Bahntrassenradeln in Norddeutschland

  • Mir war ja überhaupt nicht klar, dass der Bahnhof Soltau in der Lüneburger Heide mal ein sehr zentraler und stark frequentierter Eisenbahnknoten war. In sieben Richtungen zweigten dort Bahnschienen ab, dort wurden nicht nur Wochenendtouristen durch die Lüneburger Heide gefahren, sondern auch Auswanderer auf der so genannten Amerikalinie von Berlin nach Bremerhaven. Ich bin erheblich fasziniert.

    Von den sieben Richtungen werden mittlerweile nur noch vier befahren, nämlich Uelzen–Soltau–Bremen und Buchholz–Soltau–Hannover. Die nur zwölf Kilometer lange Strecke ins benachbarte Neuenkirchen wurde abgebaut und lässt sich teilweise mit dem Rad oder einer Draisine befahren, die Strecken Lüneburg–Soltau und Celle–Soltau liegen auch noch und werden teilweise sogar noch im Güterverkehr bedient.

    Das wäre auch mal ein schönes Ziel für ein paar längere Ausflüge mit dem Rad.

  • Von den sieben Richtungen werden mittlerweile nur noch vier befahren, nämlich Uelzen–Soltau–Bremen und Buchholz–Soltau–Hannover. Die nur zwölf Kilometer lange Strecke ins benachbarte Neuenkirchen wurde abgebaut und lässt sich teilweise mit dem Rad oder einer Draisine befahren, die Strecken Lüneburg–Soltau und Celle–Soltau liegen auch noch und werden teilweise sogar noch im Güterverkehr bedient.

    Ich bin drei der Strecken, nämlich Munster–Beckedorf, Beckedorf–Soltau und die bereits abgebaute Strecke Soltau–Neuenkirchen in den letzten Tagen abgefahren.

    Dabei fiel mir ein, dass ich mich vor einigen Jahren, als ich Lischen-Radieschen kennengelernt habe, wunderte, warum in ihrer niedersächsischen Heimat so viele größere Städte, etwa Uelzen, Lüneburg, Gifhorn, Wittingen und Celle, so fernab der Autobahnen lagen. Für mich war damals ein Autobahnanschluss ein wesentliches Infrastrukturmerkmal einer modernen Stadt. Ich scherzte damals noch, obwohl ich mein Auto erst wenige Monate zuvor abgeschafft hatte, dass wir mit der Bundesautobahn 39 quasi schnurstracks von Hamburg nach Hankensbüttel fahren könnten.

    In den letzten Tagen habe ich dann verstanden, dass oben genannte Städte (plus Soltau, das ja die BAB 7 quasi vor der Tür hat) in einer Zeit, in der das Auto noch nicht so wichtig war, die Eisenbahn aber umso mehr, mit einem dichten Netz von Eisenbahnstrecken verbunden waren. Von Soltau ging es in die bereits erwähnten sieben Richtungen, von Celle aus in acht Richtungen, von Wittingen aus in fünf Richtungen. Davon ist heute nur noch wenig übrig.

    Klar ist mir auch geworden, dass die Nachfrage wenigstens im Bereich der Osthannoverschen Eisenbahn vorrangig durch den Güterverkehr bestimmt wurde und nicht durch den Personenverkehr. Die Strecken führen an jedem Industriegelände entlang, jeder noch so kleine Betrieb hatte damals einen Eisenbahnanschluss. Weil die OHE nicht der Deutschen Bundesbahn unterworfen war, sind viele der Anschlüsse und Laderampen heute noch sichtbar — wenngleich sie allerdings gänzlich außer Betrieb genommen wurden. Ich habe tatsächlich nicht einen Industrieanschluss gesehen, der heute noch genutzt würde.

    Weil aber noch viele Weichen und Ausweichgleise vorhanden sind, kann man ungefähr abschätzen, wie denn andere Bahnhöfe entlang anderer Klein- und Nebenbahnen heutzutage aussähen, wären sie nicht längst abgerissen. Die OHE nutzt die Bahnhöfe hingegen vorrangig zum Abstellen von Güterwagen. Hier stehen Unmengen an Flach-, Güter- und Kesselwagen in der Gegend herum, teilweise sind die Gleise von Grenzzeichen bis Grenzzeichen vollgestellt worden. Da sich die OHE aber vor einigen Jahren aus dem Güterverkehr verabschiedet hat — es ist hier ja nichts mehr zu transportieren, weil alles über die Straße gefahren wird — handelt es sich wohl nur um Dauerparkplätze für Eisenbahnwagen. Güterverkehr wird hier nur noch sporadisch, ein paar Mal im Jahr von DB Cargo betrieben, wenn Militärfahrzeuge aus Munster oder Bergen abgefahren werden sollen, hin und wieder werden wohl auch noch Düngemittel, Baustoffe sowie Nutz- und Schadhölzer transportiert.

    Und es gibt natürlich auch Begehrlichkeiten, die Strecken komplett stillzulegen und abzubauen. Wie sagt man doch so schön: Gleise raus, Supermarkt drauf. Ich würde mir ja wünschen, dass diese Strecken wenigstens von der Bebauung freigehalten werden, so dass irgendwann einmal, falls man sich doch noch mal zu einer Verkehrswende hinreißen lassen sollte, überhaupt die Möglichkeit einer Reaktivierung bestünde.

    Nach meinem laienhaften Verständnis müsste doch gerade die Lüneburger Heide als touristisches Ausflugsziel irgendein Interesse an einer Schienenanbindung haben. Bispingen hält beispielsweise eine ganze Menge Attraktionen bereit, in dessen Bahnhof hält hingegen kein Zug. Der Heidepark ist mit dem 2,5 Kilometer entfernten Haltepunkt Wolterdingen auch nur sehr mäßig angeschlossen. Nun ist natürlich die Frage, wer von den Touristen überhaupt mit der Bahn zum Heidepark, zum Snow-Dome oder nach Soltau fahren möchte, wenn die An- und Abreise zum und vom Feriendomizil ohnehin mit dem eigenen Auto bestritten wird.

    Der Bruch zwischen Nah- und Fernverkehr macht es ja auch maximal unattraktiv, mit der Bahn in den Urlaub zu fahren. Da kommt man dann mit dem Fernverkehr nach Hannover und muss den Rest der Strecke mit dem Bummelzug im Zweistundentakt bewältigen. In Celle hält einmal stündlich sogar ein ICE, dafür kommt man aus Celle aber nur mit dem Bus weiter, sofern man nicht mit dem Metronom diagonal durch das bewaldete Niemandsland fahren möchte. Das ist halt wie an der Ostsee: Bis Hamburg kommt man locker aus allen Richtungen mit dem ICE, ab dann gurkt man mit dem Regionalexpress bis Lübeck, ab da geht es dann mit einem winzigen LINT 41 die Ostseeküste hoch.

    Vielleicht sind das aber auch die ungleichen Chancen von Bahn und Auto hinsichtlich des Verbesserungspotenzials: Während wir für das Auto neue Autobahnen, neue Straßen und neue Parkplätze in Massen bauen, müssen Verbesserungen für die Eisenbahnanbindung immer mit der vorhandenen Infrastruktur funktionieren — und selbst dann bildet sich sofort eine „Interessengemeinschaft Schienenlärm“, „Bürgervereinigung Bus statt Bahn“ oder ähnliches.

    Jetzt mal ganz unabhängig vom Fahrgastpotenzial und Finanzierung gedacht fände ich es interessant, dem Heidepark einen eigenen Bahnhof vor die Tür zu stellen, der dann im Sommer etwa aus Hamburg, Bremen und Hannover angefahren werden kann, die Züge könnten dann unterwegs noch ein paar Fahrgäste einsammeln. So ganz fernab der Realität scheint dieses Fahrgastpotenzial ja nicht zu sein, die RB 38 fährt an den Wochenenden ja schon ab Hamburg-Harburg mit einer Doppeltraktion LINT 54 los, die bei gutem Wetter bis Wolterdingen prächtig gefüllt ist.

    Aber ich habe den Eindruck, dass insbesondere aufgrund der jetzigen Coronakrise von solchen Überlegungen erst einmal Abstand zu nehmen ist. Schade.

  • hm. Verkehrsinfrastrukturplanungen laufen doch aber in Zeithorizonten von Jahrzehnten. Da kümmert so eine Jahres oder 3-Jahres, meinetwegen auch 5-Jahreskrise nicht so wahnsinnig viel.

    Und wenn ich das momentan richtig mitbekommen hab, hat die Bahn doch noch Corona ein Infrastrukturausbauprogramm aufgelegt, von dem sie aktuell auch nicht wegwollen.

    Herausforderung ist aber vermutlich, dass da so ein Sanierungsstau ansteht, dass in der Tat keine neuen Strecken gebaut werden.

  • Momentan macht ja die Nachricht die Runde, dass bald über 200 stillgelegte Bahnstrecken wieder reaktiviert werden sollen:

    Nur: Das ist keine Ankündigung zur großen Verkehrswende nur die regelmäßige Veröffentlichung von vdv und der Allianz pro Schiene. In deren Liste tauchen ab Seite 28 eine ganze Menge Bahnanbindungen auf, darunter auch einige, die ich schon besichtigt habe, etwa die erwähnte Verbindung von Celle bis Soltau oder Lüneburg über Bispingen bis Soltau oder Ascheberg bis Neumünster oder sogar ein Teil der vor kurzem gerade erst abgebauten Strecke von Wittingen nach Oebisfelde. Sogar von Lüneburg über Danneberg und Dömitz sollen wieder Züge bis Wittenberge fahren.

    Ich halte das für größtenteils unrealistisch. Schon die Reaktivierung von Neumünster–Ascheberg höre ich mir seit Jahren an, aber da gibt’s eben Anwohner, die dort neben der Strecke wohnen und keinen großen Wert auf Nahverkehrszüge im Vorgarten legen. Bei der Strecke von Kiel nach Schöneberg wird immer diskutiert, ob nicht die Gefahr bestünde, dass angesichts der Bahn womöglich das Busangebot nach Kiel ausgedünnt würde, was wohl mit einer der Gründe ist, warum die ganze Sache nicht in Gang kommt. Besagte Studie befasst sich auf Seite 10 damit und ich behaupte mal ganz frech, dass das Argument mit dem Bus vorrangig von Anwohnern vorgebracht wird, die ohnehin nicht mit dem Bus fahren.

  • Jetzt mal ganz unabhängig vom Fahrgastpotenzial und Finanzierung gedacht fände ich es interessant, dem Heidepark einen eigenen Bahnhof vor die Tür zu stellen, der dann im Sommer etwa aus Hamburg, Bremen und Hannover angefahren werden kann, die Züge könnten dann unterwegs noch ein paar Fahrgäste einsammeln. So ganz fernab der Realität scheint dieses Fahrgastpotenzial ja nicht zu sein, die RB 38 fährt an den Wochenenden ja schon ab Hamburg-Harburg mit einer Doppeltraktion LINT 54 los, die bei gutem Wetter bis Wolterdingen prächtig gefüllt ist.

    Die Idee lässt mir ja keine Ruhe. Wir wollen am Wochenende mal die Heideblüte bestaunen. Die erwähnte RB 38 bringt uns immerhin bis Handeloh oder Wintermoor, von dort aus kann man dann neun Kilometer bis zum Wilseder Berg laufen oder noch ein paar Kilometer mehr bis Undeloh. Von dort aus darf man die Strecke dann wieder zurückmarschieren. Viel besser fände ich ja eine solche Wanderung von Wintermoor über den Wilseder Berg bis Döhle. Döhle liegt aber an der stillgelegten Bahnstrecke von Bispingen nach Winsen und eine Reaktivierung lohnt sich dort offenbar überhaupt nicht.

    Also fahren wir nun mit der Bahn von Hamburg nach Tostedt, dort mit einem zweistündig verkehrenden Bus bis Undeloh und laufen von dort aus zurück.

    Naja. Besser als nichts.

  • Auf den OHE-Bahnstrecke Winsen-Hützel bzw. Winsen-Soltau findet ja Museumsverkehr statt - http://www.heide-express.de/ . Grundsätzlich könnte ein Ausbau des Sommerfahrplans Richtung Heidepark möglich sein. Stellt sich nur die Frage, wer das Risiko trägt, falls die Fahrten nicht ausgelastet wären. Der HVV hätte hier keine Gültigkeit. Die Fahrten wären also gesondert zu zahlen. Die AVL ist auch regelmäßig bei Reaktivierungsdiskussionen zur Strecke Lüneburg-Amelinghausen und Lüneburg-Bleckede dabei.

  • Die AVL ist auch regelmäßig bei Reaktivierungsdiskussionen zur Strecke Lüneburg-Amelinghausen und Lüneburg-Bleckede dabei.

    Nach Bleckede bin ich ja vor zwei Wochen bereits gefahren, das war mit dem Faltrad und dessen kleinen Reifen allerdings eher kein Vergnügen. Seitdem bin ich allerdings auch passives Mitglied in der AVL, weil wir ja wahrscheinlich in den nächsten Monaten nach Lüneburg umziehen. Die restlichen Strecken schaue ich mir dann später mal genauer an.

  • Beitrag von krapotke (20. August 2020 um 18:47)

    Dieser Beitrag wurde vom Autor gelöscht (5. Januar 2023 um 10:44).
  • Umzug? Schade, ich werde deine Berichte über den Kieler Radverkehr vermissen.

    Ja, mein Aufenthalt in Kiel war aber ohnehin nur für ungefähr zwei Jahre angelegt, bis meine Freundin, beziehungsweise nunmehr Frau, hier ihr Studium beendet hat. Lüneburg war dann der beste Kompromiss aus einer schönen Stadt in Niedersachsen und einer guten Bahnanbindung nach Hamburg und Celle.

  • Die DB bietet gerade ein sehr stolzes Bahnhofsgebäude am Fuße des Thüringer Waldes (Gräfenroda) an. für schlappe 7.000€ incl. großem 6000m² Grundstück ist man dabei.

    Der Haltepunkt nebst neuen Bahnsteigen liegt direkt hinter dem Empfangsgebäude.

    Tja. wenn das ganze nicht so extrem JWD wäre und auch nicht so touristisch im Niemandsland läge:

    - alle Fernradwege führen in großem Bogen um den Ort herum

    - im Winter müsste man immer noch 450 Höhenmeter hochkraxeln, um auf 800hm Schnee zu haben, wenn es denn mal gut läuft

    ... dann würd ich mir das direkt mal näher angucken.

    Direkt vor.. hinter der Haustüre könnte vielleicht der nächste Bahntrassenradweg starten. nämlich auf der mittlerweile stillgelegten Strecke nach Gotha :D

    Ja, ist traurig, dass da trotz Investitionen in der Vergangenheit kein Personenverkehr mehr läuft - aber als Radweg wärs bestimmt toll. 8)

  • Aus Erfahrung kann ich nur dazu raten, von ehemaligen Bahnliegenschaften die Finger zu lassen. Man versinkt in einem Strudel der Bürokratie, weil da noch jede Menge Ämter (Gemeinde, Bahn-, Umwelt, Denkmalschutz-, Bau- und Wasserbehörde, u.a.) mitreden dürfen. Erst Recht, wenn die Strecke noch in Betrieb ist. Die Altlasten sind meist auch nicht ohne.

  • Zitat

    Die DB bietet gerade ein sehr stolzes Bahnhofsgebäude am Fuße des Thüringer Waldes (Gräfenroda) an. für schlappe 7.000€ incl. großem 6000m² Grundstück ist man dabei.

    Nachdem ich gerade einen feinen Hundeauslauf suche und die Größe des Grundstückes irgendwie toll klingt habe ich das mal angeschaut. Ein paar kleinere Probleme gibt es ja schon. Kein Klo, keine Heizung, Pappdach (echt! Da steht Kartonage), alles a weng zusammengebrochen. Und das Grundstück liegt zwischen alten Bahngleisen und Gärten. Kein Schatten, kein Wasser, nix.

    Ich mein ... 7000€ sind nicht viel, aber da liegt ja nun wirklich gar nichts. Ne Menge Schotter und schlecht zu verkaufender Ziegelschrott mal abgesehen.

  • dafür kostet der Spaß halt auch nur 7000,-.

    Auf meinem Girokonto liegt aktuell mehr rum.

    klar sind da einige "Hürden". Das fängt an mit vermutlich eingetragenen Wegerechten (Zugang zum Bahnsteig) und hört mit dem Zustand des Gebäudes (Schwamm!!!) auf.

    Altlasten kämen in den Fragenkatalog, den die DB beantworten dürfte. Die hat in den 90ern alle Bahnhöfe und bahn-related-infrastructure bewerten lassen hinsichtlich Rückstellungen zur Sanierung. Die müssen wissen, was da noch liegen könnte. Denkmalschutz fällt flach.

    Die Nähe zur Bahn - geschenkt. die Strecke ist nicht elektrifiziert und wird es wohl auch nicht werden...

    Aber das Gebäude! so wunderschön! <3

    Die alte Laderampe wird zur Auffahrt in die Fahrradwerkstatt

    Das Obergeschoss zum Wohnen ausgebaut, Dachflächenfenster nach Norden

    im Untergeschoss unsere Büros, dann noch ein "Fremdenzimmer"

    Die Fläche parallel zum Gleis: Bodenaustausch, Kleingarten.

    Das Schlimme ist echt die Lage da im dunklen Seitental. hm.

    und die Frage, ob die nicht doch in 10 Jahren auf den Trichter kommen, Oberleitungen hinzustellen... :/

  • Hey, wenn mir in 10 Jahren einer an mein voll renoviertes 7000€ Haus eine elektrifizierte Bahnlinie hängt, dann sähe ich mich vermutlich gezwungen das Gebäude in mehrere Geschäfte zu verwandeln, zu verpachten und den Rest meines Lebens in einem noch ländlicheren Gebiet auf der Fläche von zwei- oder drei Saarländern zu verbringen.

    Da sehe ich noch nicht unbedingt einen Nachteil.