Woche 19 vom 06. bis 12. Mai 2024

  • Ich befürchte eine ähnliche Diskussion wie beim Fahrradhelm:

    Fahrradfahren ist eigentlich eine recht ungefährliche Angelegenheit.

    Die größten Gefahren, die drohen vom Autoverkehr.

    Darum sind es insbesondere autofahrernahe Organisationen, die am lautesten zur Benutzung des Fahrradhelmes aufrufen. Der Hintergedanke: Benutzt der Fahrradfahrer keinen Helm und kommt es zu einem Unfall mit Verletzungsfolgen, dann macht der Autofahrer den Fahrradfahrer zum Schuldigen für die Verletzungsfolgen, denn der hätte ja einen Helm tragen können (sollen, müssen).

    Und jetzt diese fragwürdige technische Errungenschaft aus dem Artikel.

    In der Überschrift heißt es:

    "Autos sollen Radfahrer vor sich warnen"

    Die Gefahr ist einerseits, dass ein an einem Unfall beteiligter Autofahrer dem Unfallgegner Fahrradfahrer vorwirft, er habe das Gerät nicht benutzt, das den Fahrradfahrer hätte warnen können.

    Und es könnte andererseits passieren, dass Fahrradfahrer informell oder formell dazu verpflichtet werden, das Gerät zu benutzen, damit Autofahrer*innen besser in der Lage seien, Fahrradfahrer*innen wahrzunehmen.

  • Sinnvoller wäre es genau umgekehrt. Ein kleiner Aufmerksamkeitserreger für Kraftfahrer, um die Regeln der StVO korrekt einzuhalten.

    Einen kleinen Aufmerksamkeitserreger? Was sollte das sein?

    Was es dagegen tatsächlich schon gibt: Der intelligente Geschwindigkeitsassistent. Der kann so benutzt werden, dass es nicht möglich ist, das Auto schneller zu beschleunigen, als es die angeordneten Tempolimits vorgeben. Das bedeutet nicht, dass das Auto immer abbremst, wenn ein Tempolimit nicht eingehalten wird, aber das Fahrzeug kann nicht schneller beschleunigt werden, als erlaubt ist.

    Es bedeutet auch nicht, dass das System jedes Tempolimit zuverlässig erkennen können muss, denn es ist nach wie vor der Fahrer verantwortlich, auch wenn das System ein Tempolimit übersehen haben sollte. Oder wenn zum Beispiel eine Beeinträchtigung der Sichtverhältnisse oder ein schlechter Fahrbahnbelag eine Reduktion des Tempos erfordern. Oder wenn ein Abbiegevorgang Langsamfahren nötig macht.

    Da von einem Auto besondere Gefahren ausgehen, ist es gerechtfertigt, in besonderer Weise stark regulierend mit technischen Mitteln einzugreifen, um zum Beispiel das Tempo zu begrenzen. Bei einem Pedelec beispielsweise wird die Motorkraft-Beschleunigung bei Erreichen von Tempo 25 km/h abgeschaltet. Ein Mofa kann nicht schneller als bis 25 km/h beschleunigt werden usw. Autos jedoch haben "die Lizenz" zum unbegrenzten Rasen, obwohl das mit einem hohen Gefährdungspotenzial verbunden ist. Und nachweislich immer wieder von vielen Autofahrer*innen viel zu schnell gefahren wird.

  • Fahrradfahren ist eigentlich eine recht ungefährliche Angelegenheit.

    Die größten Gefahren, die drohen vom Autoverkehr.

    Der erste Satz stimmt, der zweite nicht. Der größte Feind des Radfahrers ist immer noch er selber. Das gilt nicht nur bei Todesfällen, sondern auch bei krankenhausreifen "schweren" Verletzungen. Im Jahr 2022 gab es zB 5.275 Schwerverletzte durch Alleinunfall, aber nur 4.893 SVL nach PKW-Kollision, davon nur 3.339 mit Hauptschuld PKW. Dass die Verteilung bei "leichten" Verletzungen deutlich Auto-lastiger ausfällt (18.000 solo zu 39.000 mit PKW), liegt nicht daran, dass wenigstens bei leichten Verletzungen Autos die größte Gefahr darstellen, sondern dass wegen leichter Alleinunfälle niemand die Polizei ruft, während bei Auto-Beteiligung wegen des Sachschadens und der Haftpflichtversicherung die Dunkelziffer sehr niedrig ist. Leider wird in der Regel die Gegnerquote nur für die Summe aller Verletzten ausgewertet, was wegen der Dominanz der "leichten" Unfälle in der Gesamtstatistik den irrigen Eindruck erweckt, Autos/PKW seien auch bei schweren/schwersten/tödlichen Folgen die Hauptgegner.

    Radfahren ist auch mit/bei Autoverkehr sehr sicher, und das gilt insbesondere auch für Deutschland.

  • Wie immer bei der stets vorhersehbaren Urteilsschelte nach Verkehrstaten: Sicherheit wird nicht durch härteres Nachtreten verbessert, sondern durch mehr Prophylaxe. Wer Raserunfälle verhindern will, blitzt bis die Radarfalle qualmt; die Handvoll Pechvögel unter allen Rasern abzustrafen, die konkret jemanden umgenietet haben, bringt dagegen gar nichts. Im testosterongetränkten Hirn eines Jungmannes, der sich auf ein Raserduell einlässt, kommt die rationale Abwägung "was wären die Folgen, wenn mir ein Unfall passiert?" sowieso nicht vor. So jemand wähnt sich unsterblich, und ergo wird ihm in seiner Hybris auch nichts passieren, wo Dritte draufgehen könnten.

  • Der Fahrer hat mMn hier großes Glück gehabt, dass sein Opfer nicht getötet, sondern "nur" schwer verletzt wurde. Bei tödlichem Ausgang wäre vermutlich eine Verurteilung wegen Mordes im Rahmen des Möglichen gewesen.

    Es ist aus meiner Laiensicht eine logische Schwäche der Rasermord-Urteile, dass erst bei Vollendung des Tatbestandes der bedingte Vorsatz angenommen wird, ein ähnlich gelagerter Sachverhalt ohne erfogreiche Tötung jedoch nicht entsprechend als versuchter Mord eingeordnet wird.

    Einmal editiert, zuletzt von krapotke (11. Mai 2024 um 17:15)

  • (...) Der größte Feind des Radfahrers ist immer noch er selber. Das gilt nicht nur bei Todesfällen, sondern auch bei krankenhausreifen "schweren" Verletzungen. (...)

    Radfahren ist auch mit/bei Autoverkehr sehr sicher, und das gilt insbesondere auch für Deutschland.

    "Die Hauptursache von schweren Verletzungen bei Fahrradunfällen ist ein Zusammenstoß mit einem Auto, LKW oder Bus. Dabei werden Fahrradfahrer beim Abbiegen häufig nicht oder erst zu spät wahrgenommen." (S. 2)

    So steht es in einer Internetbroschüre der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU) von September 2018 mit dem Titel: FAQ – Häufig gestellte Fragen zum Thema Fahrradunfälle

    https://dgou.de/fileadmin/dgou/dgou/Dokumente/Presse/FAQ_Fahrradunfaelle_F.pdf

    Ich gebe dir allerdings Recht: Fahrradfahren ist auch mit Autoverkehr noch eine einigermaßen sichere Angelegenheit. Und deine Einschätzung, dass auch Fahrradfahrer-Alleinunfälle nicht unterschätzt werden sollte, wird in der Studie ebenfalls erwähnt: "Die Hauptursache von Fahrradunfällen sind die sogenannten Alleinunfälle. Dabei stürzt der
    Fahrradfahrer ohne Beteiligung anderer Verkehrsteilnehmer. Hier gibt es eine sehr hohe Dunkelziffer. Auch Alleinunfälle können mitunter tödlich enden." Trotzdem folgt dieser Aussage die bereits weiter oben einmal zitierte Feststellung: "Die Hauptursache von schweren Verletzungen bei Fahrradunfällen ist ein Zusammenstoß mit
    einem Auto, LKW oder Bus."

    Abgesehen davon ist Autofahren immer noch deutlich gefährlicher als zu Fuß gehen oder mit dem Fahrrad fahren. Leider habe ich den Eindruck, dass beim Fahrradfahren oder beim Zufußgehen, die Gefährlichkeit überschätzt wird und beim Autofahrern die Gefährlichkeit unterschätzt wird. Dafür wird das unzutreffende Argument, es sei doch einfach zu gefährlich zu Fuß zu gehen oder mit dem Fahrrad zu fahren, überstrapaziert von Leuten, die damit versuchen, die Autonutzung zu rechtfertigen.

  • Wie immer bei der stets vorhersehbaren Urteilsschelte nach Verkehrstaten: Sicherheit wird nicht durch härteres Nachtreten verbessert, sondern durch mehr Prophylaxe. Wer Raserunfälle verhindern will, blitzt bis die Radarfalle qualmt; die Handvoll Pechvögel unter allen Rasern abzustrafen, die konkret jemanden umgenietet haben, bringt dagegen gar nichts. Im testosterongetränkten Hirn eines Jungmannes, der sich auf ein Raserduell einlässt, kommt die rationale Abwägung "was wären die Folgen, wenn mir ein Unfall passiert?" sowieso nicht vor. So jemand wähnt sich unsterblich, und ergo wird ihm in seiner Hybris auch nichts passieren, wo Dritte draufgehen könnten.

    Also irgendwas sträubt sich in mir, diesen Mustang-Fahrer als "Pechvogel" zu bezeichnen.

    Pech hatte der junge Mann, dem der Unterschenkel abgerissen wurde. Und da lesen wir nun:

    Man schickte den Raser nicht in den Knast ...

    Zitat

    Denn dann könne der Angeklagte kein Geld verdienen, um dem Opfer Schmerzensgeld zu zahlen. Darüber müsste aber zunächst in einem Zivilverfahren verhandelt werden.

    Es gab ja mal einen deutschen Staat, da wurde das im "Adhäsionsverfahren" gleich mit verhandelt, ohne dass das Unfallopfer erst noch hätte klagen müssen. Außerdem könnte man natürlich sagen: Das Schmerzensgeld - das ja auf den Schadensersatz für Verdienstausfall und sonstige Vermögensschäden noch oben drauf kommt - wird festgelegt, der Staat zahlt es an das Opfer aus und holt sich das Geld beim Verursacher.

  • "Die Hauptursache von schweren Verletzungen bei Fahrradunfällen ist ein Zusammenstoß mit einem Auto, LKW oder Bus. Dabei werden Fahrradfahrer beim Abbiegen häufig nicht oder erst zu spät wahrgenommen." (S. 2)

    So steht es in einer Internetbroschüre der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU) von September 2018 mit dem Titel: FAQ – Häufig gestellte Fragen zum Thema Fahrradunfälle

    Ich bin sicher, dass die DGU für ihre Datenbank nicht erfasst und auswertet, wer Unfallgegner der eingelieferten Traumapatienten war, und welchen Hergang das jeweilige Ereignis hatte. Diese Arbeit ist Aufgabe der polizeilichen Unfallaufnahme, die erst stattfindet, nachdem der Patient schon lange abtransportiert wurde und im OP liegt. Die DGU hat entsprechend der Angaben im Jahresbericht auch nur ca. 1/5 der offiziell „schwer“ verletzten Radfahrer in ihrem Hellfeld.

    Der Satz aus der Broschüre ist wie vieles anderes zum Thema Radsicherheit wohl aus Hörensagen geborenes Vorurteil. Dafür spricht auch stark der Verweis auf Abbiegen als Hauptkonflikt. Diese Ereignisse stellen zwar in den Großstadtzeitungen einen Großteil der Fahrradunfall-Nachrichten, besitzen aber nur einen recht kleinen Anteil am gesamten Radunfallgeschehen, wobei die Quote der Opfer, die erst gar nicht mehr ins Krankenhaus kommen, bei diesem Szenario auch noch besonders hoch ist.

    Edit: nach dem genauen Lesen der DGU-Broschüre kommen ich zu der Auffassung, dass die Angaben teils aus dem Destatis-Jahresbericht übernommen wurden, teils aus eigenen Daten des Traumaregisters stammen (in dessen teilnehmenden Kliniken das Fünftel der mit MAIS3+ "Schwerstverletzten" unter den stationär versorgen Patienten behandelt wird) und teils auf Hörensagen beruhen. Dabei geht es offensichtlich querbeet hin und her zwischen "alle Verletzungen", "schwerer Verletzung", "lebensgefährlicher Verletzung" und "Tod". Insgesamt geht es im gesamten Text nicht um wissenschaftliche Genauigkeit, sondern lediglich darum, die Leser mit hohen Zahlen zu beeindrucken und sie mit Nebelkerzen davon zu überzeugen, dass (nur) Radfahren ganz besonders gefährlich für den Kopf wäre. Die FAQs streben dementsprechend dem Höhepunkt unter Frage 5 zu: "Ist es sinnvoll einen Fahrradhelm zu tragen? Ja." Ein gutes Beispiel dafür, dass es sich bei allen Aussagen nur um wohlmeinendes Nudging handelt, ist das Anführen der angeblich knapp 2/3 betragenden Duuunkelziffer im Anschluss an die Diskussion des Verletzungsrisikos. Als ob tatsächlich bei 2/3 der in unseren Intensivstationen behandelten oder gar auf Friedhöfen begrabenen Radfahrern das Merkmal "Radfahrer" übersehen werden würde. Die Dunkelziffer besteht stattdessen aus leichtverletzten Opfern von Alleinstürzen.

    Edit2: die Angabe mit den 37 Abbiegetoten und den insgesamt 76 LKW-Opfern in 2017 stammt übrigens aus meiner eigenen Erfassung, und dürfte wahrscheinlich über einen der Vorträge von Roland Huth vom ADFC an die DGU gelangt sein. Die Gesamtzahl weicht auffällig von der Destatis-Tabelle 3.1.1 in FS 8 Reihe 7 ab, deckt sich aber ebenso wie die Zahl der (Rechts-)Abbiegeopfer exakt mit den Werten aus meiner Liste, wenn ich alle "LKW"-Einträge rausnehme, die als "Sprinter" gelabelt sind, und es gibt außer mir auch keine Instanz, die sonst für die gesonderte deutschlandweite Zählung des Rechtsabbieger-Unfalltyps in Frage käme.

    3 Mal editiert, zuletzt von Th(oma)s (11. Mai 2024 um 11:43)

  • Also irgendwas sträubt sich in mir, diesen Mustang-Fahrer als "Pechvogel" zu bezeichnen.

    Der Regelfall ist auch bei Rasern, dass sie mit ihren Taten niemanden verletzen. „Pech“ ist keine moralische Entlatung, sondern quantitativer Ausdruck für die immer noch hohe Unwahrscheinlichkeit eines Unfalles.

    Hinsichtlich ihrer moralischen Schuld sind alle Raser (also auch die, die folgenlos davonkommen) gleich, weil die Frage, ob sie dabei jemanden töten oder ihm „nur“ ein Bein abfahren, längst nicht mehr in ihrer Macht und Geschicklichkeit steht.

  • Die Strafjustiz hat drei zentrale Aufgaben:

    1. Opferschutz

    Sicherstellung, daß die vom Täter ausgehende Gefahr deutlich minimiert wird. Dies ist staatliche Aufgabe sowohl gegenüber dem Tatopfer als auch gegenüber potentiellen weiteren Opfern in der Gesellschaft. Bei versuchtem Mord kann das nur Wegschließen des Täters bedeuten, um die erwiesenermaßen vom Täter ausgehende unmittelbare Gefahr auf nahe 0 zu senken. Hierbei geht es auch um die Ausstrahlungswirkung des Urteils in das soziale Umfeld des Täters, das diesen erst zu einem Mörder hat werden lassen.

    2. Rechtsfrieden herstellen

    Das staatliche Gewaltmonopol ist kein Selbstläufer, sondern begründet sich wesentlich darauf, für das Opfer Partei zu ergreifen und diesem rechtliche Genugtuung zu verschaffen. Ein Versagen an dieser Stelle schafft die Grundlage für Selbstjustiz, was keiner wollen kann. Bei versuchtem Mord ist deshalb auch dahingehend langjährige Haft zwingend. 2 Jahre auf Bewährung sind nichts anderes als Opferverhöhnung und wirken diesem Ziel aktiv entgegen.

    3. Rehabilitation und soziale Integration

    Der Täter hat ein ihm innewohnendes Recht, perspektivisch aktiv an der Gesellschaft partizipierender Teil ebendieser zu werden. Das setzt voraus, daß ihm die Tragweite seines Handelns bewußt werden *kann*. Dies bedeutet, langjährig mit und an dem Täter zu arbeiten. Dazu ist er seinem sozialen Umfeld zu entnehmen, damit das überhaupt möglich wird. Des weiteren ist das die Grundlage, damit perspektivisch das Opfer adäquat vom Täter entschädigt werden kann.

    Das vorliegende Urteil ist ein Totalversagen in jeder Hinsicht. Berufung ist hier zwingend.

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    Peter Viehrig

    "Glaube ist die Überzeugung, dass etwas wahr ist, weil die Belege zeigen, dass es falsch ist."
    (Andreas Müller)

  • 2. Rechtsfrieden herstellen

    Das staatliche Gewaltmonopol ist kein Selbstläufer, sondern begründet sich wesentlich darauf, für das Opfer Partei zu ergreifen und diesem rechtliche Genugtuung zu verschaffen. Ein Versagen an dieser Stelle schafft die Grundlage für Selbstjustiz, was keiner wollen kann. Bei versuchtem Mord ist deshalb auch dahingehend langjährige Haft zwingend. 2 Jahre auf Bewährung sind nichts anderes als Opferverhöhnung und wirken diesem Ziel aktiv entgegen.

    Die Option der Aussetzung zur Bewährung kann man grundsätzlich in Frage stellen, aber bitte nicht nur selektiv bei bestimmten Delikten. Ich finde, dass das Darstellen einer Bewährungsstrafe als „Freispruch Zweiter Klasse“ eine krasse und unnötige Abwertung des Strafmaßes darstellt, durch die erst das Opfer durch die Bürger, die sich das Maul über die vermeintliche Nicht-Strafe zerreißen, effektiv verhöhnt wird. Gefängnisstrafe ist für den Delinquenten immer entehrend. Im Verlust von Ehre und Ansehen liegt die eigentliche Bestrafung, und nicht in der Belästigung, dass der Täter ein paar Jahre seinen Alltagsgeschäften nicht mehr nachgehen kann - das könnte er als Freigänger auch bei tatsächlich Knast sowieso alsbald wieder.

  • Ich bin sicher, dass die DGU für ihre Datenbank nicht erfasst und auswertet, wer Unfallgegner der eingelieferten Traumapatienten war, und welchen Hergang das jeweilige Ereignis hatte. Diese Arbeit ist Aufgabe der polizeilichen Unfallaufnahme, die erst stattfindet, nachdem der Patient schon lange abtransportiert wurde und im OP liegt.

    Die Frage ist ja erst mal, ob es entscheidend ist, ob der Unfallgegner Autofahrer einen schweren Unfall verursacht hat oder ob der Fahrradfahrer selbst den Unfall verursacht hat. Schlimmes Beispiel: Dooring-Unfall. Da kann es einem Fahrradfahrer passieren, dass ihm die Schuld an dem Unfall in die Schuhe geschoben wird oder eine Teilschuld angedichtet wird, wenn er zu dicht an einer Reihe parkender Autos entlangfährt. Die Frage jedoch, warum da eine Reihe parkender Autos am Fahrbahnrand steht, anstatt dass dort ein breiter und sicherer Radweg angelegt ist, die spielt keine Rolle.

    Ich sehe jedenfalls keinen Hinweis, bei dem, was du geschrieben hast, der die Feststellung in der Studie infrage stellt: "Die Hauptursache von schweren Verletzungen bei Fahrradunfällen ist ein Zusammenstoß mit einem Auto, LKW oder Bus. Dabei werden Fahrradfahrer beim Abbiegen häufig nicht oder erst zu spät wahrgenommen."

    In einem Statement von DGUV-Hauptgeschäftsführer Dr. Stefan Hussy weist die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung darauf hin, dass mehr und mehr Menschen zu Fuß, mit dem ÖPNV und mit dem Fahrrad ihren Weg zum Arbeitsplatz zurücklegen, und fordert: Wir brauchen deshalb "... eine Verkehrspolitik, die dem veränderten Mobilitätsverhalten der Menschen entschiedener Rechnung trägt als bisher. Konkret heißt das, die Vision Zero ernst zu nehmen und die Infrastruktur konsequent am Schutz der ungeschützten Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer auszurichten."

    Hier wird zusätzlich zur Fahrradfahrer-Perspektive auch auf die Fußgänger-Perspektive hingewiesen. Und da ist vermutlich noch deutlicher als beim Radverkehr die Begegnung mit einem Auto für Fußgänger*innen die Hauptursache für schwere Verletzungen oder einen tödlichen Unfall.

    Zitat aus: https://www.dguv.de/de/mediencente…ls_2_568453.jsp

  • Die Option der Aussetzung zur Bewährung kann man grundsätzlich in Frage stellen, aber bitte nicht nur selektiv bei bestimmten Delikten.

    Oh doch. Bei versuchtem Mord ist Bewährung indiskutabel, Punkt. Sie ist Opferverhöhnung und leistet Selbstjustiz aktiv Vorschub, denn das Opfer wird ein weiteres mal - diesmal vom Staat - herabgewürdigt und entwertet. Das betrifft ganz bestimmte Delikte. Ganz selektiv. Im Verhältnis zu einem adäquaten Strafmaß für Mord und Mordversuch ist eine Bewährungsstrafe genau das: "Freispruch zweiter Klasse", womit dieses Mittel - nämlich Aussetzung zur Bewährung - durch die Justiz selbst entwertet wird.

    PS: Über Freigang für den Täter reden wir dann mal in 5 bis 8 Jahren. Vielleicht. Wenn dann ein Gutachten mit Gefahrenprognose über ihn vorliegt.

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    Peter Viehrig

    "Glaube ist die Überzeugung, dass etwas wahr ist, weil die Belege zeigen, dass es falsch ist."
    (Andreas Müller)

  • Die Strafjustiz hat drei zentrale Aufgaben:

    1. Opferschutz

    [...] Bei versuchtem Mord kann das nur Wegschließen des Täters bedeuten, um die erwiesenermaßen vom Täter ausgehende unmittelbare Gefahr auf nahe 0 zu senken.

    Hier besteht die Besonderheit, dass als Tatmittel ein KFZ benutzt wurde. Ohne dieses wäre es nicht zur Tat gekommen. Wenn man dem Täter dieses Tatmittel entzieht (aus meiner Sicht: lebenslang), wird er vermutlich nicht zu anderen Waffen greifen und weitere Taten begehen.

    2. Rechtsfrieden herstellen

    2 Jahre auf Bewährung sind nichts anderes als Opferverhöhnung und wirken diesem Ziel aktiv entgegen.

    :thumbup:

    Andererseits: Das Beim ist weg, keine Strafe und kein Geld der Welt bringt es zurück. Also geht es hier letztlich nur um Rache, was ich aber auch gut verstehe.

    3. Rehabilitation und soziale Integration

    Der Täter hat ein ihm innewohnendes Recht, perspektivisch aktiv an der Gesellschaft partizipierender Teil ebendieser zu werden. Das setzt voraus, daß ihm die Tragweite seines Handelns bewußt werden *kann*. Dies bedeutet, langjährig mit und an dem Täter zu arbeiten. Dazu ist er seinem sozialen Umfeld zu entnehmen, damit das überhaupt möglich wird. Des weiteren ist das die Grundlage, damit perspektivisch das Opfer adäquat vom Täter entschädigt werden kann.

    Und im Gefängnis bekommen die Leute die nötige Unterstützung? Nach allem was ich gehört habe ist das nicht der Fall. Viel mehr werden hier neue Kontakte zu Kriminellen geknöpft.


    Es gibt noch eine vierte Aufgabe der Strafjustiz: Generalprävention. Es heißt immer, Autofahrer stünden mit einem Beim im Gefängnis. Wenn man sich dieses und andere Urteile anschaut, scheint dies nicht der Fall zu sein. Ich kenne keine Zahlen, aber ich vermute, dass kaum ein Autofahrer in Knast muss.


    Das eigentliche Problem liegt nicht in der Justiz, auch nicht bei diesem einzelnen Täter. Wir haben ein gesellschaftliches Problem, z. B. dass das Auto allgemein als Statussymbol angesehen wird, dass wir noch immer kein Tempolimit haben und dass weder die Bußgelder noch der Verfolgungsdruck ausreichen, um für Ordnung zu sorgen.

    Wenn die Revision erfolgreich ist und der Täter doch in Knast muss, wird sich im großen und ganzen nichts verändern.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Wenn dann ein Gutachten mit Gefahrenprognose über ihn vorliegt.

    Hier wieder der ewige Irrtum, wonach das Verursachen eines Verkehrsunfalles ein Beweis für irgendetwas wäre. Der zentrale Punkt ist, dass der Unfall selbst und damit die Schädigung des Opfers ja nicht vorsätzlich begangen wird, sondern lediglich das Rasen (unter billigender Inkaufnahme der drohenden Folgen) mit Absicht stattfand. In der Hinsicht unterscheidet sich der Täter aber in keinster Weise von Hunderten anderen, die aufgrund der äußeren Umstände niemanden mit ihrer Taten verletzt oder getötet haben, und bei denen keiner Jahre später noch „Gutachten über die Gefahrenprognose“ für nötig erachtet.