Ich empfinde momentan eine ganz große Unsicherheit, was ich als einfacher Bürger jetzt darf oder nicht darf, weil ich momentan geradezu erschlagen werde von der Masse an Allgemeinverordnungen und Bußgeldern, die aber jeweils nur in einzelnen Bundesländern oder gar auf kommunaler Ebene gelten und dann mitunter auch nur für einen bestimmten Zeitraum und so weiter und so fort.
Vor nicht einmal drei Wochen stellten wir fest:
Malte: Joggen und radfahren ist beides ok.
Ich empfinde Radfahren auch nach wie vor als im medizinischen Sinne unproblematisch. Irgendwie muss man nunmal raus, um Einkäufe oder Arzt- oder Bankbesuche zu erledigen, und ohne Auto kommt momentan quasi nur das Fahrrad in Frage. So genannte sportliche Betätigung, die ja im medizinischen Sinne zur Stärkung des Immunsystems und der Vorbeugung von Depressionen anscheinend immer noch angezeigt ist, kommt ja quasi nur Radfahren und Joggen in Frage, weil Fitnessstudios und Sportplätze nicht geöffnet sind.
Für Schleswig-Holstein trat vor zwei Tagen eine weitere Ersatzverkündung in Kraft, die das Verhalten während der Coronakrise regelt: Ersatzverkündung (§ 60 Abs. 3 Satz 1 LVwG) Landesverordnung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Schleswig-Holstein (SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung – SARS-CoV-2-BekämpfV)
Dort heißt es in § 2 Abs. 1 SARS-CoV-2-BekämpfV:
(1) Reisen aus touristischem Anlass nach Schleswig-Holstein sind untersagt. Dies gilt auch für Reisen, die zu Freizeitzwecken, zu Fortbildungszwecken oder zur Entgegennahme von vermeidbaren oder aufschiebbaren Maßnahmen der medizinischen Versorgung, Vorsorge oder Rehabilitation unternommen werden.
Da steht aber „Reisen aus touristischem Anlass nach Schleswig-Holstein“, nicht „in Schleswig-Holstein“. Ich befinde mich bereits in Schleswig-Holstein, will also die Landesgrenze weder in die eine noch in die andere Richtung überfahren. Allerdings folgt dann noch Satz 2, der das Verbot unter anderem auf Reisen zu Freizeitzwecken ausweitet. Nun bin ich mir unsicher: Ist das nur eine Verdeutlichung, das auch Freizeitfahrten ohne Beherbergung oder Schlauchboot im Gepäck unter den Begriff „Tourismus“ fallen oder geht es hier auch plötzlich um innerländische Fahrten, ohne dass diese explizit genannt werden? Da sich das Ganze unter der Überschrift „Reisen nach Schleswig-Holstein“ abspielt, neige ich zur ersteren Interpretation.
Es gibt aber noch eine Begründung weiter unten auf der Seite zu § 2 SARS-CoV-2-BekämpfV:
ZitatReisen aus touristischem Anlass in das Gebiet des Landes Schleswig-Holstein sind untersagt. Dies umfasst keine Tagesreisen innerhalb des Landes und keine Ausflüge von geringem Umfang wie Spaziergänge und -fahrten.
Das verstehe ich so: Innerhalb Schleswig-Holsteins kann ich erst einmal herumfahren wie ich lustig bin („Spazierfahrten“), sofern ich nicht mit anderen Absätzen der Verordnung kollidiere wie beispielsweise § 4 Abs. 1, der das Betreten von Inseln, Halligen und Warften mit Ausnahme von Nordstrand verbietet.
Nur: Was ist nun wieder ein geringer Umfang? Bezieht sich das auf die Entfernung? Dann hätte man diese Entfernung ja in der Begründung nennen können. Die Entfernung ist aber unsinnig, denn ich kann ja einen Ausflug mit dem Auto ans andere Ende des Landes unternehmen, um dort im Wald spazieren zu gehen, und bin dort dem gleichen Infektionsrisiko ausgesetzt als wenn ich an den Stadtrand latsche und dort im Wald herumlaufe. Aber das klingt für mich so, als ob eine einfache Radtour alleine und unter Einhaltung der einschlägigen Abstandsregeln zu Fußgängern weiterhin einigermaßen unproblematisch sind — ganz unabhängig davon, ob ich jetzt zwanzig Kilometer zurücklege oder einhundert.
In den einschlägigen Fahrradgruppen in den gesellschaftlichen Netzwerken gibt es seit Wochen quasi jeden Tag ein neues Diskussionsthema zu dieser Problematik und man geht sich dort teilweise so richtig schön verbal an die Gurgel. Die einen pochen auf den Verordnungstext und brechen zur Radtour auf, die anderen sehen das quasi als Verrat an der „Gesundheit des Volkskörpers“, eieieiei, und bitten sich eine Selbstverständlichkeit aus, dass man in Zeiten wie diesen doch Bitteschön zu Hause bleiben und die Wohnung nur zum Einkaufen verlassen möge.
Und ich bin mir nach wie vor unsicher: Fahre ich jetzt morgen noch mal eine größere Runde, um nach einer Woche Teleheimarbeit mal wieder ordentlich an die frische Luft zu kommen?