StVO fast komplett ungültig?

  • Wie kommst du denn auf die Idee, unangepasste bzw. überhöhte Geschwindigkeit sei "Unfallursache Nummer Eins"? (...)

    Quelle: https://www.runtervomgas.de/unfallursachen…Personenschaden.

    Adsche, man könnte deinen Beitrag so missverstehen, als seien überhöhte Geschwindigkeiten kein großes Problem beim Autofahren.

    Allerdings wird in der von dir angeführten Quelle explizit darauf hingewiesen:

    "Die meisten Menschen sterben im Straßenverkehr allerdings aufgrund einer unangepassten Geschwindigkeit (s. Infobox „Die häufigsten Fehler von Fahrern bei Unfällen mit Getöteten“)."

    Was leider nicht so recht deutlich wird in der von dir angegebenen Quelle: Zwar wird da auf die vielen Abbiegeunfälle hingewiesen, aber eben nicht in wie vielen Fällen bei diesen Abbiegeunfällen ebenfalls überhöhte Geschwindigkeit im Spiel war. Wie wird denn bei dieser Statistik eine Eingruppierung vorgenommen?

    Ganz sicher wären viele Abbiegeunfälle vermeidbar gewesen oder hätten zumindest weniger schlimme Folgen gehabt, wenn die Unfallverursacher mit einer deutlich niedrigeren Geschwindigkeit abgebogen wären. Das heißt auch dabei ist zu schnelles Fahren die Unfallursache gewesen!

    So wurde in der derzeit so umstrittenen StVO-Novelle festgelegt:

    "Schrittgeschwindigkeit für rechtsabbiegende Kraftfahrzeuge über 3,5 t innerorts:

    Für rechtsabbiegende Kraftfahrzeuge über 3,5 t wird aus Gründen der Verkehrssicherheit innerorts Schrittgeschwindigkeit (4 bis 7, max. 11 km/h) vorgeschrieben."

    Quelle: Bundesverkehrsministerium https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/…ormationen.html

    Dieser Punkt ist übrigens unumstritten, so weit ich die Diskussion verfolgt habe. Und wenn es zutrifft, das langsames Abbiegen Leben rettet, dann kann man ganz sicher einige in der von dir zitierten Statistik so genannten "Abbiegeunfälle" auch als Unfälle aufgrund überhöhter Geschwindigkeit bewerten.

    Hm. Das Fahrverbot beim "ersten Mal" ist m.E. der erste ernstgemeinte Versuch, die Unfallursache Nummer Eins wenigstens ein bisschen zu sanktionieren: Da muss sich dann einer 5 Minuten in die Ecke stellen und darf erst anschließend wieder mitspielen, anstatt sich freikaufen zu können.

    Es ist nach meiner Einschätzung ein ganz elendes Machtspiel was da gespielt wird. Denn im Grunde genommen müsste es keinen einzigen "Raserunfall" geben. Zumindest keinen, der darauf zurückzuführen ist, dass die vorgegebene Höchstgeschwindigkeit nicht eingehalten wird.

    Schon 1958, also vor über einem halben Jahrhundert, wurde erstmals serienmäßig ein Fahrzeug mit Tempomat ausgestattet. "Chrysler verbaute 1958 das erste System zum automatischen Halten einer Geschwindigkeit, 1962 bekam auch die Mercedes S-Klasse einen Tempomaten." https://www.tagesspiegel.de/mobil/autospez…10875542-2.html

    Und dieser Tempomat wurde sehr umfangreich so verbessert und verfeinert, dass GPS-Daten, eine eingebaute Karten-Datenbank und ein Verkehrsschilder-Erkennungssystem ein zu schnelles Fahren verhindern. In einem weiteren Zeit-Artikel heißt es dazu:
    "ISA, Intelligent Speed Adaptation. So heißt ein schlauer Tempomat, der schon seit Ende der neunziger Jahre zur Verfügung steht – und genauso lange von der Boulevardpresse als "Zwangs-Bremse" beschimpft wird. Seine Technik ist in verschiedenen Varianten ausgereift. Alle Versionen unterstützen den Fahrer mehr oder weniger nachdrücklich dabei, sich an die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit zu halten. Gezwungen wird er dazu nicht. ISA macht den Verkehr sicherer, flüssiger, leiser. Das Assistenzsystem spart Treibstoff, senkt die Feinstaub- und CO₂-Emissionen. Und niemand wird mehr geblitzt." Hervorhebung von mir. https://www.zeit.de/2015/03/tempom…verkehr-technik

    Wenn ich in einem Gespräch mit einem Autofahrer auf dieses Thema zu sprechen komme, dann merke ich sehr schnell, ob dieser Autofahrer tatsächlich dringend zum Beispiel aus beruflichen Gründen darauf angewiesen ist ein Auto zu fahren, oder ob es einfach nur einer der vielen "Dumpfbacken" ist, die meinen wer auf's Gaspedal treten kann, der habe auch ein Recht dazu, das Pedal durchzutreten, wann und wie es ihm gefällt.

    Schon seit Ende der 1990er Jahre also schon rund ein Viertel Jahrhundert gibt es die Technik, die Autofahrer davor schützen könnte, die vorgegebenen Geschwindigkeitsbegrenzungen zu überschreiten! Aber die ISA-Technik wird schlecht geredet, und stattdessen über Bußgelder und Führerscheinverbot für zu schnelles Fahren gejammert.

  • der erste ernstgemeinte Versuch, die Unfallursache Nummer Eins wenigstens ein bisschen zu sanktionieren

    Die Grünen hatten jetzt die Wahl zwischen zwei Alternativen:

    Variante 1:

    • Mehr Sicherheit für Radfahrer jetzt
    • Deutliche Verschärfung der Strafen jetzt
    • Ende der Unsicherheit, was nun gilt jetzt

    Variante 2:

    • Erstmal nichts davon
    • Vielleicht in ein paar Monaten oder gar Jahren ein Kompromiss zwischen
      • "Abseits von besonders schützenswerten Einrichtungen bei 21 drüber Fahrverbot beim zweiten mal" und
      • "Abseits von besonders schützenswerten Einrichtungen bei 21 drüber Fahrverbot beim ersten mal".


    Die Grünen haben sich für Variante 2 entschieden: Sie haben ein ziemlich großes Paket von Verbesserungen abgelehnt, um vielleicht (!) in Zukunft bei einem Detail ein klein wenig mehr rauszuholen. Das ist ganz schön hoch gepokert. Sie setzen darauf, dass ihnen die Unsicherheit zum Zitiergebot in die Karten spielt und sie so ihre kompromisslose Linie doch noch zügig durchsetzen können.

    Wenn das nicht klappt, haben wir längere Zeit praktisch überhaupt nichts. Und nächstes Jahr sind schon wieder Wahlen. Da wird das alles nicht einfacher.

  • Die Grünen haben sich für Variante 2 entschieden: Sie haben ein ziemlich großes Paket von Verbesserungen abgelehnt, um vielleicht (!) in Zukunft bei einem Detail ein klein wenig mehr rauszuholen. Das ist ganz schön hoch gepokert. Sie setzen darauf, dass ihnen die Unsicherheit zum Zitiergebot in die Karten spielt und sie so ihre kompromisslose Linie doch noch zügig durchsetzen können.

    Wenn das nicht klappt, haben wir längere Zeit praktisch überhaupt nichts. Und nächstes Jahr sind schon wieder Wahlen. Da wird das alles nicht einfacher.

    Deine Engführung auf die von dir angegebenen 2 Varianten berücksichtigt nicht, dass es schon viel länger sehr viel effektivere Methoden als Tempoblitzer und Geldstrafen die Raserei beenden könnten. Darum wird es zukünftig gehen, durchzusetzen, dass automatische Tempokontrollsysteme Pflicht werden in allen KFZ. Deshalb muss dagegen angekämpft werden, dass Raserei nur als Kavaliersdelikt betrachtet wird und sich der Bundesverkehrsminister für die Raser stark macht und zwar gründlich!

  • Deine Engführung auf die von dir angegebenen 2 Varianten berücksichtigt nicht, dass es schon viel länger sehr viel effektivere Methoden als Tempoblitzer und Geldstrafen die Raserei beenden könnten

    Warum sollte ich das berücksichtigen? Darum ging es weder beim Beschluss noch bei der Suche nach Kompromissen.

    Verglichen mit dem Stand heute lagen mindestens die folgenden Erhöhungen von Strafen auf dem Tisch:

    • Parken auf Geh- und Radwegen vervielfacht. Vorher ab 20€, jetzt ab 55 €.
    • Bis 20 drüber wurden die Strafen verdoppelt.
    • Die Grenze für "Fahrverbot beim zweiten Verstoß" wurde von 26 auf 21 km/h gesenkt.
    • Ein neues Fahrverbot eingeführt für 21 drüber vor besonders geschützten Einrichtungen.

    Alles auf "irgendwann" verschoben.

  • Zitat

    Etwas nochmal zuzustimmen, dem sie schon zugestimmt haben oder aus Dickköpfig nichts davon?!

    Es gehört zum demokratischen Prozess, dass sich Meinungen auch mal ändern. Wenn eine der anderen Parteien den damaligen Beschluss als Fehler betrachtet, sollte man nicht erwarten, dass sie ihn wiederholt.

    Also müssen neue Kompromisse gefunden werden. Und wenn ich es richtig verstanden habe, haben sich die anderen Parteien in den Verhandlungen ordentlich auch die Grünen zubewegt.

    Die waren aber beleidigt und haben sich kein Stück bewegt.

    Und wenn eine Partei ohne Kompromisslinie in eine Verhandlung geht, dann scheitern die Verhandlungen halt.

  • Es gehört zum demokratischen Prozess, dass sich Meinungen auch mal ändern. Wenn eine der anderen Parteien den damaligen Beschluss als Fehler betrachtet, sollte man nicht erwarten, dass sie ihn wiederholt.

    Hm. Wäre das Gesetz handwerklich korrekt gemacht worden, stünde jetzt gar nichts zur Diskussion. Aber anstatt sich dafür öffentlich zu entschuldigen und mit hochroten Ohren zuzugeben, dass man dieser Aufgabe, eine Parlamentarische Entscheidung in ein Exekutives Gesetz zu gießen, offenbar nicht gewachsen ist, werden Forderungen nach Änderungen laut? Ich finde das ziemlich frech! Und völlig falsch. Die Parlamentarier sollten darob eigentlich in schallendes Gelächter ausbrechen.

    Ich bin kein Freund von ideologischen Auseinandersetzungen, aber wir sind ja hier auch nicht im Seifenladen, wo man eben mal die Preisschilder verwechselt. Hoppla! Die parlamentarische Entscheidung wurde gefällt und das Verkehrsministerium hat sich gefälligst daran zu halten. Wenn es das nicht kann oder will, soll es sich bitteschön irgendwohin verziehen. Pathos liegt mir auch nicht, aber hier geht es schlichtweg um das verfassungsmäßig festgelegte Verhältnis zwischen Parlament und Regierung.

    Der Plan war mal, dass über dem Willen des Volkes - bei uns vertreten durch das Parlament - nichts stehen darf. Wer bitte ist das Verkehrsministerium? Das Ganze als "Teil des normalen demokratischen Prozesses" zu relativieren, geht mir entschieden zu weit.

  • Die parlamentarische Entscheidung wurde gefällt und das Verkehrsministerium hat sich gefälligst daran zu halten.

    Laut StVG erlässt das BMVI die StVO mit Zustimmung des Bundesrats.

    Beide Institutionen müssen sich für Änderungen also einig sein. Das BMVI war und ist in keiner Weise verpflichtet, die Beschlüsse des Bundesrats umzusetzen.

    Es hätte die Änderungen des Bundesrats auch einfach ablehnen können.

    Dann wäre die ganze Novelle entweder vom Tisch oder das BMVI hätte einen anderen Vorschlag an den Bundesrat geschickt.

  • Es gehört zum demokratischen Prozess, dass sich Meinungen auch mal ändern. Wenn eine der anderen Parteien den damaligen Beschluss als Fehler betrachtet, sollte man nicht erwarten, dass sie ihn wiederholt.

    Stimmt, wir sollten von Boris Johnson nicht erwarten, dass er auf sein Binnenhandelsgesetzt verzichtet. Das wäre undemokratisch!

    Zu seinem Wort zu stehen, nennt sich Verlässlichkeit. Und die erwarte ich oder verzichte auf Verhandlungen mit dem.

  • mit schwammigen Regelungen wie "vor Schulen" haben Rechtsanwälte was von der Reform. Alle anderen nicht.

    Hier bei meinen Eltern gibts eine Grundschule, vor der ein recht großer Platz mit Springbrunnen drauf ist. T30-Zone.

    Ist das "vor" der Schule?

    an einer Seite des Schulgrundstücks (Rückseite, aber Schulweg zur Vorderseite) gibt es keinen Eingang. Ist das "vor" der Schule?

    Wir brauchen nicht mehr Regeln und mehr Wirr-warr. Wir brauchen weniger Regeln, die aber konsequent umgesetzt.

    Ja, die eine Regel lautet: fahr nicht zu schnell.

    Implizit durch diese ganzen Entscheidungsbäume mit "wenn der Mond gerade im Haus des Saturn steht, dann gibt's Fahrverbot für 1 Monat. Aber nur, wenn nicht gleichzeitig der Sonnenaufgang vor 8.00 liegt." wird daraus aber: fahr nicht zu schnell. Aber je nachdem ists halt recht folgenlos und kontrolliert wird eh kaum.

    blöd.

    Einfache regeln, klare Konsequenzen. Kontrollen.

  • Aus der verlinkten Quelle:

    "Die meisten Menschen sterben im Straßenverkehr allerdings aufgrund einer unangepassten Geschwindigkeit (s. Infobox „Die häufigsten Fehler von Fahrern bei Unfällen mit Getöteten“)."

    Genau!

    Unangepasste Geschwindigkeit

    Dass die Unfälle ursächlich auf die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zurückzuführen sind, steht dort nicht.

  • Dass die Unfälle ursächlich auf die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zurückzuführen sind, steht dort nicht.

    Doch genau das bedeutet eine unangepasste Geschwindigkeit. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit ist das Minimum aus verschiedenen Werten. Die situativen oder persönlichen sind zwar nicht auf einen fixen Wert festgelegt aber dennoch Höchstgeschwindigkeiten. Schau Dir den Wortlaut von § 3(3) StVO an.

  • Ich wette, dass 100,0 % aller Auto-, Motorrad- und Radfahrer sowie Fußgänger unter »zulässiger Höchstgeschwindigkeit« das verstehen, was auf dem Schild steht bzw. was man mit »Ortschaft 50, Landstraße 100« im Kopf hat.

    Wenn man wegen Nebel, Aquaplaning oder spielender Kinder usw. langsamer zu fahren hat (Absatz 1 sowie 2a), redet man von einer Anpassung an die individuelle Situation. Das ist aber keine starre »zulässige Höchstgeschwindigkeit«.

  • Zu seinem Wort zu stehen, nennt sich Verlässlichkeit. Und die erwarte ich oder verzichte auf Verhandlungen mit dem.

    Ich persönlich vermisse die Vergegenwärtigung, welchen Rang ein Ministerium oder ein Minister im gesamten demokratischen Prozedere einnimmt. Mir kommts vor, als wenn eine Eigentümergemeinschaft beschließt, alle Eingangstüren sollen blau gestrichen werden, die (bezahlte) Hausverwaltung versemmelts aber und läßt alle Türen grün streichen. Zur Rede gestellt, erhebt sie plötzlich die Forderung, braun wäre die einzig vertretbare Farbe (und beharrt auf ihrer Bezahlung).

    Ich würde die Typen rausschmeißen und mich weigern, den ursprünglichen Beschluß neu zu diskutieren. Vielleicht sind die Grünen ja inzwischen die letzten, die den Unterschied zwischen Regierung und Parlament kennen? Kommt mir manchmal so vor.

  • Was ich gerade nicht verstehe: Ursprünglich wurde die Novelle doch von Bundesrat + Bundestag verabschiedet. Warum hört man jetzt nur von der Diskussion zwischen Ministerium und Bundesrat? Musste der Bundestag nach den Änderungen nicht erneut zustimmen?

  • Ursprünglich wurde die Novelle doch von Bundesrat + Bundestag verabschiedet.

    Der Bundestag hat mit der StVO nichts zu tun. Im StVG (im Wesentlichen §§ 6 und 26a) hat der Gesetzgeber die Zuständigkeit an das Verkehrsministerium abgegeben. Dieses wiederum braucht für Änderungen die Zustimmung des Bundesrats.

    Darum hat die StVO auch nicht "Gesetz" im Namen.