Radfahrer sind ganz schön gefährlich

  • Ich habe mir mal den letzten Destatis Unfallreport genauer angeschaut. Insbesondere interessierte mich die Zahl der "unschuldig Geschädigten" durch die einzelnen Gruppen von Verkehrsteilnehmern.

    Und was soll ich sagen? Radfahrer kommen verdammt schlecht dabei weg. Während PKW-Fahrer innerorts 2017 12.627 unschuldige Menschen schwer verletzt oder getötet haben, sind es bei Radfahrern 913.

    Wenn ich das ins Verhältnis zur vermuteten Fahrleistung in Personenkilometern setze (< 5%), wird mir etwas anders. Denn plötzlich sind Radfahrer für ihre Umgebung gefährlicher als PKW-Fahrer.

    Fällt jemandem eine anständige Erklärung dafür ein? Ist Radfahren wirklich so gefährlich für das Umfeld?

    Die Opfer grob nach Gruppen:

    PKW: je 2.500 Motorrad- und andere PKW-Fahrer, 4.000 Radfahrer, 3.500 Fußgänger und etwas Rest

    Fahrrad: 550 andere Radfahrer, 300 Fußgänger und etwas Rest.

    Die Herleitung:

    Basis ist die Auswertung Seite 106ff: Personenschäden innerorts sortiert nach Hauptverursacher und Unfallgegner.

    Erste Feststellung: Sogar bei den Leichtverletzten scheint es noch eine recht hohe Dunkelziffer zu geben. Denn bei PKW-PKW-Unfällen gibt es viel mehr schuldlose Leichtverletzte als schuldhafte (48.600 zu 18.365). Diese Ungleichverteilung kann ich mir nur mit einer Dunkelziffer von nicht gemeldeten Unfällen erklären. Also betrachte ich im Folgenden nur Schwerverletzte und Getötete.

    In jeder "Zeilengruppe" auf den genannten Seiten also die Schwerverletzten und Getöteten beim zweiten Beteiligten.

    Die Summe dieser Zellen für PKW- bzw. Fahrräder ergibt genau die oben genannten Zahlen.

  • Moin,

    danke dass Du das so ausgewertet hast!

    Was für Unfälle werden denn da erfasst? Ich meine ich hab schon mehr Beinahe-Crashes auf dem Rad mit Fußgängern gehabt als mit dem Auto mit Fußgängern. Was sicher daran liegt, dass Fußgänger den Autos mehr Respekt zollen. Nur wenige latschen achtlos einfach auf die Fahrbahn (wobei Radfahrer ja auch eher mal "überhört" werden, weil man zum Gucken zu faul ist und "Autos hört man ja kommen", auf Radwegen kommt das hin und wieder vor, dass einem Fußgänger achtlos vor die Nase laufen. Also eher dauernd...

    Die Frage ist ob Unfälle bei denen nur der Krankenwagen kommt und nicht die Polizei erfasst werden.

    Stefan

  • Was sicher daran liegt, dass Fußgänger den Autos mehr Respekt zollen. Nur wenige latschen achtlos einfach auf die Fahrbahn (wobei Radfahrer ja auch eher mal "überhört" werden, weil man zum Gucken zu faul ist und "Autos hört man ja kommen", auf Radwegen kommt das hin und wieder vor, dass einem Fußgänger achtlos vor die Nase laufen. Also eher dauernd...

    Darum habe ich mich auf "schuldlos Schwerverletzte oder Getötete" beschränkt. Wenn also ein Fußgänger einem Radfahrer spontan vor das Rad läuft. ist er der Hauptschuldige am Unfall. Und bei Schwerverletzten gehe ich davon aus, dass die Schuldfrage anständig geklärt wird.

    Die Frage ist ob Unfälle bei denen nur der Krankenwagen kommt und nicht die Polizei erfasst werden.

    Nur solche, die von der Polizei erfasst wurden.

  • Fällt jemandem eine anständige Erklärung dafür ein?

    Infrastruktur. (Anständig?)

    Kfz-Fahrende dürften hauptsächlich an Knotenpunkten in Konflikt mit nicht motorisierten Verkehrsteilnehmenden geraten. Auf dem Fahrrad sieht das deutlich anders aus, insbesondere wenn man sich nicht auf der Fahrbahn bewegt.

    Aus Kraftrad- und Fahrradunfälle im Straßenverkehr 2017 (S. 19):

    Fehlverhalten der Fahrradfahrer 2017 bei Unfällen mit Personenschaden nach Altersgruppen und Art der Verkehrsbeteiligung (Insgesamt)

  • Radfahrer haben 9 Menschen umgebracht, Autofahrer 216, also das 24fache.

    Laut https://www.destatis.de/DE/Publikation…publicationFile entfallen 3% der Strecke auf's Rad, 76% auf den PKW, ca. das 25fache.

    Wenn man also Getötete mit Personenkilometern vergleicht, sind beide Verkehrsarten gleich tödlich für andere.

    Bei den Schwerverletzten hat das Fahrrad die doppelte Rate.

    Aber eine "schwere Verletzung" ist häufig nicht weiter tragisch. Das heißt ja bloß, dass man 24h oder länger im Krankenhaus war. Manche schwere Verletzungen heilen gut ab, bei anderen hat man bleibende Schäden. Leider wird da in den Statistiken nicht unterschieden.

    Der Hauptgrund für die Zahlen dürfte sein, dass Radfahrer auf engsten Raum mit "Weichzielen" geschickt werden. Man hat schnell mal einen Fußgänger oder Radfahrer zum Sturz gebracht. Und durch den Sturz entstehen dann die schweren Verletzungen.

    Man sieht ja an den Zahlen auch, dass Radfahrer in erster Linie andere Radfahrer schädigen, dann kommen mit etwas Abstand Fußgänger, dann kommt erstmal nichts, und irgendwann noch paar motorisierte Zweiradfahrer. Und paar sonstige.

    Ein anderer Grund ist, dass (auch innerorts) deutlich längere Strecken mit dem PKW gefahren werden. Viel davon wird auf den Hauptverkehrsstraßen ohne Abbiegen gefahren. Entsprechend wenige Weichziele werden dabei geschädigt.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Laut https://www.destatis.de/DE/Publikation…publicationFile entfallen 3% der Strecke auf's Rad, 76% auf den PKW, ca. das 25fache.


    Wenn man also Getötete mit Personenkilometern vergleicht, sind beide Verkehrsarten gleich tödlich für andere.

    Gute Zahl, in der vermutlich auch außerörtliche Fahrleistungen enthalten sind. Bei der innerort-Betrachtung dürfte der Fahrradanteil also höher liegen.

    Trotzdem überrascht mich die vergleichsweise hohe "Tödlichkeit". Andererseits ist die statistische Schwankung bei der geringen Zahl auch noch recht hoch.

    Deine restliche Erklärung (und die von foobar) läuft darauf hinaus, dass es kein Rechenfehler, sondern ein echter (und einleuchtender) Effekt ist. Schade. Ich hatte gehofft, mich irgendwo vertan zu haben.

  • Gute Zahl, in der vermutlich auch außerörtliche Fahrleistungen enthalten sind. Bei der innerort-Betrachtung dürfte der Fahrradanteil also höher liegen.

    Ach, natürlich. Deswegen hasse ich Statistiken. Es ist extrem schwer, da keine Fehler zu machen und aussagekräftige Ergebnisse zu bekommen.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Radfahrer haben 9 Menschen umgebracht, Autofahrer 216, also das 24fache.

    Laut https://www.destatis.de/DE/Publikation…publicationFile entfallen 3% der Strecke auf's Rad, 76% auf den PKW, ca. das 25fache.

    Wenn man also Getötete mit Personenkilometern vergleicht, sind beide Verkehrsarten gleich tödlich für andere.

    Was aber außen vor lässt, dass PKW Verkehr für die gleichen Start/Ziel-Punkte oft längere Strecken hat, besonders innerorts. Diese nur aufgrund der Größe von PKW eigentlich unnötige zusätzliche Reisestrecke wird da dem PKW Verkehr quasi gut geschrieben.

    Auch kommt sehr viel PKW Strecke auf Autobahnen zustande, welche recht sicher sind und schwächere Verkehrsarten nahezu ausschließen.

    Tote oder Verletzte durch Abgase sind überhaupt nicht richtig erfassbar und da auch nicht drin.

    Diese Statistik zeigt aber sehr schön, dass das maximale Tempo auf Landstraßen zu hoch ist, dort sterben aus allen Gruppen auffällig viele Menschen.

    Doomsday: It's nature's revenge for what we've done (Chris Pohl)

  • Ich finde es uberraschend schwierig, die Fahrleistung aufgeteilt nach innerorts, außerorts und Autobahn zu finden.

    Hier mal zumindest ein PDF des ADAC: https://www.google.com/url?sa=t&sourc…7eCrC2zKB0vJyU5

    30% der gesamten Fahrleistung aller Kfz findet auf Autobahnen statt. Fand ich überraschend hoch. Noch (durch die 30% durchaus plausible) 20% für außerorts oben drauf und Fahrräder sind zumindest nicht mehr schlimmer als PKW.

    Edit: sehr deprimierend: in der ausführlichen "Fahrleistungserhebung" des BaSt sind Fahrräder nichtmal enthalten.

    Edit 2: aber zumindest steht drin, dass von der gesamten Fahrleistung der PKW nur 1/4 innerorts stattfindet (155 Mrd PKM). Jetzt bräuchte man die gleiche Zahl nur noh für Fahrräder. Ich finde sie nicht.

  • Jetzt bräuchte man die gleiche Zahl nur noh für Fahrräder. Ich finde sie nicht.

    Wenn man Alleinunfälle als verkehrsunabhängigen Maßstab dafür nimmt, welchen Anteil die Fahrleistung je nach Ortslage besitzt, dann dürfte die Quote der innerörtlichen Fahrleistung irgendwo zwischen 72 % (nach Destatis Verkehrsunfälle 2017: 71 von 99 Getöteten innerorts) und 84 % (13.087 von 15.572 Verletzten innerorts) liegen. Nehmen wir 80% als Schätzwert, dann beträgt die innerörtliche Gesamtfahrleistung aller deutschen Radfahrer pro Jahr (500 km/Einwohner x 0,8 (Innerortsquote) x 82.000.000 Einwohner) 32,8 Mrd pkm.

  • Ich finde den Vergleich über die Personenkilometerleistung aus mehreren Gründen unpassend:

    • es sitzen im Schnitt mehr Personen einem PKW als auf einem Fahrrad, die Gefahr geht aber vom einzelnen Fahrzeug aus
    • unterscheidet sich die Durschnittsgeschwindigkeit von PKW und Fahrrädern massiv, für die gleichen Kilometerleistung ist man mit dem Fahrrad deutlich länger unterwegs.

    Ein Vergleich über die aktive Aufenthaltsdauer eines Fahrzeuges im Strassenverkehr in einem entsprechenden Gebiet (innerorts, ausserorts ohne Autobahnen) ist wohl aussagekräftiger. Wobei auch da noch, wie andere schon erwähnt haben, die unterschiedliche Infrastruktur berücksichtigt werden muss.

  • Ich finde den Vergleich über die Personenkilometerleistung aus mehreren Gründen unpassend:

    Da habe ich ja Glück, dass ich mich oben in der Einheit vertan habe: Es sind 155 Mrd Fahrzeugkilometer.

    Diese wiederum bevorzuge ich gegenüber der Aufenthaltsdauer im Verkehr. Denn es geht ja darum, wie viel Gefahr vom Transport einer Person von A nach B ausgeht.

  • Können wir uns einfach darauf einigen, dass 9 Tote und 904 Schwerverletzte zuviel sind und dass die Ursache in der Infrastruktur liegt?

    Radfahrer und Fußgänger brauchen mehr Platz und müssen i.d.R. voneinander getrennt werden. Linksseitiges Fahren muss aufgehoben werden. Radfahrer müssen einander sicher überholen können.

    Dann klappt's auch mit den Zahlen.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Können wir uns einfach darauf einigen, dass 9 Tote und 904 Schwerverletzte zuviel sind und dass die Ursache in der Infrastruktur liegt?

    Grundsätzlich wohl richtig, wenn auch unbefriedigend. Denn es macht die Sache kompliziert.

    Bisher empfand ich Diskussionen "pro Radverkehr" als relativ einfach: mehr Fahrräder sind gut für die Städte, sämtliche Gegenargumente sind leicht widerlegbar.

    Das oben genannte Argument macht die Sache komplizierter. Niemand will das hören: Mehr Radfahrer sorgen für mehr unschuldige Schwerverletzte. Zumindest bis die Infrastruktur weiter ausgebaut ist.

    Da würde ich mich einfach wohler fühlen, wenn dieses Argument mit einer glasklaren Statistik bereits mit der heutigen Infrastruktur entkräftbar wäre.

  • Was soll daran gut sein, wenn auf einmal mehr Radfahrer unterwegs sind?

    - Weniger Autos

    - oder zumindest mehr Platz in öffentlichen Verkehrsmitteln, was wiederum einige Autofahrer zum Umstieg auf diese bewegen könnte

    - Mehr Menschen, die durch Bewegung etwas für ihre Gesundheit tun

    - Radfahren wird bei Infrastrukturplanungen ernster genommen

    - Größerer Markt für Fahrräder und Zubehör, dadurch geringere Stückkosten

    - Mehr Menschen, die sich beim (Wieder-)Autofahren an die Radfahrerperspektive erinnern

    - Mehr glückliche Menschen

    - Mehr soziale Kontakte

    - Weniger elitäre Allüren bei Radfahrern

  • Da hast Du einige Klassiker (wie Umweltschutz) unterschlagen. Ansonsten:

    - Die Prämisse, das mehr Radfahrer (entscheidend) zu weniger Autofahrern führen, halte ich für Wunschdenken. Da warte ich seit Jahrzehnten auf Belege. Eher führen sie zu weniger ÖPNV-Nutzern.

    - Weniger Fahrgäste führen eher zu einer geringeren Taktung.

    - Ja, aber ... Weniger sozialverträgliches Frühableben? ;) Radfahren führt primär zu individuellen Vorteilen und damit zu einer guten Werbemöglichkeit.

    - Ein größeres Gewicht bei der Infrastrukturplanung subsummiert ich weniger unter Gut, eher unter "Gut".

    - Von den Stückzahlen liegen Fahrräder doch vorne.

    - Alltagsradfahrer fahren eher wenig Auto und Autofahrer kennen dann eher die Perspektive der Freizeitradfahrer, sind halt Auchradfahrer.

    - Das mag für einen Philanthropen wichtig sein. Ansonsten guggsdu Gesundheit.

    - Zu Fuss oder im ÖPNV geht es sogar noch besser mit den sozialen Kontakten, ginge. Dass es beim Radfahrer besser läuft, halte ich eher für eine Auswirkung der geringeren Dichte.

    - Ja, mich stört auch, dass man auf Belege verzichten zu können glaubt, weil man ja zu den Guten gehört.