Hamburger Radfahrstreifen-Sonderregelungen

  • In Hamburg werden Radfahrstreifen grundsätzlich nicht mit Zeichen 237 gekennzeichnet, weil Herr Rupert Schubert der Meinung ist, dass man so etwas in Hamburg nicht bräuchte. Das hatte er ja vor etwa acht Jahren schon mal erklärt: Radwegbenutzungspflicht

    Hamburg rudert mit seiner Verweigerung des [Zeichen 237] irgendwie am § 45 Abs. 9 StVO herum und behauptet, eine Benutzungspflicht solcher Radfahrstreifen ergäbe sich aus dem Rechtsfahrgebot. Das sehe ich anders.

    Ein Radfahrstreifen ohne [Zeichen 237] ist nunmal kein Radfahrstreifen, sondern nur ein Seitenstreifen. Daran ändern auch eventuell aufgemalte Fahrrad-Piktogramme nichts, denn die taugen ohne zusätzliche Beschilderung nur zur Kennzeichnung eines Schutzstreifens, siehe Anlage 3 der Straßenverkehrs-Ordnung zu Zeichen 340: [stvo]Der Schutzstreifen für den Radverkehr ist in regelmäßigen Abständen mit dem Sinnbild „Radverkehr“ auf der Fahrbahn gekennzeichnet.[/stvo]

    Die breite Markierung mit Zeichen 295 grenzt in diesem stritten Fall die Fahrbahn von einem anderen Straßenteil ab, die Anlage der Straßenverkehrs-Ordnung zählt dazu eine ganze Reihe von Möglichkeiten auf, darunter: [stvo]Als Fahrbahnbegrenzung kann die durchgehende Linie auch einen Seitenstreifen oder Sonderweg abgrenzen.[/stvo]

    Offenbar soll hier ein Seitenstreifen oder ein Sonderweg abgegrenzt werden — das klappt aber nur mit Zeichen 237. Ansonsten sind wir hier bei „Rate mal mit Rupert“, um welchen Straßenteil es sich denn handeln könnte. Es gibt ja in Hamburg eine ganze Reihe von Möchtegern-Radfahrstreifen, die wohl tatsächlich gar nicht als Radfahrstreifen gedacht wurden und auch keine entsprechenden Piktogramme bekommen haben.

    Jetzt zum Rechtsfahrgebot.

    § 2 Abs. 1 StVO sagt: [stvo]Fahrzeuge müssen die Fahrbahnen benutzen, von zwei Fahrbahnen die rechte. Seitenstreifen sind nicht Bestandteil der Fahrbahn.[/stvo]

    Prima, Seitenstreifen sind kein Teil der Fahrbahn, dort wird nicht gefahren. Gefahren wird aber auf der Fahrbahn, und zwar auch mit Fahrrädern, denn Fahrräder sind Fahrzeuge. Soweit, so gut.

    § 2 Abs. 2 StVO sagt: [stvo]Es ist möglichst weit rechts zu fahren, nicht nur bei Gegenverkehr, beim Überholtwerden, an Kuppen, in Kurven oder bei Unübersichtlichkeit.[/stvo]

    Das „möglichst weit rechts“ bezieht sich aber immer noch auf die Fahrbahn — auf Seitenstreifen wird schließlich nicht gefahren und eventuelle Sonderwege sind noch gar nicht definiert. Begründete dieses Rechtsfahrgebot auch gleichzeitig eine Benutzungspflicht für Radfahrstreifen, wie sie Schubert und @muensterland-radler erkennen, müssten aber auch Kraftfahrzeuge auf dem Radfahrstreifen fahren — oder, falls vorhanden, sogar auf dem Radweg oder Gehweg fahren, wenn man denn § 2 Abs. 2 StVO so interpretieren möchte, dass eine indirekte Benutzungspflicht unbeschilderter Radwege bestünde.

    Erst in § 2 Abs. 4 StVO definiert der Gesetzgeber, dass Radfahrer unter gewissen Umständen Sonderwege rechts der Fahrbahn benutzen dürfen oder müssen. Das tut er aber ohne Mithilfe von § 2 Abs. 2 StVO.

    Ich halte auch den Versuch, indirekt über die „ähnlich langsamen Fahrzeuge“ eine Benutzungspflicht für Radfahr- oder Seitenstreifen zu etablieren, für verkehrt. In der Anlage 2 zu Zeichen 295 steht ja auch noch: [stvo]Grenzt sie einen befestigten Seitenstreifen ab, müssen außerorts landwirtschaftliche Zug- und Arbeitsmaschinen, Fuhrwerke und ähnlich langsame Fahrzeuge möglichst rechts von ihr fahren.[/stvo]

    Ich glaube nicht, dass der Gesetzgeber hinter den „ähnlich langsamen Fahrzeugen“ auch noch Fahrräder verstecken wollte. Die Aufzählung enthält nur landwirtschaftliche Fahrzeuge, aber keine Fahrräder, Motorroller oder auf 25 Kilometer pro Stunde begrenzte Kraftfahrzeuge. Hätte der Gesetzgeber auch diese Fahrzeuge rechts neben das Zeichen 295 verbannen wollen, hätte er diese hier mit aufgezählt. Und außerdem bezieht sich diese Regelung nur für außerörtliche Seitenstreifen — und ist damit für die Hamburger Problematik vollkommen uninteressant.

    Wie seht ihr das?

  • Wo siehst Du das konkrete Problem? Kein Richter der Welt wird Durch verurteilen, wenn Du auf so einem Seitenstreifen fährst.
    Andererseits darf der Seitenstreifen zum Überholen verlassen werden, wenn sich die Benutzungspflicht nur aus dem Rechtsfahrgebot ableitet. Bei einem korrekt beschilderten Radfahrstreifen darf man das nicht.

  • Ich wusste, dass es die Aussage von Rupert gibt. Hier hat das endlich mal einer freigefragt. Damit ist sein Erguss jetzt für jeden einsehbar. Hamburg am Arsch!

    Hier: kein Radfahrstreifen, weil Piktogramm fehlt. Aber nach Schubertscher Auslegung muss ich als Radfahrer dennoch dort fahren?
    Hier: Radfahrstreifen, weil Piktogramm vorhanden (das Blauschild wurde mittlerweile entfernt!).


    Interessant wird das erst, wenn was passiert. Wenn ein Radfahrer nicht bereit ist, den Seitenstreifen zu nutzen und überfahren wird. Oder wenn ein Falschparker sich mal gegen ein Bußgeld wehrt. Hauptsache, man hat eine weitere Hamburgensie geschaffen. Danke Rupert!

  • Ich hatte Schubert im Mai 2015 eine Mail zu dem Thema geschrieben und nachgefragt. Eine Antwort gab es nie.

    Ich selbst lese aus der StVO heraus, dass Radfahrstreifen, mit oder ohne Zeichen 237, Sonderwege für Radfahrer, aber keine Radwege, darstellen. Diese sind kein Teil der Fahrbahn. Nach §2 Abs. 1 und 4 StVO dürfen diese von Radfahrern nicht genutzt werden, denn Fahrzeuge (d.h. auch Radfahrer) müssen die Fahrbahn benutzen. Und einen Radweg gibt es nicht.

    Das ergibt natürlich überhaupt keinen Sinn. Aber wo genau ist mein Denkfehler?

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • In Lübeck stehen überall Schilder an Radfahrstreifen. Dummerweise wechseln sich Rad- und Schutzstreifen da häufig ab, so dass abwechselnd VZ237 und VZ237+Ende geschildert ist. Total der Schilderoverkill. Ich finde Piktogramme auf dem Rad- oder Schutzstreifen sinnvoll, meinetwegen auch eingekreist. Blechschilder am Rand find ich Unsinn.

  • §2 Abs. 4 erlaubt es Radfahrern Seitenstreifen zu nutzen:


    (4) Mit Fahrrädern muss einzeln hintereinander gefahren werden; nebeneinander darf nur gefahren werden, wenn dadurch der Verkehr nicht behindert wird. Eine Pflicht, Radwege in der jeweiligen Fahrtrichtung zu benutzen, besteht nur, wenn dies durch Zeichen 237, 240 oder 241 angeordnet ist. Rechte Radwege ohne die Zeichen 237, 240 oder 241 dürfen benutzt werden. Linke Radwege ohne die Zeichen 237, 240 oder 241 dürfen nur benutzt werden, wenn dies durch das allein stehende Zusatzzeichen „Radverkehr frei“ angezeigt ist. Wer mit dem Rad fährt, darf ferner rechte Seitenstreifen benutzen, wenn keine Radwege vorhanden sind und zu Fuß Gehende nicht behindert werden. Außerhalb geschlossener Ortschaften darf man mit Mofas Radwege benutzen.

    Doomsday: It's nature's revenge for what we've done (Chris Pohl)

  • Ich finde Piktogramme auf dem Rad- oder Schutzstreifen sinnvoll, meinetwegen auch eingekreist. Blechschilder am Rand find ich Unsinn.

    Die StVO aber nicht. Die sagt: Ohne Blech-Blaulolli kein Radfahrstreifen. Alleinige Straßenmalerei genügt nicht.

    [stvo]Schriftzeichen und die Wiedergabe von Verkehrszeichen auf der Fahrbahn dienen dem Hinweis auf ein angebrachtes Verkehrszeichen. (StVO §39: Verkehrszeichen)[/stvo]

  • Wo siehst Du das konkrete Problem? Kein Richter der Welt wird Durch verurteilen, wenn Du auf so einem Seitenstreifen fährst.
    Andererseits darf der Seitenstreifen zum Überholen verlassen werden, wenn sich die Benutzungspflicht nur aus dem Rechtsfahrgebot ableitet. Bei einem korrekt beschilderten Radfahrstreifen darf man das nicht.

    Zusätzlich zu dem, was @DMHH bereits schrieb, halte ich die Hamburger Herangehensweise für inkonsequent.

    Erst einmal darf man als Kraftfahrer nunmal darauf parken — das wird ja bei dem von DMHH verlinkten Seitenstreifen auch schon entsprechend praktiziert. Ich bin von 2012 bis 2013 täglich zwei Mal die Dammtorstraße entlanggefahren und dort parkten quasi immer mindestens fünf oder sechs Kraftfahrzeuge auf dem Seitenstreifen mit Fahrradpiktogrammen (das passiert eben, wenn man bei der Sanierung einer Straße die Parkplätze streicht: Die Kunden parken auf den Lieferantenparkplätzen und die Lieferanten auf dem Seitenstreifen). Nur abzetteln kann man die Kraftfahrzeuge ja nicht — die parken schließlich ordnungsgemäß auf dem Seitenstreifen. Es sollte mich tatsächlich nicht wundern, wenn dieser Frei-Parken-Kniff eigentlich ebenfalls zur „Hamburger Servicelösung“ gehört.

    Und zweitens habe ich mit diesem Kram ein Problem, weil ich nicht weiß, ob man auf diesen Streifen fahren muss oder nicht. Und das ist durchaus interessant, wenn der Seitenstreifen regelmäßig zugeparkt wird oder wie in der Hamburger Grindelallee ein Zick-Zack-Hindernisparcour gebaut wird: Erst dreihundert Meter auf dem Hochbord-Radweg, dann hundert Meter auf dem Seitenstreifen, dann zweihundert Meter Hochbord-Radweg, dann fünfzig Meter Seitenstreifen. Wenn man ohnehin auf der Fahrbahn fahren darf und sogar [Radwegbenutzungspflicht aufgehoben] aufgestellt wurde, muss ich dann für die fünfzig Meter zurück auf den Seitenstreifen, um mich dann am Ende wieder mit § 10 StVO auf dem rechten Fahrstreifen einzuordnen?

  • Ich weiß nicht, was der Verfasser damals geraucht hat, aber das muss weniger werden.

    Radfahrstreifen sind im Gegensatz zu Schutzstreifen kein Bestandteil der Fahrbahn, sondern eine Sonderform des Seitenstreifens.
    Eine Pflicht, darauf zu fahren, kann nur durch Z 237 begründet werden.
    Gleichzeitig ist Z 237 auch der einzige Grund, warum man darauf nicht parken darf, da es den Seitenstreifen dem Radverkehr vorbehält.

    Ohne Z 237 darf der Radler darauf fahren, er muss es aber nicht. Und jedes KFZ darf darauf halten und parken.
    Die Piktogramme haben die gleiche Rechtswirkung wie eine Packung Quark, die auf die Fahrbahn gefallen und aufgeplatzt ist.

    Das war das Leichte.
    Das Schwere ist, dass den Dosentreibern beizubringen. 50%, also das mit dem Parken, haben sie verstanden. Schwierig sind die letzten 50%, das mit dem legalen Fahrbahnradeln.

    bye
    Explosiv smilie_be_131.gif

  • ...halte ich die Hamburger Herangehensweise für inkonsequent.

    Die Hamburger "Herangehensweise" ist in vielen Punkten inkonsequent. Warum werden, trotz einer Fülle von Anzeigen, jahrelang Falschparker auf Gehwegen nicht verfolgt? Warum werden Falschparker auf Radwegen nicht umgehend abgeschleppt? Warum wird an Straßen, von denen jeder weiß, dass dort ständig gerast wird, niemals geblitzt? Die Liste ließe sich endlos fortsetzen...

    "Terrorismus ist der Krieg der Armen und der Krieg ist der Terrorismus der Reichen"
    Peter Ustinov

  • Nur abzetteln kann man die Kraftfahrzeuge ja nicht — die parken schließlich ordnungsgemäß auf dem Seitenstreifen. Es sollte mich tatsächlich nicht wundern, wenn dieser Frei-Parken-Kniff eigentlich ebenfalls zur „Hamburger Servicelösung“ gehört.

    Das ist der einzige Punkt, der mich an dieser recht akademischen Diskussion interessiert: Ist dem tatsächlich so oder werden Zettel verteilt? Wenn ja: Gibt es bekannte Fälle, in denen mit der o.g. Begründung dagegen vorgegangen wurde?

  • Mir ist nichts bekannt. Aber hat jemand ein Auto zur Verfügung und etwas Langeweile? Ich komme gern vorbei und mach'n Foto ;)

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Die Glacischaussee ist ja momentan wieder der Mega-Parkplatz für den benachbarten Hamburger Dom. Das finde ich immer ganz witzig, weil es dort eine nette Radverkehrsinfrastruktur gibt, die aber an etwa fünf Monaten im Jahr (drei Mal ein Monat Dom plus Auf- und Abbau) nicht nutzbar ist.

    Momentan sieht das so aus:

    Macht ja nichts — die Straßenverkehrs-Ordnung weiß zum [Zeichen 267] :
    [stvo]Wer ein Fahrzeug führt, darf nicht in die Fahrbahn einfahren, für die das Zeichen angeordnet ist.[/stvo]

    Früher galt das Schild mal für die gesamte Straße, aber das wurde 2009 geändert. Was auch immer das für ein Streifen sein mag, der unter dem Schnee noch herausschaut, es ist je nach Interpretation der einschlägigen Regeln entweder ein Seiten- oder ein Radfahrstreifen, aber keine Fahrbahn.

    Am frühen Nachmittag kann man theoretisch noch darauf fahren…

    … aber abends ist alles voll. Ist halt ein Parkplatz, na gut. Die Beschilderung ist ja auch wieder gigantisch: Zeichen 250 mit „auch Taxi“ — wer darf denn eigentlich noch einfahren?

  • Ich habe etwas gefunden, was mich noch mehr verwirrt:

    "Da nach Auskunft der unteren Straßenverkehrsbehörde Piktogramme von Fahrrädern (ohne Kreis) keine Verkehrszeichen darstellen, können diese vom Träger der Straßenbaulast auf der Straße aufgebracht werden. "
    Quelle:

    D.h., wenn um das Piktogramm ein Kreis ist, ist es ein blauer Lolly?

  • Der Satz beißt sich vorne und hinten mit der gewollten gesetzlichen Regelung.

    §39 der StVO regelt: "Schriftzeichen und die Wiedergabe von Verkehrszeichen auf der Fahrbahn dienen dem Hinweis auf ein angebrachtes Verkehrszeichen."
    Die Wiedergabe eines Verkehrszeichens auf der Fahrbahn hat also hinweisenden Charakter und regelt selbst gar nichts. Wenn um das Piktogramm ein Kreis ist, ist es die Wiedergabe eines Vz 237 und weist darauf hin, dass da irgendwo eines stehen müsste, das sich auf die gleiche Verkehrsfläche bezieht.

    Nun werden aber z.B. in Tempo-30-Zonen i.d.R. nicht die Verkehrszeichen 274-30 auf die Fahrbahn gemalt, sondern nur eine große "30" ohne roten Ring. Und jeder weiß, was gemeint ist.
    Ebenso werden üblicherweise auf Radfahrstreifen, Sicherheitsstreifen etc. nur Fahrrad-Piktogramme gemalt, nicht die Vz 237.
    Dies wäre auch problematisch, weil eine einfarbige Wiedergabe des Vz 237 (Fahrrad-Piktogramm im Kreis) zu leicht mit einer Wiedergabe des Vz 254 (Radverkehrsverbot) verwechselt werden könnte.
    :thumbup:

    Twitter: @Nbg_steigt_ab


  • … aber abends ist alles voll. Ist halt ein Parkplatz, na gut. Die Beschilderung ist ja auch wieder gigantisch: Zeichen 250 mit „auch Taxi“ — wer darf denn eigentlich noch einfahren?

    Und wann ist der Parkplatz gebührenpflichtig, täglich von 0:00 bis 2:00?
    Und wie verläuft die Einbahnstraße, von rechts nach links über die Fahrbahn oder von links nach rechts?