Also.
Tatsächlich ist mit mir letzte Woche ein wenig der Aktionsmus durchgegangen.
Ich hatte ja im letzten halben Jahr gleich zwei einigermaßen prächtige Unfälle mit jeweils ordentlicher Gehirnerschütterung und pflege seitdem einen extrem vorsichtigen Fahrstil. Der Witz ist nur: Weniger blöde Vorfälle erlebe ich dadurch nicht. Auf dem Weg zur Arbeit komme ich binnen fünf Minuten an meinen drei Lieblingskreuzungen zwischen der Kieler Straße und der Reichsbahnstraße, dem Kronsaalweg und der Autobahn vorbei und an jeder dieser Kreuzungen könnte ich mich an jedem Tag totfahren lassen, wenn ich nicht auf meine Vorfahrt verzichtete.
Und dann passierten letzte Woche allzu komische Dinge: Am ersten Tag wollte mich ein Lastkraftwagen-Fahrer maßregeln und versuchte mich beim Rechtsabbiegen, obschon ich natürlich Blickontakt hergestellt hatte, abzudrängen, weil er der Meinung war, für mich gelte die rote Fußgängerampel an der anderen Seite der Kreuzung und nicht die grüne Fahrbahnampel. Einen Tag später versuchte es ein Mittelklassewagen an derselben Kreuzung noch einmal. Und wiederum einen Tag später wollte mich mal wieder ein Kraftfahrer verdreschen, der gedankenverloren rechts abbiegen wollte, dann eine Vollbremsung hinlegte, weil er mich, der ich schon längst mit beiden Füßen auf dem Boden auf dem parallel verlaufenden Radweg wartete, dann doch noch gesehen hatte und mich anschließend zu Fuß knapp hundert Meter mit Gebrüll und geballter Faust verfolgte, weil… ja, weil #ScheißRadfahrer und so.
Und ich habe langsam einfach die Schnauze voll. Eigentlich will ich nur mit dem Rad zur Arbeit und nach Hause fahren. In Wirklichkeit stürze ich mich aber mit meinem Rad in einen bescheuerten Krieg, den ich gar nicht führen will.
Und ich sage mal frei heraus wie ich das sehe: Alleine mit Ordnungswidrigkeitenanzeigen und Gemaule auf facebook oder lustigen Bildern in den Verhalten-im-Straßenverkehr-Threads wird die Sache ja nicht besser. Total gut, dass unsereins vom Siemersplatz bis zum Bahnhof Dammtor auf der Fahrbahn fahren darf — aber wie viele Radfahrer pro Tag nehmen diese Chance war? Zwei? Vier? Sechs? Ich habe außer mir auf der Hoheluftchaussee kaum einen anderen Radfahrer auf der Fahrbahn gesehen. Die meisten fahren freiwillig auf diesen absolut grunzigen Gammel-Radwegen durch drei Baustellen hindurch. Und ehrlich gesagt: Freude hat mir die Fahrbahn-Radelei dort auch nicht bereitet — es war lediglich das kleinste Übel. Dann hat ja mal jemand versucht, mich am Grindelhof nach rechts abzudrängen, weil er dort einen prima Radweg ausgemacht hatte, was wieder mit einer Prellung endete und seitdem ist mir echt klar geworden, dass ich zwar mein Recht wahrnehmen kann, einigermaßen komfortabel auf der Fahrbahn zu fahren, dann aber eben damit rechnen muss, dass mich ein erzürnter Kraftfahrer maßregeln wird, weil er die Sache anders sieht.
Und das ist einfach kein Kampf, den ich hier unter Einsatz meiner Gesundheit führen will. Ich will entspannt zur Arbeit und wieder nach Hause fahren — und ich möchte einfach mal ganz entspannt mit meiner Freundin oder mit meinen Eltern oder mit irgendwelchen anderen Freunden durch Hamburg radeln. Aber ich kann mit meiner Freundin oder meinen Eltern noch nicht einmal die zwei Kilometer ins Niendorfer Gehege radeln, weil man dort auf der Fahrbahn regelmäßig bedrängelt oder angehupt wird. Wir würden es noch nicht einmal bis zum nächsten S-Bahnhof schaffen, weil wir mindestens einen Kraftfahrer treffen werden, der total kacke ist. Darum fahren meine Eltern und meine Freundin und ziemlich viele andere Bekannte, sofern sie nicht bei der Critical Mass oder so dabei sind, aus Sicherheitsgründen lieber überall auf dem Gehweg. Das mag erst einmal entspannter sein, aber auch nur bedingt sicherer.
Soll ich denen dann erzählen, ja, Safety in Numbers, wenn wir nur erst alle die Kieler Straße auf der Fahrbahn herunterdüsen, dann wird alles besser? Ich traue mir ja selbst den Lokstedter Steindamm nicht mehr auf der Fahrbahn zu, weil ich weiß, dass ich spätestens in drei Wochen wieder von jemandem vorsätzlich ins Krankenhaus gefahren werde. Ich finde es immer total geil, wie da drüben in der facebook-alltagsradler-Gruppe argumentiert wird: Auch für Kinder und Senioren wäre die Fahrbahn total gut geeignet, weil… man da ja nicht übersehen wird. So. Aber mal ehrlich: Findet jeder diesen Ritt auf dem Wiesendamm sicher, entspannt und für Kinder geeignet? Entweder wird man eng überholt oder permanent angehupt. Lokstedter Steindamm? Super, ich wurde mit Fanfaren begrüßt wie ein König. Kieler Straße? Im Ernst? Würde jemand mit seinen Kindern guten Gewissens die Kieler Straße entlangfahren, weil es dort sicherer ist als auf dem Radweg? Na klar, man wird wahrscheinlich nicht von blinden Rechtsabbiegern übersehen, aber stattdessen hätte ich permanent Angst, dass jemand meine Kinder vorsätzlich maßregeln wird.
Und ich glaube, dass dieses Prinzip der Fahrbahnradelei nicht mehr funktionieren wird. Die Leute haben schlichtweg Angst oder keine Lust oder sonst etwas, aber wir nehmen diese Sorgen nicht ernst, sondern schwärmen vom glatten Asphalt und den hohen Geschwindigkeiten, die man dort erreicht. Trotzdem werden weder meine Freundin noch meine Eltern noch einige meiner Bekannten in Hamburg mit dem Rad fahren.
Und im Moment finde ich das alles total kacke. Also dachte ich, es wäre mal Zeit, etwas dagegen zu unternehmen.
Beispielsweise werden im Jahr 2018 angeblich die Radwege an der Kieler Straße saniert. Da werden ein paar Stellen ausgebessert, der Großteil bleibt aber kacke, weil die Planung nunmal von Planern vorgenommen wird, die eher nicht auf dem Fahrrad sitzen. Wenn man aber ein bisschen Zeit für einige Interventionen investiert, könnte man vielleicht mehr erreichen als rote Pflastersteine anstelle des schwarzen Belages bei einer gleichbleibenden Radwegbreite von anderthalb Metern.
Beispielsweise kommen bei Unfällen, Radverkehrsförderung oder Verkehrsthemen immer wieder Ploß und Schinnenburg zu Wort. Auf facebook kochen die Alltagsradler, hier im Forum äußern wir uns auch nicht so ganz zufrieden, aber es wäre mal an der Zeit, mit etwas Suchmaschinenoptimierung diese Gegenmeinungen im Sichtbereich von Google und damit im Sichtbereich des normalen Verkehrsteilnehmers zu platzieren. Denn der bekommt in der Regel nur mit, dass Radfahrer alle doof sind.
Und zum Beispiel wäre es auch mal an der Zeit für ein bisschen Marketing fürs Radfahren. In Kopenhagen herrscht bezüglich des Radfahrens eine komplett andere Stimmung — da steht an Baustellen sowas wie „Hej Radfahrer, tut uns leid, dass du warten musst und so weiter und so fort“ — hier steht noch immer „Radfahrer absteigen“. Ich finde, man sollte endlich mal aufhören, andauernd nur die negativen Aspekte des Radfahrens hervorzuheben und zu zeigen, dass so etwas auch Spaß machen kann.
Ich habe im Ideen-Forum nebenan schon ein paar Threads eröffnet, in die ich ungefiltert meine Ideen hineingekritzelt habe. Mir ist klar, dass vieles nicht umsetzbar ist und vieles auch nicht sinnvoll ist, aber das kann man dann ja eben diskutieren. Ich habe nur nicht vor, mein Engagement fürs Radfahren weiterhin auf die Auflistung von blöden Sachen, die mir auf dem Weg zur Arbeit widerfahren sind, zu beschränken. Das nervt mich nämlich noch viel mehr.
Ich denke aber, wenn man sich geschickt anstellt, einiges auch über die „alten Medien“ verbreiten könnte und sich beispielsweise über facebook, twitter und Instagram ins Gedächtnis der Leute schmuggelt, dann könnte man die Autostadt Hamburg vielleicht ganz langsam, aber vielleicht immerhin ein kleines bisschen in eine Fahrradstadt verwandeln.
Das ist so ungefähr der Plan.