Änderung der VwV-StVO, Radverkehrsrelevante Teile

  • Die Rechtsprechung gehört auf die Psychiatercouch.

    Warum?

    Wenn ein Autofahrer für Radfahrer bremsen muss, dann haben die Radfahrer im behindert. Da gibt es nicht viel zu diskutieren.

    Und der Verordnungsgeber hat nunmal entschieden, dass man nicht nebeneinander fahren darf, wenn man dadurch jemanden behindert.

    Er hätte auch schreiben können "wesentlich behindert" oder ähnliches. Hat er aber nicht. Also muss sich die Rechtsprechung daran halten.

    Kein Grund, auf die Richter zu schimpfen.

  • Natürlich ist es eine. Was auch sonst?

    Aber halt keine, die mit einem Bußgeld belegt ist.

    Hast du dafür Quellen (Urteile, Kommentare etc.)? Das würde den Begriff der Behinderung ja völlig entwerten, wenn absolut regelkonformes Verhalten als Behinderung gewertet werden würde. In Folge würden auch Ampeln, Verkehrszeichen, Steigungen etc. jeden andauernd behindern und es wäre gar nicht mehr klar, wann jemand wirklich behindert. Auch Radfahrer würden in diesem Fall zu 100% der Zeit alle schnelleren Fahrer hinter ihnen behindern, allein weil sie deren Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen für einen Überholvorgang oder alternativ oder kombiniert eine Bremsung. Somit dürften Radfahrer faktisch niemals nebeneinander fahren, was die Vorschrift der StVO obsolet machen würde. Auch die Begründung des Änderungsantrags würde dem vollständig widersprechen.

  • Das würde den Begriff der Behinderung ja völlig entwerten, wenn absolut regelkonformes Verhalten als Behinderung gewertet werden würde.

    Ich verstehe das Problem damit nicht.

    Nur weil etwas eine Behinderung ist, ist es ja nicht automatisch rechtwidrig oder sonstwie verwerflich. Das hängt immer von der Situation ab.

    Ampeln, Verkehrszeichen u.ä. sind natürlich behindernd im juristischen Sinne. Aber sind sie deswegen rechtswidrig?

    Natürlich nicht.

    Auch im Supermarkt behindern mich die Kunden, die vor mir an der Kasse stehen. Ohne dass sie etwas falsch machen.

    es wäre gar nicht mehr klar, wann jemand wirklich behindert.

    Was ist denn für Dich "wann jemand wirklich behindert"?

    Auch die Begründung des Änderungsantrags würde dem vollständig widersprechen.

    Auf welchen Teil beziehst Du Dich?

  • Wenn man Behinderung soweit auslegt ist auch jedes im öffentlichen Raum außerhalb von Parkplätzen geparkte Auto eine Behinderung. Und zwar eine stärkere Behinderung wie ein Radfahrer. Denn da muß gegebenenfalls auf 0 km/h abgebremst werden, während der Autofahrer bei einem Radfahrer noch mit Radfahrergeschwindigkeit weiterkommt.

  • Eine gar furchtbare "Behinderung" für KfZs ist regelmäßig eine abgefräßte Teerdecke mit einer "Huckelhöhe" von einigen Zentimetern. Selbst die dicksten Stadtgeländewagen bremsen dort auf *Schrittgeschwindigkeit* ab. Und die STV-Behörden überschlagen sich, um die "Unannehmlichkeiten/Behinderungen" des MIV so schnell wie möglich zu beseitigen.

    Und auf unseren "Radwegen"? Scheiß drauf! Kümmert seit Jahrzehnten kein Schwein. Exekutive und Judikative bilden einen Kriminellenverbund, dessen Zweck es ist, den Status Quo des ungehinderten MIV aufrechtzuerhalten. Andernfalls würden sie längst argumentieren, dass das, was KfZs auf der Fahrbahn an Behinderung unzumutbar ist, Radfahrenden auf den zwangsweise zu benutzenden Seitenwegen selbstverständlich erst recht unzumutbar ist.

    Exekutive und Judikative bilden eine kriminelle Vereinigung, die in gegenseitiger Wechselwirkung die Missachtung der STVO zuungunsten der Radfahrenden ermöglicht.

  • Und auf unseren "Radwegen"? Scheiß drauf! Kümmert seit Jahrzehnten kein Schwein. Exekutive und Judikative bilden einen Kriminellenverbund, dessen Zweck es ist, den Status Quo des ungehinderten MIV aufrechtzuerhalten. Andernfalls würden sie längst argumentieren, dass das, was KfZs auf der Fahrbahn an Behinderung unzumutbar ist, Radfahrenden auf den zwangsweise zu benutzenden Seitenwegen selbstverständlich erst recht unzumutbar ist.

    Wenn deine Vermutung zuträfe, dann wären es allerdings recht schlicht gestrickte Ganoven. Geschickte Kriminelle würden nämlich, 1A-Radwege zur Verfügung stellen, die in einem Top-Zustand sind. Den würden dann widerstandslos ohne Murren sehr viel mehr Radfahrer*innen benutzen als es derzeit der Fall ist. Und der Gedanke, dass der Radverkehr auf die Fahrbahn gehört, wäre so was von tot.

    Ich befürchte es ist einfacher und komplizierter zugleich:

    Autolobby groß und einig und stark, vor allem finanzstark.

    Fahrradlobby klein und zerstritten und arm.

    Ist doch klar, dass bei dieser Konstellation die Autolobby deutlich mehr rausholt.

    Aber es ist möglich, die macht der Autolobby zu brechen, indem immer wieder auf die fehlende Nachhaltigkeit, die immense Umweltverschmutzung und Flächenversiegelung, die hohe Unfallgefahr und die vielen, vielen anderen Nachteile des Autoverkehr hingewiesen wird, so dass ein gesellschaftlicher Konsens heranwächst, mit entschiedenen Restriktionen gegen den Moloch Autoverkehr vorzugehen.

    Das Ziel wären nicht mehr und bessere Radwege, sondern eine Übernahme der vorhandenen Verkehrsinfrastruktur durch den Fußverkehr, den Radverkehr und den ÖPNV! "Autolösungen" nur noch für wenige ausgewählte Bereiche mit dem Ziel, auch diese durch nachhaltige Mobilität zu optimieren.

  • Hast du dafür Quellen (Urteile, Kommentare etc.)? Das würde den Begriff der Behinderung ja völlig entwerten, wenn absolut regelkonformes Verhalten als Behinderung gewertet werden würde.

    Eine Bekannte erzählte mir davon, dass sie mit ihrem PKW einen Landstraßenabschnitt mit dem vorgegebenen Tempolimit 70 km/h befahren hat. Dann wurde sie von einem Polizeiwagen überholt und gestoppt und aufgefordert schneller zu fahren, weil sie den Verkehr behindere, wenn sie so langsam fährt.

  • Ihre Bekannte hat den Polizeibeamten daraufhin hoffentlich gesagt, dass sie selbstverständlich nicht schneller als 70 km/h weiterfahren wird, wenn das die zul. Höchstgeschwindigkeit ist.

  • Ihre Bekannte hat den Polizeibeamten daraufhin hoffentlich gesagt, dass sie selbstverständlich nicht schneller als 70 km/h weiterfahren wird, wenn das die zul. Höchstgeschwindigkeit ist.

    Ich muss sie da noch mal genau nach befragen. Sie hatte auf jeden Fall zwei Mitfahrerinnen dabei, die ihr den Rücken gestärkt hatten. Und ich meine, dass es den Polizisten letztlich ein bisschen peinlich war, dass die Polizei das Tempolimit übersehen hatte.

  • Wenn man Behinderung soweit auslegt ist auch jedes im öffentlichen Raum außerhalb von Parkplätzen geparkte Auto eine Behinderung

    So ist es praktisch immer, sobald jemand in der Nähe ist.

    Hier gibt es einen großen Unterschied zwischen Ordnungskräften und der tatsächlichen richterlichen Auslegung.

    Ist ja bei Umsetzungen nicht anders. Nach Rechtsprechung des BGH kann fast jeder Falschparker umgesetzt werden. Aber die Ordnungshüter legen die Hürde viel höher.

  • Das Problem tritt auf, wenn du den Bußgeldkatalog anschaust. Z. B. Tatbestand 712001 "Sie hielten/parkten an einer engen/unübersichtlichen Straßenstelle", da gibt es dann 35 EUR fürs Parken, 55 EUR fürs Parken mit Behinderung. Nach deiner Argumentation müssten dabei stets 55 EUR aufgerufen werden, weil an engen Stellen im Prinzip jeder Fahrzeugführer (letzten Endes der Streifenwagen, der gerufen wurde, selbst wenn allen anderen die Fahrt verboten wäre) behindert werden würde. Wieso gibt es dann den normalen Tatbestand? Es muss also einen Unterschied zwischen einer Behinderung und keiner Behinderung geben - bei deiner Argumentation gäbe es aber nur kostenpflichtige und nicht-kostenpflichtige Behinderung. Aus meinem Laienverständnis heraus würde ich jetzt mutmaßen, dass "mit Behinderung" dann in Frage kommt, wenn tatsächlich so geparkt wurde, dass behindert wurde, z. B. weil das Fahrzeug so breit war, dass man nicht mehr vorbeikam, oder nur mit langer Wartezeit, während "ohne Behinderung" z. B. ein schmales Fahrzeug wäre, bei dem man zwar kurz abbremsen, aber dann problemlos auf dem gleichen Fahrstreifen vorbeikommen kann.

    Anderes Beispiel, Tatbestand 103000 "Sie fuhren ohne triftigen Grund so langsam, dass der Verkehrsfluss behindert wurde." - hier würde nach meiner Ansicht (und einem Urteil, das ich mal gelesen hatte, aber nicht zur Hand habe) eine eindeutige Behinderung notwendig sein, also nicht nur ein wenig langsamer als maximal erlaubte Geschwindigkeit (in dem Urteil war das glaube ich 40 km/h bei 100 km/h und freier Strecke, aber ohne Überholmöglichkeit). Bei deiner Argumentation dürfte selbst Personen, die die Maximalgeschwindigkeit voll ausreizen, ein Bußgeld von 20 EUR auferlegt werden, weil sie jemanden, der unerlaubterweise noch schneller fahren wollte, behindern würden. Die Polizei könnte also im Prinzip jederzeit jeden Fahrzeugführer um 20 Euro erleichtern (bzw. zumindest die, die den Rechtsweg nicht beschreiten) - einfach so, überall. Das würde wohl kaum der Intention des Paragraphen entsprechen und wird auch nicht gemacht.

    Schließlich muss bei allen Tatbeständen mit Behinderung noch jeweils im Einzelfall eine Begründung für die Behinderung angegeben werden - wenn jegliches Verhalten bzw. jede Interaktion zwischen zwei Fahrzeugführern im Straßenverkehr eine Behinderung darstellen würde, dann müsste das doch gar nicht begründet werden, oder es wäre eine rein subjektive Ansicht und nicht mehr objektiv nachprüfbar (was dann wiederum unmöglich macht, sich an die Gesetze zu halten, weil es von der persönlichen Empfindung Dritter abhängen würde, ob man eine Ordnungswidrigkeit begeht oder nicht).

  • Z. B. Tatbestand 712001 "Sie hielten/parkten an einer engen/unübersichtlichen Straßenstelle"

    Das fällt es mir schwer, eine Variante ohne Behinderung zu finden.

    Nur das Hintertürchen, dass die Polizisten immer eine konkrete Behinderung beobachten müssen (und sie selbst zählen nicht).

    Ohne diese Variante wird es schwer, diesen Tatbestand (und viele andere auch) ohne Behinderung zu verwirklichen.

    Ich störe mich aber auch nicht groß daran. Dann liegt der Schwerpunkt der Strafen halt beim höheren Betrag. Den niedrigeren Satz gibt es dann eben nur noch, wenn tatsächlich keine Behinderung festgestellt wurde.

    Dass Dein Beispiel beim Fahren der zHG Quatsch ist, weißt Du wohl selber. Die zHG gilt wohl locker als triftiger Grund, nicht schneller zu fahren.

    Warum die Gerichte eine Art Sicherheitsabstand nach unten einkalkulieren, weiß ich nicht. Vermutlich weil sie wissen, dass wir alles Menschen und keine Tempomaten sind.

    Ich finde die Beurteilung der Behinderung bei der niedrigen Schwelle eigentlich sogar viel einfacher, nicht subjektiver. Aktuell. Muss man bei einem Falschparker in zweiter Reihe lange diskutieren, ob der "genug" im Weg steht.

    Das entfällt komplett: wenn der irgendwem im Weg steht, ist es eine Behinderung. Fertig. Mir fallen bei weiter Auslegung des Begriffs viel weniger Fälle ein, in denen das Vorliegen einer Behinderung in den subjektiven Graubereich fällt.

  • Aus einer Pressemitteilung des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) von heute, 25.6.2021:

    Der Bundesrat entscheidet, dass die Vision Zero in Artikel 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) aufgenommen wird. Damit wird die Vision Zero die Grundlage für alle verkehrlichen Maßnahmen und Zielbestimmung für das Verwaltungshandeln.

    Zudem regt der Bundesrat weiteren Reformbedarf in der VwV-StVO und in der StVO an, um den Schutz für schwächere Verkehrsteilnehmende zu erhöhen.

    Die nötigen Drucksachen und den Text des Bundesratsbeschlusses findet man hier (TOP 101).

  • Da steht aber einiges Interessantes drin, was den Radverkehr angeht, sowohl am Anfang, wie auch ganz am Schluß:

    Zitat

    Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf: a) die jeweils einzuhaltenden Überholabstände zu Verkehrsteilnehmenden darzustellen, die die in der VwV zu § 2 Absatz 4 StVO genannten Rad-verkehrsanlagen befahren; b) in diesem Zusammenhang auch Festlegungen zu treffen, wann ein Überho-len vorliegt.Begründung: Es bestehen mittlerweile eine Vielzahl von möglichen Radverkehrsanlagen, die den Radfahrenden einen eigenen Verkehrsraum zuweisen und deren Verkehrs-sicherheit erhöhen. Hinsichtlich der einzuhaltenden Überholabstände, bezogen auf diese Radverkehrsanlagen, besteht keine ausreichende Rechtssicherheit. Dies kann sich auch auf die Sanktionierbarkeit entsprechender Verstöße aus-wirken. In diesem Zusammenhang erscheint es sachgerecht zudem klarstellende Aus-führungen zu tätigen, in welcher Konstellation es sich um ein Überholen im Sinne des § 5 Absatz 4 StVO handelt.

    Immerhin scheint es bei der erleichterten Anordnung nur um Schmutzstreifen und Radfahrstreifen zu gehen, nicht um Radwege.

  • Ich habe das Gefühl, diese Leute reden auch dann von "Freigabe für den Radverkehr", wenn sie eigentlich die Anordnung eines Fahrbahnverbots meinen. Für mich heißt "Freigabe" immer das Schild "Radfahrer frei", alles andere ist keine Freigabe, sondern eine Einschränkung. Wie soll man sich mit denen verständigen, wenn man unterschiedliche Sprachen spricht?

  • Ich habe das Gefühl, diese Leute reden auch dann von "Freigabe für den Radverkehr", wenn sie eigentlich die Anordnung eines Fahrbahnverbots meinen.

    Die Autoren der Rechtsnormen gehen halt davon aus, dass Radfahrer von sich aus Radwege benutzen wollen (andererseits: warum halten sie dann gleichzeitig so eisern an der Benutzungspflicht fest? Wahrscheinlich auch genau deshalb: sie wissen, dass die Aufhebung sowieso nichts ändert, außer Streit mit ein paar seltsamen Sonderlingen unter den Radfahrern zu provozieren :evil: ).

    Jedenfalls geistert der Begriff „Freigabe“ schon seit Jahrzehnten im Verkehrsrecht herum. Bis zur Radweg-Novelle der StVO von 1997 stand der Begriff sogar in §2 Abs. 4 drin („Linke Radwege dürfen sie nur benutzen, wenn die Gegenrichtung mit Z. 237 freigegeben ist.“), und es war in der Rechtsprechung und unter den StVO-Kommentatoren AFAIRC durchaus strittig, ob dies als Benutzungspflicht, oder nur als Benutzungsrecht aufgefasst werden müsse. Das wurde dann mit der Novelle zu einer eindeutig formulierten Pflicht konkretisiert.