Woche 50 vom 12. bis zum 18. Dezember 2022

  • Muss man dabei gewesen sein, sonst glaubt einem das keiner. ^^

    Glaub ich Dir aufs Wort, ist hier genau das gleiche.

    Und es gibt sie auch, die Radler, die dieses fordern. StVB und Radwegbeauftragte haben es also nicht nur auf der einen Seite mit renitenten Fahrbahnradl-Befürworter zu tun, sondern auch mit jammernden Gehwegradlern. Live erlebt bei der Beteiligung zu dem, was unter Radwegkonzept gestartet ist und es am Schluss zum Titel Verkehrsentwicklungsplan-FFB geschafft hat.
    Die jammernden Gehwegradler haben einige Pluspunkte, wodurch sie sich sicher deutlich besser Gehör verschaffen, mal abgesehen von der Tatsache, das Ihr Wollen deckungsgleich ist mit dem, was eine ordentliche StVB in Bayern auch wollen soll.

  • Die flächendeckende Anordnung von T30 scheitert daran, dass §45 Begründungen im Einzelfall verlangt. Da kann sich eine Kommune nicht hinstellen und sagen: "Bei uns ist alles gefährlich!".

    Es gibt aus meiner Sicht aber noch eine andere Möglichkeit, die vermutlich noch keine Gemeinde so richtig probiert hat. Hinweise dazu gibt es u.a. in diesem Urteil - auch aus dem Westen von München :):

    Interessant wird das ab Randnr. 26. Das Problem ist ja bei solchen verkehrsrechtlichen Anordnungen, dass die untere Straßenverkehrsbehörde nur stellvertretend für das Bundesland tätig wird, an welches man jeweils die Umsetzung der StVO delegiert hat - der so genannte "übertragene Wirkungskreis". Hier haben die höheren Behörden den vollen Durchgriff nach unten: Anweisungen "von oben" an die Gemeinde, auf Basis der StVO das oder jenes zu machen (oder zu unterlassen), muss diese umsetzen. Eine Klagerecht vor dem VG gibt es her nicht, denn die Kommune ist ja nicht in ihren eigenen Rechten verletzt.

    Ergo: die Gemeinde muss irgendwas machen, um die Sache aus dem übertragenen Wirkungskreis in den eigenen zu bekommen, dann hat kann ihr aufgrund der kommunalen Selbstverwaltung niemand so direkt reinfunken, zumindest kann sie aber dann verwaltungsgerichtlich das Ganze mal prüfen lassen. Wie das geht, steht im oben zitierten Urteil - ein "Verkehrskonzept" muss her:

    Zitat von Randnr. 28

    Dementsprechend kann die Klagebefugnis einer Gemeinde insbesondere dann nicht verneint werden, wenn sie geltend machen kann, sie sei durch eine fachaufsichtliche Maßnahme in ihrem Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über eine angemessene Berücksichtigung und Unterstützung ihrer örtlichen Verkehrsplanung gemäß § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 5 Alt. 2 StVO beeinträchtigt (BVerwG, U. v. 14.12.1994, a. a. O.; BayVGH, B. v. 7.4.2000, a. a. O.). Indem diese Bestimmung zu notwendigen Anordnungen für eine geordnete städtebauliche Entwicklung ermächtigt, ermöglicht sie nämlich auch eine Förderung gemeindlicher Verkehrskonzepte und dient damit nicht nur staatlichen Interessen, sondern zugleich den zum Selbstverwaltungsbereich gehörenden Planungs- und Entwicklungsbelangen der Gemeinde (BVerwG, U. v. 20.4.1994; BayVGH, B. v. 7.4.2000; VG München, U. v. 26.8.2003 - jeweils a. a. O.). In diesem Rahmen kann der geschützte Selbstverwaltungsbereich der Gemeinde insbesondere beeinträchtigt sein, wenn die Gemeinde durch Weisungen der Fachaufsichtsbehörde an der Umsetzung von Geschwindigkeitsbeschränkungen bzw. an deren Aufrechterhaltung gehindert wird, sofern die betreffenden verkehrsrechtlichen Anordnungen der Gemeinde - zumindest auch - einer geordneten städtebaulichen Entwicklung dienen und sie unterstützen (BVerwG, U. v. 14.12.1994, a. a. O.). Dies setzt wiederum voraus, dass die Gemeinde über ein bestimmten Mindestanforderungen genügendes städtebauliches Verkehrskonzept verfügt, d. h. ein kommunales Verkehrskonzept vorweisen kann, das hinreichend konkret die verkehrsmäßigen Planungen in einem bestimmten räumlichen Bereich darstellt, das von den für die Willensbildung der Gemeinde zuständigen Organen beschlossen worden ist, das Erfordernissen einer planerischen Abwägung genügt und insbesondere Darlegungen enthält, welche bestimmten Straßenzüge entlastet und welche neuen Straßenzüge in für die dortigen Anwohner zumutbarer Weise belastet werden sollen und können (BVerwG, U. v. 20.4.1994; VG Regensburg, U. v. 5.7.2000; VG München, U. v. 26.8.2003 - jeweils a. a. O.).

    Das mag jetzt sicher nicht immer und überall gelingen (eine durch den Ort führende Bundesstraße mit überregionaler Bedeutung wird man wohl nicht so ohne weiteres in ein solch kommunales Verkehrskonzept mit aufnehmen können mit dem Ziel, da durchgehend T30 anzuordnen), aber es kommt sicher auf den Einzelfall an. Erfordert von der Kommune halt Erfahrung im Verwaltungsrecht, und da schaut's meiner Erfahrung nach zumindest in Bayern leider ziemlich mies aus.

  • Dann ist also die Flüssigkeit des Verkehrs gar kein durch §45 (9) geschütztes Rechtsgut.

    Doch. Die Gefahr für die Leichtigkeit des Verkehrs muss aber so erheblich sein, dass sie über das übliche hinausgeht. Wenn man zB eine kurvige Landstraße mit sehr viel Verkehr für Traktoren und Mofas sperren will, ist durchaus anzunehmen, dass auch bei geringer Anzahl bereits erhebliche Stockungen auftreten, weil ein überholen idR nicht möglich ist. In dem Fall ist das Rechtsgut qualifiziert beeinträchtigt. Wenn es eine schnurgrade Straße mit wenig Verkehr ist, ist ein Überholen in aller Regel möglich und daher keine nennenswerten Beeinträchtigungen zu erwarten - die qualifizierte Gefahrenlage besteht nicht.

    Zitat

    Meistens wird die "besondere Gefahrenlage" aus der Tatsache konstruiert, dass auf der Fahrbahn auch Autos fahren. In der Rechtsprechung wird anerkannt, dass eine besonders hohe Verkehrsbelastung eine besondere Gefahr darstellen kann. Jedenfalls habe ich schon einige Urteile gesehen, wo auf das Diagramm der ERA mit den vier Belastungsbereichen verwiesen und ab Belastungsbereich III die Voraussetzung des §45 (9) als erfüllt angesehen wird.

    Die ERA 2010 ist quasi der technische Stand der Verkehrsforschung, und wird daher vom Gericht herangezogen, auch wenn sie keine Rechtsquelle ist. Das wird u.a. auch bei DIN-Normen – die ebenfalls keine Gesetze sind – gemacht, wenn es um zB Produkte geht. Die Gerichte sind entsprechend auch nicht vollständig an diese gebunden. Bei Belastungsbereich IV geht man davon aus, dass geboten ist, den Rad- und Kfzverkehr zu trennen – die Behörde muss da nicht mehr viel mehr begründen. Bei Belastungsbereich III kommt die Benutzungspflicht grundsätzlich in Betracht, meistens dürfte damit auch die qualifizierte Gefahrenlage zu bejahen sein. Die Behörde kann dann Ermessen ausüben, ob und wie eingeschritten wird. Natürlich kann sie hierbei auch ohne weiteres mit sachlichen Erwägungen drauf kommen, dass Tempo 30 die zweckmäßigere Lösung des Problems ist; denkbare Ansätze wären: Trennung des schnellen und langsamen Radverkehrs, bessere Überquerbarkeit der Straße für Fußgänger, Schutz auch der Kfz-Fahrer bei Unfällen, flüssigerer Verkehr (ja, dazu gibts Untersuchungen) usw.

    Das Problem für den klagenden Radfahrer ist eher, dass die gerichtliche Überprüfbarkeit einer Ermessensentscheidung nach § 114 VwGO auf die Grenzen des Ermessens beschränkt ist. Wenn zB sowohl Tempo 30, Tempo 40, eine Benutzungspflicht oder eine Kombi aus Busspur+Radfahrer frei und Gehweg+Radfahrer frei in Frage kommen, kann unter Umständen alles davon einzeln rechtssicher angeordnet werden, die Behörde hat aber mit der entsprechenden Begründung das letzte Wort1). Man bräuchte halt einen Bürgermeister, der kein Dieseldieter ist, sondern im Zweifel auch mal eine Klage von einem echauffierten Autofahrer riskiert.

    Zitat

    Auf die Frage, ob die Benutzung des Radweges tatsächlich geeignet ist, das Risiko zu senken, wird leider zu selten eingegangen.

    Geeignet, das Risiko zu senken ist sie eigentlich immer, weil ein Radfahrer auf dem Radweg nicht auf der Fahrbahn vor dem Auto in Schlaglöcher stürzen kann oder bei Spurwechseln verunfallen kann. Die Frage die sich dann stellt, ist die Verhältnismäßigkeit, bei der die einzelnen Rechtsgüter noch einmal gegeneinander abgewogen werden.

    Beispiel: Ein Zweirichtungsradweg auf einer stark befahrenen Straße kann die o.g. Risiken senken. Wenn dieser Längsrillen vom Pflaster hat und so eng ist, dass Kollisionsgefahr im Begegnungsfall besteht, wird die Maßnahme vermutlich trotz der Gefahrenlage auf der Fahrbahn unverhältnismäßig und damit rechtswidrig sein, weil das Unfallrisiko auf dem Radweg als höher einzuschätzen ist oder die Leichtigkeit des Verkehrs dann eben doch vor der körperlichen Unversehrtheit der Radfahrer zurücktreten muss. Aus dem selben Grund winken Gerichte auf hoppelige Radwege, die keine größere Unfallgefahr verursachen, aber nur langsam befahren werden können durch, wenn die Verkehrsbelastung entsprechend hoch ist.

    zu 1): Spannend wäre es aber mal, dort eine Verpflichtungsklage anzustrengen, wo eine erhebliche qualifizierte Gefahrenlage besteht (also die Frage, ob einzuschreiten ist, mehr oder minder nur mit "ja" beantwortet werden kann), die Behörde aber nicht einschreiten will, weil sie meint, dass keine qualifizierte Gefahrenlage besteht, weil man dann den Autofahrern ihr Fahrvergnügen abschneiden müsste.

  • Doch. Die Gefahr für die Leichtigkeit des Verkehrs muss aber so erheblich sein, dass sie über das übliche hinausgeht.

    Aber in welchem vorstehendem Absatz in §45 wird denn die Leichtigkeit des Verkehrs genannt? Da steht doch "Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter". Also müsste die Leichtigkeit des Verkehrs in §45 irgendwo zwischen (1) und (9) genannt sein.

    Ganz oben steht in §45 "Sicherheit und Ordnung des Verkehrs", wie Hane bereits geschrieben hat. Aber Leichtigkeit ist doch nicht gleich Ordnung? :/

    Geeignet, das Risiko zu senken ist sie eigentlich immer, weil ein Radfahrer auf dem Radweg nicht auf der Fahrbahn vor dem Auto in Schlaglöcher stürzen kann oder bei Spurwechseln verunfallen kann. Die Frage die sich dann stellt, ist die Verhältnismäßigkeit, bei der die einzelnen Rechtsgüter noch einmal gegeneinander abgewogen werden.

    Ja, da habe ich mich undeutlich ausgedrückt: Ich meinte, dass eine Maßnahme nicht geeignet ist, wenn dadurch lediglich das eine Risiko durch ein anderes, noch größeres ersetzt wird, oder wenn stattdessen andere gefährdet werden (z.B. Fußgänger durch Radfahrer auf einem gemeinsamen Geh- und "Radweg").

    Für die Verträglichkeit der gemeinsamen Führung des Fuß- und Radverkehrs findet man übrigens in den RASt-06 Hinweise im Abschnitt 6.1.6.4

    Als R1-Regelwerk sollten die RASt sogar noch einen höheren Stellenwert haben als die ERA (R2).

  • zu 1): Spannend wäre es aber mal, dort eine Verpflichtungsklage anzustrengen, wo eine erhebliche qualifizierte Gefahrenlage besteht (also die Frage, ob einzuschreiten ist, mehr oder minder nur mit "ja" beantwortet werden kann), die Behörde aber nicht einschreiten will, weil sie meint, dass keine qualifizierte Gefahrenlage besteht, weil man dann den Autofahrern ihr Fahrvergnügen abschneiden müsste.

    Also zum Beispiel diese Stelle hier. Allerdings müsste einem vonseiten der Landeshauptstadt München angedachtem T30 auch die Regierung von Oberbayern zustimmen, denn das ist eine Bundesstraße. Mir ist aber nicht bekannt, dass die Landeshauptstadt da überhaupt drüber nachdenkt, insofern ist das alles natürlich rein hypothetisch.

  • Ja, da habe ich mich undeutlich ausgedrückt: Ich meinte, dass eine Maßnahme nicht geeignet ist, wenn dadurch lediglich das eine Risiko durch ein anderes, noch größeres ersetzt wird, oder wenn stattdessen andere gefährdet werden (z.B. Fußgänger durch Radfahrer auf einem gemeinsamen Geh- und "Radweg").

    Wenn eine Behörde Ermessen ausübt, kommt es ja darauf an, dass die anzuordnende Maßnahme geeignet und angemessen und erforderlich ist.

  • Yeti: Zur Ordnung des Verkehrs gehört auch dazu, dass er (im Rahmen des Möglichen) fließt. In den meisten Fällen gehört das ohnehin zusammen, bei der kurvigen, vielbefahrenen Landstraße entsteht zusätzlich durch etwaige Überholmanöver auch ein Problem der Verkehrssicherheit.

    Geeignetheit besteht, wenn die Handlung irgendwie dem gewünschten Ziel zuträglich ist; die Hürde ist in der Regel diejenige, die man am leichtesten wuppen kann. Stell dir dazu als Kategorie "Gefahrenlage auf der Fahrbahn" vor. Die ist dann jedenfalls irgendwie vermindert. Und selbst bei einem superbreiten, neu asphaltierten 3m-Radweg kann es passieren, von einem abbiegenden Fahrzeug verräumt zu werden. Wenn man darauf abstellen würde, wäre fast keine denkbare Maßnahme geeignet, weil sich immer irgendwo eine neue Gefahr auftut (Geschwindigkeitsbegrenzung -> Auffahrunfall, Busstreifen -> querende Fußgänger bei schnellerem Bus, Ampel -> "Übersehen", Freigabe eines Gehwegs -> Kollisionsgefahr mit Fußgängern, weniger mit Autos etc). Es geht darum, die Gefahren für Rechtsgüter und die einzelnen Folgen gegeneinander abzuwägen, was aber in der Verhältnismäßigkeitsprüfung stattfindet, nicht bei der Geeignetheit.

  • Geeignetheit besteht, wenn die Handlung irgendwie dem gewünschten Ziel zuträglich ist;

    Um das Ziel "mehr Sicherheit für Radfahrer" zu erreichen sind Radwege allerdings nach dem Stand der Unfallforschung ungeeignet. Noch Kein Unfallforscher konnte in der Vergleichsuntersuchung zeigen, das ein Radfahrer auf einem fahrbahnbegleitenden Radweg ein geringeres Unfallrisiko hat als auf der Fahrbahn. Sondern die Ergebnisse haben ein deutlich höheres Unfallrisiko in Kreuzungsbereichen gezeigt.

  • Noch Kein Unfallforscher konnte in der Vergleichsuntersuchung zeigen, das ein Radfahrer auf einem fahrbahnbegleitenden Radweg ein geringeres Unfallrisiko hat als auf der Fahrbahn. Sondern die Ergebnisse haben ein deutlich höheres Unfallrisiko in Kreuzungsbereichen gezeigt.

    Die vom Fahrrad ausgehende "Gefahrenlage" besteht allein im Risiko, dass der "richtige" (also KFZ-)Verkehr langsamer als gewollt fahren müssen könnte. Das Herbeikonstruieren einer Unfallgefahr ist lediglich der Überbau, der den zugrunde liegenden Egoismus gesellschaftlich akzeptabel verschleiern soll. Infolgedessen ist jede rationale Analyse dieser rein fiktiven (Unfall-)Gefahrenlage müßig.

  • zu 1): Spannend wäre es aber mal, dort eine Verpflichtungsklage anzustrengen, wo eine erhebliche qualifizierte Gefahrenlage besteht (also die Frage, ob einzuschreiten ist, mehr oder minder nur mit "ja" beantwortet werden kann), die Behörde aber nicht einschreiten will, weil sie meint, dass keine qualifizierte Gefahrenlage besteht, weil man dann den Autofahrern ihr Fahrvergnügen abschneiden müsste.

    Was würde denn deiner Meinung nach in Emmering, Roggensteinerstr, rauskommen, wenn man jetzt eine Verpflichtungsklage zu T30 nachschiebt? Die erhebliche qualifizierte Gefahrenlage für Richtung Westen fahrende Radfahrer existiert ja zweifellos (haben wir schwarz auf weiß).

    Ich meine, außer dass der Bgm. Flörecke einen Herzkaspar bekommen würde :)

  • mkossmann: Das Argument "Aber die Abbiegeunfälle" zieht insbesondere dort nicht, wo es nicht zum Abbiegen gibt, zB auf Verbindungsstraßen, bei denen nur Feld an beiden Rändern ist oder Kuppen. Umgekehrt kann man aus aus einem gewissen Verhältnis aus "Unfällen an Radwegen" zu "Radunfällen auf der Fahrbahn" keine Ungeeignetheit konstruieren, weil Radwege vor allem dort sind, wo bereits viel Verkehr ist und man dort Radfahrer frühzeitig von der Fahrbahn entsorgen wollte (München zB). Viele Abbiegeunfälle stehen zudem mit der Uneinsichtigkeit des Kreuzungsbereichs im Zusammenhang; in der "Radlhauptstadt" München wird solchen Verfehlungen leider fast nie durch Halteverbote entgegengewirkt und da, wo es welche gibt, werden diese nicht durchgesetzt.

    Außerdem muss auch die Unfallschwere gewichtet werden. Es gibt es auch Vergrämungseffekte (ich denke da beispielhaft an die Straße zwischen Hochbrück und Oberschleißheim): Auf besonders stark befahrenen Straßen ohne Radinfrastruktur sind regelmäßig nur äußerst wenige Radfahrer unterwegs, weil diese dann oft Umwege suchen oder gar nicht radeln. Aus dem Fehlen von Unfällen kann man dann nicht den Umkehrschluss ziehen, dass die Straße an sich sicher sei.

    Politisch wünschenswert wäre es natürliche, Radfahrern die Wahl zu lassen, schon alleine, weil diverse Verkehrsbehörden grob unfähig sind, das geltende Recht richtig anzuwenden, sei es aus Bräsigkeit (München seit 1998), aus Vermengung mit politischen Wünschen (Gde. Brunnthal), aus Unfähigkeit des Personals (LRA Bad Tölz-WOR) oder aus komplett unerfindlichen Gründen (Stadt Burghausen). Und selbst dort wo die Anordnung passt, hakt es dann entweder mit dem Winterdienst oder sonst mit der Durchsetzung geltender Regeln (Geisterradler, "Nur-Mal-Kurz-Parker").

  • Was würde denn deiner Meinung nach in Emmering, Roggensteinerstr, rauskommen, wenn man jetzt eine Verpflichtungsklage zu T30 nachschiebt? Die erhebliche qualifizierte Gefahrenlage für Richtung Westen fahrende Radfahrer existiert ja zweifellos (haben wir schwarz auf weiß).

    Vor der Verpflichtungsklage musst du einen Antrag auf Neuverbescheidung der aktuellen Anordnung stellen. Viele Behörden lassen den einfach erstmal liegen und reagieren da nicht drauf oder schreiben vielleicht ein paar dürre Zeilen zurück, dass alles bleibt, wie es ist.

    Nach drei Monaten ist die Sache aber verfristet - und dann schiebt man eine Untätigkeitsklage nach. Das Schöne daran ist:

    1. Bei Verpflichtungsklagen halbiert sich der Streitwert.
    2. Das ist aber egal, weil wenn der Rechtsanspruch auf die Neuverbescheidung besteht, gewinnt man die Klage eigentlich immer.
    3. Man kann selbst während des laufenden Verfahrens - wenn die Behörde dann doch mal vermutlich abschlägig beschieden hat - eine Versagungsgegenklage draus machen. Und dann sollte das Gericht zumindest zur Behörde sagen: also hier nur zu sagen "wir bescheiden nix", das geht nicht, du musst den Kläger neu bescheiden und dabei hast du a/b/c/... zu beachten.

    Bei einer neuen Sach- und/oder Rechtslage besteht der Rechtsanspruch auf Neuverbescheidung eigentlich immer (siehe auch den 1. Leitsatz des Urteils, das simon erstritten hat).

  • Was würde denn deiner Meinung nach in Emmering, Roggensteinerstr, rauskommen, wenn man jetzt eine Verpflichtungsklage zu T30 nachschiebt? Die erhebliche qualifizierte Gefahrenlage für Richtung Westen fahrende Radfahrer existiert ja zweifellos (haben wir schwarz auf weiß).

    Mh, wird eher schwierig. Das Gericht hat sich in der Verhandlung nicht dazu geäußert, ob seiner Auffassung nach eine qualifizierte Gefahrenlage besteht oder die Benutzungspflicht nur deshalb rechtswidrig ist, weil der Radweg baulicher Murks ist. Selbst dann wird es aber kein gebundenes Ermessen, überhaupt einzuschreiten, geben. Das ganze ist im Grenzbereich zwischen ERA Belastungsklasse II (Trennung nicht unbedingt nötig) und III (Trennung möglich), so dass die Behörde voraussichtlich hinreichend argumentieren kann, dass eine optionale Führung wie jetzt ausreichend ist.

  • Doch. Die Gefahr für die Leichtigkeit des Verkehrs muss aber so erheblich sein, dass sie über das übliche hinausgeht. Wenn man zB eine kurvige Landstraße mit sehr viel Verkehr für Traktoren und Mofas sperren will, ist durchaus anzunehmen, dass auch bei geringer Anzahl bereits erhebliche Stockungen auftreten, weil ein überholen idR nicht möglich ist.

    Nein, die Leichtigkeit kommt in § 45 StVO einfach nicht vor. Für das von Dir genannte Problem gibt es § 5 (6).

    Die ERA 2010 ist quasi der technische Stand der Verkehrsforschung

    Nein, die ERA beruht nicht auf Forschung. Gerade das Belastungsdiagramm ist aus der Hüfte geschossen, wie mir ein Mitautor persönlich gesagt hat.

    Geeignet, das Risiko zu senken ist sie [die Benutzung des Radweges] eigentlich immer, weil ...

    Nein, die Fakten sagen das Gegenteil. Keiner hat eine Ahnung, wie man Radwege unter halbwegs realistischen Rahmenbedingungen bauen müsste, damit sie Sicherheit generieren können.

    Und da man Benutzungspflichten praktisch nur mit dem Sicherheitsgewinn begründen kann, ist jede, also wirklich jede, rechtswidrig, weil widerlegt ist, dass sie ein geeignetes Mittel ist.

  • Nein, die Fakten sagen das Gegenteil. Keiner hat eine Ahnung, wie man Radwege unter halbwegs realistischen Rahmenbedingungen bauen müsste, damit sie Sicherheit generieren können.

    Ich glaube, was simon meint ist, dass Radwege bestimmte Risiken verhindern könnten: Z.B. das "Risiko", von hinten auf freier Strecke überfahren zu werden, oder auch das Risiko von Unfällen beim Überholen langsamerer Radfahrer, Dooring auf der Fahrerseite. Auch wenn solche Unfälle natürlich verboten sind und gar nicht passieren könnten, wenn sich alle an die Verkehrsregeln halten (Sichtfahrgebot, nicht in unklaren Situationen überholen, Sorgfalt beim Öffnen der Türen, ...).

    An die Stelle der eliminierten Risiken treten auf dem Radweg dann andere: Das Risko, an jeder Kreuzung und Einmündung "übersehen" zu werden, das Risiko auf einem oftmals desolaten Belag zu stürzen oder mit Hindernissen zu kollidieren, mehr Konflikte mit Fußgängern und/oder Hunden, Dooring auf der Beifahrerseite, etc.

    Daher kann es nicht um absolute Sicherheit gehen, sondern nur um eine höhere Sicherheit. Also um eine Abwägung, ob die größeren Unfallrisiken auf der Fahrbahn oder auf dem "Radweg" bestehen. Schaut man sich die Unfallstatistik an, wird sehr deutlich, welche Risiken allgemein überwiegen.

    Dass in der Realität meistens ganz andere Erwägungen eine Rolle spielen, ist unbestritten. Das Argument der höheren gefühlten Sicherheit auf "Radwegen" gilt freilich auch nur für unsichere Radfahrer und nicht für unsichere Fußgänger, die den Gehweg lieber für sich alleine hätten.

  • Daher kann es nicht um absolute Sicherheit gehen, sondern nur um eine höhere Sicherheit. Also um eine Abwägung, ob die größeren Unfallrisiken auf der Fahrbahn oder auf dem "Radweg" bestehen. Schaut man sich die Unfallstatistik an, wird sehr deutlich, welche Risiken allgemein überwiegen.

    Die rationale Ermessensausübung müsste bereits bei der Frage beendet sein, ob Zweiräder mit Muskelantrieb überhaupt signifikant anders gefährdet werden, als vergleichbare Fahrzeuge mit Motorantrieb.

  • Nein, die Fakten sagen das Gegenteil. Keiner hat eine Ahnung, wie man Radwege unter halbwegs realistischen Rahmenbedingungen bauen müsste, damit sie Sicherheit generieren können.

    Und da man Benutzungspflichten praktisch nur mit dem Sicherheitsgewinn begründen kann, ist jede, also wirklich jede, rechtswidrig, weil widerlegt ist, dass sie ein geeignetes Mittel ist.

    Das gilt allerdings auch für Fußwege.

    Keiner hat eine Ahnung, wie man Fußwege unter halbwegs realistischen Rahmenbedingungen bauen müsste, damit sie Sicherheit generieren können.

    Ein besonders krasses Beispiel ist das hier aus Stuttgart.

    Ginge es nach der Intention der Verkehrsbehörde, die hier Betonwände zum Einpferchen der Verkehrsteilnehmer*innen auf dem Fußweg angeordnet hat, dann müssten die Betonwände vermutlich so hoch sein, wie es die Berliner Mauer einmal war.

    Wenn die Mauern dann noch so stabil gebaut wären, dass sie auch einen 40-Tonner auf Irrfahrt stoppen könnten, dann wäre Sicherheit gegeben. Aber wer wollte in einem rund 1,50 bis 2,00 m breiten Gang zwischen einer meterhohen Mauer auf der einen und 4 bis 5 Geschossen hohen Häusern auf der anderen Seite noch lang gehen?

    Für eine konsequente Reduktion der Unfallgefahren verbunden mit deutlich mehr Bewegungsfreiheit für nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer*innen braucht es eine echte Verkehrswende! Und da spielt dann das Auto nur noch für ganz wenige Anwendungsfälle eine Rolle. Und keinesfalls die Rolle als Verkehrsmittel für jedermann. Eine private Nutzung zum Beispiel ist dann nicht mehr möglich.

  • Nein, die Leichtigkeit kommt in § 45 StVO einfach nicht vor. Für das von Dir genannte Problem gibt es § 5 (6).

    Wenn man deiner Logik nach geht, wären fast alle Verkehrszeichen rechtswidrig, weil sie allenfalls Unfälle verhüten können, die ohnehin nicht entstehen würden, wenn sich alle an die geltenden Verkehrsregeln halten. Niemand braucht ein Stopp-Schild, wenn die Fahrzeugführer einfach die Vorfahrtsregeln beachten. Es braucht auch keiner eine T30-Begrenzung vor einem Altenheim, kreuzende Fußgänger müssten ohnehin warten. Oder Einbahnstraßen in Tempo-30-Zonen (da geht dann nämlich wirklich nur noch um die Leichtigkeit des Verkehrs), weil irgendwo ja doch ein Platz vor einer Einfahrt frei wäre bei Gegenverkehr. In der Praxis funktioniert das halt nicht. Das Verkehrsrecht sieht auch anders als Polizeirecht nicht vor, dass die Maßnahmen beim "Störer" ergriffen werden.

    Zitat

    Und da man Benutzungspflichten praktisch nur mit dem Sicherheitsgewinn begründen kann, ist jede, also wirklich jede, rechtswidrig, weil widerlegt ist [...]

    Wenn die Eignung so kategorisch ausgeschlossen ist, wie du behauptest, ist das Verkehrszeichen an sich nicht nur rechts- sondern verfassungswidrig. Da ich deine Auffassung dazu nicht teile, mir aber die zahlreichen rechtswidrigen Benutzungspflichten missfallen und du (anders als zB das Bundesverwaltungsgericht) von dieser Rechtsauffassung sehr überzeugt bist, biete ich dir 500€, wenn du VZ 237/239 oder 240 durch das Verfassungsgericht gekippt bekommst.

  • Ginge es nach der Intention der Verkehrsbehörde, die hier Betonwände zum Einpferchen der Verkehrsteilnehmer*innen auf dem Fußweg angeordnet hat, dann müssten die Betonwände vermutlich so hoch sein, wie es die Berliner Mauer einmal war.

    Die Betonwände sind aber doch keine Verkehrszeichen; sie unterliegen daher nicht den Beschränkungen des §45 Abs. 9 StVO. Sie dürften deshalb nicht von der Straßen*verkehrs*behörde erwirkt worden sein, sondern auf die Tätigkeit der Straßen*bau*behörde zurückgehen. Das ist die Instanz, die zB auch weit vor jeder Blauschildanordnung und grundsätzlich unabhängig davon entscheidet, ob überhaupt irgendwo ein Radweg gebaut wird, und falls ja, welche der in Frage kommenden Varianten für die Radverkehrsführung dann gewählt wird.

  • Wenn die Eignung so kategorisch ausgeschlossen ist, wie du behauptest, ist das Verkehrszeichen an sich nicht nur rechts- sondern verfassungswidrig.

    Die Radwegbeschilderung hat ja eine Doppelfunktion

    1. Sie verbietet anderen Verkehrsteilnehmern diesen Weg zu benutzen

    2. Wenn eine Fahrbahn neben dem Radweg verläuft, verbietet sie es Radfahrern , diese Fahrbahn zu benutzen.

    Die erste Funktion ist rechtmäßig , die zweite Funktion aber sehr zweifelhaft.

    Denn laut Unfallforschung ist ist mit einer Wahrscheinlichkeit > 50% damit zu rechnen , das das Unfallrisiko auf dem Radweg höher ist als auf der begleitenden Fahrbahn. Ein Benutzungspflicht für einen Radweg mit höherem Unfallrisiko aber ist nicht vereinbar mit Art. 2 GG und rechtswidrig.

    Das Rechtstaatsprinzip aus Art 20 GG verbietet des dem Staat aber rechtswidrige Anordnungen zu treffen. Deswegen ist der Staat meines Erachtens verpflichtet, vor der Anordnung einer Benutzungspflicht mit einer wissenschaftlich fundierten Methode nachzuweisen, das dieser Radweg das Unfallrisiko für Radfahrer nicht erhöht. Das "Belastungsdiagramm" das heute als Begründung benutzt wird, ist nicht wissenschaftlich fundiert.