und wofür wäre der Planer heute belangt worden, weil er nicht schon früher den Fußgängertunnel wieder zurückgebaut hat?

    Und auch im vorliegenden Fall, das zeigt doch die Diskussion hier überdeutlich, gibt es diametral entgegengesetzte Ansätze betreff der Verkehrsplanung: Die einen fordern einen Zwei-Richtungen-Radweg, die anderen lehnen den Zwei-Richtungen-Radweg vehement ab. Und hier diskutieren ja vorwiegend nur die Radfahrer, die sich aber offensichtlich selbst nicht eins sind, was zu tun sei.

    Und wofür genau wolltest du denn den Planer belangen? Dafür dass er im Sinne des autooptimierten Hamburg die Kreuzung so gebaut hatte, wie die Autowahn-besessene Bürgerschaft es einst forderte (und heute noch fordert, wenn auch vielleicht nicht mehr ganz so vehement).

  • Irgendwo hier im Forum habe ich von Radverkehrsanlagen in Holland gelesen, die im Kreuzungsbereich so gestaltet sind, dass der Hochbordradweg von der Straße weggeführt wird, also im Kreuzungbereich stark verschwenkt ist. Dadurch soll für den Autofahrer die Möglichkeit entstehen, dass er nach dem eigentlichen Abbiegevorgang noch einmal zum Halten und Gucken veranlasst wird, nämlich vor dem deutlich farbig abgesetzten Radweg, bevor er diesen kreuzt.

    Solche Designs haben wir doch in DE auch sehr oft. Das niederländische Design besitzt nur da Vorteile, wo die Beachtung des Radweg-Vorranges durch signifikante Aufpflasterungen der Radwegfurt durchgesetzt wird. Wer diesen Drempel als Kraftfahrer ignoriert, büßt mit kaputten Stoßdämpfern...

  • Wo in Deutschland bezeichnet man denn eine signifikante Aufpflasterung als "Drempel". Hier in Hannover, wo sich alle einbilden, ein einwandfreies Hochdeutsch zu sprechen, ist mir der Begriff noch nicht untergekommen. Inhaltlich: volle Zustimmung!

  • Wo in Deutschland bezeichnet man denn eine signifikante Aufpflasterung als "Drempel".

    Sorry, ich kenne die Bezeichnung ursprünglich auch nur von niederländischen Verkehrs-Warntafeln ("let op! drempel"), aber innerhalb meiner Familie ist der Begriff im Alltags-Wortschatz.

  • Sorry, ich kenne die Bezeichnung ursprünglich auch nur von niederländischen Verkehrs-Warntafeln ("let op! drempel"), aber innerhalb meiner Familie ist der Begriff im Alltags-Wortschatz.

    Kein Grund, sich zu entschuldigen. Im Gegenteil - mir gefällt der Begriff Drempel! Ich fürchte allerdings es wird nicht ganz so leicht sein, ihn in Hannover zu etablieren. Sie sind übrigens hartnäckig umkämpft, diese Drempel. Aber das ist dann wieder ein anderes Thema.

  • Man sollte die bauliche Anlage der Radwege in solchen Prozessen zum Thema machen. Die Radfurt ist an der Kreuzung in die Seitenstraße hinein verschwenkt, damit sie neben der Fußgängerfurt verläuft. Dadurch werden Autofahrer dazu verleitet, in die Seitenstraße ein Stück weit einzubiegen. Dort haben sie, schräg stehend, miserable Sichtverhältnisse in die Richtung, aus der Radfahrer entlang der Hauptstraße kommen. Würde die Radfurt konsequent auf Linie der Bordsteinkante geführt, dürfte der Autofahrer nicht einbiegen, sondern müsste sich den Radweg anschauen, während er noch parallel dazu auf der Fahrbahn steht - das sind deutlich bessere Sichtverhältnisse.

    Mit anderen Worten: das systematische und bewusste Falsch-Planen von Radverkehrsführungen an Einmündungen trägt erheblich dazu bei, dass Augenblicksversagen tödliche Folgen hat. Das erste ist Absicht, das zweite Fahrlässigkeit.

    Würdest du so nett sein und das dem Leiter des Tiefbauamtes Stade schicken? Als ich ihm das gesagt habe, hat er nur gelacht. Am liebsten verschwenkt man hier den Radweg von der Fahrbahn weg, wenn die Sicht ohnehin noch durch zusätzliche Hindernisse eingeschränkt ist. Alles, was man hier in den letzten Jahren neu gebaut hat, war es der selbe Murks: Gemeinsame Geh- und Radwege (immer benutzungspflichtig, weil es für nicht benutzungspflichtige gemeinsame Wege ja kein Schild gibt) und immer an Kreuzungen von der Fahrbahn weg verschwenkt.

    Auch in Kreisverkehren wird fleißig verschwenkt, damit es spannender bleibt, ob Radfahrer dem verlauf des Kreisverkehrs folgen oder nicht. ERA 2010 sei ja schließlich nur eine Empfehlung, wurde mir gesagt, aber in Stade will man Radfahrer nicht auf die Fahrbahn lassen.

    Für mich grenzen solche "Radverkehrsanlagen" an versuchten Totschlag.

  • Gibt's eine Auszeichnung für besonders gefährliche Infrastruktur? Wenn sowas medienwirksam verliehen wird, bekäme das Thema etwas mehr Aufmerksamkeit.

    Edit: Ich meine sowas wie den Big Brother Award

  • Die Blauschilder stehen vorher an den Straßen, die auf den Kreisverkehr oder die Kreuzungen in der gezeigten Richtung zuführen. Dahinter steht keins mehr, das ist richtig. Hat man vermutlich "vergessen". Die Leute von der Verwaltung haben mir gesagt, dass man dort auf gar keinen Fall auf der Fahrbahn fahren kann, weil das zu gefährlich ist. Dass man hinter dem Kreisverkehr oder den Kreuzungen somit gar nicht auf dem roten Pflaster (Gehweg) fahren darf, haben sie wohl noch nicht gemerkt. Das sieht man hier auch häufiger, dass hinter Kreuzungen kein neues Schild steht.

    Es gibt auch keine Bordsteinabsenkung vor dem Kreisverkehr, wo man auf die Fahrbahn wechseln könnte, sondern das müsste man schon deutlich vorher tun. Macht aber (außer mir) keiner, weil hier alle zum Gehwegradeln erzogen sind.

  • Immerhin gibt es eine Richterin, die entschieden hat, dass auch ohne Blauschild der Radweg weiter benutzungspflichtig ist. Bis in welche Ewigkeiten das gelten soll, wurde leider nicht angesprochen in dem Urteil.

    Das dürfte aber eine Einzelmeinung sein. Also nach der ersten Kreuzung/Einmündung runter auf die Fahrbahn, wo ein ordentlicher Radler hingehört.

    bye
    Explosiv smilie_be_131.gif

  • Gibt's eine Auszeichnung für besonders gefährliche Infrastruktur? Wenn sowas medienwirksam verliehen wird, bekäme das Thema etwas mehr Aufmerksamkeit.

    Edit: Ich meine sowas wie den Big Brother Award

    Du meinst sowas wie den Pannenflicken der Initiative Cycleride?

    Ja, wir nehmen Nominierungen von jedermann an.

    Ja, ich bin Teil der Jury.

    Ja, ich bin Kampfradler! Nein, ich fahre nicht aggressiv!
    Denn ich kämpfe mit den Waffen des Wortes, des Papiers und des Toners, meine Verbündeten sind die Regeln und Normen der StVO und VwV-StVO.

    Radfahren ist nicht gefährlich, Radwege schon!

  • Immerhin gibt es eine Richterin, die entschieden hat, dass auch ohne Blauschild der Radweg weiter benutzungspflichtig ist. Bis in welche Ewigkeiten das gelten soll, wurde leider nicht angesprochen in dem Urteil.

    Das dürfte aber eine Einzelmeinung sein. Also nach der ersten Kreuzung/Einmündung runter auf die Fahrbahn, wo ein ordentlicher Radler hingehört.

    Ich fahre dort in der Regel komplett auf der Fahrbahn, auch dort, wo die blauen Schilder stehen. Die Autofahrer sollen sich hier schon mal an den Anblick gewöhnen und andere Radfahrer sollen auch ruhig sehen, dass das geht. Ich halte aber nichts davon, an jeder Kreuzung zwischen "Radweg" und Fahrbahn hin und her zu wechseln, denn das ist unnötiges Risiko beim Einfahren auf die Fahrbahn.

    Und für die durchschnittlichen Radfahrer ist das sowieso alles ein Radweg, auf dem sie sich sicher fühlen und wo sie gar nicht auf die Idee kommen würden, auf der Fahrbahn zu fahren, blaue Schilder hin oder her.

  • Kein Grund, sich zu entschuldigen. Im Gegenteil - mir gefällt der Begriff Drempel! Ich fürchte allerdings es wird nicht ganz so leicht sein, ihn in Hannover zu etablieren. Sie sind übrigens hartnäckig umkämpft, diese Drempel. Aber das ist dann wieder ein anderes Thema.

    Drempel... pfffft. versteht doch kein Mensch.

    Farthinder

    jag älskar dem :love:


    :saint:

  • Irgendwo hier im Forum habe ich von Radverkehrsanlagen in Holland gelesen, die im Kreuzungsbereich so gestaltet sind, dass der Hochbordradweg von der Straße weggeführt wird, also im Kreuzungbereich stark verschwenkt ist.

    In gewissen Aktivistenkreisen läuft das unter "geschützte Kreuzung" und wird fast gralsmäßig angebetet. Ich weiß nicht warum. Diese Konstruktionen sind weder neu noch eine niederländische Spezialität (siehe diese Kreuzung in München aus den 60er Jahren). Auch bei dieser Bauweise ist die Sicherheit einzig und allein von der Aufmerksamkeit der VT abhängig. D.h. die Konstruktion bietet keine systemimmanente Sicherheit.

    Ich pers. finde diese Lösung in der praktischen Erfahrung (es gibt einige vergleichbare Kreuzungen in München) eher suboptimal. So kann z.B. die verfügbare Wegbreite in der Regel nicht optimal genutzt werden, weil die S-Kurve natürlich in Ideallinie durchfahren wird. Weiter sind die kleinen Bordsteinkanten unter einer Schneedecke nicht zu erkennen, ich selber sehe jeden Winter, wie selbst die Räumfahrzeuge den Verlauf des Weges nicht finden. Und zuletzt müssen auch Fußgänger bei korrekter Nutzung der Furten weitere Wege beschreiten. Apropos weite Wege: Ich habe am Beispiel dieser Kreuzung einmal die erforderlichen Wegstrecken für Linksabbieger von Osten kommend gemessen (jeweils ab Beginn der Linksabbiegerspur bis zur südlichen Begrenzung der Fußgängerfurt in der Zielstraße:

    Kfz: 120m (1 Ampel)

    Rad (bei Nutzung der Radwege): 152m (4 Ampeln)

  • Die niederländischen 'geschützten' Kreuzungen sehen ja schon gut aus, was die Sichtbeziehungen angeht. Aber wie schon erwähnt, hängt der Erfolg davon ab, ob die Abbiegenden Kfz-Führer auch hinschauen bzw. anhalten (und die Vorfahrt des Radverkehrs respektieren). Sonst bringt das Ganze keine Vorteile, und die Möglichkeit des direkten Linksabbiegens fällt sowieso komplett weg.

  • By the way... Ich war vor Jahren in der Nähe von Den Haag im Urlaub und musste natürlich auch die niederländische Rad-Infrastruktur ausprobieren. Und was soll ich sagen, mein Ding war das wirklich nicht. Die Radwege sind eine komplett eigene Welt für sich. Sicher, toll ausgebaut, breit genug, aber fast immer im Zweirichtungsverkehr und an jeder Kreuzung mit Ampeln versehen. Für gemütliches Fahren ja ganz nett, aber halt total vom restlichen Straßenverkehr (und vom kürzest möglichen Weg) abgeschottet. Was mich aber am meisten genervt hat, ist die Tatsache, dass die tollen sicheren Radwege dann für Mofas (nur die leichten ohne Kennzeichen, die aber trotzdem 40 fahren können) freigegeben sind. Und deren meist jugendliche Fahrer scheren sich nun überhaupt nicht um Überholabstände, fahren auf Teufel komm raus auf rote Ampeln zu (die wundersamer Weise in letzter Sekunde grün werden) und ersetzen zuverlässig die Gefährdung, die man sonst vom Kfz-Verkehr hätte. Ist wohl alles eine Frage der Gewohnheit...