Frage zu "protected Intersections" / "geschützten Kreuzungen"

  • Wenn es zutrifft, dass das Autofahrerverhalten in den Niederlanden beim Abbiegen ein anderes ist als in Deutschland, nämlich so, dass in den Niederlanden die Autofahrer gewohnheitsmäßig während des Abbiegens ein zweites Mal schauen und ggf. halten, weil dort stets damit zu rechnen ist, dass vorrangberechtigte Radfahrer auf einem Radweg die eigene Weiterfahrt unterbrechen...

    Und wenn es zutrifft, dass in den Niederlanden aufgrund des beschriebenen Autofahrerverhaltens deutlich weniger Unfälle stattfinden ...

    Wenn diese beiden Annahmen also zutreffen, dann reicht es nicht aus in Deutschland Kreuzungen im "holländischen Design" zu bauen, sondern es muss nicht nur das Kreuzungsdesign, sondern auch das entsprechende Autofahrerverhalten importiert werden.

    Das ist sicher keine einfach zu lösende Aufgabe. Andererseits sind die Sitten bei vielen Autofahrern in Deutschland inzwischen so verroht, dass sie beim Abbiegen wie selbstverständlich erwarten, dass der Fußgänger-Geradeausverkehr auf sein Vorrang-Recht verzichtet. Und Radfahrer werden ohnehin vielfach einfach nur als Störfaktor wahrgenommen.

    In dem NDR-Radiobeitrag wird leider so getan, als sei es nicht möglich, Kreuzungen im "holländischen Design" zu gestalten, weil dann angeblich der Abbiegeassistent seine Arbeit nicht verrichten könne. Das mag ja auch auf die bisher entwickelten Abbiege-Assistenten zutreffen.

    Aber erstens sind die bislang noch längst nicht an jedem schweren LKW verbaut und noch laufen Fristen in denen ohne Abbiegeassistent gefahren werden darf. Und für große Transportfahrzeuge, die aber noch nicht zum Schwerlastverkehr zählen, gibt es keine Abbiegeassistent-Pflicht und ist so weit ich sehe auch keine Pflicht geplant. Und für PKW ohnehin nicht.

    Und zweitens ist es vielleicht schwer, den Abbiege-Assistenten, den es jetzt gibt, umzuprogrammieren, zumindest wird das so in dem NDR-Beitrag dargestellt.

    Aber es wird in dem Beitrag nichts dazu gesagt, ob eine neue Generation von Abbiegeassistenten diese "Kinderkrankheiten" überwinden kann.

    Hier noch mal der Link zum NDR-Beitrag:

    https://www.ardaudiothek.de/synapsen-ein-w…eheuer/80703088

    Die Berichterstattung zum holländischen Kreuzungsdesign ist bei Minute 20 bis 35!

  • Kreuzungen im Darm-Design gibt es auch schon lange in Hamburg, hier z.B. direkt bei S-Stellingen:

    Großer Spaß beim Geradeausfahren von hinten im Bild zu der Aufnahmeposition, insbesondere bei Rechtsabbiegern auf der Fahrbahn.

  • Wenn es zutrifft, dass das Autofahrerverhalten in den Niederlanden beim Abbiegen ein anderes ist als in Deutschland, nämlich so, dass in den Niederlanden die Autofahrer gewohnheitsmäßig während des Abbiegens ein zweites Mal schauen und ggf. halten, weil dort stets damit zu rechnen ist, dass vorrangberechtigte Radfahrer auf einem Radweg die eigene Weiterfahrt unterbrechen...

    Wir wissen leider nicht, ob sich der NL-Autofahrer anders als sein deutscher Kollege verhält. Der wichtigste Grund dafür ist, dass die NL gar keine systematische Unfallstatistik führen wie wir sie aus DE kennen, in der Unfälle mit Verletzten oder Toten im Hinblick auf Hergang (Unfallart, Unfalltyp) und Schuldverteilung genau erfasst werden. Beim Radweg-Rechtsabbieger-Unfall kommt zweitens noch erschwerend hinzu, dass auch in DE Unfälle mit PKW-Beteiligung nur in Einzelfällen tödlich enden, so dass der Versuch eines Verhaltensvergleichs zwischen den PKW-Fahrern (vulgo "Autofahrern") beider Nationen über die Analyse der tödlichen Rechtsabbiegerunfälle mit LKW gleich doppelt scheitern muss.

    Was wir einigermaßen abschätzen können ist, dass es in NL pro gefahrenem Rad-km nur etwa die Hälfte an LKW-Abbieger-Todesopfern gibt wie in DE. Das mag aber durchaus auch daran liegen, dass die NL die LKW erfolgreicher von den notorischen Rechtsabbieger-Konfliktstellen (nämlich den Ampelkreuzungen der Innenstädte) fernhalten, indem sie großzügig in Autobahnen und LKW-Zentren am Stadtrand investieren. Es kann ebenso daran liegen, dass in NL die LKW-Piloten selbst auch eher mal Erfahrungen als Radfahrer haben. Das wäre dann aber jedenfalls weder ein Verdienst der Kreuzungsgestaltung, noch würde es als Nachweis für irgendwas mit erfolgreicher "Verkehrswende" durch Radwegebau taugen.

  • Kreuzungen im Darm-Design gibt es auch schon lange in Hamburg, hier z.B. direkt bei S-Stellingen:

    Großer Spaß beim Geradeausfahren von hinten im Bild zu der Aufnahmeposition, insbesondere bei Rechtsabbiegern auf der Fahrbahn.

    Ganz besonders ätzend auch für Fußgängerinnen und Fußgänger im Geradeausverkehr.

    Besonders widerlich: Das Geländer. In Hannover gibt es auch noch Stellen mit solchen Geländern. An anderen Stellen wurden aber auch schon welche abgebaut.

    Das Geländer gibt dem Autofahrer, der nach rechts abbiegt, das falsche Signal: Hier hast du freie Fahrt, keiner kann dir einfach so vors Auto laufen oder fahren.

    Hier ein Beispiel aus Hannover in der Kurve der Straße Am Lindener Berg:

    https://www.google.com/maps/@52.36405…!7i13312!8i6656

  • "Fahrversuche, die die Unfallforschung der Versicherer durchgeführt hat, zeigten jedoch, dass ein direkter Sichtkontakt bei einer 5 bis 6m abgesetzten Furt nicht hergestellt werden konnte. Zudem funktionierten die inzwischen in vielen Neufahrzeugen vorhandenen, als Nachrüstlösungen vom Bund geförderten und ab 2022 europaweit vorgeschriebenen Abbiegeassistenten bei diesem Kreuzungsdesign nicht mehr zuverlässig." Das steht in der Quelle, die Epaminaidos zur Diskussion beigetragen hat:

    Habe jetzt auch das Original gefunden:

    https://m.udv.de/node/56599

    Es werden beide Probleme festgestellt: schlechte Sichtbeziehung und nicht funktionierende Abbiegeassistenten.

    Auch an der Hamburger Kreuzung mit dem lange um die Ecke gezogenen Geländer dürfte der Abbiegeassistent vermutlich keine Chance haben, richtig zu funktionieren.

    Werden diese Kreuzungen jetzt alle umgebaut, damit der Abbiegeassistent seine Arbeit tun kann?

    Ein Umbau in eine Kreuzung im "holländischen Design" hätte zumindest den Vorteil gegenüber den Jetzt-Zustand, dass die Kurvenradien für die Abbieger deutlich enger wären.

    Oder wäre es besser, auf das "holländische Design" zu verzichten, und stattdessen die Radwege möglichst scharf am Straßenrand entlang zu führen. Dann hätte der Abbiegeassistent vermutlich die besten Chancen, den Radfahrer zu erkennen.

    Darf man dein Foto benutzen, zud_ritt, um mögliche Gestaltungsalternativen einzuzeichnen und hier zu veröffentlichen?

    Ist das diese Stelle in Hamburg, die dein Foto zeigt zud_ritt?

    https://www.google.com/maps/@53.59096…!7i13312!8i6656

  • Oder wäre es besser, auf das "holländische Design" zu verzichten, und stattdessen die Radwege möglichst scharf am Straßenrand entlang zu führen. Dann hätte der Abbiegeassistent vermutlich die besten Chancen, den Radfahrer zu erkennen.

    1. Ja, es wäre besser.

    2. Zunächst mal lässt einen der rechte Außenspiegel einen solchen Radweg (auch: Fahrradstreifen) auf 100+ Meter überblicken. Im Gegensatz zum halb abgebogenen Auto beim "Darmstädter Design".

  • Ein Umbau in eine Kreuzung im "holländischen Design" hätte zumindest den Vorteil gegenüber den Jetzt-Zustand, dass die Kurvenradien für die Abbieger deutlich enger wären.

    Das ist doch Quatsch.

    Mal ein Foto von der erstbesten Kreuzung in meiner Nachbarschaft neben dem "Referenzdesign" von Darmstadt fährt Rad.

    Wo ist denn da der engere Radius? Ich sehe ich nicht.

    Wohl aber sehe ich rechts Radfahrer, die mit einer scharfen Verschwenkung beschäftigt sind, während sie zum Selbstschutz eigentlich auf LKWs achten müssten.

  • Ich sehe bei dem Darmstädter Modell noch eine andere Gefahr: die "Sprunginsel" am oberen Bildrand. Die zwingt nämlich Fahrer eines Sattelschleppers oder Lkw mit Hänger, weit auszuholen, wenn sie da durchkommen wollen, ohne diese weiße Fläche an der Radfahrer-Schikane zu überfahren. Die werden also in die Geradeausspur rein müssen.

    Und hat nicht der ADFC als Argument vorgebracht, weites Ausholen sei schädlich? (Allerdings hat er das ausschließlich beim linken Design unterstellt, so kann's gehen ...)

  • Hier gibt es noch eine Stellungnahme von "Darmstadt fährt Rad" zu der Untersuchung der UDV.

    Sehr aufschlussreich finde ich das Bild unten.

    Es wird ja immer behauptet, dass die Sichtbeziehung so viel besser ist und der LKW-Fahrer die Radfahrer durch das Seitenfenster sieht. Und wie ist es im Bild?

    Kreuzungen Konfliktphasen

    Überhaupt nichts sieht der LKW-Fahrer durch das Seitenfenster! Der durch das Seitenfenster sichtbare Radfahrer bei "B" ist für das Abbiegen kaum noch relevant. Der ist normalerweise vorbei, bevor der LKW an der Furt ist. Aber die Radfahrer 2, 3 und 4 sind wichtig! Nummer 2 ist aber überhaupt nicht zu sehen, 3 und 4 nur im sehr kleinen Weitwinkelspiegel. Und wenn der LKW noch ein kleines Stückchen weiter ist, sind auch Radfahrer 3 und 4 in dem tatsächlich nicht einsehbaren Bereich.

    Und das verkaufen die als besonders sicher!

    Wollen die den Leser verarschen?

  • Positionen 4,3,2 von Fahrrad + LKW sind jeweils kongruent zu betrachten.

    LKW Pos. 4 = Fahrrad Pos 4

    im rechten Bild ist ersichtlich, dass sich das Fahrrad zu keinem Zeitpunkt im direkten Blickfeld des LKW-Führers befindet.

    im linken Bild befindet es sich zumindest zeitweise im Blickfeld.

    Ich denke, hier ist das selbe Problem-Prinzip wie mit vorgezogenen Aufstellflächen:

    Für die Teilmenge X aus Z ist das super. In einer bestimmten Phase des Ablaufs ist es gut. Im rest: nicht.

    Aber der veröffentliche Schluss ist nicht: "teilweise besser", sondern "löst alle Probleme".

    Das sehe ich kritisch.

  • Ich glaube auch, dass es so gemeint ist, wie DMHH schreibt, aber es geht nunmal am Problem vorbei: Gefährdet ist im linken Bild vor allem der Radfahrer, der sich an Pos. 2 befindet, während der LKW schon dort ist, wo er eingezeichnet ist.

    Ein weiterer Unterschied wird verschwiegen: Bei rechten Bild sind Radfahrer an den Positionen 2, 3 und 4 im Hauptspiegel zu sehen, wenn der LKW sich dort befindet, wo er eingezeichnet ist. Direkt neben dem Führerhaus ist man tatsächlich kaum zu sehen, wenn man noch nicht im direkten Sichtfeld durch die Beifahrerscheibe zu erkennen ist und schon außerhalb des Bereichs des Rampenspiegels. Wenn der LKW wirklich mit Schrittgeschwindigkeit abbiegt, kommt der Radfahrer aber noch vorher durch, der sich zu diesem Zeitpunkt direkt daneben befindet und alle, die weiter hinten sind, können im Hauptspiegel gesehen werden.

    Im linken Bild sind die Radfahrer an diesen Positionen aufgrund der weiteren Absetzung des Radweges vermutlich nur im Weitwinkelspiegel und somit deutlich kleiner erkennbar. Also in dem Spiegel, den die Polizei gerne mal zuklebt, wenn sie Schulklassen den Toten Winkel erklären will.

    Am sichersten wäre es natürlich, wenn sich die Radfahrer zu jeder Zeit vor oder hinter dem LKW auf der Fahrbahn befinden würden und niemals rechts daneben. Aber auf der Fahrbahn haben Radfahrer ja Angst und deshalb darf man das nicht sagen. Da verschlimmbessern wir lieber die Symptome.

  • Positionen 4,3,2 von Fahrrad + LKW sind jeweils kongruent zu betrachten.

    LKW Pos. 4 = Fahrrad Pos 4

    Mag ja sein, dass der Ersteller der Grafik das so gemeint hat.

    In der Praxis muss der abgebildete LKW aber in der Lage sein, alle vier Radfahrer zu sehen. Aufgrund der Dauer des Abbiegens (Schrittgeschwindigkeit) müsste er eigentlich auch noch die Radfahrer 5, 6 und 7 sehen, die hinter Radfahrer 4 kommen. Nur dann kann er einen Vorfahrtsverstoß vermeiden.

    Auf dem rechten Bild sieht er die alle. Auf dem linken nicht (insbesondere, wenn das Führerhaus noch ein klein wenig weiter gedreht ist).

  • was mir bei nochmaliger Draufsicht auffällt:

    der bauliche Kurvenradius ist in der linken und rechten Zeichnung identisch.

    der grün dargestellte Abbiegeradius des LKW ist in der linken Zeichnung deutlich(!) geringer als in der rechten Zeichnung.

    fährt der LKW links im gleichen Abbiegeradius wie in der rechte LKW ums Eck, ist der gelb dargestellte "direkte Sichtbereich" viel viel kleiner.

    Schlussfolgerung: es wird links der Idealfahrer dargestellt.

    - Abstand halten von innerem Bordstein

    - Abstand halten von der Querungsfurt*

    - stehen bleiben, bis auch wirklich wirklich kein Radfahrer kommt und dann langsam abbiegen

    Nehme ich den Idealfahrer für die rechte Zeichnung her, ist die auch sicher.

    Wobei sich die Frage stellt, warum ich beim Idealfahrer noch Abbiegeassistenzen brauche.

    Ok, für die Kreuzungen, die nicht nach dem rechten Schema aufgebaut sind und LKWs tatsächlich qua Design zu einem Aufstellwinkel zum Radweg zwingen, auf dem der Tote Winkel tatsächlich vorhanden sein mag.

    * - Ergänzung: wenn der LKW ganz dicht an der Querung steht und das auch im 90°-Winkel, kann der Fahrer tatsächlich den gesamten Radverkehr durchs Fenster direkt sehen. :/ hmmmmmmmmmmmmmmmm

  • Wobei sich die Frage stellt, warum ich beim Idealfahrer noch Abbiegeassistenzen brauche.

    Gar nicht. Der ist ja nur dafür da, Unaufmerksamkeiten abzufangen. Es bleibt weiterhin der Fahrer für die Sicherheit verantwortlich. Man muss die Kreuzung halt so gestalten, dass der Fahrer alles Nötige sehen kann.

    wenn der LKW ganz dicht an der Querung steht und das auch im 90°-Winkel, kann der Fahrer tatsächlich den gesamten Radverkehr durchs Fenster direkt sehen.

    Das Argument wird von den Befürwortern gerne gebracht. Es ist aber ein sehr schmaler Grat. Wenn der LKW auch nur ein kleines Stückchen weniger gedreht ist oder die Verschwenkung ein wenig größer ist, ist die Sicht dahin.

    Auf den Bildern ist ja der letzte wirklich tote Winkel bei einem LKW eingezeichnet. Wenn die Befürworter Skizzen zeigen, ist der Radweg entweder vor oder hinter diesem toten Winkel, niemals drin. Das ist ein Spiel, bei dem es auf einzelne Grad oder cm ankommt. Diese Darstellungen muss man eigentlich als "bösartig manipulierend" betrachten.

  • Oder wäre es besser, auf das "holländische Design" zu verzichten

    Zum Thema "holländisches Design": den Stand der Forschung fasst die niederländische Verkehrsforschungsanstalt SWOV in einem Factsheet aus dem Jahr 2015 zusammen.

    Wundert es noch jemanden, dass darin nicht ein einziges Sterbenswörtchen über den Einfluss der baulichen Kreuzungsgestaltung verloren wird, und dass auch die gezeigten Führungsformen keinerlei Hinweise auf das angeblich in NL als Standard und Wundermittel empfohlene "Schutzdesign" enthalten?

    Einmal editiert, zuletzt von Chrik (22. Oktober 2020 um 14:14) aus folgendem Grund: Dateiziel entfernt