Sicherheitsabstand zwischen Fahrrad und entgegenkommendem Kraftfahrzeug

  • § 5 Abs. 4 StVO sagt:

    Wer zum Überholen ausscheren will, muss sich so verhalten, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist. Beim Überholen muss ein ausreichender Seitenabstand zu den anderen Verkehrsteilnehmern eingehalten werden. Beim Überholen mit Kraftfahrzeugen von zu Fuß Gehenden, Rad Fahrenden und Elektrokleinstfahrzeug Führenden beträgt der ausreichende Seitenabstand innerorts mindestens 1,5 m und außerorts mindestens 2 m. An Kreuzungen und Einmündungen kommt Satz 3 nicht zur Anwendung, sofern Rad Fahrende dort wartende Kraftfahrzeuge nach Absatz 8 rechts überholt haben oder neben ihnen zum Stillstand gekommen sind. Wer überholt, muss sich so bald wie möglich wieder nach rechts einordnen. Wer überholt, darf dabei denjenigen, der überholt wird, nicht behindern.

    Im Zuge der Freigabe dieser Lüneburger Einbahnstraße für den Radverkehr in Gegenrichtung kam die Frage auf, wie es sich denn im Begegnungsverkehr mit dem Sicherheitsabstand verhält.

    Der in Richtung der Einbahnstraße fahrende Kraftverkehr hat auf seiner Seite entlang der gesamten Straße so genannte Schrägparkplätze, die auf den Luftbildaufnahmen bei Google Maps gut zu erkennen sind. Das heißt, wenn ich mit dem Rad ordnungsgemäß entgegen der Einbahnstraße fahre, hat der mir entgegenkommende Kraftverkehr das Hindernis auf seiner Seite und müsste mir eigentlich Vorrang gewähren. Man kann sich ausmalen, dass das wohl nicht so richtig gut funktionieren wird.

    Was dann bleibt, wäre ein gewisser Sicherheitsabstand, der aber in der Straßenverkehrs-Ordnung für diesen Fall nicht vorgesehen scheint, weil es sich nicht um einen Überholvorgang handelt, der ja schließlich nur zwischen Fahrzeugen mit der gleichen Fahrtrichtung stattfindet. Dennoch scheint mir der Schutzzweck der Vorschrift mit dem Sicherheitsabstand von 1,5 m das Verhindern von Kollisionen zu sein, deren Risiko im Begegnungsverkehr noch größer sein dürfte als in der gleichen Fahrtrichtung. Insofern ginge ich davon aus, dass der Verordnungsgeber hier auch von einem ausreichenden Sicherheitsabstand ausginge, wenngleich er diesen Fall nicht in der Straßenverkehrs-Ordnung niedergeschrieben hat.

    Nach einer Recherche im Netz bin ich nicht wesentlich schlauer zu dieser Thematik geworden. Konsens scheint zu sein, dass ein ausreichender Abstand gewahrt bleiben muss und dass der Abstand offenkundig nicht ausreichend war, wenn es zur Kollision kommt.

    In der Drucksache 591/19 des Bundesrates lese ich:

    Zitat

    Noch immer sterben auf deutschen Straßen rund 400 Rad Fahrende pro Jahr. Besondere Risiken erden dabei das Abbiegen von mehrspurigen Kraftfahrzeugen, insbesondere Lkw, die Unterschreitung des erforderlichen Seitenabstandes beim Überholen und auch die Behinderung der Rad Fahrenden durch unberechtigtes Parken auf Radverkehrsflächen. Mit der vorliegenden Verordnung soll diesen Risiken durch Schaffung bestimmter Ge-h und Verbote begegnet und der Radverkehr sicherer gemacht werden.

    Schön.

    Unten auf Seite 75 geht es weiter:

    Zitat

    Bislang schreibt § 5 Absatz 4 Satz 2 beim Überholen anderer Verkehrsteilnehmer ausschließlich einen „ausreichenden Seitenabstand“ vor. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff wurde durch die Rechtsprechung dahin konkretisiert, dass innerorts in der Regel ein Abstand von 1,5 m und außerorts ein Abstand von 2 m einzuhalten ist. Durch die Einführung von Mindestvorgaben in § 5 Absatz 4 Satz 3 neu wird klargestellt, dass ein die genannten Werte unterschreitender Abstand generell nicht als ausreichend anzusehen ist. Durch die Beibehaltung des unbestimmten Rechtsbegriffs „ausreichender Seitenabstand“ wird zugleich verdeutlicht, dass in Einzelfällen ein größerer Seitenabstand erforderlich sein kann. Dabei gilt der für Kraftfahrzeuge vorgeschriebene Seitenabstand auch für das Überholen von auf Schutzstreifen befindlichen Rad Fahrenden, da sich auch diese auf der Fahrbahn fortbewegen und der Schutzstreifen lediglich einen geschützten Raum der Fahrbahn darstellt. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift kann nichts anderes für Radfahrstreifen gelten; auch dann nicht, wenn diese den Radverkehr und den übrigen Fahrverkehr durch bauliche Vorrichtungen voneinander trennen (sog. Protected Bike Lanes).

    Für mich klingt das so, als haben man immer und überall einen Mindestabstand von 1,5 m zwischen Kraftfahrzeugen und Radfahrenden vorschreiben wollen. Und, das finde ich ja besonders schön, im Sinne dieser Vorschrift ist dieser Abstand auch beim Überholen von auf einem Radfahrstreifen fahrenden Radfahrern einzuhalten — obgleich ein Überholvorgang ja eigentlich auf dem gleichen Straßenteil stattfindet, Fahrbahn und Radfahrstreifen allerdings unterschiedliche Straßenteile sind, so dass erbsenzählerisch hier gar kein Überholvorgang vorliegt.

    Wenn aber der Verordnungsgeber den Sicherheitsabstand immer und überall eingehalten wissen will, sogar bei Radfahrstreifen, wo eigentlich kein Überholen stattfindet, dann darf ich davon ausgehen, dass dieser Abstand auch beim entgegenkommenden Verkehr einzuhalten ist, auch wenn das explizit nicht in der Straßenverkehrs-Ordnung steht?

  • Das heißt, wenn ich mit dem Rad ordnungsgemäß entgegen der Einbahnstraße fahre, hat der mir entgegenkommende Kraftverkehr das Hindernis auf seiner Seite und müsste mir eigentlich Vorrang gewähren.

    Ersetze "müsste" durch "muss" und streiche "eigentlich". Leider gilt auch in diesem Fall faktisch meistens das Recht des Stärkeren und abends am Stammtisch wird sich erzählt, dass sich Radfahrer NIE an die Verkehrsregeln halten und die einem jetzt schon in Einbahnstraßen entgegenkommen. Viele Führerscheininhaber wissen anscheinend nicht einmal, dass es solche Regeln gibt und wie man sie erkennt. Abgesehen davon sind Maßregelungen bei (vermeintlichen) Verkehrsverstößen ohnehin schon immer verboten gewesen. Dennoch zeigt die Unfallstatistik keine Auffälligkeit, dass es sich tatsächlich um ein besonderes Problem handeln würde.

    Ich sehe keine größere Gefährdung durch geringen Abstand im Begegnungsfall als beim Überholen. Im Gegenteil: Da man das entgegenkommende Fahrzeug sieht, kann man sich darauf einstellen und eine Begegnung ist viel schneller vorbei als ein Überholvorgang.

    Da Einbahnstraßen nur für den Radverkehr in Gegenrichtung freigegeben werden dürfen, wenn die zHg max. 30 km/h beträgt, sehe ich auch kein besonderes Risiko, vom Luftzug eines entgegenkommenden Fahrzeuges vom Fahrrad geblasen zu werden.

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    Wenn aber der Verordnungsgeber den Sicherheitsabstand immer und überall eingehalten wissen will, sogar bei Radfahrstreifen, wo eigentlich kein Überholen stattfindet, dann darf ich davon ausgehen, dass dieser Abstand auch beim entgegenkommenden Verkehr einzuhalten ist, auch wenn das explizit nicht in der Straßenverkehrs-Ordnung steht?

    Kurzum: Nein!

    Es handelt sich um irrationales Wunschdenken und nicht um den Willen des Verordnungsgeber, der dies, wie für jedermann ersichtlich ist, eindeutig mit Überholvorgängen in Zusammenhang bringt.

    Wenn man nur 5 Sekunden darüber nachdenkt, wird man auch darauf kommen, dass ein solcher Abstand im Gegenverkehr auf schmalen Straßen auch gar nicht möglich ist. Der Fahrer müsste dann ja den Rückwärtsgang reinknallen, dass es nur so knirscht und möglicherweise kilometerweit rückwärtsfahren.

    Man kann sich auch nicht irgendwelche Verkehrsregeln ausdenken, die einen gerade passen, ohne dass es dafür die geringste Grundlage gibt.

  • Der Sicherheitsabstand bei der Begegnung richtet sich - wie eigentlich immer - nach dem jeweiligen Einzelfall anhand Geschwindigkeit, Fahrzeugen, Ladung, Straßenbreite, Wetter, Sicht usw. Mit dem Überholen ist das aufgrund der schon erwähnten unterschiedlichen Luft-Sogwirkungen nicht direkt vergleichbar und deshalb auch nicht in der StVO beim Überholen geregelt.

    Für übliche Geschwindigkeiten und Kraftfahrzeuge sprechen die (wenigen) Urteile meist von ca. einem Meter. Allerdings kann - anders als beim Überholen - von beiden Fahrzeugen die Geschwindigkeit entsprechend reduziert werden, im Extremfall bis auf "einer bleibt stehen und weist ein, der andere fährt Schritt". In diesem Fall ist der Mindestabstand irgendwo zwischen 10 und 30 cm, ich bin nicht mehr sicher; wichtig ist eben, dass es zu keiner Kollision kommen kann. Ist auch das nicht möglich, dann muss tatsächlich einer der beiden Fahrer "den Rückwärtsgang reinknallen" und zur nächsten möglichen Ausweichstelle fahren, z. B. einer Haltebucht oder einer Einmündung, und den anderen durchlassen.

    Das sind aber wie gesagt sehr seltene Fälle, denn üblicherweise sind so extrem schmale Straßen sehr wenig befahren und wenn sich doch mal zwei treffen, fährt einer über den (unbefestigten) Seitenstreifen oder den gehweg, auch wenn das streng verboten ist. Gegenseitig anzeigen wird man sich da selten, also müssen Gerichte dazu dann auch nur selten Stellung nehmen.

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    Das sind aber wie gesagt sehr seltene Fälle, denn üblicherweise sind so extrem schmale Straßen sehr wenig befahren und wenn sich doch mal zwei treffen, fährt einer über den (unbefestigten) Seitenstreifen oder den gehweg, auch wenn das streng verboten ist....

    ...oder es steigt einer ab und tritt beiseite, da das weniger streng verboten ist.

    ...Gegenseitig anzeigen wird man sich da selten, also müssen Gerichte dazu dann auch nur selten Stellung nehmen.

    Och, es kann schon sein, dass das häufiger angezeigt wird, aber weder Staatsanwaltschaften noch Bußgeldbehörden interessiert sich für solch einen Quatsch.

  • ...oder es steigt einer ab und tritt beiseite, da das weniger streng verboten ist.

    Oder es steigt einer aus und hebt sein Auto kurz auf eines der anderen Autos, die auf den seitlichen Autolagerplätzen stehen. Eigentlich ist auf einer Fahrbahn immer mehr als super-ausreichend Platz für zwei magere Manschgerl, die einfach nur aneinander vorbeikommen wollen. Sogar auf Gehwegen gehts ja auch.

    Woher also kommt nur diese Enge? Ja, klar, ich bin die Ursache! Die leeren Beifahrersitze können es ja nicht sein, weil nicht sein darf, was nicht sein kann, wie wir dank der klugen Kardinäle seit Galilei Galileo wissen. Also muss ich abdanken absteigen.

  • Oder es steigt einer aus und hebt sein Auto kurz auf eines der anderen Autos, die auf den seitlichen Autolagerplätzen stehen. Eigentlich ist auf einer Fahrbahn immer mehr als super-ausreichend Platz für zwei magere Manschgerl, die einfach nur aneinander vorbeikommen wollen. Sogar auf Gehwegen gehts ja auch.

    Woher also kommt nur diese Enge? Ja, klar, ich bin die Ursache! Die leeren Beifahrersitze können es ja nicht sein, weil nicht sein darf, was nicht sein kann, wie wir dank der klugen Kardinäle seit Galilei Galileo wissen. Also muss ich abdanken absteigen.

    Das hast Du leider völlig falsch verstanden. Weder bist Du die Ursache noch musst Du absteigen.

    Du kannst auch dort warten bis ihr beide verdurstet seid oder bis der andere sein Auto beiseite hebt.

    Für mich unverständlich, wie man solche einen Schwachsinn posten kann.

  • Das hast Du leider völlig falsch verstanden. Weder bist Du die Ursache noch musst Du absteigen.

    Du kannst auch dort warten bis ihr beide verdurstet seid oder bis der andere sein Auto beiseite hebt.

    Für mich unverständlich, wie man solche einen Schwachsinn posten kann.

    Kein Schwachsinn :) Wenn Fritze (im Auto) und ich (aufm Fahrrad) uns in einer engen Straße begegnen, geht Fritze wie selbstverständlich davon aus, dass sein leerer Beifahrersitz irgendeinen Platzanspruch begründet. Also nicht nur er als Mensch, sondern auch sein leerer Beifahrersitz.

    Und noch mehr: Wenn ich ihm mit einem leeren Beifahrersitz entgegenkäme, würde er wie selbstverständlich meinem leeren Beifahrersitz einen Platzanspruch gönnen. Also nicht nur mir als Mensch, sondern auch meinem Ding - dem leeren Beifahrersitz.

    Leeren Beifahrersitzen einen Platzanspruch zuzuweisen könnte man auch als kollektive psychische Krankheit bezeichnen. Die LB-Krankheit (leere Beifahrersitz Krankheit) ist eine der genuinen Ursachen unserer Verkehrskollapsprobleme.

  • Es gab wohl schon im alten Rom die Regel, dass bei einer Begegnung auf einer zu engen Straße ein leichteres Fahrzeug einem schwereren Platz zu machen hatte. Dabei reden wir aber von Ochsenkarren, die dank der Spurrillen im Pflaster eher als Schienenfahrzeuge durchgehen könnten.

    Mit Schwerlastverkehr komme ich daher prima zurecht, und gebe auch gern mal meine Vorrang auf, damit es flüssig weitergeht.

    Gerade Lkw-Fahrer freuen sich immer, wenn mal ausnahmsweise jemand für sie mitdenkt.

    Vielleicht ist es aber auch für Fahrer eines normalen Pkw unzumutbar, hinter einem Hindernis auf seiner Seite zu warten, wie es sich gehört?

  • Genau, entscheide ich nach Situation, ob ich meine Vorfahrt aufgebe oder nicht. Wesentlicher Bestandteil ist auch, ob Zeit genug ist die Entscheidung zu kommunizieren, was man in der Situation macht. Nutzt ja auch nix, wenn alle stehen und winken.

    Mal abgesehen davon, das ÖPNV-Busse in der Regel eh der Meinung sind, immer Vorfahrt zu haben , wenn dann 15 Omas mit Rollator im Bus auf dem Boden liegen ist auch nix gewonnen.

    LKW und Busse habe auch oft keine Möglichkeit, einzuscheren. Kann aber auch anders laufen, wenn jeden Morgen der gleiche Busfahrer durchbrezt und man den Mittelfinger bekommt, dann kanns schon mal sein das man Lust bekommt sich durchzusetzen.

  • Klar ist das eine situationsbedingte Entscheidung. Mit Bussen (auch leeren :) ), Lieferwägen, usw., hab ich eigentlich kein Platzproblem im Gegenverkehr.

    Mich ärgert allerdings schon die allgemeine Attitüde des überall vorherrschenden privaten MIVs, ich hätte gefälligst in den Rinnstein auszuweichen, nur damit Herr/Frau X ihr leeres Auto ungestört an den anderen, am Straßenrand geparkten leeren Autos, vorbeiwanzen kann. Auf einer 6-Meter-Fahrbahn bleibt da verdammt wenig Platz, wenn alles zugeparkt ist.

    Hey, da wollen schließlich nur zwei Menschen aneinander vorbei, auf einer Fahrbahn der Breite einer Flugzeuglandebahn, und einer davon - nämlich der, der sowieso am wenigsten Platz beansprucht - soll in den Rinnstein? Das ist keine autozentrierte Politik, das ist eine autozentrierte gesellschaftliche Vorstellung.