Ich glaube, die Holtenauer Straße in Kiel war hier schon mehrfach Thema im Forum, auch wenn ich trotz der Suchfunktion die einzelnen Threads nicht mehr finden kann.
Es handelt sich um eine längere Straße mit gemischter Bebauung, also Geschäfte im Erdgeschoss, darüber Wohnungen. Der Querschnitt besteht aus vier Fahrstreifen, von denen die beiden äußeren tagsüber häufig ordnungswidrig beparkt werden, jeweils einem Seitenstreifen zum Parken, dann einem untermaßigen Radweg, ein paar Bäumchen und einem Gehweg.
Der Radweg ist das hier. Ich glaube, ich muss denen hier im Forum anwesenden Nutzern nicht erklären, was hier alles problematisch sein könnte.
Dieser Radweg soll nach dem Willen der Stadt Kiel nicht mehr genutzt werden. Das hört man sich relativ häufig an, beispielsweise bei den so genannten Stadtteilspaziergängen mit unterschiedlichen Kommunal-, Landes- und Bundespolitikern. Die Stadt Kiel möchte gerne, dass Radfahren auf der Fahrbahn stattfindet. Dazu wurden in den Kreuzungsbereichen der Holtenauer Straße Fahrradpiktogramme appliziert. Leider aber nur im direkten Kreuzungsbereich und nicht als Schutzstreifen über die gesamte Länge der Straße, so dass nicht jeder Verkehrsteilnehmer sofort kapiert, was das bedeuten soll.
Eine relativ beliebte Interpretation dieser Markierungen lautet, dass man mit dem Auto beim Abbiegen auf Radfahrer achten möge und darum diese Symbole auf der Fahrbahn aufgebracht wären. Dass hier aber Radverkehr auf der Fahrbahn stattfinden soll, scheint für die meisten Leute ein Ding der Unvorstellbarkeit zu sein.
Für mich ist die Holtenauer Straße eine relativ schnelle Verbindung von meiner Wohnung zum Bahnhof — ich brauche durchschnittlich elf Minuten, flitzte morgens einträchtig mit dem Kraftverkehr über eine einigermaßen grüne Welle zum Dreieicksplatz, warte dort kurz an einer Ampel zum Rechtsabbiegen und düse die Bergstraße herunter zum Bahnhof. Parallel verlaufen zwar Fahrradstraßen und der Knooper Weg, aber die Kieler Fahrradstraßen sind bekanntlich auch eher ein Parkplatz mit Fahrradpiktogramm in der Mitte: Wenn dort ein Kraftfahrzeug entgegenkommt, muss der Radverkehr abbremsen und zur Seite fahren und dass an den Kreuzungen der geradeausfahrende Radverkehr kraft abgesenkter Kantsteine Vorfahrt haben soll, klappt auch nur ganz mäßig.
Seit der Kieler Woche Ende Juni ist die Holtenauer Straße allerdings sehr unangenehm zu befahren. Ich weiß nicht, ob die Leute dort aufgrund der Straßensperrungen gestresst waren oder abends zu lange an der Förde getrunken haben und morgens wieder früh hoch mussten, jedenfalls gab es jeden Tag (!) mehrere Übergriffe (!) in Form von Anhupen und Pöbeleien. Das Highlight war ein Lieferwagenfahrer, der mich vor Wut mit seinem Fahrzeug an eine Anti-Terror-Barriekade drängen wollte, weil ich nicht auf dem tollen Radweg gefahren bin.
Dann war eine Zeit lang Ruhe, bis sich das Spiel mit den Straßensperrungen zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober wiederholte. Seitdem häufen sich die Übergriffe und ich werde mindestens jeden zweiten Tag relativ unfreundlich angesprochen, warum ich denn nicht auf dem Radweg führe. Heute morgen erfolgte die Ansprache aus einem Oberklassefahrzeug etwas unfreundlicher und weil der Fahrer kurz darauf nach rechts auf einen Parkplatz fuhr, wollte ich mich noch ein bisschen unterhalten, aber ich kam überhaupt nicht zu Wort: Radfahrer fahren nicht auf dem Radweg, Radfahrer fahren immer über rot, ich müsste mal bei ihm mitfahren, was er alles mit Radfahrern erlebt, Radfahrer pöbeln und beleidigen und so weiter und so fort. Und aus dieser Laune heraus erwächst dann mit der Zeit womöglich die Bereitschaft, auch mal das eigene Kraftfahrzeug als Waffe einzusetzen und den zweirädrigen Kontrahenten nach rechts auf den Bestimmungsort zu bugsieren.
Ich weiß nicht warum, aber die Leute sind schon morgens zwischen 5 und 7:30 Uhr ausgesprochen schlecht gelaunt, obwohl das Verkehrsaufkommen ausgesprochen mäßig ist und ein paar Fahrbahnradler in dem Moment nun wirklich keine Stresshormone ausschütten können. Tja.
Die Stadt Kiel meint, man könnte da momentan nicht viel machen, weil ja bald, also irgendwann in ferner Zukunft, die StadtRegionalBahn durch die Holtenauer Straße fahren soll. Nach meiner Kenntnis ist noch nicht einmal ansatzweise klar, ob die wirklich gebaut wird, aber man möchte einigermaßen verständlicherweise nicht jetzt sehr viel Geld in die Hand nehmen, um dann in drei Jahren noch einmal alles umzubauen (als ob die Bahn bereits in drei Jahren wirklich gebaut würde!). Aber bis zu jenem fernen Tage bleibt der Straßenquerschnitt wie er ist — und man wird sich auf dem Rad wohl weiterhin maßregeln lassen müssen.
Und nun? Habt ihr irgendwelche Ideen, was man bei der Stadt anregen oder sogar durchsetzen könnte? Durchgängige Schutzstreifen, die also eine Verknüpfung der Stummel in den Kreuzungsbereichen darstellten, wären ja wahrscheinlich am effektivsten um anzuzeigen, dass hier Radverkehr stattfinden soll, aber dafür mangelt es wohl bei diesem Querschnitt an Platz. Den ganzen rechten Fahrstreifen als Schutz- oder Fahrradstreifen zu markieren dürfte ebenfalls illusorisch sein, damit wäre das geliebte Parken in der zweiten Reihe nicht mehr möglich und dann hat nämlich der Einzelhandel noch ein Wörtchen mitzureden; das wird also kurzfristig nicht durchsetzbar sein.
Einfach ein paar Fahrradpiktogramme auf dem rechten Fahrstreifen malen? Das tut niemanden weh, da kann dann weiter für den Einzelhandel „nur ganz kurz“ in zweiter Reihe geparkt werden, aber immerhin ist für ein paar mehr Leute sichtbar, dass der Radverkehr auf der Fahrbahn stattfinden soll.
Andererseits — ob sich wütende Kraftfahrer von ein paar zusätzlichen Piktogrammen beruhigen lassen?
Immerhin bin ich längst nicht mehr der einzige, der dort auf der Fahrbahn radelt. Trotz der häufigen Übergriffe, die ich auch bei anderen Radfahrern beobachte, rollt da wohl grob geschätzt ein Viertel bis ein Drittel der Radfahrerenden auf der Fahrbahn.