"Geschlechtliche Identität sichtbar machen"

  • Guten Abend zusammen,

    vielleicht klappt das Thema ja hier, ohne dass es in Glaubenskriege ausartet.

    In meinem Job gibt es gerade Bestrebungen, die Mailsignaturen anzupassen, um die "geschlechtliche Identität" des Absenders "sichtbarer" zu machen.

    Kann mir jemand erklären, warum das eine sinnvolle Maßnahme ist?

    Ich verstehe es nicht. Das Geschlecht ist für die meisten Berufe vollkommen irrelevant. Und es war gesellschaftlich ein weiter Weg, bis das tatsächlich in den meisten Köpfen angekommen ist. Und den möchten wir eigentlich fortsetzen.

    Wie kann es da sinnvoll sein, irgendwelche berufsfremden Informationen ständig zu betonen?

    Es übersteigt einfach meinen Horizont. Wie kann man Vorbehalte abbauen, indem man die Unterschiede betont?

    Hat das schonmal irgendwo zu einem besseren Zusammenleben geführt?

    Und warum ausgerechnet die Geschlechtliche Identität? Warum nicht auch andere Eigenschaften?

    "Hammoud, Moslem, Migrationshintergrund, er, sein"

    "Michael, Katholik, hetero, weiß, er, sein"

    "Susanne, Atheist, weiß, Trans-Frau, xier, xies"

    Ich verstehe die Beweggründe dahinter nicht. Weder in meinem Team noch im Bekanntenkreis finde ich eine einzige Person die das für sinnvoll erachtet und es halbwegs schlüssig begründen kann.

  • Ich bin über derartige Signaturen sehr dankbar.

    René Sinderman.

    weiblich? männlich?

    Sehr geehrter Herr Sinderman? Sehr geehrte Frau?

    Mist. tja... dann doch lieber zum Telefon greifen und anrufen? argh!

    Ich kann nicht mal abschätzen, wie oft ich schon "nicht-urdeutsche" Namen in suchmaschinen geworfen habe, in der Hoffnung, ein eindeutiges Ergebnis zu bekommen, ob ich nun mit "Herr" oder "Frau" antworten soll..

    Weil: "Hallo René Sinderman" klappt zwar auch, läuft aber dann schon wieder bei Rufname-Nachname (Asien!) auf Grund und ist halt auch nicht immer passend.

  • Als ich habe deinen Kampf gegen Gendern schon bemerkt.

    So generell kann ich verstehen, und finde es auch gut, wenn man im großem Kreis, also z. B. unter Studierenden, versucht gleich alle anzusprechen.

    Und momentan kann das ja auch jeder halte wie er will, was auch gut ist.

    Was ich tatsächlich nicht so richtig verstehen könnte, wäre eine Signatur, die darstellen würde, welches Geschlecht, erkennt man in der Regel am Vornamen,

    falls nicht gleich kann man das heute ja auch in 2 Sekunden herausfinden,

    welche sexuellen Vorlieben, oder welche Glaubensrichtung jemand hat. Das halte ich auch für kontraproduktiv, weil zumindest beim Erstkontakt

    eher Vorurteile nährt, statt vermeidet.

  • Ich schätze, wenn eine/einer z.B. Micha/René als einzigen Vornamen hat oder angibt, wird der für Verwechslungen der Anrede ziemlich schnell abgehärtet.

  • Ich könnte jetzt als weiteres Kriterium vorschlagen: "HSV" / "St. Pauli" oder "Hertha" / "Union" ... aber Scherz beiseite, ich habe mich immer wieder geärgert, wenn auf amtlichen Schreiben eine Person nur mit ihrem Nachnamen und vielleicht dem Anfangsbuchstaben des Vornamens aufgeführt ist. Was soll ich dann schreiben? Meine Notlösung war bisher immer, trotz Namen "Sehr geehrte Damen und Herren" zu schreiben.

    Dann habe ich es mit ziemlich vielen Studierenden zu tun. Ich bekomme Mails mit Namen, von denen ich nur erahnen kann, woher sie stammen, und bei denen ich keinen blassen Schimmer habe, ob Mann oder Frau oder sonstwas dahintersteckt. Das geht sogar mit europäischen Namen - Andrea, Dominique, Kim ...

    Von Viktor Lazlo und George Sand ganz zu schweigen ...

  • nunja, eine gewisse Diskrepanz zwischen Realität und Wahrnehmung/Bauchgefühl besteht an vielen Stellen im Berufsleben.

    Beispiel Handwerk: wenn du Frau Müller am Telefon hast, wirst du mit großer Wahrscheinlichkeit auch unbewusst davon ausgehen, dass Frau Müller die Rechnungen schreibt. Dass Frau Müller aber morgen bei dir auf der Matte steht und dir die neue Wärmepumpe einbaut, das wirst du eher nicht denken.

    und je nach Beruf/Unternehmen kann eben "geschlechtliche Vielfalt" auch offensiv zum Ausdruck gebracht werden nach dem Motto: "Ey, hallo... bei uns arbeiten nicht nur Männer!"

    Und ER/SIE wirkt dann manchmal doch anders als "Name".

  • "Ey, hallo... bei uns arbeiten nicht nur Männer!"

    Die Frauenquote bei uns dürfte (branchenüblich) bei deutlich über 80% liegen. Über alle Führungsebenen hinweg. Nur der Aufsichtsrat hat noch etwas Nachholbedarf.

    Bei dem Wunsch des Unternehmens, "geschlechtliche Vielfalt sichtbarer" zu machen, geht es um die Hervorhebung des "zwischen den Ohren" empfundenen Geschlechts, nicht des biologischen.

  • Ich erkläre mir so etwas immer mit dem Vier-Seiten-Modell. Es ist eine Selbstkundgabe, mit der man etwas ausdrückt, was auch immer. Hier gehe ich von Pinkwashing aus.

    Es spricht im Grunde ja nichts dagegen, die gewünschte Anrede in seine Signatur einzufügen, wenn man von einem möglichen Zwangsouting absieht. Was soll eine Transfrau mit männlichem Vornamen (oder anders herum) machen? Wenn sie sich nicht outen möchte, muss sie ja die ungewünschte Anrede Herr als gewünscht angeben.

    Ansonsten sehe ich es ähnlich: Um jemanden sprachlich diskriminieren (benachteiligen) zu können, muss man ihn sprachlich diskriminieren (unterscheiden) können. Ich sehe das Gendern, die Itentitätspolitik in der jetzigen Form im Sinne der Gleichberechtigung als kontraproduktiv an.

  • Naja wenn man beruflich E-Mails von unbekannten Leuten bekommt, möchte man doch mit "Sehr geehrte Frau / sehr geehrter Herr" antworten. Und das Geschlecht leitet sich halt oft aus dem Vornamen ab. Ist das ein Vorname bei dem ich nicht sicher bin ob der männlich oder weiblich ist dann google ich den Namen in der Bildersuche und dann sieht man ja schon welches Geschlecht das sein dürfte. Helfen würde sicherlich wenn das Geschlecht in der Signatur gleich mit angegeben wäre, besonders bei Personen wo das nicht eindeutig ist. Hilft auf jeden Fall um die Person einfach adäquat ansprechen zu können. Diverse Menschen kenne ich in meinem Umfeld nicht. Wenn ich das wüsste, würde ich wahrscheinlich einfach mit Vor- und Zunamen anreden, dann geht halt nur geschlechtsneutral mit "Hallo," oder "Guten Tag,"

  • ich habe mich immer wieder geärgert, wenn auf amtlichen Schreiben eine Person nur mit ihrem Nachnamen und vielleicht dem Anfangsbuchstaben des Vornamens aufgeführt ist. Was soll ich dann schreiben? Meine Notlösung war bisher immer, trotz Namen "Sehr geehrte Damen und Herren" zu schreiben.

    "Liebe Straßenverkehrsbehörde, ..."

    Die Wörter "Damen" und "Herren" halte ich für komplett antiquiert. Damen sind dämlich, Herren sind herrlich. Oder wofür steht das?!

    Entweder man einigt sich darauf, das generische Maskulinum/Femininum (z. B. "Die Krankenschwester") zu verwenden, oder, und dafür gibt es gute Gründe, das generische Neutrum.

    In Hamburg wird derzeit auf einen Volksentscheid hingearbeitet. Ich werde dem wohl zustimmen, auch wenn ich weiß, dass genug andere Menschen dasselbe aus den falschen Gründen tun werden.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • In Hamburg wird derzeit auf einen Volksentscheid hingearbeitet. Ich werde dem wohl zustimmen, auch wenn ich weiß, dass genug andere Menschen dasselbe aus den falschen Gründen tun werden.

    Hat die Volksinitiative sich irgendwo nachvollziehbar mit wissenschaftlichen Arbeiten zu dem Thema befasst und das online gestellt?

  • Hier gehe ich von Pinkwashing aus.

    Das denke ich auch, solange ich nicht mehr darüber weiß.

    Ich würde es auch praktisch finden, wenn mir jemand direkt eine Anrede mitliefert, aber ob das angemessen ist, um Situationen wie "Moin Vorname Nachname" oder "Guten Tag Vorname Nachname" zu vermeiden, weiß ich nicht. Ich weiß nicht, wie das für geoutete oder nicht-geoutete Transmenschen ist und grad letztere kann man zu so etwas logischerweise gar nicht befragen.

    Ich weiß ja nicht, welche Richtlinien für Signaturen jetzt gelten und wie die neuen sein sollen, aber wenn es einfach nur um einen Rahmen geht, in dem jeder, der möchte seine Pronomen/Anrede/? angibt, aber das nicht muss, wäre es dann nicht OK? Ich bin da bei der aktuellen Diskussion um diesen Themenbereich nicht auf der Höhe, aber kann es sein, dass das eigentliche Problem mit den Signaturen von der deutschen Sprache herrührt? Also dass die Kommunikation um das Thema so komisch ist, weil etwas im Deutschen umgesetzt werden soll, was im Englischen viel leichter zu realisieren ist? Im Englischen kann man einfach sagen, wer möchte, gibt seine Pronomen an und im Deutschen geht das nicht (they/them hat keine Entsprechung im Deutschen) und deswegen rückt man im Unternehmen von der Kommunikationsebene (Wie möchte die Person angesprochen werden?) ab zur Geschlechtsidentität.

  • Ich schätze, wenn eine/einer z.B. Micha/René als einzigen Vornamen hat ...

    Sollte, sofern bei einem deutschen Standesamt angemeldet, nicht passieren, die verlangen m.W.n. immer noch (?) mindestens einen geschlechtlich eindeutigen Vornamen, bei René/Renée wäre es m.W.n. das 2. e, Micha als Kurzform hätte als offizielle Version wohl keine Chance.

    Davon abgesehen hilft das auch nicht immer ...

    Mein Vorname ist Heiko

    Gelegentlich trudeln bei mir aber Mails mit "Hallo Heike" ein ...

    Ich antworte dann mit *räusper* o.ä. ;)

    Wer meint, Signaturen würden gelesen: Vergesst es!

    Wer wegen ungewöhnlichen Vornamens oder Änderung der Identität oder was auch immer mit Problemen bei der Standardanrede hat, mag das in seiner persönlichen Signatur versuchen, aber als globale EInstellung allen was aufzwingen ... Hmmm ...

  • Dass Frau Müller aber morgen bei dir auf der Matte steht und dir die neue Wärmepumpe einbaut, das wirst du eher nicht denken.

    Das ist wiedrum ein ganz anderes Thema ...

    Stimmt vermutlich bei vielen, genausoweing wie der Mann im Kindergarten immer nur der Hausmeister sein kann ...

    Vielen Berufen würde es vermutlich sehr gut tun, wenn das Geschlechterverhältnis ausgeglichener wäre.

    Andererseits darf man die Biologie und "jeder nach seinen Fähigkeiten", was man bisher auch als große Errungenschaft gefeiert hat, auch nicht völlig ignorieren.

    Man wird vermutlich Unmengen an Frauen finden können, die besser als ich als Maurer geeignet wären, trotzdem haben das Testostern beim Mann und Östrogen bei der Frau im Durchschnitt schon ihre Auswirkungen auf die Konstitution und Psyche der beiden Geschlechter, weswegen nach "jeder nach seinen Fähigkeiten" oft spezielle Berufe ergriffen werden, die zum Geschlecht "passen". Solange kein mehr oder weniger offener gesellschaftlicher Druck dahinter steht a la "Frauen sind zum Wärmepumpeneinbau ungeeignet". solange also jeder seinen Beruf frei wählen darf, was eigentlich richtig ist, wird man in einigen Berufen das Ungleichgewicht nie ganz loswerden.

    Arbeiten muss man aber noch an der Wertigkeit der Berufe. Viele typischen Frauenberufe gehören ja nicht zu den bestbezahltesten, obwohl man sie gerne als systemrelevant bezeichnet hat, "relativ kürzlich"

  • Es spricht im Grunde ja nichts dagegen, die gewünschte Anrede in seine Signatur einzufügen, wenn man von einem möglichen Zwangsouting absieht. Was soll eine Transfrau mit männlichem Vornamen (oder anders herum) machen? Wenn sie sich nicht outen möchte, muss sie ja die ungewünschte Anrede Herr als gewünscht angeben.

    Eben. Das zöge jede Menge evtl. ungewünschter Effekte nach sich, die nicht jedem Betroffenen gefallen dürften ...

  • Es gibt eben nicht nur deutsch-angemeldete Vornamen. Sascha ist in Deutschland idR männlich, anderswo überwiegend weiblich. Diverse Vornamen aus anderssprachigen Ländern, kann ich spontan gar nicht einordnen.

    Wenn die gewünschte Anrede nicht kommuniziert wird, bleibt letztlich nur Vermuten, egal ob schriftlich oder persönlich, und manchmal liegt man halt falsch. Diejenigen, die falsch eingeschätzt werden, sind es vermutlich gewohnt.

    Dass man vor der ersten Anrede fragt, wird sich so schnell nicht durchsetzen ;) .

  • Ich sehe das Gendern, die Itentitätspolitik in der jetzigen Form im Sinne der Gleichberechtigung als kontraproduktiv an.

    Gendern wäre das 3. Thema ...

    Wenn man mal grob 500 Jahre zurück schaut (Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit samt Renaissance, Aufklärung, Revolutionen ... die alle wesentliche Grundlagen für die Gleichberechtigung nicht nur von Mann und Frau, sondern aller Bürger unabhängig von Herkunft etc. gelegt haben), sind wir doch sehr, sehr weit gekommen bisher und das ganz ohne Gendern. Ich finde auch, das Gendern eher von wichtigeren Themen ablenkt wie die eben genanten bei den Berufen. "Wir, die 10 männlichen Führungskräfte von insgesamt 10 gendern jetzt die Putzfrau*innen" oder so ...

    Sprache ändert sich von selbst bei Bedarf, vorausgesetzt es gibt die Notwendigkeit, ist bequemer und es gibt eine brauchbare Lösung. Die bisher vorgestellten stören aber das Schriftbild und die gesprochene Sprache zu sehr, um von selbst durchsetzungsfähig zu sein.

    Gäbe es was besseres, kommt es von selbst ganz ohne Zutun von Genderbeauftragten, siehe Englisch.