Fahrradstraße Anlieger frei

  • Ort
    Lingen

    In meiner Heimatstadt "will" man etwas für den Radverkehr machen und weist jetzt seit ein paar Jahren immer mehr Fahrradstraßen aus. Mal mit "Kfz-Verkehr frei", manchmal "Anlieger frei". Wie wahrscheinlich überall wird das "Anlieger frei" nicht kontrolliert, die Straße darf weiter zugeparkt werden und da es sich meistens zuvor auch um "Tempo 30 Zonen" handelte, hat sich die Geschwindigkeit auch nicht verändert. Das einzig Gute, zum Teil wurden die Fahrradstraßen zur Vorfahrtsstraße umgewandelt.

    Nun wurde hier erneut eine Straße zur Fahrradstraße, da es sich unter anderem für viele Schüler*innen um den Schulweg handelt. Deshalb auch mit "Anlieger frei" (bislang nutzen viele Autofahrer*innen die Straße als Abkürzung). Ganz davon ab, dass sich bislang keiner an die Beschilderung halten, frage ich mich, ob das "Anlieger frei" rechtens ist. Meines Verständnissen nach ist mensch Anlieger, wenn mensch zu einem Gründstück möchte, dass an der Straße anliegt. Jetzt ist es in diesem Fall aber so, dass von der Fahrradstraße eine Straße (verkehrsberuhigter Bereich) abgeht, die für den motorisierten Verkehr nur von der Fahrradstraße aus anfahrbar ist. Handelt es sich bei den Anwohner*innen dieser Sackgasse dennoch um Anlieger oder begehen sie jedes Mal eine Ordnungswidrigkeit, wenn ihre Straße mit dem Auto verlassen oder nach Hause fahren?

  • Malte 23. März 2023 um 23:18

    Hat das Thema freigeschaltet.
  • Ich hab im Hentschel ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts gefunden: BVerwG, Urteil vom 15. 2. 2000

    Da geht es, sofern ich das Urteil nach kurzem Überfliegen richtig verstanden habe, darum, dass ein Ort seine Innenstadt mit einem Verkehrsverbot mit dem Zusatz „Anlieger frei“ gesperrt hat. Wer zu einem Parkplatz in dem gesperrten Bereich fahren möchte, ist Anlieger, okay, aber ist er auch genug Anlieger, um auch die restlichen Straßen in der Innenstadt befahren zu dürfen?

    Wenn ich das richtig sehe, ist sich das Gericht dort aber auch nicht so ganz sicher:

    Die für eine bestimmte Straße zutreffende Eigenschaft eines Verkehrsteilnehmers als straßenverkehrsrechtlicher Anlieger vermittelt ihm einen Anliegerstatus nicht für andere Straßen, die von ihm durchfahren werden können oder müssen, um über weitere Straßen seine Anliegerstraße zu erreichen.

    Es bleibt offen, ob zum Anliegerbereich einer Straße unmittelbar angrenzende oder einmündende Straßen zu rechnen sind.

    Das Urteil passt aber auch nur so halb auf den geschilderten Sachverhalten, da der Verkehrsberuhigte Bereich links und rechts der Fahrradstraße ja kein Bestandteil der Fahrradstraße ist und darum deren Anliegervoraussetzungen nicht erbt. Ohne weitere Expertise in diesem Bereich vorweisen zu können ginge ich zu dieser späten Uhrzeit davon aus, dass ein Durchfahren der Fahrradstraße zum Erreichen eines Grundstücks innerhalb des Verkehrsberuhigten Bereichs erst einmal ordnungswidrig wäre — wobei diese Regelung ganz offensichtlich unsinnig ist und so nicht gewollt sein kann.

    Andererseits sagen die Verwaltungsvorschriften zur Straßenverkehrs-Ordnung zum Verkehrsberuhigten Bereich mit Zeichen 325:

    Zitat

    Ein verkehrsberuhigter Bereich kann für einzelne Straßen oder Bereiche in Betracht kommen. Die Straßen oder Bereiche dürfen nur von sehr geringem Verkehr frequentiert werden und sie müssen über eine überwiegende Aufenthaltsfunktion verfügen. Solche Straßen oder Bereiche können auch in Tempo 30-Zonen integriert werden.

    Ich gehe davon aus, dass so etwas auch hinsichtlich Fahrradstraßen und -zonen möglich sein könnte, wenngleich es der Verordnungsgeber hier nicht explizit aufgeführt hat, beispielsweise ist die Beschilderung des Endes einer Fahrradstraße beim Übergang in einen Verkehrsberuhigten Bereich entbehrlich ist:

    Zitat

    Das Zeichen 244.2 ist entbehrlich, wenn die Fahrradstraße in eine Fußgängerzone (Zeichen 242.1), eine Fahrradzone (Zeichen 244.3), eine Tempo 30-Zone (Zeichen 274.1) oder in einen verkehrsberuhigten Bereich (Zeichen 325.1) übergeht.

    Ist dann halt die Frage, ob eine Fahrradstraße den Verkehrsberuhigten Bereich sozusagen „umschlingt“ und die Anliegereigenschaft sich automatisch auf den Verkehrsberuhigten Bereich erweitert, aber das halte ich für recht weit hergeholt.

    Andererseits wüsste ich auch nicht so richtig, wie nun Abhilfe geschaffen werden sollte — indem die Stadt ein selbstgemaltes Schild „Zufahrt zur XY-Straße frei“ unter die Fahrradstraßen-Beschilderung hängt?

  • Handelt es sich bei den Anwohner*innen dieser Sackgasse dennoch um Anlieger oder begehen sie jedes Mal eine Ordnungswidrigkeit, wenn ihre Straße mit dem Auto verlassen oder nach Hause fahren?

    Wenn auf dem Weg VON der Sackgasse IN die Fahrradstraße ebenfalls "Anlieger frei" steht, dann wohl auf jeden Fall. Warten die doch nur einfach auf massentaugliche Fluggeräte, sich sich ja sicherlich bald etabliert haben. Dann kann man auch überall das "Anlieger frei" abschrauben.

  • Das liest sich in [23] und [24] im Urteil bissele anders als in der Zusammenfassung, erst in [25] wird es weicher, wobei ich die genauen Umfänge der Anlieger"zonen" in Oberstdorf nicht kenne, um das genauer beurteilen zu können.

    Nach meiner bisherigen Meinung wäre man nicht mehr Anlieger, wenn man in die Anliegerstr. vorne rein und hinten wieder rausfahren würde, um eine andere nahe Straße zu erreichen, zu der man auch auf anderen Wegen hinkäme. Ortsunkundigen wäre das aber m.E. nicht immer vorwerrfbar, woher sollen sie wissen, wie weit die "Zone" reicht ...

    "Gefangene" Straßen zu erreichen sollte aber möglich sein, auch schon deswegen, weil deren Anlieger sonst Nachteile hätten, wo doch im Urteil drauf hingewiesen wird, dass Besucherverkehr genau deswegen inzwischen nicht mehr als falsch angesehen wird.

  • Ein Beschlussvorschlag war, in der Fahrradstraße eine Modale Sperre einzurichten. Dies wurde aber wegen der Müllabfuhr in der Ausschusssitzung abgelehnt. Auch die Stadtverwaltung hatte im Vorfeld Stellung zu dem Vorschlag bezogen und argumentiert, dass eine modale Sperre zu erheblichen Umwegen für die Anwohner bedeute (schließlich fährt man ja grundsätzlich nur mit dem Auto einkaufen). Antrag_407-2022.pdf

  • Wenn auf dem Weg VON der Sackgasse IN die Fahrradstraße ebenfalls "Anlieger frei" steht, dann wohl auf jeden Fall. Warten die doch nur einfach auf massentaugliche Fluggeräte, sich sich ja sicherlich bald etabliert haben. Dann kann man auch überall das "Anlieger frei" abschrauben.

    So sieht das aus, wenn man aus der Sackkasse herausfährt.

  • So sieht das aus, wenn man aus der Sackkasse herausfährt.

    Joa. Das sieht mir aber schon danach aus, als stecke man mit dem Auto an dieser Stelle fest. Beim Verlassen meines Grundstücks bin ich ja kein Anlieger, der in diese Fahrradstraße einfahren dürfte. Aber wenigstens diese Stelle ließe sich ja recht einfach entschärfen, indem das Zeichen 244 an dieser Stelle entfernt wird, wie es die Verwaltungsvorschriften vorschlagen.

  • Ein Beschlussvorschlag war, in der Fahrradstraße eine Modale Sperre einzurichten. Dies wurde aber wegen der Müllabfuhr in der Ausschusssitzung abgelehnt.

    ... modale Sperre zu erheblichen Umwegen für die Anwohner

    Ist halt immer wieder genial:

    wird eine Einbahnstraße eingerichtet, um Parkraum zu schaffen: Stille im Walde

    obwohl damit nicht unerhebliche Umwege verbunden sind.

    Sackgasse ins Wohngebiet und Umfahrung außenrum: Stille im Walde

    obwohl das ja meist auch mit erheblichen Umwegen verbunden ist.

    Aber Modalfilter, die Gruppe bevorteilen: Geht gar nicht! Dagegen muss man vorgehen.

    DA rappelts im Karton. Anwohner, Lieferdienst, Müllabfuhr. Skizzierte Schreckensbilder und ganzen Stadtteilen, die lichterloh in Flammen stehen, weil die FW nicht rechtzeitig kommt, Sterbefälle, weil der RTW zu lange braucht..

    es nervt.

  • Ich hab jetzt nochmal bei der Stadt nachgehakt, eine Änderung der Beschilderung ist nicht erforderlich und geplant, weil "Anlieger auch die Personen sind, die zwar nicht unmittelbar an der gesperrten Straße wohnen, aber nur über diese an den Verkehr angeschlossen sind."

  • Hätte man sich das "Anlieger frei" für den Rückweg nicht nur dann nicht hätte sparen können? Es kommt ja niemand in diesen Bereich hinein, der nicht Anlieger ist oder nun auch dahinter wohnt. Oder anders gefragt: Welche Bewegungen werden durch die Beschilderung auf dem Rückweg eigentlich beeinflusst?