Habe gerade im Radio die Nachricht gehört, dass die Bundesregierung den kostenfreien ÖPNV einführen möchte. Auch Spiegel online berichtet darüber: "Kostenloser öffentlicher Nahverkehr könnte in Deutschland Realität werden, denn die Bundesregierung muss ihre Maßnahmen für saubere Luft in den Städten deutlich ausweiten. Sonst droht eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Das soll unter anderem mit kostenlosem öffentlichen Nahverkehr verhindert werden." http://www.spiegel.de/auto/aktuell/s…-a-1193251.html
Was mir natürlich enorm gegen den Strich geht ist die Begründung, die hier angeführt wird, und die einmal mehr zeigt, wie wahnsinnig autofixiert in Deutschland argumentiert wird. Da wird ja nicht etwa erwogen, dass kostenloser ÖPNV zu mehr sozialer Gerechtigkeit beiträgt, weil auch Menschen mit geringem Einkommen leichter mobil sein können. Oder dass es verkehrstechnisch vernünftig und wünschenswert ist, auf ÖPNV und Radverkehr basierende Mobilität an erste Stelle zu setzen. Oder dass kostenfreier ÖPNV dem Umweltschutz dient. Das alles spielt keine Rolle bei der Ankündigung oder bestenfalls eine ganz und gar untergeordnete Nebenrolle. Im Mittelpunkt aller Betrachtung jedoch steht, dass Fahrverbote für PKW verhindert werden. Nur im äußersten Notfall wird das in Betracht gezogen, wobei klar ist, dass es nicht einfach sein wird, diesen "Notfall" festzustellen. Und auch wenn dieser Notfall tatsächlich einmal festgestellt werden sollte, sollen jedenfalls flächendeckende Fahrverbote verhindert werden. In dem entsprechenden Brief der Bundesregierung an die EU-Kommission unterschrieben von den Ministern Barbara Hendricks, Christian Schmidt und Peter Altmaier, heißt es:
“Wenn nötig, werden wir unsere Städte dabei unterstützen, wirksame Verkehrsbeschränkungen in ausgewiesenen Straßen einzuführen.” Quelle: POLITICO vom 13.2.18 https://www.politico.eu/newsletter/mor…-eigener-sache/
Dem möchte ich ein Zitat entgegensetzen, das vom Verkehrsdezernenten der Region Hannover, Ulf Birger Franz, stammt und mit dem er Forderungen der Stadt Hannover nach Fahrpreissenkungen im ÖPNV kontert. Dazu muss man wissen, die Region Hannover (das ist die Stadt Hannover und 20 Städte und Gemeinden im Umland) und nicht jede einzelne Kommune unmittelbar selbst, ist für die Organisation und Finanzierung des ÖPNV zuständig.
„Ich habe nie verstanden, was daran gut fürs Klima sein soll, wenn man die Preise senkt“, sagt Franz in der HAZ vom 8.1.2018 http://www.haz.de/Hannover/Aus-d…r-1-Euro-am-Tag
Und bezogen auf den Radverkehr stimmt es mich nachdenklich, dass es in dem bereits weiter oben zitierten Spiegel-Artikel heißt:
"Zwar sinkt die Anzahl der Autos auf den Straßen, während die Auslastung von Bussen und Bahnen steigt. Es steigen jedoch auch Fahrradfahrer, die bereits umweltfreundlich unterwegs sind, auf öffentliche Verkehrsmittel um. (Hervorhebung von mir) Durch die vielen Umsteiger wird eine deutlich höhere Kapazität zu den Stoßzeiten nötig und es kommen zusätzliche Ausgaben auf die Städte zu. So konnte auch die Stadt Tallinn nach dem Anstieg der Fahrgastzahlen die Kapazitäten aus finanziellen Gründen zunächst nicht erhöhen."
Konkret bezogen auf Hannover: Zurzeit darf zumindest außerhalb der Hauptverkehrszeiten das Rad kostenlos mitgenommen werden in Bussen und Straßenbahnen. In S-Bahnen auch in den Hauptverkehrszeiten, aber dann gegen Bezahlung. Wovon ich gelegentlich auch Gebrauch mache. Aber geht das noch, wenn Busse und Bahnen noch voller werden? Vor allem aber befürchte ich, dass weniger Radfahrer auch bedeuten wird, dass der Ausbau der Radfahrerinfrastruktur damit gebremst wird.
Ich bezweifle übrigens auch, dass die Anzahl der Autofahrer gesenkt wird durch kostenfreien ÖPNV. Vielleicht anfänglich ein bisschen, langfristig werden die Leerstellen, die sich da möglicherweise auftun, alle wieder zugefahren.
Schaue ich mir noch mal die Plakate der letzten Kommunalwahl in Niedersachsen an, dann stelle ich fest, dass ausgerechnet die Piraten wohl am ehesten Regierungs-konform agiert haben: