Woche 45 vom 04. bis 10. November

  • Auch die nicht-bürgerlichen Fahrradbubble-nahen Redakteure bei Tagesspiegel, TAZ und neuerdings auch BZ wissen, dass gute Nachrichten nicht geklickt werden und schreiben entsprechend.

    Gestern aus Frankreich neues Beispiel fürs Bedienen des "Radfahren gefährlich"-Narrativs.

    Man beachte den düsteren Unterton in Schlagzeile und Text:

    "schon wieder" Fahrerflucht - was gar nicht stimmt, denn der SUV-Fahrer von Paris blieb am Ort des Geschehenes.

    "Erneut" Radfahrer getötet - was denn sonst; in einem Land mit 65 Mio Einwohnern und knapp 10% Radverkehrsanteil stirbt jeden 2. Tag jemand irgendwo beim Radfahren, da ist ein Abstand von paar Wochen zwischen zwei willkürlich ausgewählten Ereignissen ohne jede Aussagekraft. Zumal die beiden vermeintlich miteinander verknüpften Ereignisse vom Hergang offenbar auch nichts weiter miteinander zu tun hatten: im ersten Fall eskalierende Straßenwut in der zugestauten Pariser Innenstadt, im anderen Fall war es wohl eher Augenblicksversagen auf der Landstraße bei Dunkelheit mit anschließender Flucht.

  • Was ärgert dich eigentlich mehr?

    Ich kann das durchaus nachvollziehen, dass es dich ärgert, wenn über Fahrradfahren so oft im Zusammenhang mit Unfällen berichtet wird. Das schreckt Menschen ab, das Fahrrad als Alltagsverkehrsmittel zu nutzen.

    Ist es denn so, dass über Autofahren seltener im Zusammenhang mit Unfällen berichtet wird?

    Tatsächlich ist es ja so, dass das Autofahren höhere Todesopfer-Zahlen hervorbringt. Trotzdem meinen viele, in ihrem Panzer aus Blech sicher unterwegs zu sein. Warum gelingt es anscheinend nicht, das deutlich zu machen? Sollte mehr über Autounfälle berichtet werden, oder weniger über Fahrradunfälle? Und wie sollte deiner Meinung nach ein Interessensverband wie der ADFC diese Trendwende herbeiführen? Es gilt immerhin die Pressefreiheit.

  • Ich bin nicht direkt gefragt, werfe aber trotzdem mal ein, dass es zB im Vergleich zu NL, wo es viel weniger 'Radfahren ist lebensgefährlich' Propaganda gibt, hierzulande, und auch in anderen überdurchschnittlich stark von den Autoindistrieeigndern beeinflussten Ländern (USA, ...), diese Disbalance gibt. Besonders in Bezug auf Kinder sehr auffällig: es sterben extrem wenig Kinder beim Radfahren (stattdessen aber als Mitfahrende im Auto), aber gerade bei Kindern, bzw. deren Eltern, wird sehr gezielt ein Ansatzpunkt gesehen für MIV-ist-sicherer Propaganda.
    Dem Phänomen umfassend auf den Grund zu gehen ist in einem Forum m.E. nicht möglich, da viele Ebenen da mit rein spielen (bis hin zu 'Auto als rollender Uterus' von Sloterdijk aus der Zeit wo er noch nicht nur vollständig abgedreht schwurbelndes libertarian-Zeug schrieb).

    »Rollender Uterus«
    SPIEGEL: Warum ist der moderne Mensch so besessen vom Auto? Sloterdijk: Das ist ein obsessives Verhältnis: Mensch und Fahrzeug bilden eine Einheit, in der das…
    www.spiegel.de

    In historischer Perspektive spielt m.E. auch noch die Eingravierung der futuristischen Utopie aus der Prä-Mussolini Zeit in Italien (ausstrahlend auf Deutschland) eine Rolle, die zumindest in Teilen bis heute fortwirkt. Faschismus und Automobilismus gingen ja im frühen und mittleren 20Jhd. Hand in Hand, auch wenn hierzulande die NS Genese von Porsche/VW gern mal verleugnet wird und der Nazi H.Ford in USA nicht in seiner Eigenschaft als einflussreicher US-Nazi, sondern als innovativer Automobilbauer in unseren Geschichtsbüchern gelandet ist.

  • Ich bin nicht direkt gefragt, werfe aber trotzdem mal ein, dass es zB im Vergleich zu NL, wo es viel weniger 'Radfahren ist lebensgefährlich' Propaganda gibt, hierzulande, und auch in anderen überdurchschnittlich stark von den Autoindistrieeigndern beeinflussten Ländern (USA, ...), diese Disbalance gibt. Besonders in Bezug auf Kinder sehr auffällig: es sterben extrem wenig Kinder beim Radfahren (stattdessen aber als Mitfahrende im Auto), aber gerade bei Kindern, bzw. deren Eltern, wird sehr gezielt ein Ansatzpunkt gesehen für MIV-ist-sicherer Propaganda.

    Der Anteil der Kinder, die in NL mit dem Auto zur Schule gefahren werden, ist keineswegs geringer als in D. Je nach Institution, die solche Zahlen erhebt, ist der Wert sogar höher als in Deutschland. Einmal mehr resultiert der höhere Radverkehrsanteil offenbar aus weniger Fuß- und ÖPV-Nutzung.

  • Der Anteil der Kinder, die in NL mit dem Auto zur Schule gefahren werden, ist keineswegs geringer als in D. Je nach Institution, die solche Zahlen erhebt, ist der Wert sogar höher als in Deutschland. Einmal mehr resultiert der höhere Radverkehrsanteil offenbar aus weniger Fuß- und ÖPV-Nutzung.

    Lässt sich das auch an den Unfallzahlen im Fußverkehr oder ÖPNV ablesen? Wenn es in den NL mehr Fahrradunfälle als in Deutschland gibt, und wenn dort genau wie in Deutschland extrem viel Auto gefahren wird, dann kann es daran liegen, dass in den NL weniger Leute zu Fuß gehen oder den ÖPNV benutzen. Dann müsste dort aber auch weniger Fußgängerunfälle und ÖPNV-Unfälle geben.

  • Welche Durchschnittsgeschwindigkeit kann man denn für Fußgänger/Radfahrer/KFZ ansetzen ? Richtigerweise sollte man auf Expositionsdauer normieren , nicht auf Strecke.

    Und sind in den Zahlen für Fußgänger auch Unfälle ohne Fahrzeugbeteiligung enthalten ?

  • Richtigerweise sollte man auf Expositionsdauer normieren , nicht auf Strecke

    Für den horizontalen Ländervergleich ist die Expositionsdauer unerheblich. Da spielt eher herein, wie hoch die Erfassungsqualität für Unfälle ohne KFZ-Beteiligung ist. Bei DK habe ich den begründeten Verdacht, dass es dort nicht nur bei der Registrierung von Fahrradunfällen mit Verletzten eine mit D verglichen extrem krasse Untererfassung gibt, sondern dass auch tödliche Alleinstürze seltener mitgewertet werden (DK hat nur Ø 10-15% Alleintote unter allen Radtoten, D und NL kommen aber auf über 30%).

    Zitat

    Und sind in den Zahlen für Fußgänger auch Unfälle ohne Fahrzeugbeteiligung enthalten ?

    Natürlich nicht; zu-Fuß-Unfälle zählen AFAIK nirgendwo auf der Welt als "Verkehrsunfall". In den USA z.B. sind sogar noch nicht einmal Alleinstürze mit dem Fahrrad sowie Unfälle Rad vs Rad oder Rad vs Fußgänger in der amtlichen Unfallstatistik enthalten.

  • Welche Durchschnittsgeschwindigkeit kann man denn für Fußgänger/Radfahrer/KFZ ansetzen ? Richtigerweise sollte man auf Expositionsdauer normieren , nicht auf Strecke.

    Sehe ich genau so. Wenn man für den Fußverkehr eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 3,6 km/h ansetzt, für den Fahrradverkehr 15 km/h und für den KFZ-Verkehr 60 km/h dann ergäbe das basierend auf der von Yeti verlinkten Tabelle ganz andere Zahlen.

    Die Grafik in Yetis Beitrag findet man auf Seite 12 von dieser Untersuchung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft:

    https://www.udv.de/resource/blob/79264/96ecad40a3db6ef8b2b1b92725c7d80e/104-vergleich-radverekehrssicherheit-data.pdf

    Das ist ein Versuch, die Grafik in Yetis Beitrag so umzurechnen, dass die unterschiedlich weit zurückgelegten Strecken berücksichtigt werden:

    Für den Autoverkehr wären das dann weiterhin 0,9 Tote in Deutschland, aber nicht pro 1.000.000 km, sondern pro 17.000 Stunden. (17.000 h x 60 km/h = 1.020.000 km)

    Für den Radverkehr muss man dann die 3,4 deutschen Fahrrad-Toten pro ~17.000 Stunden durch 4 teilen und es blieben nur noch 0,85 Tote pro ~17.000 Stunden. (Denn mit dem Fahrrad legt man ja nur ein Viertel des Weges zurück, wie mit dem Auto.)

    Für den Fußverkehr muss man die 5,2 deutschen Fußgänger-Toten pro ~17.000 Stunden durch 16 teilen und es bleiben dann gerade noch 0,3 Tote pro ~17.000 Stunden. (Denn zu Fuß legt man ja nur rund ein Sechzehntel der Strecke zurück, wie mit dem Auto.)

    Beim direkten Vergleich der niederländischen Fahrradtoten mit den niederländischen Autototen pro ~17.000 Stunden kommen die Niederlande auf 1,2 tote niederländische Fahrradfahrer, während es 0,8 tote niederländische Autofahrer pro ~17.000 Stunden gibt. Es ist also bei dieser Rechnung pro 17.000 Stunden immer noch ein bisschen tödlicher in den Niederlanden mit dem Fahrrad unterwegs zu sein als mit dem Auto. Aber der Unterschied ist längst nicht so krass, wie wenn man mit Verkehrstoten pro 1.000.000 km rechnet.

    Sind meine Annahmen korrekt? Oder liege ich an irgendeiner Stelle sehr daneben?

    Ein Satz noch aus der Untersuchung auf Seite 14:

    "Aufgrund bisheriger Erkenntnisse im Rahmen der vorliegenden Vorstudie kann festgehalten werden, dass ein Vergleich der Radverkehrssicherheit in den drei Ländern auf Basis objektiver, belastbarer und hinreichender Unfallkenngrößen nicht möglich ist, da die Datenverfügbarkeit und die Datenqualität in den drei Ländern sowohl auf staatlicher als auch kommunaler Ebene teilweise
    nicht ausreichend ist oder nicht gewährleistet werden kann."

    Ob es also tatsächlich gefährlicher ist, in den Niederlanden Fahrrad zu fahren als in Deutschland, wissen wir immer noch nicht. :|

  • Sind meine Annahmen korrekt? Oder liege ich an irgendeiner Stelle sehr daneben?

    Habe es nicht nachgerechnet, aber wenn man es so akribisch ausrechnet, wäre noch zu breücksichtigen, dass die Autototen hauptsächlich auf dem Drittel der Jahresfahrleistung entstehen, das auf Landstraßen zurückgelegt wird, während auf dem Drittel, das mit PKW innerorts gefahren wird, kaum jemand stirbt. Bei Radfahrern und vor allem Fußgängern sieht das wahrscheinlich deutlich anders aus. Da es aber aus dem Ausland weltweit nirgendwo Aussagen zur Ortslage von Todesfällen gibt, fehlt uns nicht nur die Fahr-/Laufleistung für die Betrachtung, sondern auch die Opferzahl jeweils.

    Ob es also tatsächlich gefährlicher ist, in den Niederlanden Fahrrad zu fahren als in Deutschland, wissen wir immer noch nicht. :|

    „Man“ (ich) weiß es jedenfalls besser als die UDV (die mit ihrem Vergleich möglicherweise/wahrscheinlich von meinen entsprechenden Beiträgen ab 2015 im Netz inspiriert wurde…).

  • In den USA z.B. sind sogar noch nicht einmal Alleinstürze mit dem Fahrrad sowie Unfälle Rad vs Rad oder Rad vs Fußgänger in der amtlichen Unfallstatistik enthalten.

    Das heißt, diese Zahlen wie im Schlachthaus (40.000 Tote, obwohl schon fast alle im dicken Panzer unterwegs sind) sind aus unserer Sicht noch nichtmal komplett…? Na hurra.

  • Das ist noch einmal die Grafik, die bereits Yeti weiter oben in seinen Bericht eingebaut hatte:

    Ich nahm die Grafik als Ausgangspunkt, um die Zahl der Unfalltoten im Fuß-, Rad- und Autoverkehr nicht auf die Kilometerleistung hin zu berechnen, sondern in Hinblick auf die Zeit, die Menschen in verschiedenen Verkehrsmitteln unterwegs sind.

    mkossmann hatte das angesprochen und mich auf die Idee gebracht, das umzurechnen.

    Welche Durchschnittsgeschwindigkeit kann man denn für Fußgänger/Radfahrer/KFZ ansetzen ? Richtigerweise sollte man auf Expositionsdauer normieren , nicht auf Strecke.

    Mein Ergebnis war, dass es ziemlich "schnuppe" ist, ob man eine Stunde Auto fährt oder eine Stunde Fahrrad fährt, die Gefahr, dabei "hopszugehen", um es mal sehr salopp zu formulieren, ist ziemlich gleich. Zu Fuß gehen ist dagegen deutlich sicherer. Die Gefahr bei einer einstündigen Autofahrt oder einer einstündigen Fahrradtour tödlich zu verunglücken, ist dreimal höher als bei einem einstündigen Spaziergang "in die ewigen Jagdgründe" zu gehen.

    Das finde ich aus einer anderen Richtung betrachtet logisch nachvollziehbar: Die jeweils höhere Geschwindigkeit verstärkt die Gefahr, einen tödlichen Unfall zu erleiden. Der Fußgänger ist langsam unterwegs und hat deshalb eine geringe Unfallgefahr. Der schnellere Fahrradfahrer dagegen hat eine dreimal höhere Unfallgefahr. Kein Wunder, er ist ja auch drei bis viermal so schnell unterwegs. Warum aber sterben dann die Autofahrer nicht noch sehr viel häufiger bei Unfällen als Fahrradfahrer*innen? Auch das erscheint mir logisch. Sie fahren in einem Hochsicherheitskäfig durch die Gegend. Im niedrigen Geschwindigkeitsbereich ist das quasi eine Lebensversicherung. Der Hochgeschwindigkeitsbereich ist die für das gefährliche Unterfangen optimal ausgestattete Autobahn. Da greift die Logik je schneller, umso gefährlicher, nicht. Die Autobahn ist eine entsprechend präparierte Piste, sodass hohe Geschwindigkeiten einigermaßen gefahrlos möglich sind.

    Folgerichtig geschehen die meisten tödlichen Unfälle auf der Landstraße. Auf Landstraßen gilt ein generelles Tempolimit von 100 km/h. Und sehr viele Landstraßen geben das einfach nicht her, sie sind schlicht nicht dafür geeignet, Tempo 100 km/h zu fahren. Auf manchen Landstraßen-Abschnitten sind deshalb niedrigere Tempolimits abschnittsweise angeordnet, oft ist das Tempo 70 km/h. Aber die allermeisten Landstraßen-Abschnitte, auf denen es gefährlich ist, mit bis zu 100 km/h zu fahren, sind nicht mit einem entsprechend niedrigeren Tempolimit ausgeschildert.

    Dieses Ergebnis halte ich weiter für richtig, obwohl möglicherweise ein Fehler in der Grafik enthalten ist. Da steht nämlich in der Beschriftung: "Anzahl an getöteten Personen je 1 Mio. km tägliche Verkehrsleistung (2017)" Und das müsste eigentlich heißen: "Anzahl an getöteten Personen je 1 Mrd. km tägliche Verkehrsleistung (2017)" Entsprechend müssten meine umgerechneten Ergebnisse um den Faktor 1.000 korrigiert werden:

    Zitat mit Korrekturen versehen: Für den Autoverkehr wären das dann weiterhin 0,9 Tote in Deutschland, aber nicht pro 1.000.000.000 km gerechnet, sondern pro 17.000.000 Stunden. (17.000.000 h x 60 km/h = 1.020.000.000 km)

    Für den Radverkehr muss man dann die 3,4 deutschen Fahrrad-Toten pro ~17.000.000 Stunden durch 4 teilen und es blieben nur noch 0,85 Tote pro ~17.000.000 Stunden. (Denn mit dem Fahrrad legt man ja nur ein Viertel des Weges zurück, wie mit dem Auto.)

    Für den Fußverkehr muss man die 5,2 deutschen Fußgänger-Toten pro ~17.000.000 Stunden durch 16 teilen und es bleiben dann gerade noch 0,3 Tote pro ~17.000.000 Stunden. (Denn zu Fuß legt man ja nur rund ein Sechzehntel der Strecke zurück, wie mit dem Auto.)

    Hier noch mal der Link zu der Studie mit der möglicherweise falsch beschrifteten Grafik:

    https://www.udv.de/resource/blob/79264/96ecad40a3db6ef8b2b1b92725c7d80e/104-vergleich-radverekehrssicherheit-data.pdf

  • Natürlich nicht; zu-Fuß-Unfälle zählen AFAIK nirgendwo auf der Welt als "Verkehrsunfall". In den USA z.B. sind sogar noch nicht einmal Alleinstürze mit dem Fahrrad sowie Unfälle Rad vs Rad oder Rad vs Fußgänger in der amtlichen Unfallstatistik enthalten.

    Was sind denn das dann für Alleinunfälle von Fußgänger*innen, die erfasst werden? Wenn zum Beispiel ein Fußgänger in eine Baugrube fällt und stirbt dabei, wie in Trossingen? "Trossingen - Der Sturz in eine etwa eineinhalb Meter tiefe Baugrube ist am Dienstagabend gegen 22.15 Uhr für einen 56-jährigen Fußgänger in Trossingen tödlich ausgegangen."

    Trossingen: Fußgänger stirbt in einer Baugrube
    56-Jähriger kommt in Trossingen bei Sturz in eine eineinhalb Meter tiefe Baugrube ums Leben.
    www.schwarzwaelder-bote.de

    Da geht es dann ja auch um Fragen wie Absicherung der Baugrube, ggf. fehlende Umleitung für den Fußverkehr usw. Und das müsste dann doch auch entsprechend in die Unfallstatistik. Mir fehlt gerade die Fantasie für einen Fußgängeralleinunfall, der es nicht in die Unfallstatistik schafft.

  • Die Gefahr bei einer einstündigen Autofahrt oder einer einstündigen Fahrradtour tödlich zu verunglücken, ist dreimal höher als bei einem einstündigen Spaziergang "in die ewigen Jagdgründe" zu gehen.

    Vorsicht, in dem Satz steckt genau der ursprüngliche Fehlschluss. Der einstündige Spaziergang ist eben nicht der "typische Fußgänger". Das ist der Gang zur Bushaltestelle oder zum Laden "um die Ecke" – die meisten Fußmärsche sind nicht mehr als 5-10 Minuten am Stück; bei mehr nehmen die Leute idr. ein Fahrzeug. Ich wäre nichtmal überrascht, wenn ein langer Spaziergang (gar am Stadtrand?) deutlich tödlicher ist als die zeitlich vergleichbare Summe "Alltagswege".

  • Vorsicht, in dem Satz steckt genau der ursprüngliche Fehlschluss.

    Der eigentliche Fehlschluss besteht IMO im Irrglauben, das Risiko für den Verkehrstod hinge nur von der Verkehrsart ab.

    Ein Aspekt dabei ist der Irrtum, dass man bei der klassischen Rubrifizierung der Verkehrsteilnehmer außer acht lässt, dass wir multimodal unterwegs sind. Das führt dann z.B. dazu, dass man irrtümlich den ÖPV als besonders sicher wähnt, weil man dabei nicht berücksichtigt, dass die Passagiere ja auch unweigerlich vorher zu Fuß zur Haltestelle und nachher wieder zu Fuß von der Haltestelle zum Ziel laufen müssen. Gerade dabei lauert aber sehr oft eine gefährliche Fahrbahnquerung. Auch Autonutzer bewegen sich zwischen Quelle/Ziel und ihrem Fahrzeug regelmäßig zu Fuß auf der Straße.

    Ein weiterer Aspekt ist das Alter als Confounder. Wir haben hier gerade erst lang und breit über Sinn und Unsinn für verpflichtende Senioren-Checkups gestritten. Tatsächlich geben aber auch ohne Check die allermeisten das Autofahren freiwillig auf, wenn die Fitness nicht mehr mitmacht. Da sie dann trotzdem gelegentlich aus dem Haus müssen, "verderben" sie dann eben die Fahrrad- oder Fußgängerstatistik.

  • Vorsicht, in dem Satz steckt genau der ursprüngliche Fehlschluss. Der einstündige Spaziergang ist eben nicht der "typische Fußgänger". Das ist der Gang zur Bushaltestelle oder zum Laden "um die Ecke" – die meisten Fußmärsche sind nicht mehr als 5-10 Minuten am Stück; bei mehr nehmen die Leute idr. ein Fahrzeug. Ich wäre nichtmal überrascht, wenn ein langer Spaziergang (gar am Stadtrand?) deutlich tödlicher ist als die zeitlich vergleichbare Summe "Alltagswege".

    Ein Fehlschluss liegt nicht vor. Schließlich hatte ich sogar zwei Herangehensweisen dargestellt, die beide zu dem Ergebnis kommen, dass jemand, der zu Fuß geht, deutlich sicherer mobil ist, als jemand im Auto oder auf dem Fahrrad. Bei der Zahlen-Statistik wurde darüber hinaus eine Zahl sichtbar. Es besteht bei einer Stunde Autofahren oder einer Stunde Fahrradfahren eine dreimal höhere Gefahr für einen tödlichen Unfall.

    Dein Einwand, es gäbe unterschiedlich gefährliche Orte für Spaziergänge, ist sicher richtig, aber es ist ja nicht so, dass ich behaupten würde, ein Spaziergang auf der Autobahn sei ungefährlich. Bei der Statistik gelten Durchschnittswerte. Da fließt dann der risikofreudige Fußgänger mit ein, der es wagt, an einer gefährlichen Stelle die Straße zu überqueren. Und auch der allzu Sorglose, der zum Beispiel zwischen parkenden Autos unachtsam auf die Fahrbahn tritt. Oder der in blindem Vertrauen auf sein Vorrangrecht den Zebrastreifen zum Queren benutzt, ohne weiter auf den Fahrzeugverkehr zu achten.

    Ob auch dieser Fußgänger mitzählt, der sich im Harz verirrt hatte? "Ein Wanderer hat in einem Waldgebiet bei Blankenburg im Harz eine Leiche entdeckt. Nach ersten Ermittlungen dürfte es sich um einen 83-Jährigen handeln, der bereits seit Mitte November aus einem Alten- und Pflegeheim verschwunden war, wie die Polizei in Halberstadt am Donnerstag mitteilte. Hinweise auf ein Verbrechen liegen nicht vor. Möglicherweise habe sich der Mann verirrt und sei bei den niedrigen Temperaturen im November gestorben, erklärte ein Sprecher der Polizei." (Mitteldeutsche Zeitung
    27.12.2012, https://www.mz.de/lokal/quedlinb…im-wald-2178250 )

  • Der eigentliche Fehlschluss besteht IMO im Irrglauben, das Risiko für den Verkehrstod hinge nur von der Verkehrsart ab.

    Ein Aspekt dabei ist der Irrtum, dass man bei der klassischen Rubrifizierung der Verkehrsteilnehmer außer acht lässt, dass wir multimodal unterwegs sind. Das führt dann z.B. dazu, dass man irrtümlich den ÖPV als besonders sicher wähnt, weil man dabei nicht berücksichtigt, dass die Passagiere ja auch unweigerlich vorher zu Fuß zur Haltestelle und nachher wieder zu Fuß von der Haltestelle zum Ziel laufen müssen.

    Wenn jemand es so sieht, oder es partout so sehen will, dass das Autofahren ungefährlicher sei als das zu Fuß gehen, dann kann er als logische und statistisch korrekte Begründung dafür angeben: Wenn ich eine Strecke von 120 km mit dem Auto zurücklege, dann ist die Gefahr dabei tödlich zu verunglücken deutlich geringer, als wenn ich dieselbe Strecke zu Fuß gehe.

    Mit dem Auto bin ich gerade mal ein bis zwei Stunden unterwegs. Zu Fuß bin ich zwei bis drei Tage unterwegs. Da könnte es sogar passieren, dass ich beim Übernachten in einer Pension oder einem Hotel im Bett sterbe. Das wäre dann auch dem Unterfangen geschuldet, eine Strecke von 120 km als Fußgänger zu bewältigen.

    Mit dem Fahrrad müsstest du 6-10 Stunden kalkulieren. Selbst ein trainierter Fahrradfahrer würde wohl 3-4 Stunden unterwegs sein, also etwa doppelt so lang wie ein Autofahrer. Fährt der Autofahrer auf einer fast leeren Autobahn mit wenig Tempolimit-Abschnitten, dann könnte er die 120 km auch unter einer Stunde schaffen.

    Das Problem ist meines Erachtens, dass das schnelle Bewältigen möglichst großer Distanzen viel zu oft unwidersprochen als oberster Maßstab gilt in unserer Gesellschaft. Leider!

    Außer Acht gelassen wird dagegen häufig, dass eine kluge und durchdachte Siedlungsstruktur eine Mobilität der kurzen Wege ermöglicht. Kurze Wege, die ganz überwiegend bequem und gesundheitsfördernd zu Fuß zurückgelegt werden können. Stattdessen führt die bestehende Siedlungs- und Verkehrsinfrastruktur dazu, dass selbst kurze Wege zum Bäcker mit dem Auto zurückgelegt werden. Und dann gibt es noch diejenigen, die anstatt Alltagswege zu Fuß zu gehen, mit dem Auto zum Fitnessstudio fahren, um dort auf dem Laufband zu Fuß zu gehen.

  • Ja.

    Es gibt ja auch kein konstantes 'Reiseentfernungs-budget', sondern das 'Konstante Reisezeitbudget'. Mit Blick auf 'Mobilität' ist 'Raum' immer mitzudenken und umgekehrt.
    Auch beim beliebten Spiel der Verantwortungsverdrängung mit dem Joker von 'Ich bin aber auf's Auto angewiesen' wird gern und systematisch 'vergessen', dass es erst die Massenautomobilisierung war, die den heutigen 'urban sprawl', die Pfadabhängigkeiten schaffende Zersiedelung mit den zigtausenden öden, hässlichen und antiökologischen Eigenheimwüsten und ihren 'Ich bin aber auf's Auto angewiesen'-Bewohner:innen überhaupt erst so flächendeckend ermöglicht hat.
    Der fälschliche Einsatz des Messwertes 'Entfernung' statt des richtigen Messwertes 'Zeit' zieht sich - aus Gründen - quer durch fast alle Diskussionen, unabhängig davon zu welchem 'Lager' die jeweiligen Disputanten oder Verfasser zu zählen sind.

    So dumme Sätze wie "Das Fahrrad eignet sich für Entfernungen von ... bis" sind ja von ADFC bis cSU allgegenwärtig und nicht selten auch bei den neuen 'Fahrradprofessuren' anzutreffen.
    Da fehlt es ganz offensichtlich an 'Profession'.