(Kleine) Radfahrer auf Gehwegen

  • Bekanntlich müssen radfahrende Kinder bis zum 8. und dürfen bis zum 10. Geburtstag auf Gehwegen fahren, seit paar Jahren samt Begleiter bis zum 8., was womöglich zu einer Konditionierung deutlich über den 10. hinaus führt ...

    Wie ist das eigentlich in anderen Ländern mit Kids auf Gehwegen oder Fahrbahnen und wie ist es dort mit Radlern auf Gehwegen allgemein? Gibt es dazu was?

  • Rosine 1: Nicht die Pflicht konditioniert, sondern das Tun, der Zwang durch die Eltern. Schon diese verstehen sich ja kaum mal als Verkehrsteilnehmer und machen das Befohlene.

    Rosine 2: Konditionierung worauf?

  • In Luxemburg dürfen Kinder scheinbar bis einschließlich 9 Jahre auf dem Gehweg fahren. Kann mich nur auf die Polizei beziehen, da die Luxemburger "StVO" scheinbar nur in Französisch verfügbar ist und das ist dann doch etwas länger her bei mir. Funfact am Rande, für das, wann darf man nebeneinander fahren, braucht man eher so einen Spickzettel ^^

    https://police.public.lu/dam-assets/fr/publications/le-velo-revisite-par-le-code-de-la-route/velo-revisite-stvo-de-web.pdf

  • Die Graphik aus dem Spickzettel habe ich mal etwas ergänzt.

    Auf österreichischen Gehwegen darf jeder mit dem Rad fahren-mit 10km/H.

    Jeder Radweg darf in beide Richtungen gefahren werden, es sei denn, es ist ausgeschildert.

    Ich hatte mich schon gefragt, warum Österreich im Vergleich so schlecht dasteht.

    …aber was ist mit „Holland“? | Radfahren-Das überschätzte Risiko von hinten (Graphik "Overlijdensrisico Fietsers")

  • Rosine 1: Nicht die Pflicht konditioniert, sondern das Tun, der Zwang durch die Eltern. Schon diese verstehen sich ja kaum mal als Verkehrsteilnehmer und machen das Befohlene.

    Was genau oder wen genau meinst du damit? Eltern, die ihre Kinder mit dem "Elterntaxi" zur Schule, zum Sportverein, zum Posaunenchor usw., also quasi überall hinfahren, selbst dann, wenn es gute ÖPNV-Verbindungen gibt oder viele der Ziele auch mit dem Fahrrad oder zu Fuß gut erreichbar sind?

  • Es erlauben wohl fast alle Länder, dass (kleine) Kinder auf dem Gehweg fahren _dürfen_. Nur in wenigen Ländern müssen sie es und Deutschland ist meines Wissens das einzige, wo dies auch im Beisein eines Erwachsenen greift und bis 8 ja sogar die Benutzung von Radfahrstreifen verbietet.

    In der Schweiz gilt halt "bis 6 nicht alleine auf der Hauptstraße" (sollte sich aus der Aufsichtspflicht von alleine ergeben…) und in Österreich, Slowenien und noch ein paar K&K-Überbleibseln darf man alleine nur mit den Fahrradführerschein oder >12.

  • Nicht die Pflicht konditioniert, sondern das Tun, der Zwang durch die Eltern.

    Stimmt. Niemals hätte ich meiner 10-jährigen erlaubt, beispielsweise hier auf der Fahrbahn zu fahren. Da ist dichter Verkehr und alle paar Meter ist die rechte Spur blockiert.

    Nichtmal jetzt mit "Mitte 11" macht sie zuverlässig einen Schulterblick vor dem Spurwechsel nach links. Den Kindern fehlt einfach noch die Zuverlässigkeit für solche Situationen.

    Im Sommer hatte ich eine ähnliche Erfahrung mit einem 12-jährigen. Der wollte ein Floß mit Außenborder in einem Kanal lenken. Eigentlich vollkommen trivial: man muss nur geradeaus fahren. Das konnte er auch. Aber nach 2-3 Minuten war irgendein Boot spannender. Er schaute ihm hinterher und vergaß das Lenken. Ich habe dann eingegriffen und den Zusammenstoß mit dem Ufer nur gerade so noch verhindern können.

    Kinder sind in dem Alter oft einfach noch nicht so weit, solche Situationen zu bewältigen. Da werde ich sie garantiert nicht in eine Situation bringen, in der ein kleiner alterstypischer Fehler tödlich sein kann.

  • Kinder durchlaufen eine Entwicklung, in der sie ständig neue Fähigkeiten erwerben. Und wenn sie einfach noch nicht soweit sind, kannst Du sie auf die Straße schicken, so viel Du willst. Sie werden trotzdem noch nicht in der Lage sein, komplexe Verkehrssituationen korrekt zu meistern. Es geht einfach noch nicht.

    Kinder können erst ab ca. 14 Jahren zwei Dinge gleichzeitig kontrollieren so wie Erwachsene. Genau diese Fähigkeit hatte der Zwölfjährige eben noch nicht. Er konnte nicht gleichzeitig dem anderen Boot hinterher schauen und das eigene lenken. Die Fähigkeit fehlt ihm einfach noch.

    Grnauso können Kinder auf der Dorf-Nebenstraße sicherlich mit 8 schon gut fahren. Die Innenstadt von Berlin ist ein ganz anderes Kaliber, wo gerade an Kreuzungen sehr viel gleichzeitig passiert. Da fehlt es nicht nur an Erfahrung, sondern auch an dem für die sichere Bewältigung nötigen Entwicklungsschritt.

    Einmal editiert, zuletzt von Epaminaidos (19. Januar 2025 um 23:57)

  • Kinder durchlaufen eine Entwicklung, in der sie ständig neue Fähigkeiten erwerben. Und wenn sie einfach noch nicht soweit sind, kannst Du sie auf die Straße schicken, so viel Du willst. Sie werden trotzdem noch nicht in der Lage sein, komplexe Verkehrssituationen korrekt zu meistern. Es geht einfach noch nicht.

    Mag ja alles sein. Aber davon auszugehen, dass diese Defizite sich bei der komplexen Verkehrssituation auf dem Bürgersteig weniger schlümm auswirken, halte ich für zu optimistisch. Risikoüberkompensation at work.

  • dass diese Defizite sich bei der komplexen Verkehrssituation auf dem Bürgersteig weniger schlümm auswirken, halte ich für zu optimistisch.

    Ich kann es nur von den Kindern berichten, mit denen ich in der Stadt auf dem Rad unterwegs war. Und das ist restlos eindeutig.

    Schon mit 4 haben die Kinder zuverlässig an Ausfahrten genau geguckt, ob jemand kommt. Und dass man am Bordstein anhält und gründlich guckt, wussten sie da auch schon längst. Sie waren aber noch nicht in der Lage, ihren Vorrang vor Abbiegern zu erkennen. Dann standen sie da halt ein paar Sekunden zu lange, bis der winkende Autofahrer aufgab und weiterfuhr. Interessiert auf dem Gehweg niemanden. Und sie kamen praktisch immer sicher an.

    Natürlich habe ich an jeder Kreuzung gezittert, ob sie wirklich anhalten. Aber es klappte jedes Mal.

    Auf der Fahrbahn hingegen erlebe ich Überforderung. Sie haben beispielsweise noch kein zuverlässiges Verständnis für die Gefahr, die beim Wechsel der Fahrlinie von links von hinten kommt. Ist einfach nicht zuverlässig im Kopf. Trotz Theorie und Fahrradprüfung.

    Und das totale Desaster ist die Querung von großen Kreuzungen auf der Fahrbahn. Beispielsweise die Querung von "Unter den Linden" von Süden aus der Friedrichstraße kommend. Das war einfach nur totale Überforderung mit den verschiedenen Eindrücken und Verkehrsflüssen (Rechtsabbieger, Linksabbieger, Fußgänger, Querverkehr). Und kurz vor Ende habe ich das Kind gestoppt, bevor es in den gerade mehrspurig anfahrenden Querverkehr fuhr.

    Über den Gehweg wäre das völlig simpel gewesen: Fußgängerampel grün, gucken, dass die Abbieger anhalten, und rüber.

    Also ja: Ein Gehweg ist für Kinder in dem Alter in der Innenstadt von Berlin um Größenordnungen sicherer.

    Das Kind fährt übrigens mit dem Fahrrad zur Schule. Aber auf die Fahrbahn einer großen Straße lasse ich es erstmal nicht. Da müssen erst mehrere Fahrten unter Aufsicht fehlerfrei funktionieren.

  • Wenn man Gehwegradeln unter Aufsicht mit selbständig Fahrbahnradeln ohne Aufsicht vergleicht.

    Das will ich so pauschal nicht gelten lassen. Die von Epaminaidos angesprochene Überforderung von Kindern trifft auch auf viele ältere Menschen zu. Insbesondere dann, wenn sie nie einen Führerschein gemacht haben, keine Autofahrerpraxis haben und mit dem Fahrradfahren nicht kontinuierlich aufgewachsen sind. Das trifft aus verschiedenen Gründen auf viele Menschen zu, sodass sich die Frage stellt, ob ich eine Fahrrad-Kultur entwickeln will, die grundsätzlich für erwachsene Fahrradfahrer*innen möglichst immer die Fahrbahn als Fahrstrecke vorsieht oder ob ich eine Fahrrad-Kultur entwickeln will, die Fahrradfahrer*innen davon abhalten soll, im Mischverkehr mitzufahren.

    Die vorhandene Radverkehrsinfrastruktur ist in Hannover, aber auch in vielen anderen Städten, faktisch so beschaffen, dass es zahlreiche Fahrradwege gibt, von denen allerdings viele nicht benutzungspflichtig ausgeschildert sind. Ich halte es für wichtig, dass an den stärker vom Autoverkehr belasteten Straßen diese Angebots-Radverkehrsinfrastruktur zur Verfügung steht.

    Trotzdem sollte es stets möglich sein, ordnungsgemäß als Alternative mit dem Fahrrad anstatt auf dem Radweg auf der Fahrbahn zu fahren.

    Es ist auch eine Frage, wie optimistisch man die Chance sieht, mehr Menschen für das Fahrradfahren zu begeistern. Insbesondere solche Menschen, die dem Fahrradfahren bisher eher zurückhaltend gegenüberstanden und als Kinder und Jugendliche nicht übergangslos in ein Erwachsenen-Fahrradfahrer*innen-Leben gestartet sind oder sogar nur ganz selten als Kinder oder Jugendliche das Fahrrad benutzten. Sage ich mir: Es lohnt sich nicht, diese Menschen für das Fahrradfahren zu begeistern oder ist es trotz der eher schlechten Ausgangslage lohnenswert, diese Menschen für das Fahrradfahren zu begeistern, die ihre "Fahrradfahrerkarriere" irgendwann schleifen ließen oder nie richtig "an den Start gegangen" sind.

  • Es ist auch eine Frage, wie optimistisch man die Chance sieht, mehr Menschen für das Fahrradfahren zu begeistern. Insbesondere solche Menschen, die dem Fahrradfahren bisher eher zurückhaltend gegenüberstanden und als Kinder und Jugendliche nicht übergangslos in ein Erwachsenen-Fahrradfahrer*innen-Leben gestartet sind oder sogar nur ganz selten als Kinder oder Jugendliche das Fahrrad benutzten.

    Niemand lebt, denkt und handelt im luftleeren Raum. Die gefühlte Gefahr wird nicht auf der Straße, sondern am medialen Stammtisch gemacht. Und da bewirkt das unermüdliche Lamentieren über die angeblichen Gefahren auf der Fahrbahn ebenso wie das Mantra „ohne Radwege traut sich keiner/build it and they will come“ gleichzeitig eine selbstverstärkende Entmächtigung der Interessenten einerseits wie auch eine selbstverstärkende Ermächtigung für KFZ-Führer für abschreckende Aggressionen und Revierverteidigungsgehabe gegenüber Radfahrern anderseits.

  • Omi hats drauf.

    Eines ist sicher: Das Verhalten der Autofahrer ändert sich bei Anwesenheit von Kindern auf der Fahrbahn massiv. Bei nachhaltiger Begegnung mit ihnen auch nachhaltig. Das Verhalten der Radwegerzogenen hingegen ändert sich nicht.

    Um Strohmännern vorzubeugen, es geht hier nicht um Kinder auf vierspurigen Durchgangsstraßen, und auch nicht um die, die ihr Rad technisch noch nicht beherrschen.

    Das Ergebnis der Hannoveranischen Radlerghettos bekomme ich jedes mal mit Besuch von dort eine Stunde lang zu hören. Radwege jeder Art gehören bei Kerkerstrafe verboten, Wasser-Brot-Diät, Schlüssel wegschmeißen.

    Übrigens wüßte ich keinen Grund, warum das in anderen Ländern anders sein sollte, das mit den Kindern, das war ja womöglich die Frage, Wegelchen verziehen wunderbar und universell.

  • Omi hats drauf.

    Eines ist sicher: Das Verhalten der Autofahrer ändert sich bei Anwesenheit von Kindern auf der Fahrbahn massiv. Bei nachhaltiger Begegnung mit ihnen auch nachhaltig. Das Verhalten der Radwegerzogenen hingegen ändert sich nicht.

    Völlig unabhängig von der Frage, ob deine These zutrifft ist es nach meiner Erfahrung nicht vermittelbar, dass Eltern ihre Kinder möglichst frühzeitig und konsequent an das Fahrbahn-Fahrradfahren gewöhnen und sie dafür trainieren sollen.

    Es wäre schade, wenn deine These zutrifft, dass Autofahrer deutlich vorsichtiger fahren, wenn sie stets mit Kindern rechnen müssen. Und das daran scheitert, dass die Kinder nicht da sind. Und zum Beispiel das überwiegend vorsichtige Verhalten vieler Autofahrer*innen an Zebrastreifen lässt ein bisschen hoffen, dass ein Autofahren mit mehr Rücksicht auf nicht motorisierte Verkehrsteilnehmer*innen möglich ist.

    Unabhängig davon, ist es nach meinen Erfahrungen nicht möglich Eltern dafür zu gewinnen, dass Fahrbahnradeln bei den Kindern/mit den Kindern möglichst früh zu beginnen oder gar die Abwesenheit von Fahrradwegen gutzuheißen.

    Bestenfalls erzielt man mit dem Vorschlag einen schwachen Erfolg in der Form, dass Eltern sagen:

    Ja wenn alle Eltern es so machen würden, dass sie ihre Kinder möglichst frühzeitig und möglichst überall daran gewöhnen, die Fahrbahn zu benutzen, dann würde das vielleicht weitgehend unfallfrei funktionieren oder die Unfallgefahr insgesamt verringern. Die meisten Eltern machen es aber anders und ich will nicht der einzige oder einer der wenigen sein, die an dieser Stelle Pionierarbeit leisten.

    Ziemlich eklige Reaktionen erhältst du vom "politischen Gegner": "Ihr wollt doch nur die Kinder auf die Straße schicken, damit der Autoverkehr ausgebremst wird." Kann man natürlich versuchen abgleiten zu lassen, aber es ist je nach Zusammensetzung einer Gesprächsrunde ein mitunter höchst wirksames, böses Gift, das mit solchen Sprüchen ins Spiel gebracht wird.

  • Hier in Jena hat es diverse Straßen, an denen absolut untermaßigste Gehwegelchen hingesetzt wurden.

    und ja, dort fahren Eltern mit kleinen Kindern auf der Fahrbahn herum. Wo auch sonst? Denn in dieser 100.000-EW-Stadt gibt's nicht nur schmale Gehwege - nein, auch diverse Straßen ganz ohne Gehwege. Auch dort klappt das Radfahren mit Kindern. Oder das zu Fuß gehen.

    Was übrigens zu beobachten ist: das von Th(oma)s beschriebene Stammtisch-gelaber von gefährlich. lässt sich immer wieder im Mängelmelder nachlesen. hier unfassbar gefährlich, dort nur eine Frage der Zeit bis ein Unfall passiert.

    Aber klar sagen muss man auch: es gehen nicht alle vom Gas, wenn ein Kind unterwegs ist. Und wie so oft: diese wenigen Vollpfosten / Ignoranten sind es, die die Wahrnehmung im Straßenverkehr mitprägen. fährste 80km in der Stadt, alles geil, bis so ein Typ kommt und dir den Außenspiegel an den Ellenbogen kloppt. Was bleibt hängen, was wird kommuniziert: eng überholt worden, war scheiße. Nehm ich mich übrigens gar nicht aus...

  • auch diverse Straßen ganz ohne Gehwege. Auch dort klappt das Radfahren mit Kindern. Oder das zu Fuß gehen.

    Ein Fußweg und die damit einhergehende Verpflichtung für Fußgängerinnen, ihn zu benutzen, ist immer auch dem Wunsch der Autofahrer*innen geschuldet, freie Bahn zu haben. Das ist bei Fußwegen ähnlich wie bei Radwegen. Trotzdem halte ich es nicht für richtig, auf Fußwege und Fahrradwege ganz zu verzichten.

  • Hab ich vielleicht schon mal erwähnt:

    Hätte man jemals irgendeine Lösung dafür gefunden, auf Extrastraßen mit dem Fahrrad genauso ans Ziel fahren zu können wie mit dem KfZ auf den Fahrbahnen, und wäre diese Lösung immer konsequent mitgebaut worden, gäbs die Diskussion Fahrbahn/Extrastraße nicht.

    Dort, wo man auf solchen Extrastraßen flott und bequem ans Ziel fahren kann, und dabei auf der Vorfahrtsstraße tatsächlich Vorfahrt hat, stört sich vermutlich niemand an der Existenz solcher Straßen (außer die, die sie nicht benutzen dürfen :))

    Solange es solche Extrastraßen nicht gibt, ist in der Realität die Fahrbahn immer noch das, was einem flotten, bequemen Vorankommen mit tatsächlicher Vorfahrt auf Vorfahrtsstraßen so einer "Extrastraße" am nächsten kommt. Vom albernen Gehoppel auf Hochboardwegen bei jeder Straßeneinmündung mal ganz abgesehen.

    Wenn man das wirklich ernst nimmt, dass die Leute mit dem Fahrrad so fahren wollen, wie sie mit dem Auto fahren, dann baut man ihnen entweder solche utopischen Extrastraßen, oder man lässt sie auf der Fahrbahn fahren. Die "Erzeugung von Begeisterung fürs Fahrradfahren" kann man dann ganz getrost stecken lassen. Also fangt mal an zu bauen, in 300 Jahren sieht man sich...