RWBP - außerorts

  • Hauptangriffspunkt gegen Radwegebenutzungspflichten innerorts:

    §45 Abs. 9 StVO:

    Zitat

    (9) 1Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist.

    2Dabei dürfen Gefahrzeichen [....]

    3Insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.

    So lange also keine besonderen örtlichen Verhältnisse bestehen, darf der fließende Verkehr (Radverkehr) nur dann beschränkt werden (Radwegebenutzungspflicht), wenn beim dem Fahren auf der Fahrbahn Gefahren bestehen, die über das übliche Maß hinausgehen.

    Seit 2016 gibt es aber in der StVO in §45 Abs. 9 den Satz:

    Zitat

    Satz 3 gilt nicht für die Anordnung von

    [...]

    3. Sonderwegen außerhalb geschlossener Ortschaften (Zeichen 237, Zeichen 240, Zeichen 241) [...]

    [...]

    bedeutet also, dass es agO keine besonderen örtlichen Verhältnisse braucht, um den fließenden Verkehr zu beschränken.

    allerdings finde ich keine aktuellen Urteile, in denen sich mal mit RWBP agO auseinandergesetzt wurde.

    Was ich finde: den Kommentar Straßenverkehrsrecht von Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke:

    Zitat

    [Gefahrenlage ist zu bestimmen]. Auch kann bei der Einschätzung auf die ERA 2010 zurückgegriffen werden [...].

    Zu beachten ist jedoch, dass Abs. 9 durch die 1. VO zur Änderung der StVO v. 30.11.2016 vollkommen neu gefasst wurde und [...] eine Ausnahme von den Voraussetzungen des Abs. 9 S. 3 enthält.

    Randnummer 7b Außerdem sind bei der Anordnung von der Verwaltungsbehörde die Vorgaben nach Ziff. II Nr. 2 der VwV-StVO zu § 2 Abs. 4 S. 2 zu beachten (insbes. Breite, baulicher Zustand des Radwegs, seine Linienführung in den allgemeinen Straßenverkehr an Kreuzungen und Einmündungen), wobei die VwV-StVO nicht nur für neu anzulegende Radwege gilt, sondern auch für den Altbestand [...]

    das liest sich jetzt so, dass, sobald die baulichen Anforderungen überwiegend eingehalten werden, ist eine RWBP außerorts erstmal zulässig? :/

  • das liest sich jetzt so, dass, sobald die baulichen Anforderungen überwiegend eingehalten werden, ist eine RWBP außerorts erstmal zulässig? :/

    Jo, das haben wir dem Storck zu verdanken, der ganz fleißig daran gedreht und die jahrelange Vorarbeit vieler Vorgänger gezielt sabotiert und konterkariert hat. Sein großes Vorbild sind zumindest öffentlich die Niederlanden. Fakten und Sicherheit zählen da nicht. Seine Nachfolgerin und jetziger Nachfolger bleiben dieser Kehrtwende bislang treu.
    Der ADFC arbeitet jetzt also gezielt der Sicherheit und dem Komfort des Radverkehrs entgegen und kann dabei auf neue Verbündete aus ADAC und konservativer Politik zählen.

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    Peter Viehrig

    "Glaube ist die Überzeugung, dass etwas wahr ist, weil die Belege zeigen, dass es falsch ist."
    (Andreas Müller)

  • das liest sich jetzt so, dass, sobald die baulichen Anforderungen überwiegend eingehalten werden, ist eine RWBP außerorts erstmal zulässig? :/

    Ja, leider. Die Frage ist, wie hoch die Chance stehen, die RWBP anzufechten, wenn das nicht der Fall ist. Hier gibt es jede Menge solcher VZ-Kombinationen:

    oder auch:

    Wenn man vor der Benutzung eines "Radweges" warnt, passt es sicherlich nicht mit den Anforderungen der VwV-StVO zu §2 zusammen:

    Zitat

    2. die Benutzung des Radweges nach der Beschaffenheit und dem Zustand zumutbar sowie die Linienführung eindeutig, stetig und sicher ist.

    ...

    b) die Verkehrsfläche nach den allgemeinen Regeln der Baukunst und Technik in einem den Erfordernissen des Radverkehrs genügendem Zustand gebaut und unterhalten wird.

  • Selbstverständlich gelten für außerörtliche Benutzungspflichten erst einmal auch

    Zitat von § 39 StVO

    (1) Angesichts der allen Verkehrsteilnehmern obliegenden Verpflichtung, die allgemeinen und besonderen Verhaltensvorschriften dieser Verordnung eigenverantwortlich zu beachten, werden örtliche Anordnungen durch Verkehrszeichen nur dort getroffen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend geboten ist.

    und

    Zitat von § 45 StVO

    (9) [1]Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist.

    Mithin ist die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht auch dort schlicht und ergreifend die Ausnahme von der Regel. Bei einem neu gebauten Radweg außerorts - für welchen ja so gut wie immer eine Benutzungspflicht verhängt wird - muss man sich natürlich schon fragen, warum eine solche denn auf einmal zwingend geboten sein soll, insbesondere weil vor dem Bau vermutlich keinerlei (Schutz-)Maßnahmen für den Radverkehr getroffen waren. Materialisiert sich also eine entsprechende Gefährdung - und was außer dieser sollte denn ein "zwingender Grund" oder ein "besonderer Umstand" sein? - erst mit dem Bau eines solchen Weges? Da sollte dann aber die Straßenverkehrs- zusammen mit der Straßenbaubehörde mal in sich gehen.

    Die fehlende tatbestandliche Voraussetzung (Satz 3 in § 45 Abs. 9 StVO) macht es natürlich schon einiges schwieriger gegen außerörtliche Benutzungspflichten vorzugehen, denn da ist man ja dann ganz schnell bei Ermessensfragen, und diese werden von der Verwaltungsgerichtsbarkeit halt nur insofern ausgelotet, als dass deren Grenzen (bzw. Überschreitung) geprüft werden. Da reichen in der mündlichen Verhandlung der 1. Instanz zwei ängstliche Schöffen und schon kann es eng werden. Und außerdem: wozu wurde denn da so viel Geld für den Weg ausgegeben und dann wollen ihn die undankbaren Radfahrenden nicht benutzen? Das geht ja gar nicht...

    Seit der StVO-Änderung 2016 dürfte sich daher kaum jemand an eine Klage gegen außerörtliche Benutzungspflichten herangetraut haben, insofern wird man (so gut wie) keine Rechtsprechung finden. Wenn man da was erreichen möchte, dann geht das wahrscheinlich erst einmal nur bei ganz haarsträubenden Anordnungen. Und im übrigen: räumen wir doch erst einmal innerorts richtig auf - da gibt es ja wahrlich noch sehr, sehr viel zu tun!

    Einmal editiert, zuletzt von mgka (27. Mai 2024 um 23:13)

  • Ich seh die meisten außerörtlichen Radwege als nicht straßenbegleitend an, bei uns sind die zu 95% dem Fahrbahnverkehr untergeordnet. Gibt kaum Kreuzungen, wo das nicht so ist. Dann queren einige die Fahrbahn, die Wege sind also zwischendurch unterbrochen und sind nur immer Abschnitte.

  • Danke für den Hinweis, mgka , dass die Ausnahme nur für (9) Satz 3 gilt, aber nicht für Satz 1. Ich hatte es so in Erinnerung, dass die Ausnahmefälle für den gesamten (9) gelten.

  • Materialisiert sich also eine entsprechende Gefährdung - und was außer dieser sollte denn ein "zwingender Grund" oder ein "besonderer Umstand" sein? - erst mit dem Bau eines solchen Weges?

    Die behauptete Gefahrenlage ist vorher wie nachher keine, weil hinterher die Maßregelungsnötiger ja nie so weit gehen, dass sie einen missliebigen Radfahrer wirklich von der Straße boxen. Aber auch im Zustand ohne Radweg gab es keine örtlich besondere Gefahrenlage, da es keine einzige radwegfreie Straße in Deutschland gibt, auf der öfter als einmal ein Radfahrer von hinten tödlich angefahren wurde. Das Risiko pro Straße/Straßenabschnitt ist also winzigst, denn eine Handvoll Fälle sreuen gleichmäßig über das hunderttausende Kilometer umfassende Straßennetz. Aus dem Umstand, dass es irgendwo bereits einmal einen schweren Unfall gegeben hat, kann man ebensowenig auf eine besondere örtliche Gefahrenlage schließen, wie man aus der Abwesenheit solcher Unfälle eine besondere örtliche Sicherheit ableiten darf.

  • Interessant könnte hier in KA die Frage in paar Jahren werden, wenn der Radweg, der bisher nur von Wolfarstweier nach Grünwettersbach hoch freigegeben und benutzungspflichtig ist, weil für mehr zu schmal, verbreitert ist, offenbar hauptsächlich zu Lasten der Fahrbahn, was zu einem dauerhaften Tempolimit von 70 führen wird (aktuell agO-100), was im Vorgriff jetzt schon für die Radverkehrssicherheit eingeführt wird ....

    Als ich noch bis 1997 in Aue wohnte, war das eine gelegentliche Trainingsrunde: Via Rittnertstr. hoch, dort runter. Als älter gewordener Citybewohner mache ich das inzwischen nur noch selten, aber mich täte es schon ärgern, wenn die flotte Fahrt abwärts mit dem Normalrad nicht mehr auf der Fahrbahn stattfinden dürfte ... Müsste ich dann das dreispurige nehmen (und erst mal wieder flott kriegen ...)

  • Das klingt jetzt wie "umso mehr wir die Radfahrer vergrämen, umso sicherer ist der Radverkehr [pro Einwohner]".

    Im Gegenteil, aus dem Umstand, dass sich die wenigen Auffahrunfälle erratisch auf verkehrsarme Landstraßen außerhalb der Ballungsgebiete verteilen kann man ableiten, dass viel (Rad)Verkehr sicherer ist als wenig.

  • ...

    Mithin ist die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht auch dort schlicht und ergreifend die Ausnahme von der Regel. Bei einem neu gebauten Radweg außerorts - für welchen ja so gut wie immer eine Benutzungspflicht verhängt wird - muss man sich natürlich schon fragen, warum eine solche denn auf einmal zwingend geboten sein soll, insbesondere weil vor dem Bau vermutlich keinerlei (Schutz-)Maßnahmen für den Radverkehr getroffen waren...

    Man kann das genauso gut auch anders sehen und argumentieren:

    "Es hat sich mit der Zeit eine Gefahrenlage entwickelt. Deshalb wurde der Radweg gebaut, und deshalb soll er jetzt auch benutzungspflichtig sein."

    Das wäre natürlich im Einzelfall darzulegen. Die Schwelle dazu wäre aber wesentlich niedriger als innerorts.

  • Bei dem neugebauten Teilstück RW in Maisach Richtung Malching hab ich im Unfall-Atlas keinen gefunden mit Radbeteiligung. Dafür müssen die Radler jetzt bei zHg 70 kreuzen, mit familienfreundlicher 2,48cm breiten Insel.

    Statistisch steigt also die Wahrscheinlichkeit für einen Eintrag mit Radbeteiligung.

  • Es hat sich mit der Zeit eine Gefahrenlage entwickelt. Deshalb wurde der Radweg gebaut, und deshalb soll er jetzt auch benutzungspflichtig sein.

    Die Gefahr dürfte in den meisten Fällen vor allem darin bestanden haben, dass Autofahrer mal bremsen mussten, wenn vor ihnen ein Radfahrer unterwegs war und sie nicht direkt überholen konnten, weil zufälligerweise gerade Gegenverkehr kam.

    Wenn ich mir anschaue, wo es hier Außerorts-"Radwege" gibt und wo nicht, ist jedenfalls keine andere Systematik dahinter zu erkennen.

  • Wenn ich mir anschaue, wo es hier Außerorts-"Radwege" gibt und wo nicht, ist jedenfalls keine andere Systematik dahinter zu erkennen.

    Hier: Quasi überall, wo >2500 Kfz fahren (so isses ja in der ERA vorgesehen), in der Nähe von Lüneburg und Bleckede deutlich mehr als "weiter draußen". Wenn trotz Verkehrsmenge einer fehlt, ist es fast immer eine Landesstraße.

  • Im Gegenteil, aus dem Umstand, dass sich die wenigen Auffahrunfälle erratisch auf verkehrsarme Landstraßen außerhalb der Ballungsgebiete verteilen kann man ableiten, dass viel (Rad)Verkehr sicherer ist als wenig.

    Oder passiert dort mehr, weil dort (weitaus) mehr Radfahrer sind als auf Straßen, die nach ERA einen bräuchten? Hier gibt es eine ziemlich eklatante (bei Norddeutschen Standards) Lücke, die L 221 mit 6800 Kfz/Tag. Dort siehst du quasi nie einen Radler – auf den Nebenrouten dagegen oft mehr Fahrräder als Autos.

  • Bei einem neu gebauten Radweg außerorts - für welchen ja so gut wie immer eine Benutzungspflicht verhängt wird - muss man sich natürlich schon fragen, warum eine solche denn auf einmal zwingend geboten sein soll, insbesondere weil vor dem Bau vermutlich keinerlei (Schutz-)Maßnahmen für den Radverkehr getroffen waren.

    Da könnte sich die zuständige Stelle ja herausbegründen, dass das einfach ein Fehler war, ein Unterlassen. Das man ab nun aber korrigiert. Mit der Anordnung RWBP... :/

  • Jaja, da wird in aller Regel ganz viel unterlassen, meistens übrigens eine Ermessensabwägumg bzw. Begründung in der verkehrsrechtlichen Anordnung für die Benutzungspflicht, so eine solche überhaupt je schriftlich vorliegt.

  • Tja, das könnt Ihr dann ja dem Richter erzählen.

    Keine Angst, zusammen mit simon mache ich das jetzt immer häufiger, und in den allermeisten Fällen auch mit Erfolg. Zur Nachahmung dringend empfohlen!

    Allerdings muss man damit rechnen, dass die Steigung der behördlichen Lernkurve in dieser Sache nur ein ganz kleines bisschen größer als null ist.