Duale Radverkehrslösungen - Beispiele

  • Fahrbahn ist Lava.

    Das beliebte Spiel, das gemeindeübergreifend alle Bevölkerungsschichten verbindet :whistling:

    Woran liegt das, dass von vielen Fahrradfahrenden Fahrbahn als Lava betrachtet wird? Hat wahrscheinlich gar nichts damit zu tun, wie es auf der Fahrbahn oft zugeht? :whistling: Oder doch?

  • Das hat eher etwas mit Erwartungen zu tun als mit realen Erfahrungen.

    Ich erwähne es gerne wieder: ich bin in meiner Zeit in Hamburg mit einem roten PKW unterwegs gewesen, das (damals noch) nur 4 Ziffern hinter der HH-Kennung hatte und oben auf dem Dach war ein dicker Balken für "Laut und Bunt" installiert. Das Fahrzeug war unzweifelhaft als das zu erkennen: Einsatzfahrzeug. Es passierte mir mehr als 1x, dass ich mit 30kmh in einer T30-Zone / 30er-Abschnitt an-ge-hupt wurde. Regelmäßig kam es vor, dass man mir schon fast im Kofferraum des Kombis gesessen ist, wenn ich erlaubte 50 gefahren bin.

    Das Verhalten einiger Leute draußen auf der Fahrbahn hängt weniger vom Gegenüber ab (ob nun Radfahrer, LKW oder behördl. Einsatzfahrzeug), als vielmehr von deren geistigem Horizont.

    Lassen eigentlich genauso viele Leute das Auto stehen, weil "es auf der Fahrbahn so zugeht"?

    Wer Angst davor hat, vorsätzlich von hinten überfahren zu werden, der darf auch nicht als Fußgänger über FGÜs gehen. :/

  • Ich habe in Gesprächen festgestellt, dass die Angst auf der Fahrbahn gar keine Angst ist, überfahren zu werden, sondern dass vielmehr die Sorge dahinter steht, den Autoverkehr zu behindern. Wer sich selbst als Verkehrshindernis sieht, erwartet doch förmlich die Aggressionen.

    Wenn ich mal angehupt werde (was gar nicht so oft passiert), winke ich immer freundlich zurück und rufe "grüß' dich!".

  • Meine Theorie ist, dass zum einen die Geschichte schon lang erzählt wird und die Sichtweise "der Stärkere setzt sich durch" einfach extrem durchgängig in dieser Gesellschaft ist.

    Die ganz extrem ängstlichen Radfahrer:innen haben glaube ich irgendwelche Einschränkungen, die sie beim Autofahren selber deutlich einschränken und dies dann auf alle anderen übertragen.

    As letztes ist es unglaublich bequem, also das Auto, und noch bequemer ist sich als eine Art Behinderter darzustellen, dem alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen sind.

    Entsprechend diesen Punkten war die Story seit Einführung des Autos. Und deswegen haben alle das Gefühl, das Auto hat besondere Vorrechte, und je größer und oder stärker das Auto ist, desto mehr Rechte hat der Besitzer.

    Deswegen sind Fußgänger kein Verkehrsteilnehmer und Radfahrer müssen sich trollen, Umwege fahren und dürfen über Buckelpisten, weil der Porsche-Fahrer halt viel wichtiger ist.

  • Woran liegt das, dass von vielen Fahrradfahrenden Fahrbahn als Lava betrachtet wird?

    Es liegt daran wie Straßen geplant werden

    • Es muss genug Platz sein, damit zwei leere 5-Sitzer aneinander vorbeipassen (dieses Maß steht irgendwo).
    • dann gibts evtl. noch LKWs und Busse, die berücksichtigt werden
    • evtl noch Platz für die abgestellten 5-Sitzer
    • das wars. Falls einer dieser Planer was anderes vorschlägt, ist er jünger als 50 Jahre und wird von den älteren Kollegen verprügelt.
  • Vermutlich trägt dazu bei, dass viele die Autoperspektive als Hauptverkehrsmittel haben (ob nun aktiv oder Mitfahrer/in) und damit eine gewisse Privilegienblindheit einhergeht. Schließlich ist es ja angenehm, wenn sich (fast) alles um die eigene freie Fahrt dreht. Daraus entwickelt sich dann so eine Selbstverständlichkeit und das nur der "Rest" Störfaktor ist, den man dementsprechend behandeln kann.

    Sieht ja bei den anderen auch nicht so viel besser aus, wenn ich dran denke, wie viele Fußgänger*innen sich bedanken, wenn sie am Zebrastreifen rüber"gelassen" werden oder in der Fußgängerzone aus dem Weg springen, wenn jemand wieder ein dringendes Anliegen und Warnblinker hat.

  • Schon mal aufgefallen, wie viele Leute, wenn sie grade ausnahmsweise mal zu Fuß gehen auf Wegen, auf denen kein Auto fahren darf, automatisch genau in der Mitte dieses Mistwegs latschen? Das scheint ein Drang zu sein. Im Auto hockt man ja immer praktisch mitten auf der Straße.

    Drum ist das Rechtsfahren für den Gelegenheitsradfahrer so schwer und er fährt lieber auf dem Mistweg - in der Mitte.

  • Es gibt recht viele Menschen, die zwar Auto fahren, aber konsequent keine Autobahn benutzen. Zwar ist die Zahl der Unfälle auf Autobahnen geringer als auf Landstraßen, trotzdem werden Autobahnen von Autofahrer*innen gemieden, weil es ihnen dort zu hektisch zugeht und dort sehr hohe Geschwindigkeiten gefahren werden. Möglicherweise ist es sogar so, dass das nicht nur ein Gefühl ist, sondern dass die Unfallgefahr auf Autobahnen tatsächlich deutlich höher ist, als vielfach angenommen, wenn man nämlich die Verweildauer auf der Autobahn als statistische Grundlage benutzt anstatt der Kilometerleistung. Konkret: Wenn ich eine Stunde auf der Autobahn mit 180 km/h fahre, dann entsprechen diese 180 km einer Zeit von 3 Stunden Verweildauer auf der Landstraße und innerörtlichen Straßen, wo ich im Schnitt nur mit 60 km/h unterwegs bin.

  • Vermutlich trägt dazu bei, dass viele die Autoperspektive als Hauptverkehrsmittel haben (ob nun aktiv oder Mitfahrer/in) und damit eine gewisse Privilegienblindheit einhergeht. Schließlich ist es ja angenehm, wenn sich (fast) alles um die eigene freie Fahrt dreht. Daraus entwickelt sich dann so eine Selbstverständlichkeit und das nur der "Rest" Störfaktor ist, den man dementsprechend behandeln kann.

    Sieht ja bei den anderen auch nicht so viel besser aus, wenn ich dran denke, wie viele Fußgänger*innen sich bedanken, wenn sie am Zebrastreifen rüber"gelassen" werden oder in der Fußgängerzone aus dem Weg springen, wenn jemand wieder ein dringendes Anliegen und Warnblinker hat.

    Das ist ein zweischneidiges Problem: Ja, es gibt Fußgänger, die sich bedanken, wenn sie beim Fußweg "rüber gelassen" werden, obwohl sie dort, ganz klar geregelt, Vorrang haben. Allerdings ist es so gelaufen: "1964 wurde das Vorrangrecht für Fußgänger auf Zebrastreifen in der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen. Aus Furcht, dies könnte den Autoverkehrsfluss negativ beeinflussen, gingen die Städte dazu über, Zebrastreifen abzubauen." Das heißt ältere Menschen kennen es durchaus noch so aus ihrer Jugend, dass man sich zurecht bedanken musste, wenn einem am Fußgängerüberweg Vorrang gewährt wurde. Und andere Fußgänger, die sich eher defensiv am Zebrastreifen verhalten, befürchten möglicherweise instinktiv dessen Existenz zu gefährden, wenn sie allzu forsch von ihrem Vorrangrecht Gebrauch machen.

    Quelle: https://www.fuss-ev.de/verein/vernetz…chland&catid=57

    Mir ist es übrigens schon häufiger passiert, dass in Hannover Fußgänger am Zebrastreifen mir Vorrang gewähren wollten, wenn ich mich auf der Fahrbahn mit dem Fahrrad, dem Zebrastreifen näherte. Auf Nachfrage erhielt ich dann die Auskunft, einen Autofahrer würden sie nicht durchwinken.

  • Dann können das 60 Jahre später natürlich nicht alle wissen.

    Auch 60 Jahre später hat sich nichts daran geändert, dass viele Verkehrsteilnehmer*innen am Steuer eines Fahrzeugs davon ausgehen, dass sie die eingebaute Vorfahrt gegenüber Fußgänger*innen auch am Zebrastreifen haben. Und die Zahl der potenziellen Märtyrer unter den Fußgänger*innen, die bereit sind mit maximalem Körpereinsatz Autofahrenden Paroli zu bieten, hält sich in Grenzen.

    So gesehen ist es eigentlich nicht groß verwunderlich, dass ähnliche Probleme bei der partiellen Aufhebung der Radwegbenutzungspflicht bestehen. Ist ja auch gerade erst mal 26 Jahre her.

  • Warum eigentlich?

    Das hat eine ganz natürliche Ursache: Es dient zur Lebenserhaltung am Zebrastreifen nicht blind darauf zu vertrauen, dass schon kein Auto kommen werde, dass es nicht gut mit mir meint. Leider gibt es Autofahrende, die das Zögern des Fußgängers missverstehen oder absichtlich missverstehen als Einladung regelwidrig dem Fußgänger seinen Vorrang streitig zu machen. Es ist schon eine besondere Aufgabe als Fußgänger das richtige Tempo beim Benutzen des Zebrastreifens zu wählen, die richtige Entschlossenheit zum Ausdruck zu bringen und trotzdem dabei auf der Hut zu sein.

    Noch schwieriger ist das an vielen Einmündungen und Kreuzungen, wenn beide, die am Fußverkehr und die am Radverkehr Teilnehmenden gar nicht wissen, dass abbiegender Fahrzeugverkehr wartepflichtig ist, gegenüber Geradeaus-Fußverkehr. Auch das ist mir schon auf dem Fahrrad passiert. Ich will in eine Querstraße abbiegen, aber ein vorrangberechtigter Fußgänger im Geradeausverkehr will partout mich vorlassen. Klar einige Menschen, die mit dem Fahrrad oder Auto unterwegs sind, könnte das auf die irrige Idee bringen, sie hätten in einer solchen Situation Vorfahrt, oder es sei eben "guter alter Brauch" den Fahrzeugen Vorrang zu gewähren.

  • Andersherum wissen viele Fußgänger nicht, dass sie keinen Vorrang haben vor Fahrzeugen, die aus der Einmündung kommen.

    Mir hat man in der Schule noch beigebracht, die Querungsabsicht am FÜ per Handzeichen anzuzeigen. Macht man das immer noch?

  • Andersherum wissen viele Fußgänger nicht, dass sie keinen Vorrang haben vor Fahrzeugen, die aus der Einmündung kommen.

    Mir hat man in der Schule noch beigebracht, die Querungsabsicht am FÜ per Handzeichen anzuzeigen. Macht man das immer noch?

    Schau an, da haben wir einen Teil des Problems. Was verinnerlichen die Kinder?

    "Wenn ich rüberwill und der Autofahrer anhalten soll, muss ich die Hand heben."

    Was setzt sich im Hirn fest?

    "Wenn ich die Hand nicht hebe, habe ich kein Recht, den Autofahrer zum Abbremsen zu zwingen."

  • Ich habe in Gesprächen festgestellt, dass die Angst auf der Fahrbahn gar keine Angst ist, überfahren zu werden, sondern dass vielmehr die Sorge dahinter steht, den Autoverkehr zu behindern.

    So isses. Aber leider auch ein Tabuthema.

    Es ist eine unfassbare Absurdität, wenn ein Radfahrer sich selbst dafür verantwortlich macht, respektive verantwortlich dafür gemacht wird, dass in 6,7,8 Meter breiten Straßen nicht genügend Platz vorhanden sei, zu jeder beliebigen Zeit 3 oder 4 Personen völlig ungehindert und ungefährlich aneinander vorbeizuschleusen. Und mehr passiert ja auch gar nicht.

    Ich sehe mich schon lange nicht mehr in der "Verursacherrolle", wenn jemand nicht genug Platz hat, seinen leeren Beifahrersitz durch eine Engstelle zu wanzen ohne mir dabei zu nahe zu kommen. Zumal diese Engstelle ja meistens daraus resultiert, dass zusätzlich zu seinen leeren Beifahrersitzen noch etliche leere abgestellte Stinkekarren dazukommen. Oder er hat keine Lust am Lenkrad zu drehen, obwohl er es locker könnte. Dann ist er schlicht und ergreifend ein Scheixxa...loch und sollte umgehend in die Luft gesprengt werden.

    Lächerlich! Zwei geparkte Autos und zwei fahrende Autos macht 18 leere Autositze an einer einzigen Stelle der Straße, aber ICH SCHEISSRADLER soll jetzt Schuld daran sein, dass da nicht genug Platz ist? Ja spinnt ihr denn alle?

    Wär schön, wenn das mal offen zur Sprache käme. Aber is ja ein Tabuthema.

  • Es ist dann nicht absurd, wenn wir uns klarmachen dass der allergrößte Teil der Radfahrenden zugleich zur Gruppe der Autofahrenden gehört.

    Bei ca.50mio. angemeldeten Autos handeln ja geschätzte 60mio. Einwohner (automobile Haushaltsmitglieder eingerechnet) aus Selbstinteresse, wenn sie den Autoverkehr nicht behindern wollen.

    Aus dieser Perspektive lässt sich - auch wenn's etwas pessimistisch klingen mag - konstatieren, dass da bereits ein Kipppunkt gekippt ist, Quantität in Qualität umgeschlagen ist. Appelle an Radfahrende ihr Verhalten zu ändern ist in der Radfahr-Binnenlogik stringent, aber angesichts der Tatsache, dass die breite Mehrheit lediglich 'auch Radfahrern:innen' sind ist es nicht 'absurd', sondern erklärbar, wenn das in die Eingeweide eingeschriebene Prinzip des autogerechten 'Verkehrs-knigge', welches ja von Kindheit auf eindiszipliniert wird, auch dann wirksam bleibt, wenn die Leute auf dem Rad sitzen und scheinbar gegen ihre eigenen Interessen handeln.

  • Es ist absurd, den Platzmangel von Ameise A einer anderen Ameise B zuzuschreiben, nur weil Ameise A auf einem Elefanten reitet und Ameise B auf einer Maus. Auf einer ansonsten völlig gleichberechtigten Ameisenstraße.

    Ob der Vorwurf der unerhörten Platzverschwendung durch die Mausbenutzung nun von Ameise A kommt, oder gar von Ameise B selbst, spielt bei der Absurditätsbetrachtung keine Rolle, finde ich.

    Ich werde mich jedenfalls nicht an Erklärungsversuchen für die geistige Verwirrung von Ameise B beteiligen. Denn genau das ist ein großer Teil des Problems: Man findet eine Erklärung für die geistige Verwirrung - und erklärt damit gleichzeitig die Absurdität für beendet. Der ADFC macht sich noch nicht mal die Mühe, eine Erklärung zu finden, sondern ignoriert die Absurdität einfach.

    Ameise A kanns recht sein.

  • Andersherum wissen viele Fußgänger nicht, dass sie keinen Vorrang haben vor Fahrzeugen, die aus der Einmündung kommen.

    Mir hat man in der Schule noch beigebracht, die Querungsabsicht am FÜ per Handzeichen anzuzeigen. Macht man das immer noch?

    Aber auch das ist nur bedingt richtig. Siehe zum Beispiel hier:

    Street View · Google Maps
    Ort in Google Maps noch intensiver erleben.
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    An dieser Stelle mündet die Mittelstraße in die Calenberger Straße. Die Pflasterung, inklusive eingebauter Rampe, signalisiert, der Fußgänger hat Vorrang. Und zwar nicht nur gegenüber den Fahrzeugen, die von der Calenberger Straße aus in die Mittelstraße einbiegen, sondern auch gegenüber den Fahrzeugen, die die Mittelstraße verlassen. Und außerdem auch noch gegenüber den Fahrzeugen, die aus der Neustädter Straße aus kommend geradeaus in die Mittelstraße einfahren. Die Neustädter Straße ist die Straße, die auf der gegenüberliegenden Seite in die Calenberger Straße mündet.

    So sieht es aus Fahrzeugperspektive aus, wenn man aus der Neustädter Straße kommend auf die Einmündung in die Calenberger Straße zufährt:

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