Bekanntlich halten sich Radfahrer nie an die Regeln und fahren ständig über rote Ampeln. Das mag man hin und wieder zurecht bemängeln, allerdings ist das mit den roten Ampeln für Radfahrer auch echt eine komplizierte Angelegenheit. § 37 Abs. 2 Nr. 6 StVO sagt:
[stvo]Wer ein Rad fährt, hat die Lichtzeichen für den Fahrverkehr zu beachten. Davon abweichend sind auf Radverkehrsführungen die besonderen Lichtzeichen für den Radverkehr zu beachten. An Lichtzeichenanlagen mit Radverkehrsführungen ohne besondere Lichtzeichen für Rad Fahrende müssen Rad Fahrende bis zum 31. Dezember 2016 weiterhin die Lichtzeichen für zu Fuß Gehende beachten, soweit eine Radfahrerfurt an eine Fußgängerfurt grenzt.[/stvo]
Das ist zwar schon kurios genug, wenn man das mal mit der relativ eindeutigen Regelung für Fußgänger und Kraftfahrzeuge vergleicht, aber immerhin ein deutlicher Fortschritt zu früheren Regelungen.
In der Straßenverkehrs-Ordnung gemäß der 45. Änderungsverordnung hieß es hingegen noch:
[stvo]Radfahrer haben die Lichtzeichen für Fußgänger zu beachten, wenn eine Radwegfurt an eine Fußgängerfurt grenzt und keine gesonderten Lichtzeichen für Radfahrer vorhanden sind.[/stvo]
Das war damals, also im Jahr 2009, noch ganz großes Kino, denn der Gesetzgeber hatte noch nicht gemerkt, dass er 1997 die allgemeine Radwegbenutzungspflicht aus § 2 Abs. 4 StVO herausgestrichen hatte — es gab schlicht gar keine Regelung, welcher Signalgeber für einen Radfahrer gilt, der „trotz Radweg mitten auf der Straße“ fährt, wie man so schön sagt, also neben einer Radwegfurt auf der Fahrbahn fährt. „Trotz-Radweg-Fahrbahnradler“ hätten also theoretisch auf der Fahrbahn anhalten müssen, wenn irgendwo eine Fußgängerampel rotes Licht zeigt, die Fahrbahnampel aber noch grün leuchtet. Vermutlich hätte man das drei oder vier Mal versucht und wäre dann entweder von einem überraschten Kraftfahrer totgefahren oder verprügelt worden.
Und es ist natürlich auch relativ bezeichnend, dass wir uns hier immer wieder das Maul zerreißen über Kraftfahrer, die das mit dem Radweg seit 1997 nicht mitbekommen haben, wenn auch der Gesetzgeber vierzehn Jahre brauchte, bis er merkte, dass das mit den Ampeln noch nicht so ganz hinhaut — mit der 46. Änderungsverordnung galt nunmehr:
[stvo]Radfahrer haben die Lichtzeichen für den Fahrverkehr zu beachten. Davon abweichend haben Radfahrer auf Radverkehrsführungen die besonderen Lichtzeichen für Radfahrer zu beachten.[/stvo]
Das klingt doch nach einer soliden Regelung, oder? Wer auf der Fahrbahn fährt, beachtet die Fahrbahnampel. Wer auf einer Radverkehrsführung unterwegs ist, beachtet eben die besonderen Lichtzeichen für Radfahrer.
Der Gesetzgeber hat dann gerade noch so mitbekommen, dass es wohl auch die Konstellation geben kann, dass ein Radfahrer auf einer Radverkehrsführung fährt, es aber keine besonderen Lichtzeichen für Radfahrer gibt und dadurch besonders blöde Situationen entstehen könnten — man denke da ein einen grünen Pfeil, der konfliktfreies Abbiegen nach rechts signalisiert, während die Fahrbahnampel noch grünes Licht zeigt und der Radfahrer noch geradeaus fahren dürfte, also mit dem grünen Pfeil in Konflikt geriete. Darum hat man hinten in § 53 StVO den Absatz 6 hinzugefügt:
[stvo]An Lichtzeichenanlagen mit Radverkehrsführungen ohne besondere Lichtzeichen für Radfahrer müssen Radfahrer bis zum 31. August 2012 weiterhin die Lichtzeichen für Fußgänger beachten.[/stvo]
Nun wird es kompliziert: Für Radfahrer auf Radverkehrsführungen gelten die besonderen Lichtzeichen für Radfahrer. Gleichzeitig galten aber bis zum 31. August 2012 die Lichtzeichen für Fußgänger an Lichtzeichenanlagen mit Radverkehrsführungen ohne besondere Lichtzeichen für Radfahrer. Das bedeutet: Ganz unabhängig davon, ob ein Radfahrer diese Radverkehrsführung befährt oder nicht — auch für Radfahrer auf der Fahrbahn gilt die Fußgängerampel, wenn es eine Radverkehrsführung gibt, aber keine besonderen Lichtzeichen für Radfahrer.
Gigantisch, oder? Und damit es nicht langweilig wurde, gab es ja noch die Debatte um den Zitierfehler, so dass man gar nicht so richtig wusste, welche der Regelungen eigentlich gilt. Ich behaupte mal, wir alle haben in jenem Zeitraum von 2009 bis 2013 aberhunderte Male eine rote Ampel überfahren, ohne es eigentlich zu merken. Aber das macht ja nichts, Radfahrer halten sich ja eh nie an die Regeln.
Seit der Neufassung heißt es nun:
[stvo]Wer ein Rad fährt, hat die Lichtzeichen für den Fahrverkehr zu beachten. Davon abweichend sind auf Radverkehrsführungen die besonderen Lichtzeichen für den Radverkehr zu beachten. An Lichtzeichenanlagen mit Radverkehrsführungen ohne besondere Lichtzeichen für Rad Fahrende müssen Rad Fahrende bis zum 31. Dezember 2016 weiterhin die Lichtzeichen für zu Fuß Gehende beachten, soweit eine Radfahrerfurt an eine Fußgängerfurt grenzt.[/stvo]
Man hat also § 37 Abs. 2 Nr. 6 StVO mit der Sonderregelung aus § 53 Abs. 6 StVO verschmolzen und das Datum noch etwas nach hinten verschoben, damit die Behörden noch vier Jahre länger Zeit zur Umrüstung der Signalgeber haben. Und ich bin mir sicher, dass an dieses Datum auch noch weiter nach hinten schieben wird. Auch hier gelten die Unterschiede aus der 46. Änderungsverordnung: Wer auf einer Radverkehrsführung fährt, muss die besonderen Lichtzeichen für den Radverkehr beachten. Für den Fall, dass keine besonderen Lichtzeichen für Radfahrer vorhanden sind, gelten auch für den Fahrbahnradler bis Ende 2016 die Signalgeber für den Fußverkehr… also unter der Voraussetzung, dass eine Radfahrer- an eine Fußgängerfurt grenzt.
Man muss also auch als Fahrbahnradler „mitten auf der Straße“ anhalten, wenn es nebenan eine Radverkehrsführung mit Fußgängerampel gibt und die beiden Furten aneinandergrenzen. Aber ehe man das erkannt hat, ist man wahrscheinlich schon auf der anderen Seite der Kreuzung und hat theoretisch einen Rotlichtverstoß begangen — den die Polizei aber nicht ahnden kann, weil die Beamten diese Regelung vermutlich selbst nicht begreifen.
Zur Veranschaulichung sollen in diesem Thread nun einige Fotos von ganz besonders gelungenen Situationen gezeigt werden, an denen die gesetzlichen Regelungen an ihre Grenzen stoßen.