Auch Menschen mit Behinderung sind ohne Auto mobil!
In Hannover ermöglichen automatische Rampen ein selbstständiges Einsteigen von Menschen mit Rollstuhl, ohne dass der Omnibusfahrer oder ein anderer Fahrgast helfen muss, eine Klapprampe umzuklappen.
Etwas überrsachend bin ich gerade in eine Podiumsdiskussion auf Zoom über nachhaltige Politik in Lüneburg mit den Kandidatinnen zur Oberbürgermeisterinwahl gestolpert.
(...)
Meyer: Parkplätze für Bedürftige erhalten.
Immer wieder werden in Diskussionen über den Verkehr, Menschen mit Behinderungen angeführt, für die es angeblich unheimlich wichtig sei, dass sich an den jahrelangen Fehlentwicklungen in der Verkehrsinfrastruktur auf keinen Fall etwas ändern dürfe. Da viele Menschen nicht von Behinderung betroffen sind, und die meisten darüber auch verständlicherweise froh sind, beschäftigen sich nur recht wenige Menschen mit diesem Thema.
Umso größer ist die Bereitschaft in einer Diskussion auf Einwände einzugehen gegen den dringend notwendigen deutlichen Rückbau der Autoverkehrsinfrastruktur, wenn wer seinen Behindertenausweis in die Höhe streckt und eine ausgezeichnete Autoverkehrs-Infrastruktur reklamiert, weil er andernfalls vom "öffentlichen Leben komplett abgeschnitten sei".
Es kostet dann schon etwas Überwindung an einer solchen Stelle in einer Diskussion energisch zu widersprechen. Da mir mit der Zeit klar geworden ist, dass von den Protagonisten der totalen Autostadt und vor allem des totalen Autolandes keine Finte gescheut wird und Menschen mit Behinderungen in der Diskussion systematisch instrumentalisiert werden, widerspreche ich mittlerweile an dieser Stelle in Diskussionen zunehmend energischer.
Denn wenn keiner widerspricht, dann endet dieser Abschnitt einer Diskussion in der Regel mit einem deutlichen Punktgewinn für die Betonierer und Planierer für noch mehr Autofahrbahnen und Auto-Parkplätze. Konkret sieht das dann oft ungefähr so oder so ähnlich aus:
"Mein Mann ist stark gehbehindert und kann auch nicht mehr sehr gut sehen und wenn er zum Einkaufen in die Stadt will, dann ist er darauf angewiesen, dass ich ihn mit unserem Auto dorthin fahre. Wenn jetzt Parkplätze in der Stadt zurückgebaut werden sollen, dann werden noch häufiger die Behindertenparkplätze blockiert. Dann haben wir keine Möglichkeit mehr in die Stadt zu kommen." Ersatzweise erzählt wer einen solchen Fall aus seinem Bekannten- oder Verwandtenkreis. Wer genügend Phantasie hat und genügend abgebrüht ist, der bringt so was auch völlig ohne konkreten persönlichen Anlass sehr überzeugend rüber.
Das Ergebnis eines solchen Einwandes gegen autofreie Mobilitätsmodelle ist leider allzu oft, dass erfolgreich bei vielen Zuhörern und Diskussionsbeteiligten auf die "Tränendrüse" gedrückt wurde, bzw. an ein falsches Mitleids-Verständnis erfolgreich appelliert wurde.
Fakt ist aber auch, dass Menschen mit zum Teil sehr schweren Gehbeeinträchtigungen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, bei einer gut ausgebauten barrierefreien Verkehrsinfrastruktur selbstständig und/oder mit Hilfe mobil sind. Leider führt dieser Hinweis in einer Diskussion unmittelbar dazu, dass einmal mehr auf den schlechten Ausbaustand des ÖPNV herumgeritten wird, der es angeblich völlig illusorisch macht, darauf weitere Gedanken zu "verschwenden". Dagegen ist es sehr schwer, positive Beispiele anzuführen, weil selbst in Städten mit einem hohen Anteil an barrierefrei zugänglichen ÖPNV-Transportmittel es immer auch noch Negativ-Beispiele gibt. Und ein Negativ-Beispiel wiegt in einer Diskussion deutlich schwerer als 100 oder gar 1000 Positivbeispiele.
Was habt ihr für Erfahrungen gemacht an solchen Stellen in der Diskussion? Und wie wurde in der Podiumsdiskussion, über die du berichtest, mit der Floskel, "Parkplätze für Bedürftige erhalten.", weiter umgegangen?