Rotlichtverstoß: Rechtsbeschwerde beim OLG Hamburg

  • Als Vorgeschichte zu diesem Thema empfehle ich die Lektüre des Nachbarthreads: Ich wurde am 30. August 2018 beim Missachten einer roten Ampel erwischt, an der ich beim Umschalten von grünes auf rotes Licht nicht mehr rechtzeitig anhalten konnte. Mein Einspruch gegen den Bußgeldbescheid wurde am Amtsgericht Hamburg verhandelt und verlief eher ernüchternd — als Radfahrer dürfe ich mich einer grünen Ampel nur so langsam nähern, dass ich rechtzeitig vor dem Umschalten auf rotes Licht anhalten könne. Im Zweifelsfall wäre Schrittgeschwindigkeit angesagt.

    Aus der Nummer komme ich nun nicht mehr heraus. Ich habe den Einspruch nicht zurückgenommen und bekomme stattdessen für weitere 30 Euro die schriftliche Ausfertigung des Urteils.

    Gegen dieses Urteil besteht nun die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde beim Oberlandesgericht. Drüben im Verkehrsportal hat Uwe W das freundlicherweise genau aufgeschrieben.

    Ich habe bis Montag, den 11. Februar 2019 Zeit, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu stellen. Ab der Zustellung des schriftlichen Urteils habe ich dann vier Wochen Zeit, den Zulassungsantrag zu begründen.

    Sofern sich das OLG Hamburg mit der Sache befassen möchte, könnte man über diesen Weg endlich einmal in Erfahrung bringen, was denn nun das angestrebte Verhalten für Radfahrer bei Ampeln ohne Gelbphase ist.

    Die Kombination aus § 3. Abs. 1 StVO und § 1 Abs. 2 StVO lasse ich nicht gelten. Wenn der Verordnungsgeber wollte, dass ich vor Lichtsignalanlagen mit Schrittgeschwindigkeit radle, hätte er das deutlich gemacht, aber ich habe weder in den Begründungen der Änderungsverordnungen der Straßenverkehrs-Ordnung noch den einschlägigen Kommentaren auch nur einen Hinweis darauf gefunden, dass er derartiges im Sinn hatte. Sogar im benachbarten Österreich müssen Radfahrer lediglich an so genannten ungeregelten Kreuzungen auf zehn Kilometer pro Stunde herunterbremsen, nicht aber vor grünen Ampeln.

    Das Kostenrisiko beträgt für diesen Schritt maximal hundert Euro, das heißt, mit dem Bußgeld von 60 Euro und den Gebühren und Auslagen von 25,50 Euro sowie der Ausfertigung des Urteils für 30 Euro sind wir dann bei 215,50 Euro. Das wird langsam ziemlich happig, aber Recht haben gibt es nunmal nicht umsonst.

    Problematisch ist für mich nun nicht unbedingt der finanzielle Aspekt, auch wenn ich mir mit dem Geld sicherlich schöneres vorstellen könnte, es mangelt mir eher an Hilfe, um die Begründung wasserdicht zu formulieren.

    Darum zwei Fragen:

    1. Besteht grundsätzliches Interesse innerhalb dieser Hamburger Fahrradwelt, die Frage nach Schrittgeschwindigkeit vor roten Ampeln weiter nach oben zu eskalieren?
    2. Hat jemand das notwendige juristische Hintergrundwissen oder kennt jemand jemanden, der jemanden kennt?
  • Das Kostenrisiko beträgt für diesen Schritt maximal hundert Euro

    Mehr nicht? Daran soll's nicht scheitern.

    Ich hatte erwartet, dass man sich ab OLG einen Anwalt nehmen muss, der deutlich teurer ist.

    Besteht grundsätzliches Interesse innerhalb dieser Hamburger Fahrradwelt, die Frage nach Schrittgeschwindigkeit vor roten Ampeln weiter nach oben zu eskalieren?

    Auch wenn's mich selbst fast nie betrifft: Ja.

    Hat jemand das notwendige juristische Hintergrundwissen oder kennt jemand jemanden, der jemanden kennt?

    Ich hab da nur meine Ideen mit §3 GG und der Nichtigkeit der Anordnung. Man könnte natürlich auch einen Anwalt fragen, was der daran verdienen wollen würde.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Auf die Rechtsbeschwerde sind gem. § 79 Abs. 3 S. 1 die Vorschriften über die Revision anzuwenden. Nach § 345 Abs. 2 besteht Anwaltszwang. Alternativ kannst du (wohl - ich schau da noch mal genau nach) das Rechtsmittel zu Protokoll auf der Geschäftsstelle einlegen. Das heißt, du musst im Gericht auf das Amtsstübchen und dort deinen Text dem Gerichtsmenschen in die Feder diktieren. Ich habe auf der Arbeit einen Beck-Vollzugang und könnte mal schauen, ob ich zu deinem Anliegen etwas finde. Da wohl andere Gerichte schon anders geurteilt haben (Stichwort: Verschulden), wäre zumindest zur Rechtsfortbildung ein Grund gegeben, je nach Urteilsbegründung auch wegen Versagung des Rechts auf rechtliches Gehör.

    Schau mal hier für den Strafprozess: https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/4/15/4-483-15.pdf

  • 1. Ja, auch wenn ich in südlicheren Gefilden zuhause bin.

    2. Die nötigen juristischen Kenntnisse besitze ich nicht. Spontan fällt mir VP-Forenanwalt @rapit ein. Der schien zumindest recht aufgebracht über das Urteil, würde aber wohl nur im äußersten Notfall einspringen können, da er anderweitig gebunden ist.

    Wegen der Kosten: im VP wurden bereits 450,- EUR finanzielle Unterstützung zugesagt.

  • Ich will ja den Elan nicht bremsen, aber meiner Meinung nach kommt er zu früh. Ohne die Urteilsbegründung kommt man bei der Formulierung nicht weit.

    Mit etwas Pech steht da einfach drin, dass der Aussage der Polizisten geglaubt wurde, laut denen man noch problemlos hätte anhalten können. Dann wäre die Sache sofort erledigt.

    Wenn die Urteilsbegründung etwas vermeintlich Angreifbares enthält, könnte sich die Investition in einen Kommentar der StVO lohnen. Zum Einen hilft er bei der Argumentation selbst und zum Anderen wirkt der Einspruch gleich professioneller, wenn er ein paar Referenzen auf Urteile u.ä. enthält.

  • Aktuell gibt es den 2017er HKD als Dublette beim BGH für 25 Euro zu kaufen, der ist mitunter einer der umfangreichsten Kommentare.

    "steht da einfach drin" gibts nicht, das Gericht muss sich schon Gedanken dazu machen. Vor allem dann, wenn das Verhandlungsprotokoll Gründe anzeigt, die gegen die Behauptung des Polizisten sprechen. Außerdem wird sich das Gericht dazu erklären müssen, worin es das Verschulden sieht.

  • Außerdem wird sich das Gericht dazu erklären müssen, worin es das Verschulden sieht.

    Das wurde getan. Man müsse so langsam an die Ampel ranfahren, dass man immer anhalten kann.


    Ich will ja den Elan nicht bremsen, aber meiner Meinung nach kommt er zu früh. Ohne die Urteilsbegründung kommt man bei der Formulierung nicht weit.

    Die Rechtsbeschwerde muss jetzt eingelegt werden; die Begründung kann man schreiben, wenn man das Urteil hat.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Das Urteil ist frustrierend.

    Ich sehe als Hauptproblem an, dass die Gerichte die Bußgeldsachen im Fließbandverfahren abfertigen und sich wenig mit den Argumenten auseinandersetzen, zumindest wenn ich mir so ansehe, was man gelegentlich im Verkehrsportal lesen kann. Um durchzudringen braucht man einen Anwalt, weil man anders nicht ernst genommen wird. Vielleicht gar einen Sachverständigen, der dem Gericht vorrechnet, dass es auch bei beliebig niedriger Geschwindigkeit nicht geht, eine rote Ampel sicher zu vermeiden. Erfahrungsgemäß bleibt man aber auf den Kosten sitzen, weil das Gericht dann meint, dass es den Anwalt/Sachverständigen nicht gebraucht hätte.

    Ja, tolle Logik, ich weiß.

    Außerdem haben die Juristen irgendwie eine eigene Art, sich auszudrücken, die einem als Techniker mitunter fremd ist.

    Ich rate also dringend davon ab, ohne Anwalt weiter vorzugehen. Da geht's einem nur genauso wie vor dem Amtsgericht. Und man braucht einen Anwalt, der einen versteht und der engagiert ist. Man muss aber tatsächlich damit rechnen, dass man auf den Kosten sitzen bleibt.

  • Ich will ja den Elan nicht bremsen, aber meiner Meinung nach kommt er zu früh. Ohne die Urteilsbegründung kommt man bei der Formulierung nicht weit.

    Nein, da hast du vollkommen recht — ich mag nur nicht meiner Anfrage warten, bis das Urteil auf dem Tisch liegt und die vierwöchige Frist beginnt, dann geht das nämlich erst recht schief. Aber du hast recht, bislang kann ich nicht mehr tun als das Interesse potenzieller Mitstreiter abklopfen und in den nächsten Tagen auf der Geschäftsstelle vorsprechen, um die Beschwerde anzumelden.


    Wenn die Urteilsbegründung etwas vermeintlich Angreifbares enthält, könnte sich die Investition in einen Kommentar der StVO lohnen. Zum Einen hilft er bei der Argumentation selbst und zum Anderen wirkt der Einspruch gleich professioneller, wenn er ein paar Referenzen auf Urteile u.ä. enthält.

    Ich habe hier nur den dicken Hentschel im Regal stehen, aber der ist schon von 2013. Mal sehen, ob ich mir da noch was neueres zulege oder ob es der Gang in die Bibliothek tun muss.

  • ich bin bereit, mich finanziell [edit] mit 50,- [/edit] zu beteiligen. Damit meine ich explizit auch Kosten für einen RA, der die Rechtsbeschwerde formuliert, auch wenn diese dann nicht angenommen werden sollte.

    inhaltlich kann ich weder zur Formulierung noch zu Inhalten einer Beschwerde etwas beisteuern.

    Korrekturlesen, das kann ich machen. :)

  • Ebenfalls zunächst 50€.


    Zur Begründung der Beschwerde schonmal:

    https://www.gesetze-im-internet.de/owig_1968/__79.html

    https://www.gesetze-im-internet.de/owig_1968/__80.html

    Zitat

    die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen

    Gibt es in vergleichbaren Fällen anderslautende Urteile? Gibt es überhaupt irgendwelche Urteile von einem OLG oder höher?

    Ansonsten Fortbildung des Rechts:

    Ziel muss sein, dass Radfahrern eine virtuelle Gelbphase zugestanden wird, oder dass gelbe Ampeln aufgestellt werden müssen, gemeinsame Fuß- und Radsignalgeber verboten werden, oder sonstwas.

    Vermutlich gehört der Bußgeldkatalog angepasst, ggfs. muss auch die StVO präzisiert werden. Begründung ergibt sich letztlich aus §3 Abs. 1 und §20 Abs. 3 GG und physikalischen Grundlagen.

    Darauf zu verweisen, dass Polizeibeamte nicht jeden Verstoß ahnden brauchen, reicht nicht. Wir leben in einem Rechtsstaat, nicht in einem Willkürstaat.

    Es muss auch tatsächlich möglich sein, sich an die Regeln zu halten.

    Das Argument des Gerichts, es sei ja nur ein fahrlässiger Verstoß, ergibt keinen Sinn. Fahrlässigkeit beinhaltet auch Schuld. Und Schuld ist das, was bestraft werden soll. Aber Schuld kann ich hier keine erkennen.

    Eventuell ist auch §44 VwVfG (Nichtigkeit) anwendbar.

    Die Forderung, mit Schritttempo an grüne Ampeln ranzufahren, würde, wenn sie konsequent befolgt würde, massive Fahrradstaus verursachen. Ansonsten sind auch Auffahrunfälle und Überholunfälle denkbar, wenn manche Radfahrer bei grün abbremsen.

    Wenn es bei so einem "Rotlichtverstoß" zu einem Unfall kommt, wird dem Radfahrer eher die Schuld an dem Unfall zugeschrieben.

    Lebensgefährlich wird es, wenn man an einer grünen Ampel (fast) anhält und der rechtsabbiegende LKW-Fahrer das als Einladung sieht, weiterzufahren.


    (Obiges muss noch geordnet werden ^_^)

    Ich vermute, dass §80 Abs. 4 OWiG Anwendung finden wird:

    "Das Beschwerdegericht entscheidet über den Antrag durch Beschluß. [...]. Der Beschluß, durch den der Antrag verworfen wird, bedarf keiner Begründung."

    Mit einer guten Begründung vielleicht aber auch nicht.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Den Gleichheitssatz sehe ich hier aber nicht anwendbar, weil der Fahrbahnverkehr ja in der Regel eine Gelbphase bekommt, der Radverkehr aber nicht.

    Aber genau das ist doch der Punkt. Dank RWBP haben Radfahrer hier nicht die Wahl, auf der Fahrbahn zu fahren.

    KFZ-Verkehr hat die Gelbphase, Radverkehr nicht. Dieselbe Handlung (bei knapp-nicht-mehr-Grün-fahren) wird für eine Verkehrsart nicht bestraft, für die andere aber schon. Ich kann mir keinen vernünftigen Grund vorstellen, diese beiden Gruppen von Verkehrsteilnehmern derart ungleich zu behandeln.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Es kristallisieren sich hier ja drei mögliche Argumentationen heraus:

    1. Schrittgeschwindigkeit ist Mist
    2. Gleichbehandlung
    3. Ohne Gelbphase sind Rotlichtverstöße unvermeidlich (auch für Fußgänger und auch bei Schrittgeschwindigkeit)

    Im Zweifel arbeitet man einfach alle drei anstandig aus und schreibt sie in den Widerspruch. Reicht ja, wenn ein Argument sticht.

  • Hallo Malte,

    in Bielefeld haben wir ein großes Interesse den Sachverhalt zu klären. Bisher ist wohl noch kein Verfahren wirklich entschieden worden. Von hier aus bekommst Du alle inhaltliche Unterstützung.

    Das Urteil ist ein eindeutiges Fehlurteil. Die Verwaltungsvorschriften zur StVO nehmen klaren Bezug zur Richtlinie Lichtsignalanlagen (RiLSA). Aus dieser geht unmissverständlich hervor, dass Ampeln mit und ohne Gelbsignal identisch benutzt werden. Eine Schrittgeschwindigkeit ist eindeutig nicht vorgesehen, eher eine angestrebte Geschwindigkeit von mindestens 15 km/h (Räumgeschwindigkeit).

    Hier nur auf die Schnelle ein Beitrag "Kommentar zum Straßenverkehrsrecht" - alles weitere gerne persönlich -wie bist Du erreichen?:

    "(...)Rotlicht bedeutet nur dann „Halt vor der Kreuzung“, wenn es eine Gelbphase gibt. Weder für Radfahrerampeln noch für Fußgängerampeln ist eine Gelbphase vorgeschrieben (Abs. 2 Nr. 5). Die entsprechenden Ampeln haben daher zumeist keine Gelbphase und zeigen nur Rot oder Grün. Es kommt daher notwendigerweise vor, dass Radfahrer und Fußgänger bei Rot noch in den geschützten Bereich der Kreuzung fahren oder gehen. Rot kann für diese Verkehrsteilnehmer sinnvoll also nur bedeuten: „Halt vor der Kreuzung, wenn das noch möglich ist“. zur Fussnote 29 Je nach Geschwindigkeit kann bezüglich der ersten Sekunden der Rotphase Unsicherheit darüber bestehen, ob ein Halt noch möglich war oder nicht und damit auch, ob das Verhalten ein Rotlichtverstoß war oder nicht. Im Übrigen ist eine solche Ampel jedoch eine vollwertige Lichtsignalanlage.(...)"

    StVO § 37 Wechsellichtzeichen, Dauerlichtzeichen und Grünpfeil

    Kettler

    Münchener Kommentar zum StVR

    1. Auflage 2016

    Rn. 6-21