Die dreistesten Unfallursachenausreden

  • ... Ein in irgendeiner Weise schuldhaftes Verhalten konnte man bei der B.Z. nicht erkennen...

    Was erwartest Du?

    Soll die Polizei oder die Presse die Schuld eines Verkehrsteilnehmers feststellen und dies schreiben? Sollen sie schreiben: "Hiermit wird zum Seelenheil der Radfahrer festgestellt, dass der Autofahrer schuld ist."

    Ist es dann besser?

    Die Polizei hat sich gefälligst aus der Schuldfrage herauszuhalten, und die Presse darf schreiben, was immer sie will.

  • Was erwartest Du?

    Soll die Polizei oder die Presse die Schuld eines Verkehrsteilnehmers feststellen und dies schreiben? Sollen sie schreiben: "Hiermit wird zum Seelenheil der Radfahrer festgestellt, dass der Autofahrer schuld ist."

    Ist es dann besser?

    Die Polizei hat in der Regel wenige Probleme zu erwähnen, dass ein verunfallter Radfahrer ohne Licht oder ohne Helm oder nicht auf dem Radweg gefahren ist. Ich halte es nicht für allzu verwegen zu erwähnen, dass es eventuell unklar ist, ob ein Kraftfahrer sich vor dem Rückwärtsfahren hinreichend versichert hat, ob der Gehweg frei ist.

    Die Polizei hat sich gefälligst aus der Schuldfrage herauszuhalten, und die Presse darf schreiben, was immer sie will.

    Naja, klar. Aber ich darf die Formulierungen, nach denen sich mutmaßlich von Kraftfahrern verursachte Unfälle quasi aus reinem Schicksal ereignen („übersehen”, „tiefstehende Sonne”), während bei vermeintlich unfallverursachenden Radfahrern die Lage viel klarer scheint („missachten”, „achtete nicht auf den Verkehr”)), durchaus kritisieren.

  • Erstens: Die Presse darf nicht schreiben, was sie will. Sie unterliegt dem Pressekodex, und bei Lügen und verzerrenden Darstellungen setzt es auch schon mal Rügen.

    Zweitens: Die von Malte kritisierte Verzerrung ist annähernd flächendeckend und damit offenbar systematisch. Da läuft ein Vierjähriger vor ein Auto "ohne auf den Verkehr zu achten" - dass ein Vierjähriger, der auf der Straße unterwegs ist und vom Bürgersteig auf die Fahrbahn wechselt oder auf dem Bürgersteig laufend von einem in eine Einfahrt einbiegenden Auto angefahren wird, weil der Fahrer nicht aufgepasst hat, auch Verkehr ist, wird dabei grundsätzlich ausgeblendet. Ebenso typisch sind die Radfahrer, die "mit einem Auto kollidieren", "zu Fall kommen" und dabei "sich verletzen".

    Wie Malte schon schrieb: dieselbe Polizei, die keine Hemmungen hat, dem Radfahrer Fehlverhalten und damit eine (Teil-)Schuld zu unterstellen, hat offenbar riesige Hemmungen, Vergleichbares bei Autofahrern zu tun.

    Das geht übrigens so weit, dass "Schutzbehauptungen" von Autofahren 1:1 wiedergegeben werden bzw. sogar als Ermittlungsergebnis der Polizei dargestellt werden - ohne dabei zu bedenken, dass der Autofahrer sich damit eigentlich um Kopf und Kragen geredet hat. Musterbeispiel: "Der von der tiefstehenden Sonne geblendete Autofahrer konnte den Radfahrer nicht erkennen."

    a) Da steht nicht: "Der Autofahrer gab an, er sei von der tiefstehenden Sonne geblendet worden".

    b) Auf so einen Satz folgt eher "Die Polizei empfiehlt, als Radfahrer immer Helm und Warnweste zu tragen" als dass da mal stehen würde: "Die Polizei weist darauf hin, dass man nicht fahren darf, wenn man nichts sehen kann." Oder "Unter diesen Umständen hätte der Autofahrer nicht abbiegen dürfen."

  • Naja, klar. Aber ich darf die Formulierungen, nach denen sich mutmaßlich von Kraftfahrern verursachte Unfälle quasi aus reinem Schicksal ereignen („übersehen”, „tiefstehende Sonne”), während bei vermeintlich unfallverursachenden Radfahrern die Lage viel klarer scheint („missachten”, „achtete nicht auf den Verkehr”)), durchaus kritisieren.

    Meine persönliche Erklärung dafür:

    "Löwe frisst Gazelle" ist normal. Dafür braucht es keine Erklärung. "Gazelle frisst Löwe" ist unnormal und bedarf einer näheren Erläuterung, sozuhagen herrscht ein Erklärungsdruck, wie es dazu kommen konnte. Irgendwas hat diese Gazelle falsch gemacht und es muss einen Grund dafür geben.

    Dass Autos von ihren Fahrern ständig in andere Autos gelenkt werden, in Fußgänger, in Radfahrer ist eben Teil "unserer Normalität" geworden. Wo immer ein Auto unterwegs ist, ist ein Crash erwartbar. Nach einer Erklärung dafür wird deshalb gar nicht gesucht.

  • Die Polizei hat in der Regel wenige Probleme zu erwähnen, dass ein verunfallter Radfahrer ohne Licht oder ohne Helm oder nicht auf dem Radweg gefahren ist. Ich halte es nicht für allzu verwegen zu erwähnen, dass es eventuell unklar ist, ob ein Kraftfahrer sich vor dem Rückwärtsfahren hinreichend versichert hat, ob der Gehweg frei ist.

    ...

    Von dem Umstand, dass ein Radfahrer ohne Licht oder ohne Helm gefahren ist, kann der geneigte Leser nichts wissen. Deshalb wird es erwähnt.

    Dass der Kraftfahrer hingegen beim Zurücksetzen nicht sorgfältig genug war, ist offenkundig.

    Zu der Schuldfrage ist in beiden Fällen nichts ausgesagt.

    ...

    Naja, klar. Aber ich darf die Formulierungen, nach denen sich mutmaßlich von Kraftfahrern verursachte Unfälle quasi aus reinem Schicksal ereignen („übersehen”, „tiefstehende Sonne”), während bei vermeintlich unfallverursachenden Radfahrern die Lage viel klarer scheint („missachten”, „achtete nicht auf den Verkehr”)), durchaus kritisieren.

    Klar, das darfst Du.

    Es wäre aber sinnvoller, wenn man die Kritik an denjenigen richtet, den sie betrifft und dies nicht bis zum Ende seiner Tage gebetsmühlenartig in einem Forum vorträgt, wo man sich der Bestätigung sicher sein kann. Da entsteht dann doch der Eindruck, dass hier lediglich eine kleine, geschundene Seele nach etwas Zuspruch sucht, um sich dann besser zu fühlen.

  • Von dem Umstand, dass ein Radfahrer ohne Licht oder ohne Helm gefahren ist, kann der geneigte Leser nichts wissen. Deshalb wird es erwähnt.

    Dass der Kraftfahrer hingegen beim Zurücksetzen nicht sorgfältig genug war, ist offenkundig.

    Zu der Schuldfrage ist in beiden Fällen nichts ausgesagt.

    Klar, das darfst Du.

    Es wäre aber sinnvoller, wenn man die Kritik an denjenigen richtet, den sie betrifft und dies nicht bis zum Ende seiner Tage gebetsmühlenartig in einem Forum vorträgt, wo man sich der Bestätigung sicher sein kann. Da entsteht dann doch der Eindruck, dass hier lediglich eine kleine, geschundene Seele nach etwas Zuspruch sucht, um sich dann besser zu fühlen.

    Malte äußert sich durchaus auch außerhalb dieses Forums. Also bau bitte keine Pappkameraden auf.

    Ohne Licht und ohne Helm wird in der Regel erwähnt, weil es ins Konzept passt, dem Opfer eine (Teil-)Schuld zuzuschieben. Der Verursacher hingegen wird geschont.

    Es ist übrigens eine steile These, Dinge als "offenkundig" zu bezeichnen, die systematisch verschwiegen werden. Andere offenkundige Dinge werden doch auch erwähnt.

  • Das hört sich nach einer Verschwörung an?!

    Zitat

    Am gestrigen Tage wurde abermals ein Radfahrer Opfer seiner selbst.

    Ein Autofahrer fuhr in der Hans-Meyer-Straße und wollte nach rechts in die Ofenrohrstraße abbiegen. Dabei übersah er einen parallel auf dem Radweg fahrenden Radfahrer, der es eilig hatte, um noch rechtzeitig zu beginn des Fußballspiels zu Hause zu sein. Der unbehelmte Radfahrer konnte zwar noch geistesgegenwärtig bremsen, wurde dadurch jedoch vom Fahrrad geschleudert, so dass er kopfüber gegen den Kotflügel des Autos stieß, und dort eine Beule hinterließ.

    Im Zuge der ersten Hilfe wurde festgestellt, dass der Radfahrer seinen Unterkiefer im Kotflügel hinterlassen hätte. Außerdem hatte er mit seinem blutverschmierten Kopf das Auto des Unfallgegners beschmutzt, was unzulässig ist.

    Die Polizei rät allen Radfahrern, gelegentlich die Bremse zu betätigen.

    So etwa?

  • dies nicht bis zum Ende seiner Tage gebetsmühlenartig in einem Forum vorträgt

    Da fällt mir auf, Du hast noch gar nicht erwähnt: "hätte das Mädchen nicht auf seine Vorfahrt bestanden, wäre ihm auch nicht passiert"

    *zwinkersmiley*

    Das der Sprachgebrauch historisch absichtlich eingeführt wurde, ist auch offenkundig, leider ändert sich daran wenig.

    Da hier ein Forum für Radler ist, dürfte es auch nicht ganz ungewöhnlich sein, das man sich auch mal die Seele massieren lassen will.

  • Das hört sich nach einer Verschwörung an?!

    So etwa?

    Ich finde ja "ein Autofahrer.... dabei übersah er..." einen Tick zu persönlich. Ein Hinweis darauf, dass ein Auto von einem Individuum gelenkt wird, ist nicht angebracht und rückwärtsgewandt. Von Schuldzuweisungen sollten wir absehen und statt dessen nach vorne blicken.

    Um die natürliche Hierarchie auch sprachlich zu realisieren, wäre "Ein Auto wollte abbiegen.... dabei erfasste es den Radfahrer" m.E. besser geeignet. :)

  • Autofahrer sollte man ganz raushalten und dem Radfahrer entweder noch eine aktivere Rolle zuschreiben oder die Unabwendbarkeit mehr hervorheben:

    Das Auto wollte einfach nur rechts abbiegen. Dabei geriet der Radfahrer unter die Räder / fuhr der Radfahrer dem Auto in die Seite / rammte der Radfahrer den Kühlergrill / beschädigte der Radfahrer die Windschutzscheibe.

  • ... oder die Unabwendbarkeit mehr hervorheben:

    Hervorragende Idee!

    "Der Begriff "unabwendbares Ereignis" im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG a.F. meint nicht die absolute Unvermeidbarkeit des Unfalls, sondern ein Ereignis, das auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hinaus. Dabei darf sich die Prüfung nicht auf die Frage beschränken, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein "Idealfahrer" reagiert hat, vielmehr ist sie auf die weitere Frage zu erstrecken, ob ein "Idealfahrer" überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre."

    https://verkehrslexikon.de/Texte/Unabwendbar01.php

    Insofern ist tatsächlich zwangsläufig immer der Radfahrer schuld, denn wenn er ein Idealfahrer wäre, würde er natürlich nicht mit dem Fahrrad fahren. Da aber selbst der Idealfahrer für die Vermeidbarkeit eines Unfalls nicht ausreicht, der Radfahrer aber per Definition kein Idealfahrer sein kann, ist per Umkehrschluß die Verursachung eines Unfalls durch ihn unvermeidbar. Und zwar permanent und ständig.

    Fall gelöst! 8o

  • So etwa?

    Bittesehr:

    Schwachzockers SatireDie Wirklichkeit
    Am gestrigen Tage wurde abermals ein Radfahrer Opfer seiner selbst. Radfahrer stürzt und verletzt sich
    Ein Autofahrer fuhr in der Hans-Meyer-Straße und wollte nach rechts in die Ofenrohrstraße abbiegen. Dabei übersah er einen parallel auf dem Radweg fahrenden Radfahrer, Radfahrerin wird von Autofahrer übersehen – und stirbt
    der es eilig hatte, um noch rechtzeitig zu beginn des Fußballspiels zu Hause zu sein. Wer auf seine Vorfahrt besteht, der stirbt!
    Der unbehelmte Radfahrer Zu viele Radfahrer ohne Helm unterwegs
    konnte zwar noch geistesgegenwärtig bremsen, wurde dadurch jedoch vom Fahrrad geschleudert, Radfahrer erschrickt vor Auto und stürzt
    so dass er kopfüber gegen den Kotflügel des Autos stieß, und dort eine Beule hinterließ. Radler kollidiert mit Auto ... Dieser kollidierte mit der rechten Seite des abbiegenden Autos (der Artikel ist ein besonderes Schmankerl: Da kann man fast das ganze Bullshit-Bingo abhaken)
    Im Zuge der ersten Hilfe wurde festgestellt, dass der Radfahrer seinen Unterkiefer im Kotflügel hinterlassen hätte. Außerdem hatte er mit seinem blutverschmierten Kopf das Auto des Unfallgegners beschmutzt, was unzulässig ist. Dazu findet man nix - offenbar machen Autofahrer ihr Gerät eher selten kaputt, wenn sie Radfahrer überfahren
    Die Polizei rät allen Radfahrern, gelegentlich die Bremse zu betätigen.Die Polizei rät nun zu mehr Vorsicht: So sollten die Räder in einem ordnungsgemäßen Zustand sein. Radfahrer sollten freiwillig einen Helm tragen, die richtige Straßenseite oder den Radweg in die richtige Richtung nutzen, sich defensiv verhalten und ihre Räder an gefährlichen Stellen besser schieben.


    Das hört sich nach einer Verschwörung an?!

    Eher das Ergebnis einer äußerst erfolgreichen Medienkampagne, z.B. hier beschrieben:

    Vom Jaywalking zum Kampfradler


    Man braucht keine kleine geschundene Seele zu sein, um solche Berichterstattung schlecht zu finden.

    Ich empfehle auch die von Malte verlinkten Artikel ein bisschen weiter oben.

  • Von dem Umstand, dass ein Radfahrer ohne Licht oder ohne Helm gefahren ist, kann der geneigte Leser nichts wissen. Deshalb wird es erwähnt.

    Dass der Kraftfahrer hingegen beim Zurücksetzen nicht sorgfältig genug war, ist offenkundig.

    Zu der Schuldfrage ist in beiden Fällen nichts ausgesagt.

    Gut, der Punkt geht erstmal zu einem Großteil an dich. Ich bin dann aber der Meinung, dass in diesem System der Unfallmeldungen ein ganz grundsätzliches Problem steckt, denn wenn abends im Presseportal die Meldungen des Tages veröffentlicht werden, steht in den seltensten Fällen der Unfallverursacher oder der genaue Unfallhergang fest. So entstehen dann solche Phrasen wie „der Kleinwagen geriet aus ungeklärter Ursache von der Fahrbahn ab“ — man weiß zum Zeitpunkt der Veröffentlichung eben noch nicht, ob der Fahrer vom Smartphone abgelenkt oder betrunken war, ob er viel zu schnell gefahren ist oder aufgrund einer bislang unbekannten Erkrankung kurzzeitig ohnmächtig war.

    Aber es folgt in den seltensten Fällen eine Folgemeldung über einen Unfall, in der fünf Wochen später steht: Es war unangepasste Geschwindigkeit. Nichts ist uninteressanter als die Zeitung von gestern und gleiches gilt erst recht für Unfälle, die Wochen zurück liegen.

    Ich persönlich begreife diese Polizeimeldungen als einen Teil dessen, was in der Fahrschule als „lebenslanges Lernen“ bezeichnet wurde: Man lernt jeden Tag mit jeder Teilnahme am Straßenverkehr dazu. Die Meldungen von Unfällen sollten nach meinem Dafürhalten nicht nur aufzeigen, dass irgendjemand irgendjemanden angefahren hat, sondern auch dafür sensibilisieren, dass Unfälle eben nicht nur eine Randnotiz in der Lokalzeitung sind, sondern jeden von uns treffen können.

    Es gibt zum Beispiel den § 3 Abs. 1 StVO, der unter anderem besagt:

    Zitat

    Wer ein Fahrzeug führt, darf nur so schnell fahren, dass das Fahrzeug ständig beherrscht wird. Die Geschwindigkeit ist insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie den persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen. Beträgt die Sichtweite durch Nebel, Schneefall oder Regen weniger als 50 m, darf nicht schneller als 50 km/h gefahren werden, wenn nicht eine geringere Geschwindigkeit geboten ist. Es darf nur so schnell gefahren werden, dass innerhalb der übersehbaren Strecke gehalten werden kann. Auf Fahrbahnen, die so schmal sind, dass dort entgegenkommende Fahrzeuge gefährdet werden könnten, muss jedoch so langsam gefahren werden, dass mindestens innerhalb der Hälfte der übersehbaren Strecke gehalten werden kann.

    Es gibt drüben im Verkehrsportal Berechnungen, dass mit einem normalen Kraftfahrzeug auf einer Überlandstraße nachts ein Tempo von 60 bis 70 km/h das höchste der Gefühle ist, möchte ich dieser Vorschrift entsprechen. Jeder, der schon mal nachts auf einer Überlandstraße mit einem Auto gefahren ist, wird mir sicherlich zustimmen, dass das außer ein paar ganz hartgesottenen StVO-Liebhabern niemand praktiziert, sondern ganz im Gegenteil tendenziell eher deutlich schneller als 100 km/h gefahren wird.

    Kurz vor dem Abitur gab es in meinem Umfeld zwei schwere Verkehrsunfälle, im Laufe meines Studiums verunglückten außerdem insgesamt drei (?) Kommilitonen — allen Unfällen war eines gemeinsam: Sie trugen sich in den Nächten von Freitag auf Sonnabend oder von Sonnabend auf Sonntag zu und der Fahrer geriet jeweils aus ungeklärer Ursache von der Fahrbahn und landete im Feld. Glücklicherweise gab es noch eine Gemeinsamkeit: Alle haben überlebt.

    Und eigentlich war auch die Ursache ziemlich klar: Die jungen Herrschaften hatten ihre Fähigkeiten überschätzt, waren auf unbekannter Strecke zu schnell unterwegs und sahen nachts eine scharfe Kurve nicht frühzeitig genug, um noch rechtzeitig am Lenkrad drehen zu können.

    Und obwohl hinreichend bekannt ist, dass überhöhte Geschwindigkeit eine Hauptunfallursache ist, mangelt es nach meinem Dafürhalten an greifbaren Beispielen dafür. Ich kann mich tatsächlich nicht daran erinnern, dass irgendwo mal in einer Polizeimeldung stand, man möge doch bitte auf nächtlichen Überlandfahrten seine Geschwindigkeit im Sinne von § 3 Abs. 1 StVO anpassen.

    Was ich aber dauernd lese, obwohl die Schuldfrage nicht geklärt ist, sind kluge Ratschläge an nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer: Tragt eine Warnweste! Fahrt nur mit Licht! Setzt einen Helm auf! Verzichtet auf eure Vorfahrt! Steigt ab und schiebt!

    Denn selbst wenn ein verunfallter Radfahrer womöglich gar kein schuldhaftes Verhalten an den Tag gelegt hat, wird mit diesen Ratschlägen impliziert, dass er halt doch irgendwas falsch gemacht hat. Und sei es, dass er nicht rechtzeitig auf seine Vorfahrt verzichtet hat. Plus: Der Radfahrer ist immer eine Person, die aktiv etwas falsches tut. Der Kraftfahrer hingegen wird hinter der Windschutzscheibe verborgen und tritt mitunter gar nicht in Erscheinung, sein Auto handelt für ihn:

    Während Autos rote Ampeln übersehen, werden sie von Radfahrern in der Regel missachtet. Während Autos aus ungeklärter Ursache von der Fahrbahn abkommen, wechseln Radfahrer unvermittelt vom Radweg auf die Fahrbahn. Während Autos aufgrund der tiefstehenden Sonne einen Fußgänger auf die Motorhaube laden, werden Fußgänger von Radfahrern gerammt. Während Autos aufgrund von Glatteis nicht rechtzeitig zum Stehen kommen und ein anderes Auto touchieren, waren Radfahrer trotz schlechter Witterung unterwegs und krachen ineinander.

    Ich finde, das ist schon ein deutlicher Unterschied, der auch eine gewisse Schuldfrage impliziert, auch wenn sie dort nicht explizit erwähnt wird.

    Und daraus resultiert dann auch, dass ich dir hier nicht zustimme:

    Dass der Kraftfahrer hingegen beim Zurücksetzen nicht sorgfältig genug war, ist offenkundig.

    Wann immer ich mich im Verwandten- oder Bekanntenkreis unterhalte, mich an Diskussionen in gesellschaftlichen Netzwerken beteilige, als Geschädigter oder Zeuge vor Gericht aussage oder bei der Unfallaufnahme zugegen bin, es fällt mir immer wieder auf, dass in unserer Gesellschaft so gut wie gar keine Sensibilisierung dafür erfolgt, dass man mit einem Kraftfahrzeug jemanden gefährden kann. Ich erinnere mich daran, dass mal jemand aus meinem Umfeld beim Abbiegen ein Kind auf einem Fahrrad „übersehen“ und angefahren hat. Das war quasi das normalste der Welt — das Kind war ja auch ganz bestimmt ganz schön schnell unterwegs. Außerdem: Radfahrer! Erst letzte Woche beim Bäcker, da ist einer mit dem Rad falsch herum auf dem Radweg gefahren!

    Da hat keiner auf den Tisch gehauen und darauf hingewiesen, dass man nicht nur ein zwei Tonnen schweres Kraftfahrzeug, sondern auch eine gewisse Verantwortung besitzt und sich dementsprechend umsichtig beim Abbiegen lieber drei Mal aufpassen sollte. Stattdessen warf man sich gegenseitig die Anekdoten als Beruhigungstabletten ein, dass man als Kraftfahrer sowieso nichts machen könne, weil Radfahrer ja alle ohne Licht führen. Das war eine recht unangenehme Situation.

    Wenn ich dann aber in der Zeitung bei vergleichbaren Unfällen keinen Hinweis finde, dass ich als Kraftfahrer beim Abbiegen allerhöchste Sorgfalt walten lassen muss, wohl aber lese, dass Radfahrer bitte eine Warnweste tragen, mit Licht fahren und im Zweifelsfall auf die Vorfahrt verzichten sollen, dann ist das zwar in erster Linie nicht verkehrt, verfestigt aber das Bild im Kopf des Lesers, dass Radfahrer ja irgendwie schuld an solchen Unfällen wären.

    Und dementsprechend hast du auch wieder teilweise recht:

    Es wäre aber sinnvoller, wenn man die Kritik an denjenigen richtet, den sie betrifft und dies nicht bis zum Ende seiner Tage gebetsmühlenartig in einem Forum vorträgt, wo man sich der Bestätigung sicher sein kann. Da entsteht dann doch der Eindruck, dass hier lediglich eine kleine, geschundene Seele nach etwas Zuspruch sucht, um sich dann besser zu fühlen.

    Ja, ich sollte wieder häufiger Leserbriefe schreiben. Das habe ich in den vergangenen Monaten deutlich schleifen gelassen. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass es die meisten Journalisten auch gar nicht interessiert und die Polizei mit dieser Art der Kritik sowieso nichts anfangen kann. Letztere glaubt nach meiner Erfahrung, der Verkehrssicherheit einen großen Gefallen zu tun, so oft wie möglich auf Helme und Warnwesten hinzuweisen.

    Dennoch halte ich es nicht für überflüssig oder gar falsch, derartiges hier in diesem Thread aufzulisten: Irgendwo muss diese Gegenrede öffentlich gemacht werden. Es gab früher sogar ein eigenes Blog allein zu dieser Thematik, dessen Namen ich mittlerweile gar nicht mehr weiß (obwohl ich stets verdächtigt wurde, der Urheber des Blogs zu sein), jetzt steht es halt hier. Häufig genug verlinke ich in unterschiedlichen Debatten in den einschlägigen gesellschaftlichen Netzwerken in diesen Thread mit dieser Fülle an Beispielen, insofern ist es nicht so ganz sinnlos.

    Allerdings hast du recht: Bei den allzu tollen Beteiligungen mit der tiefstehenden Sonne geht es mitunter auch einfach erst einmal darum, etwas Frust loszuwerden.

  • Es passierte einfach so, als wäre es Schicksal, unabdingbar, vom Herrn persönlich angeordnet: Mädchen (6) auf Gehweg angefahren

    Immerhin wird der Vorfall noch soweit personifiziert, dass hier das Auto nicht autonom unterwegs war, sondern ein 44-Jähriger am Lenkrad saß. Ein in irgendeiner Weise schuldhaftes Verhalten konnte man bei der B.Z. nicht erkennen, denn der Fahrer wollte ja eigentlich nur wenden und hatte gar nichts böses im Sinn.

    Meines Erachtens fehlte es hier allerdings an einer ganz ordentlichen Portion „Rücksicht“ im eigentlichen Sinne des Wortes. Das junge Mädchen wird ja nicht aus heiterem Himmel mit einem Mordstempo auf dem Gehweg angerast gekommen, sondern muss schon vorher im Umfeld sichtbar gewesen sein.

    Hier fehlt in jedem Fall noch ein weiterer Hinweis, die Polizei hätte sich um diese Frage kümmern müssen bei der Unfallaufnahme und die Erkenntnisse in einer Pressemeldung weitergeben müssen: Hatte das Fahrzeug einen Rückfahrassistenten, war der mit Kammera ausgestattet und war der eingeschaltet als der Unfall passierte.

    Ein Rückfahrassistent ist schon heute in vielen Fahrzeugen verbaut. Man kann aber auch für wenige hundert Euro ein Fahrzeug mit einem Rückfahrassistenten mit Kamera nachrüsten.

    Beispiel:

    "AUTO BILD hat ein besonders preiswertes Modell in einen alten VW Bus eingebaut. Die Rückfahrkamera von Navgear kostet rund 70 Euro, sendet ihr Bild an einen speziellen Rückspiegel. Der funktioniert als Monitor und ermöglicht per Touchscreen, also durch Berühren des Spiegelglases, auch die Bedienung der zwei Kameras."

    Quelle: Auto Bild vom 23.8.2020

    Ab 2022 ist ein Rückfahrassistent mit Kamera verpflichtend beim Verkauf eines Neuwagenmodells ab 2024 bei allen neu verkauften Autos.* Leider weiß kaum ein Nur-Fußgänger-Radfahrer-ÖPNV-Nutzer über solche Assistenzsysteme Bescheid. Darüber wird hauptsächlich in Autofahrerkreisen diskutiert. Und oft werden dabei negative Beurteilungen verbreitet, weit unter Stammtisch-Niveau.

    Beispiel: Auf der Internetseite Firmenauto.de wird am 6.3.2020 vor allem über die angeblich immens hohen Zusatzkosten berichtet:

    "Ab 2022 werden etliche neue Assistenzsysteme Pflicht. Das ist gut für die Sicherheit, aber schlecht für den Fahrzeugpreis und eventuell sogar existenzgefährdend für Kleinwagen."

    https://www.firmenauto.de/assistenzsyste…s-11152859.html

    Schön wäre es ja, wenn die Vorschrift, dass ein Auto mit Rückfahrassistent ausgerüstet sein muss, tatsächlich existenzgefährdend für Autos wäre, die nicht damit ausgerüstet sind. Aber leider wird es für diese unsicheren Fahrzeuge voraussichtlich noch Jahre Bestandsschutz geben und es ist zu befürchten, dass das Nachrüsten nicht vorgeschrieben werden wird.

    Um so wichtiger wird eine Unfalldokumentation und eine Unfallberichterstattung, die auf solche Details achtet, ob zum Beispiel wie in diesem Fall ein Unfallverursacher-Fahrzeug mit Rückfahrassistent mit Kamera und Notbremsvorrichtung ausgestattet war.

    Keine Frage, eine Zeitung, die darauf achtet auch über solche Details zu berichten, wird sich bei Autofahrern unbeliebt machen, von denen viele so drauf sind, dass sie es ablehnen, dass ihre "Oberherrschaft über die vielen PS unter der Kühlerhaube" von einem Fahrassistenz-System, und sei es nur ein Rückfahrassistent, in Frage gestellt wird. Frei nach dem Motto: "Ich lass mir doch von meinem Auto nicht vorschreiben, wie ich damit fahren soll."

    * Rückfahrassistent

    Das System erkennt Passanten oder Hindernisse hinter dem Fahrzeug und warnt den Fahrer bei der Rückwärtsfahrt. Die Systeme basieren auf Sensor- und/oder Kamera-Informationen.

    Quelle: Diese Assistenzsysteme sind ab 2022 vorgeschrieben

    Auto Motor Sport vom 10.12.2020

    https://www.auto-motor-und-sport.de/verkehr/diese-…vorgeschrieben/

  • Es gibt drüben im Verkehrsportal Berechnungen, dass mit einem normalen Kraftfahrzeug auf einer Überlandstraße nachts ein Tempo von 60 bis 70 km/h das höchste der Gefühle ist, möchte ich dieser Vorschrift entsprechen. Jeder, der schon mal nachts auf einer Überlandstraße mit einem Auto gefahren ist, wird mir sicherlich zustimmen, dass das außer ein paar ganz hartgesottenen StVO-Liebhabern niemand praktiziert, sondern ganz im Gegenteil tendenziell eher deutlich schneller als 100 km/h gefahren wird.

    Nicht nur nachts, auch tagsüber ist Tempo 60 eine vollkommen ausreichende Geschwindigkeit auf Landstraßen. Und auf vielen Landstraßen gibt es ja auch immer wieder Abschnitte, auf denen dann Tempo 60 oder häufiger Tempo 70 als Geschwindigkeits-Höchstgrenze angeordnet ist. Daher spricht alles dafür, nicht nur nachts sondern auch tagsüber Tempo 60 als generelles Tempolimit auf Landstraßen anzuordnen.

    Einer der Gründe, warum dennoch in Deutschland an Tempo 100 als generelles Tempolimit festgehalten wird, ist das Vorhaben möglichst alle Landstraßen so auszubauen, dass darauf auch wirklich Tempo 100 gefahren werden kann. Die vielen Tempo 60 und Tempo 70 Schilder an Landstraßen sind aus Sicht der Bauwirtschaft und der Automobilproduzenten ein ständiges Menetekel, das auf die angeblich "grottenschlechte" Autoverkehrsinfrastruktur hinweist, die dringend ausgebaut werden müsse.

  • Radler kollidiert mit Auto ... Dieser kollidierte mit der rechten Seite des abbiegenden Autos (der Artikel ist ein besonderes Schmankerl: Da kann man fast das ganze Bullshit-Bingo abhaken)

    Aber immerhin:

    Zitat

    Auf den Autofahrer kommt ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung im Straßenverkehr zu.

  • Denn selbst wenn ein verunfallter Radfahrer womöglich gar kein schuldhaftes Verhalten an den Tag gelegt hat, wird mit diesen Ratschlägen impliziert, dass er halt doch irgendwas falsch gemacht hat. Und sei es, dass er nicht rechtzeitig auf seine Vorfahrt verzichtet hat.

    Und das impliziert auch, dass auf den Straßen nicht die Regeln der StVO, sondern das Recht des Stärkeren gilt:. Wenn die Polizei den "Schwächeren" rät, auf ihre Rechte zu verzichten und nicht den "Stärkeren", ihre Pflichten wahrzunehmen.

    Das hat nichts damit zu tun, auf sein Recht zu pochen oder nicht damit zu rechnen, dass andere Verkehrsteilnehmer sich nicht an die Verkehrsregeln halten.

  • Denn selbst wenn ein verunfallter Radfahrer womöglich gar kein schuldhaftes Verhalten an den Tag gelegt hat, wird mit diesen Ratschlägen impliziert, dass er halt doch irgendwas falsch gemacht hat. Und sei es, dass er nicht rechtzeitig auf seine Vorfahrt verzichtet hat....

    Richtig, das hat er ja auch (nicht).

    Und das impliziert auch, dass auf den Straßen nicht die Regeln der StVO, sondern das Recht des Stärkeren gilt:. Wenn die Polizei den "Schwächeren" rät, auf ihre Rechte zu verzichten und nicht den "Stärkeren", ihre Pflichten wahrzunehmen.

    Das hat nichts damit zu tun, auf sein Recht zu pochen oder nicht damit zu rechnen, dass andere Verkehrsteilnehmer sich nicht an die Verkehrsregeln halten.

    Das Problem entsteht schon viel früher, nämlich schon dann, wenn man glaubt, Vorfahrt sei ein Recht. Das ist es aber nicht. Es handelt sich um eine ganz normale Verkehrsregel, die fehlbare Menschen nach Kräften einhalten sollen. Mehr nicht!

    Und natürlich gibt es so etwas, was ich die "normative Kraft des Faktischen" nenne.

    Auf dem Schulhof gab es einen Jungen, der stärker war als ich. Als ich ihm etwas über meine Rechte erzählt habe, hat der mir eine reingehauen. Das durfte der gar nicht. Es tat aber trotzdem weh.

    Darüber kann man jetzt den Rest seines Lebens lamentieren, oder man lernt etwas daraus.