"Altbestand" und Benutzungspflicht

  • Hallo Leute,

    ich habe folgende Situation über den sog. Melde-Michel an die Stadt gemeldet:

    Dieser "Radweg" ist aus Schotter, nur wenige cm breit aber lt. Beschilderung benutzungspflichtig.


    Die Stadt hat sich zurückgemeldet und schreibt folgendes:

    Zitat von Melde-Michel

    Unsere Rückmeldung an Sie:

    Der Bewuchs wird schnellstmöglich vom Radweg entfernt. Da es sich bei dem Radweg um einen sogenannte Altbestand handelt, greift die StVO in Bezug auf die vorgegebenen Breite nicht.

    Das kann doch nicht sein, oder?

  • Zitat

    "Da es sich bei dem Radweg um einen sogenannte Altbestand handelt, greift die StVO in Bezug auf die vorgegebenen Breite nicht."

    Es geht erstmal um die VwV-StVO, die muss bei Neubauten beachtet werden.

    Altbestände haben Bestandsschutz und die Beschilderung ist gültig. Man kann also bei MIssachtung eine Owi bekommen.

    Die Straßenverkehrsbehörde müsste eigentlich regelmäßig die Anordnungen prüfen und wenn die rechtlichen Anforderungen nicht mehr erfüllt sind, dies auch ändern. Da kommt jetzt §45 zu Tragen.

    Machen die Behörden aber i.d.R. nicht. Du musst dann Rechtsmittel einlegen und die zwingen, zu handeln. Und das geht durchaus, egal ob der Radweg noch geplant wird oder schon 50 Jahre vor sich hinrottet.

    Erzähl lieber mal, wo genau dieser Weg ist. Evt. ist der gar nicht straßenbegleitend.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Machen die Behörden aber i.d.R. nicht. Du musst dann Rechtsmittel einlegen und die zwingen, zu handeln. Und das geht durchaus, egal ob der Radweg noch geplant wird oder schon 50 Jahre vor sich hinrottet.

    Darauf habe ich leider momentan keine Lust... Ich dachte ein Hinweis würde vielleicht zur Überprüfung ausreichen

    Erzähl lieber mal, wo genau dieser Weg ist. Evt. ist der gar nicht straßenbegleitend.

    Poppenbüttler Weg ggü. 126

    Link Mapillary mit größerem Ausschnitt

    Der Radweg ist ziemlich sicher straßenbegleitend...

    Einmal editiert, zuletzt von KSM (19. August 2020 um 10:58) aus folgendem Grund: falscher Straßenname

  • Es geht erstmal um die VwV-StVO, die muss bei Neubauten beachtet werden.

    Altbestände haben Bestandsschutz und die Beschilderung ist gültig. Man kann also bei MIssachtung eine Owi bekommen.

    Altbestände genießen keinerlei gesetzlichen Bestandsschutz. Im Gegenteil: die VwV gilt auch und gerade für den Altbestand. Sie weist die zuständigen Stellen ausdrücklich an, den Bestand "bei jeder sich bietenden Gelegenheit" zu prüfen (und natürlich ggf. zu korrigieren...).

    Zwar haben Gerichte in Verfahren, bei denen Verkehrsteilnehmer gegen die Bestandsbeschilderung geklagt haben, die Fiktion einer nach einer gewissen Frist rechtskräftig unanfechtbar gewordenen Anordnung benutzt. Dabei ging es aber immer nur um das Verhältnis der Beschilderung zu einem einzelnen Betroffenen. Da aber theoretisch jeder Bürger jederzeit überall neu zum Betroffenen werden kann, kann die Behörde ihrerseits sich bei der Verteidigung ihrer Anordnungen nicht darauf berufen, dass die Verwaltungsakte irgendwann grundsätzlich unanfechtbar geworden wären.

  • Ich dachte ein Hinweis würde vielleicht zur Überprüfung ausreichen

    Aber nicht beim Meldemichel, sondern wenn dann direkt bei der zuständigen Straßenverkehrsbehörde.

    Und da das Ring 3 ist, wird die Antwort sein "Auf dem Ring3 ist massiver KFZ- und Schwerlast-Verkehr. Interessiert uns also einen Scheiß welche Breite die Radwege haben."

    Wenn du nicht Zeit+Geld für mehrere Gerichtsinstanzen investieren willst, kannst du dir das gleich sparen.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Die Berufung auf einen etwaigen "Bestandschutz" für Anordnungen, die schon vor der StVO-Novelle von 1997 geschaffen wurden, höre ich hier auch regelmäßig. Das ist ein wesentlicher Punkt meiner Fachaufsichtsbeschwerde, die ich kürzlich eingereicht habe und ich bin gespannt, ob das was bringen wird.

    Wie Th(oma)s geschrieben hat, sind die Verkehrsbehörden verpflichtet, bestehende Anordnungen regelmäßig zu überprüfen und an die aktuelle Rechtslage anzupassen. Immerhin hatten die VBs dafür mittlerweile über 22 Jahre Zeit.

  • die Verkehrsbehörden [sind] verpflichtet, bestehende Anordnungen regelmäßig zu überprüfen und an die aktuelle Rechtslage anzupassen

    Selbst wenn die (auf Zuruf) prüfen, kommt dann sowas bei raus:

    Zitat von Behörde

    Es sollte ihnen bekannt sein, dass gerade die von ihnen beschriebene Strecke vermehrt durch Schwerlastverkehr jeglicher Art benutzt wird. Da die Überholmöglichkeiten auf einer Bergaufstrecke nicht gegeben sind und es dem Fahrzeugverkehr nicht zuzumuten ist, einem Fußgänger oder abgestiegenen Radfahrer im Schritttempo hinterherzufahren, sowie für die eigene Sicherheit für Radfahrer und Fußgänger nicht zuletzt der öffentlichen Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, hat sich die damalige Straßenverkehrsbehörde zu diesem Schritt entschlossen. Ich persönlich (selbst Radfahrer) stehe voll und ganz hinter dieser Entscheidung.

    Man muss also erstmal dafür sorgen, dass deren eigene Rechtsauffassung an die Rechtslage angepasst wird.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Man muss also erstmal dafür sorgen, dass deren eigene Rechtsauffassung an die Rechtslage angepasst wird.

    Dafür mein Lieblingszitat aus der VwV-StVO

    Zitat

    Die Flüssigkeit des Verkehrs ist mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu erhalten. Dabei geht die Verkehrssicherheit aller Verkehrsteilnehmer der Flüssigkeit des Verkehrs vor. Der Förderung der öffentlichen Verkehrsmittel ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

    Zu den §§39 - 43, Randnummer 5

    http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_26012001_S3236420014.htm

    Das ist das genaue Gegenteil von "Die Flüssigkeit des Autoverkehrs muss unter allen Umständen und auch auf Kosten der Sicherheit von Fußgängern und Radfahrern gewährleistet werden".

  • Das ist das genaue Gegenteil von "Die Flüssigkeit des Autoverkehrs muss unter allen Umständen und auch auf Kosten der Sicherheit von Fußgängern und Radfahrern gewährleistet werden".

    Nicht, solange die Beamten sich auch noch als "bin selbst Radfahrer" bei ihren Entscheidungen trotzdem stets die Autofahrer-Brille aufsetzen und aus "da würde mir auch der Kragen platzen, wenn ich hinter mir herfahren müsste" das erhöhte Risiko einer absolut nachvollziehbaren und damit entschuldbaren Kurzschlusshandlung ableiten. So betrachtet ist dann plötzlich nicht mehr der ausrastende Autofahrer der "Störer", sondern der Radfahrer, der durch sein provokantes Verhalten die öffentliche Ordnung stört und damit in der Folge auch die Verkehrssicherheit gefährdet.

  • Außerordentliche Gefahrenlage wegen Autofahrern, die sich nicht an die Regeln halten, ihre Aggressionen nicht unter Kontrolle haben und Straftaten gegenüber Radfahrern begehen könnten. Diese Begründung für blaue Verkehrszeichen habe ich hier auch schon gehört. Man will das Problem lösen, indem man seine Ursache manifestiert. Echt clever! :)

  • Um das klar zu stellen: Altbestandregeln oder -schutz gibt es nicht. Auf Antrag eines betroffenen muss die Behörde neu bescheiden und dabei von den aktuell geltenden Regeln ausgehen. Sie muss also die aktuelle Situation bewerten und das ihr aufgetragene Ermessen ausfüllen.

    Nicht, solange die Beamten sich auch noch als "bin selbst Radfahrer" bei ihren Entscheidungen trotzdem stets die Autofahrer-Brille aufsetzen

    Oder es sind Beamte die dir klar ins Gesicht sagen: "Da fahre ich immer auf dem Gehweg und alle Anderen machen das auch - warum wollen Sie das denn nicht?"

  • Auf Antrag eines betroffenen muss die Behörde neu bescheiden und dabei von den aktuell geltenden Regeln ausgehen.

    Die "aktuell geltenden Regeln" beunruhigen mich etwas. Offenbar wird in Tabellen nachgeschaut, wieviele X-tausend KfZ sein müssen, um eine Benutzungspflicht anzuordnen. Aber ob die angeordnete Benutzungspflicht wirklich das Unfall-Risiko mindert, wird irgendwie gar nicht erörtert.

    10.000 KfZ pro Tag == Radfahrer müssen weg von der Fahrbahn. So in etwa scheints zu laufen. Aber müsste nicht auch geprüft werden, dass dieses "Weg von der Fahrbahn" letzten Endes wirklich sicherer ist? Oder wird das einfach "angenommen"?

  • > Aber müsste nicht auch geprüft werden, dass dieses "Weg von der Fahrbahn" letzten Endes wirklich sicherer ist?
    Das ganze wird auch mit geprüft. Im Kern stellt hierzu ja die Verwaltungsvorschrift genau deshalb bindende Vorgaben zur Radwegbreite auf, die nur in atypischen Fällen umgangen werden kann (zB Unterführung, in der keine einfache Verbreiterung möglich ist). Gerade den Punkt "Ortsdurchfahrt im Altbau", wie an der Roggensteiner Straße halte ich nicht für einen solchen atypischen Fall – aber das wird eh demnächst das Gericht klären dürfen.

    Zu den durch die StVO geschützten Güter gehört aber auch die Leichtigkeit des Verkehrs, so dass ab etwa 1000 Fz/h bei einer V85 von 50km/h davon ausgegangen werden kann, dass der Verkehr nicht mehr flüssig genug rollen würde.

  • > Aber müsste nicht auch geprüft werden, dass dieses "Weg von der Fahrbahn" letzten Endes wirklich sicherer ist?
    Das ganze wird auch mit geprüft. Im Kern stellt hierzu ja die Verwaltungsvorschrift genau deshalb bindende Vorgaben zur Radwegbreite auf, die nur in atypischen Fällen umgangen werden kann (zB Unterführung, in der keine einfache Verbreiterung möglich ist). Gerade den Punkt "Ortsdurchfahrt im Altbau", wie an der Roggensteiner Straße halte ich nicht für einen solchen atypischen Fall – aber das wird eh demnächst das Gericht klären dürfen.

    Zu den durch die StVO geschützten Güter gehört aber auch die Leichtigkeit des Verkehrs, so dass ab etwa 1000 Fz/h bei einer V85 von 50km/h davon ausgegangen werden kann, dass der Verkehr nicht mehr flüssig genug rollen würde.

    1000 Fz/h gibts meiner Erfahrung nach in Emmering bestenfalls in der Rushour - also z.B. vor 8 Uhr morgens. Allerdings sind gegen 7:30 Uhr auch hunderte von Schülern unterwegs, zu Fuß, auf Rollern, etc. Ich hab meine tägliche "Emmering-Durchquerung" deshalb auf nach 8 Uhr verlegt - weil ich auf den offiziellen "Radwegen" zwischen 7:30 und 8:00 teilweise gar nicht mehr "durchkam".

    Nach 8 Uhr morgens kann man teilweise eine ganze Minute ohne irgend ein überholendes Fahrzeug auf der ansonsten völlig leeren Fahrbahn tingeln - herrlich.

    Fließen solche "Rushour-Peaks" eigentlich in eine Urteilsbegründung ein, oder wird stur von einer maximalen Fz/h ausgegangen? "Tagsüber" ist Emmering m.M.n. nämlich völlig harmlos.

  • Ich halte 1000 Fz/h für Emmering etwas zu hoch. Mit knapp 8000 Fz/Tag müsste man in der Rush Hour eher auf 700-800Fz/h in der Spitzenstunde kommen.

    Die Rush Hour-Peaks fließen natürlich mit ein (das Gericht kann aber natürlich auch abweichen, weil die Straße in besonderen Fällen ganztägig ähnlich hohe Verkehrsbelastung aufweist, besonders steil (und damit der Radverkehr besonders langsam) oder viele uneinsehbare Kurven o.ä. enthält. Dann kann ggf. auch darunter eine qualifizierte Gefahrenlage vorliegen. Das Gericht berücksichtigt aber auch, ob Radfahrern eine freiwillige Führung angeboten wird und dadurch eine Gefahrenlage abgemildert werden kann.

    Das hohe Radverkehrsaufkommen habe ich aber auch in der Klage erwähnt – und die disproportionale Menge an Rad-Rad-Unfällen (>80%) mit Verletzungen, obwohl diese nur einen Bruchteil (<15%) des Gesamtverkehrs darstellen aber auch.

  • ja.

    Was wiederum heißt, wenn ich das richtig überschlagen habe, das dann theoretisch zwischen den Autos ~100m Abstand wäre, oder ein Radfahrer mit 20km/h im Ort etwa alle 10 Sekunden von einem KFZ überholt wird.

    Das kling jetzt erst einmal nicht sehr aufregend.

  • Wobei doch diese Zahlen immer beide Richtungen gemeinsam erfassen, also in die jeweils eine Richtung ist es doch nur die Hälfte?

    Guter Punkt. Bei 800Fz/h macht das alle 9 Sekunden ein Fahrzeug in einer Richtung. Also haben die Autos sogar in der Rushour 8 Sekunden freie Bahn zum Überholen. Wenn die Durchquerung 216 Sekunden (3 km bei 50 km/h) dauert, kann der Autofahrer also 27 mal völlig ungestört überholen. Erst ab dem 28sten Radfahrer kommt es statistisch zu einer "Behinderung".

    Ob der Richter dem folgen kann?