Putins Überfall auf die Ukraine

  • Für die reductio ad Hitlerum gibt es für Dich erst einmal:

    Wer so wie Du versucht, Freiheitskämpfer in die Naziecke zu stellen, ist argumentativ ganz dicht bei Putin.

    Dass Du versuchst, diejenigen, die die Freiheit in ihre Überlegungen mit einschließen, sie bewerten, in die braune Ecke zu stellen, ist ein Zeichen dafür, wie wenig sie Dir wert ist. Das finde ich depremierend.

    Ich versuche nicht diejenigen, "die Freiheit in ihre Überlegungen mit einschließen", "in die Naziecke zu stellen".

    Aber zugegeben, der Arminius-Vergleich musste darauf hinauslaufen, und ich hätte besser andere Beispiele nehmen sollen.

    Schließlich gibt es diese "edlen Heldengestalten", die für die Freiheit kämpfende Nationalhelden, auch in anderen Staaten und in Völkern, die eine Staatsgründung anstreben. Und da sind sie oft genau so Mittelpunkt von Mythen und Erzählungen, die den Nationalstolz aufputschen sollen.

    Schaut man aber genau hin, dann entpuppt sich so mancher Held (und mancher Mythos) als wahrer Fiesling, oder offenbart zumindest schlechte Seiten.

    Und das nationalistisch überhöhte Getue wird zur Gefahr für den Frieden zwischen den Völkern und manchmal sogar zu Kriegspropaganda.

    Hier noch ein paar Beispiele außer dem bereits genannten israelischen mit den einen kollektiven Selbstmord begehenden Verteidigern der Festung Masada und dem Arminius-Beispiel:

    Bei den Franzosen immer noch sehr beliebt: Napoleon!

    Dabei hatte er doch Europa unterwerfen wollen, und vielen europäischen Ländern hatte er tatsächlich die französische Vorherrschaft aufgezwungen. Auch wenn nebenbei bemerkt viele Länder davon letztlich profitiert haben, weil sie eine mehr oder weniger stark laizistische Verfassung erhielten, finde ich es merkwürdig, dass Napoleon heute noch in Frankreich angehimmelt wird.

    Oder Francis Drake, ein Seeräuber, der heute noch als englischer Nationalheld gefeiert wird.

    Besonders krass ist der spanische Ritter von der traurigen Gestalt, Don Quijote, und sein Knappe Sancho Pansa. Obwohl der Autor Miguel de Cervantes seinen Lesern mit dieser kuriosen Romanfigur den kritiklosen Konsum mittelalterlicher Heldengeschichten austreiben will, wird Don Quijote einfach nur zu einem weiteren heldenhaften Ritter geadelt. Das Beispiel zeigt, wie tief sitzend die Sehnsucht nach Heldengeschichten sein kann.

    Zwei ukrainische Nationalheld*innen, die auch im aktuellen Kampf der Ukraine gegen den russischen Angreifer, eine Rolle spielen, sind der vom Botschafter der Ukraine in Deutschland, Melnyk, verehrte Stepan Bandera. Und eine ältere, deutlich ältere Gestalt, die als Stadtheilige Kiews gilt, nämlich Olga von Kiew. Bei genauem Hinschauen Figuren, an deren Händen ebenfalls eine Menge Blut klebt.

    Stepan Bandera – Wikipedia
    de.wikipedia.org
    Olga von Kiew – Wikipedia
    de.wikipedia.org

    Noch zwei Beispiele: Kaveh Ahangar (Kawah der Schmied) Symbolfigur für den kurdischen Freiheitskampf. Und der Heilige Georg, Schutzpatron der Kreuzfahrer und Schutzpatron von England und Georgien. Diese beide Figuren sind allerdings stärker legendenhaft und weniger konkret fassbar. Auch darüber gibt es Wikipedia-Artikel und viele andere Berichte. Trotzdem die letzten Beispiele mehr im legendenhaften angesiedelt sind, sind es Beispiele, die zeigen, dass ein Freiheitskampf auch die Gefahr beinhaltet, ins Gegenteil umzuschlagen und/oder die Leidensfähigkeit der Menschen übermäßig beanspruchen kann.

    Was sollte eigentlich deine Satzzeichen-Grafik für eine Bedeutung haben, Hane?

    5 Mal editiert, zuletzt von Ullie (14. Juni 2022 um 10:06) aus folgendem Grund: Ergänzung Hl. Georg, Kawah der Schmied an deren Händen

  • Welche kuriosen Einfälle Russlands Angriff auf die Ukraine bisweilen hervorbringt, kann man im Lindenspiegel nachlesen. Das ist eine Monatszeitung für den Stadtbezirk Hannover-Linden.

    In der letzten Stadtbezirksrats-Sitzung wurde unter anderem über den Bau von drei Hochbahnsteigen auf der Limmerstraße abgestimmt.

    Der Hochbahnsteigbau wurde notwendig, weil es in Hannover vor Jahren versäumt wurde, das Stadtbahnsystem auf Niederflurtechnik umzustellen.

    Den Hochbahnsteigbau missfällt vielen Lindenern, aber ist nicht zuletzt wegen der damit verbundenen Barrierefreiheit ein Muss.

    Die Piraten-Partei Hannover macht seit Jahren damit Politik, dass sie statt der oberirdischen Hochbahnsteige eine unterirdische Stadtbahnstrecke in Linden vorschlägt.

    Die Kosten dafür wären nicht nur rund zehnmal so hoch, es gäbe darüber hinaus folgendes Problem:

    Die oberirdische Verkehrsfläche ist zurzeit eine Fußgängerzone mit Straßenbahnbetrieb.

    So wie in anderen Straßen Hannovers wird eine unterirdische Stadtbahnstrecke von der Autofahrerschaft und deren Lobby-Verbänden eingefordert, um Platz zu haben für den Autoverkehr. Das heißt aus der Fußgängerzone mit Straßenbahnverkehr droht eine autogerechte Straße mit Parkplätzen am Straßenrand und Autoverkehr zu werden, wenn tatsächlich unterirdisch gebaut würde.

    Ihren unterirdischen Vorschlag begründet die Piraten-Partei jetzt mit der Notwendigkeit, in Anbetracht der "Zeitenwende" U-Bahntunnel-Bunker zu bauen:

    "Die Piraten forderten erneut, den Bau eines Tunnels zu prüfen, auch mit dem Verweis – Stichwort Ukrainekrieg – auf die gestiegene Bedeutung des Zivilschutzes."

    http://www.lindenspiegel.co.uk/archiv/lindenspiegel.pdf

    Frage: Gibt es solche Vorschläge auch in anderen Städten, oder ist das eine speziell hannoversche Skurrilität?

  • Andererseits ist so eine Verhandlungslösung (die meiner Meinung nach anzustreben ist) nur möglich, wenn die Ukraine noch verteidigungsfähig ist. Denn wenn die Ukraine sich ohnehin nicht mehr verteidigen kann, gibt es für Russland keinen Grund zu verhandeln, da dann ja ohnehin mit minimalen Kriegskosten eine Eroberung der Ukraine möglich ist.

    Ein Land zu erobern ist eine Sache, es dauerhaft so zu kontrollieren, dass es dort einigermaßen ruhig zugeht eine andere. Leider ist trotz ausländischer Waffenhilfe für die Ukraine nicht auszuschließen, dass Russland zumindest Teilgebiete der Ukraine erobert, bzw. weitere erobert, zusätzlich zu denen, die bereits jetzt vom russischen Militär besetzt sind.

    Die Krim wird von Russland relativ "erfolgreich" beherrscht. Allerdings ist davon auszugehen, dass das durch eine Russland-affine Bevölkerung begünstigt wird, deutlich mehr als das in anderen Landesteilen der Ukraine der Fall wäre.

    Die sogenannten Autonomiegebiete im Donbass waren schon seit Jahren nicht mehr unter ukrainischer Kontrolle. Derzeit erobert Russland dort Gebiete, die über die sogenannten "Autonomiegebiete" hinausgehen.

    Wann soll dann aber der Zeitpunkt gekommen sein, um zumindest mit Waffenstillstandsverhandlungen zu beginnen?
    Freilich ist die Frage damit nicht beantwortet, welche Lösungen für diese Gebiete gefunden werden sollen, sollte es der Ukraine nicht gelingen, diese zurückzuerobern, oder sollte die Ukraine (oder Russland, oder beide) zu der Einsicht gelangen, dass es ein unverhältnismäßig schlimmes Blutvergießen und Zerstörungswerk bedeuten würde, immer weiter darum zu kämpfen.

    Auch eine militärisch unterlegenen Ukraine ist nicht in der Position, gar keine Angebote in einer Verhandlungssituation unterbreiten zu können. Umgekehrt stellt sich die Frage, wie stark die Ukraine aufgerüstet werden sollte, und welche besonderen Gefahren sich daraus ergäben, um eine militärische Überlegenheit der Ukraine gegenüber Russland zu erreichen.

    Einmal editiert, zuletzt von Ullie (14. Juni 2022 um 10:02) aus folgendem Grund: Rechtschreibung verbessert

  • Danke für den Hinweis, arvoituksellinen.

    In der Diskussion über Putins Angriffe auf die Ukraine wurden ja bereits zahlreiche Hitler-Vergleiche genannt:

    "Schäuble zieht Parallelen zwischen Putin und Hitler" Die Zeit vom 12.5.22

    Ukraine-Krieg: Schäuble zieht Parallelen zwischen Putin und Hitler
    Hier finden Sie Informationen zu dem Thema „Ukraine-Krieg“. Lesen Sie jetzt „Schäuble zieht Parallelen zwischen Putin und Hitler“.
    www.zeit.de

    "Ist Putin Hitler, Stalin oder Zar?" Der Tagesspiegel vom 10.06.22

    Historische Analogien sollen den Handlungsdruck erhöhen
    Putin ist alles zuzutrauen: Das sagen die, die Angst vor russischem Imperialismus haben, und auch die, die einen dritten Weltkrieg befürchten. Ein Kommentar.
    www.tagesspiegel.de

    "Agiert Putin wie Hitler?" Rheinische Presse vom 1.4.22

    Provokanter Vergleich: Agiert Putin wie Hitler?
    Erinnert die Abfolge von Putins Krim-Annexion, Donbass-Besetzung und Angriff auf die Ukraine nicht fatal an Hitlers Vorgehen mit dem Anschluss Österreichs, der…
    rp-online.de

    "Gezielter Putin-Hitler-Vergleich ist möglich" dlf vom 13.6.22

    Gezielter Putin-Hitler-Vergleich ist möglich
    Für den Historiker Martin Schulze Wessel ist der Vergleich zwischen Wladimir Putin und Adolf Hitler, wie ihn der polnische Präsident Duda ausgesprochen hat, in…
    www.deutschlandfunk.de

    Ein entscheidender Unterschied ist meines Erachtens, dass die nationalistische Ideologie, der Putin anhängt nicht (oder noch nicht) diesen Welt-Beherrschungsfaktor hat, wie die Nazi-Ideologie. Allerdings gibt es auch bei Putins nationalistischer Ideologie entsprechende Elemente, wie zum Beispiel seine Ablehnung von Frauengleichberechtigung.

    "Russische Frauen flogen ins All und arbeiteten längst, als das in Deutschland noch undenkbar war. Doch unter Putin wird die Emanzipation wieder abgewickelt." Die Zeit vom 8. März 2019

    Frauen in Russland: Fühlt euch nicht zu sicher, liebe Frauen!
    Russische Frauen flogen ins All und arbeiteten längst, als das in Deutschland noch undenkbar war. Doch unter Putin wird die Emanzipation wieder abgewickelt.
    www.zeit.de

    Und diese Elemente finden ihre Anhängerschaft auch über Russlands Grenzen hinaus.

  • Ist schon mal jemandem bei der Diskussion über die Ukraine ein Vergleich mit dem Kurilenkonflikt aufgefallen? Das sind mehrere japanische Inseln, die die Sowjetunion/Russland seit 1945 besetzt hält, obwohl Japan dafür Hoheitsrechte geltend macht. Diese Inseln sind allerdings nur von etwas weniger als 20.000 Menschen bewohnt. Auf der Krim leben über 2 Millionen Menschen.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Kurilenko…e%20K%C3%A4mpfe.

  • Die Inseln sind also schon 77 Jahre besetzt? Irgendwann muss man die Realität anerkennen. Es gibt kaum noch Zeitzeugen, die es anders kennen.

    Würde Japan nun versuchen die Inseln mit Gewalt zurückzuerobern, wäre Japan in meinem Augen der Aggressor.

    Ähnliches gilt für Gebietsverluste Deutschlands. Das Thema ist durch. Elsass gehört Frankreich, Nordschleswig zu Dänemark, Pommern/Schlesien zu Polen, Namibia sich selbst, usw.

    Bei der Krim ist's anders, weil es erst wenige Jahre her ist, dass sie von Russland besetzt wurde.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Bei der Krim ist's anders, weil es erst wenige Jahre her ist, dass sie von Russland besetzt wurde.

    Genau genommen waren es immerhin bereits 8 Jahre her, dass auf der Krim ein Referendum stattfand. Die Bevölkerung auf der Krim hatte in einem Referendum dafür gestimmt eine eigene Republik zu werden und sich dann der Russischen Förderation anzuschließen:

    Die Referendums-Fragen lauteten:

    "1. Sind Sie für eine Wiedervereinigung der Krim mit Russland mit den Rechten eines Subjekts der Russischen Föderation?

    ODER

    2. Sind Sie für eine Wiederherstellung der Gültigkeit der Verfassung der Republik Krim von 1992 und für einen Status der Krim als Teil der Ukraine?"

    Der angegebene Wikipedia-Artikel informiert ausführlich darüber und erwähnt auch die rechtlichen Einwände gegen das Referendum.

    "Der Leiter der Wahlkommission, Michail Malyschew, gab ein vorläufiges Ergebnis bekannt, wonach 95,5 Prozent der abgegebenen Stimmen sich für eine Wiedervereinigung der Krim mit Russland mit den Rechten eines Subjekts er Russischen Förderation aussprachen."

    Das scheinbar eindeutige Ergebnis wird durch zahlreiche rechtliche Zweifel und Zweifel an einer ordnungsgemäßen Durchführung des Referendums getrübt. Trotzdem bezeichnet zum Beispiel der CDU-Oppostitionsführer im Deutschen Bundestag, Merz, es als einen Sieg der Ukraine, wenn es gelänge, Russland hinter die Kontaktlinie vom 24.2.2022 zurückzudrängen. Das Krim-Problem bliebe dann aber weiter bestehen. (Ebenso das Problem der "autonomen Gebiete" im Donbass.)

    „Herr Bundeskanzler, warum sagen Sie nicht ganz klar: ‚Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen! Russland muss zumindest hinter die Kontaktlinie vom 24. Februar zurückgedrängt werden!"

    facebook-Seite von Merz vom 1.6.2022

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    Ich bezweifle, dass sich Merz darüber mit Selenskij abgestimmt hat.

    Einmal editiert, zuletzt von Ullie (15. Juni 2022 um 05:26) aus folgendem Grund: Konkretisierung

  • Die Bevölkerung auf der Krim hatte in einem Referendum dafür gestimmt eine eigene Republik zu werden

    Besser genau formulieren:

    Die Besatzer haben knapp 3 Wochen nach der Besetzung ein Referendum durchgeführt. Besatzer, die im eigenen Land extrem viel Erfahrung mit Wahlfälschungen haben. Als offizielles Ergebnis wurden 95,5% Zustimmung kommuniziert. Ein absolut typisches Ergebnis für gefälschte Wahlen.

  • Also wenn 95,5 % unglaubwürdig sind ...

    In der kalten Heimat meiner Großeltern wurden 97,9 % für die Zugehörigkeit zu Deutschland vermeldet, obwohl es nur 52,0 % deutsche Muttersprachler gab ...

    Jetzt hast du mich aber neugierig gemacht, welches Land ist denn die "kalte Heimat deiner Großeltern?"

    Und wann fand da ein Referendum statt?

    Oder stehe ich gerade gewaltig auf dem Schlauch, dass ich nicht von selbst drauf komme?

  • 1920, Astpreißen. Allenstein und Umgebung.

    Ein so hohes Ergebnis finde ich für eine allgemeine Volksabstimmung erstmal verdächtig und man sollte genauer hinschauen, ob es wirklich rechtmäßig zugegangen ist. Das ist nach über 100 Jahren natürlich schwer. Zumindest der Wikipedia-Artikel klingt danach, dass sich die Verantwortlichen recht viel Mühe gegeben haben, das Referendum neutral und ergebnisoffen zu gestalten.

    Das ist bei der Abstimmung in der Ukraine völlig anders.

    Einmal editiert, zuletzt von Epaminaidos (16. Juni 2022 um 08:52)

  • Ich fürchte, man muss gar nicht so weit zurückgehen. Der Wiedervereinigungsprozess der einstmals beiden deutschen Staaten war höchst umstritten und keineswegs waren alle einverstanden mit der "Übernahme" von "Neufünfland", wie damals von manchen der Wiedervereinigungsprozess genannt wurde.

    Hier ein Link zu einem Artikel der SZ vom 8. November 2019 (30 Jahre Grenzöffnungs-Jubiläum):

    "Und dann gab es kein Halten mehr"
    Viele Linke, darunter Politiker und Aktivisten, haderten mit der Wiedervereinigung - etwa Oskar Lafontaine, Sahra Wagenknecht und Hans Modrow . Wie blicken sie…
    www.sueddeutsche.de

    Zwar ging es damals nicht wie im Fall der Krim um die Abspaltung eines Landesteils von einem Staat, sondern um die Vereinigung von zwei Staaten.

    Möglicherweise lohnt es sich, noch mal genauer auf das Schicksal der beiden deutschen Staaten zu schauen. Im Hinblick auf die Zukunft der Ukraine. Oder auch den Prozess der Gründung des Saarstaates nachzuvollziehen.

    Echolot 02: Der Saarstaat
    Der Saarstaat / L’Etat Sarrois Bilder einer vergangenen Welt Images d’un monde passé vergriffen Vor 50 Jahren endete im Saarland eine Zeit, die für viele…
    www.saarland.de

    Nicht zuletzt wegen des kurz bevorstehenden Besuches unter anderem von Schulz und Macron bei Selenskij ist der historische Rückblick auf das ein oder andere Staatsgründungs- oder Abspaltungsereignis interessant.

    "Selenskij legt die Messlatte hoch", berichtet das Handelsblatt vom 16.6.22.

    In dem Artikel heißt es:

    Kurz vor dem erwarteten Treffen stellte Selenskij erneut klar, dass für die Ukraine die Rückholung der Halbinsel Krim von Russland ein Kriegsziel sei. „Natürlich werden wir auch unsere Krim befreien“, sagte der ukrainische Präsident. „Die ukrainische Flagge wird wieder über Jalta und Sudak (Herkunftsort des Krimsektes), über Dschankoj und Jewpatorija wehen.“

    Was genau fordert Selenskij da? Auch wenn die Sezession der Krim von der Ukraine große Fragezeichen aufwirft. Eine militärische Rückeroberung beinhaltet die Gefahr, dass vom ukrainischen Militär ebenso schonungslos vorgegangen wird, wie derzeit Russland ukrainische Städte erobert. Und auch wenn das Referendum in der Krim nicht in allen Punkten volle demokratische Legitimation besitzt, es hat stattgefunden. Eine rechtlich einwandfreier Sezession hätte bedeutet, dass in der ganzen Ukraine darüber hätte abgestimmt werden müssen, ob die Krim sich abspalten darf. Dieses Rechtsprinzip halte ich auch für richtig (zum Beispiel auch in Bezug auf die Sezessionsbestrebungen im Baskenland).

    Aber es ist auch wichtig und richtig, die Realitäten im Blick zu haben. Und in meinen Augen ist eine militärische Rückeroberung der Krim als Kriegsziel im aktuellen Krieg in der Ukraine nicht realistisch.

  • Ein so hohes Ergebnis finde ich für eine allgemeine Volksabstimmung erstmal verdächtig und man sollte genauer hinschauen, ob es wirklich rechtmäßig zugegangen ist. Das ist nach über 100 Jahren natürlich schwer. Zumindest der Wikipedia-Artikel klingt danach, dass sich die Verantwortlichen recht viel Mühe gegeben haben, das Referendum neutral und ergebnisoffen zu gestalten.

    Das ist bei der Abstimmung in der Ukraine völlig anders.

    Es werden in dem angegebenen Wikipedia-Artikel zahlreiche Gründe genannt, warum die Abstimmung zugunsten einer deutschen Staatsangehörigkeit ausging. Zwei wichtige sind zum Beispiel, dass Deutschland großzügig Kredite für die wirtschaftliche Entwicklung zur Verfügung gestellt hatte, eine andere, dass Polen sich noch im Krieg mit der Sowjetunion befand und viele Einwohner Ost- und Westpreußens keine Lust hatten, zu einem kriegsführenden Land dazuzugehören. Das sind jetzt keine Gründe, bei der es um die zweifelhafte Rechtmäßigkeit des Referendums geht, die aber doch sehr gewichtig sind.

  • zahlreiche Gründe genannt, warum die Abstimmung zugunsten einer deutschen Staatsangehörigkeit ausging

    Der wesentliche Punkt: Keiner der Gründe hat irgendetwas mit so plumper Wahlfälschung zu tun, wie sie in Russland Alltag ist.

    Referendum in der Krim nicht in allen Punkten volle demokratische Legitimation besitzt

    Das ist eine sehr vornehme Beschreibung für: "Mit äußerst hoher Wahrscheinlichkeit massiv gefälscht".

  • Der wesentliche Punkt: Keiner der Gründe hat irgendetwas mit so plumper Wahlfälschung zu tun, wie sie in Russland Alltag ist.

    Das ist eine sehr vornehme Beschreibung für: "Mit äußerst hoher Wahrscheinlichkeit massiv gefälscht".

    Das hört sich jetzt ein bisschen so an, als dass bei dir nicht sein kann, was nicht sein darf.

    Ich habe ja gar nicht gesagt, dass 2014 auf der Krim zu hundert Prozent ein mit den feinsten demokratischen Schnörkeln ausgestattetes Referendum stattfand, mit dem sich die Bevölkerung der Krim von der Ukraine verabschiedet hat.

    Bevor wir da jedoch weiter drüber streiten, lass uns mal einen Blick auf Schottland werfen:

    Die hatten 2014 ein Referendum, bei dem eine knappe Mehrheit für den Verbleib im Vereinten Königreich abstimmte. Dass überhaupt ein solches Referendum stattfinden konnte, dem musste allerdings der damalige britische Premierminister zustimmen, was er auch getan hat.

    Als die Briten mit einem ebenfalls knappen Ergebnis bei einem ganz anderen Referendum den EU-Austritt beschlossen, wollten die Schotten 2018 ein erneutes Referendum über den Verbleib im Königreich. (In Schottland stimmte ja eine Mehrheit für den EU-Verbleib. Und viele Schotten hofften, über den Umweg eines selbstständigen Schottlands in die EU zurückkehren zu können.)

    Bislang verweigerten jedoch die Britische Premierministerin May und der Premierminister Johnson ihre Zustimmung zu einem Unabhängigkeits-Referendum in Schottland.

    Und wie ist das in der Ukraine gewesen? Gab es da vielleicht schon einmal ein Unabhängigkeits-Referendum der Krim bevor 2014 das umstrittene Referendum stattfand, bei dem sich die Krim zu einem Staat erklärte, der Mitglied in der Russischen Föderation wird. Gab es überhaupt die Chance zu einem solchen Referendum, dem ja die ukrainische Regierung hätte zustimmen müssen?

    Und dazu noch ein Vergleich: Im Baskenland wollte die Regionalregierung schon mehrfach ein Referendum für ein unabhängiges Baskenland durchführen. Das scheiterte jedoch bisher stets an der fehlenden Zustimmung der spanischen Nationalregierung.

    Um nicht missverstanden zu werden: Ich finde es keineswegs erstrebenswert, dass sich Landesteile von einem Staat abspalten und ich bin ganz und gar kein Fan von solchen Nationalisten oder meinetwegen nenn' es Patrioten, die neue Staaten gründen wollen, oder eine Verschiebung des von ihnen gegründeten Staates in einen anderen Staat anstreben. Würden zum Beispiel die Bayern aus der Bundesrepublik Deutschland aussteigen wollen, und stattdessen eines oder mehrere österreichische Bundesländer werden wollen, dann würde ich von der Bundesregierung erwarten, dass sie einen solchen Quatsch nicht duldet und dagegen einschreitet, notfalls auch mit den Möglichkeiten der Staatsgewalt.

    Trotzdem denke ich, dass es falsch wäre, das Krim-Referendum von 2014 einfach zu ignorieren. Und die militärische Eroberung der Krim durch die Ukraine sehe ich nicht als ein unterstützenswertes Kriegsziel. Die Frage ist allerdings, ob Selenskij überhaupt noch die Macht hat, sich in solchen Fragen gegen seine Militärs und die irregulären ukrainischen Militärs durchzusetzen. Das macht den Konflikt zusätzlich gefährlich.