Ich bin vor zwei Wochen in eine relativ anstrengende und fruchtlose Diskussion auf Facebook geraten. Es geht grundsätzlich um die Protestaktionen zum Klimaschutz, bei der sich Menschen von Autobahnbrücken abseilen.
In Hessen hatte es in Folge dieser Proteste einen Unfall gegeben, bei dem ein Kraftfahrer auf einen Lastkraftwagen prallte: Sieben Umweltschützer nach A3-Blockade festgenommen
Die Kausalkette sieht wohl so aus: Menschen seilen sich von einer Brücke ab, der Kraftverkehr bremst, es bildet sich ein Stau. Die Polizei fährt vor, sperrt die Autobahn. Nach einiger Zeit, der Stau ist um mehrere Kilometer gewachsen, prallt ein Pkw auf einen Lkw, der Pkw-Fahrer wird schwer verletzt.
Nun ist die Frage: Wer ist schuld daran? Nach Meinung einiger Kieler Politiker von FDP und CDU sind es die Menschen, die sich von der Brücke abgeseilt und den Stau verursacht haben. Sagen wir mal so: Unschuldig sind die Kletterer mutmaßlich nicht.
Leider habe ich den Eindruck, dass bei der Debatte niemand so richtig die eigentliche Quellenlage in Augenschein genommen hat, der umwelt- und klimapolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion sprach ja zunächst sogar von einem tödlichen Unfall und korrigierte diese Aussage erst nach einiger Zeit. Vor dem geistigen Auge der meisten Debattenteilnehmer hat sich der Unfall wohl eher so ereignet, dass sich die Kletterer von der Brücke abseilten, der Lkw direkt vor der Brücke eine Gefahrenbremsung hinlegte und der Pkw hinten rein fuhr. Das ist so aber nicht passiert, zwischen Brücke und Unfall lagen nicht nur ein paar Stunden, sondern auch mehrere Kilometer.
Und es ist auch richtig: Hätte es diesen Protest nicht gegeben, hätte es diesen Stau nicht gegeben und mutmaßlich auch diesen Unfall nicht. Nun folgt aber mein großes „Aber“: Es hätte den Unfall auch nicht gegeben, hätte der Pkw-Fahrer das Verkehrsgeschehen aufmerksam beobachtet. Das Auto ist ja quasi zur Hälfte unter den Anhänger gefahren und wurde eher von den Achsen des Anhängers gebremst als vom Unterfahrschutz. Ich kann als Laie natürlich anhand der vorliegenden Bilder nicht die Geschwindigkeit des Fahrzeuges zum Unfallzeitpunkt zurückrechnen, aber das wirkt für mich glatt so, als hätte der Fahrer nicht einmal das Bremspedal angetippt. So sieht meines Erachtens kein Unfall aus, bei dem der Vordermann plötzlich bremst, hier vermute ich noch eine unaufmerksame Fahrweise oder deutlich überhöhte Geschwindigkeit.
Aber unabhängig davon: Wie weit reicht denn die rechtliche Verantwortung der Protestanten auf der Brücke? Klar, die Blockade war vorsätzlich herbeigeführt worden. Aber sind die Protestanten aufgrund dieser vorsätzlichen Blockade auch für alle Folgen verantwortlich, die der von ihnen ausgelöste Stau verursacht hat, seien es Verdienstausfälle durch entgangene Aufträge oder eben Sach- oder körperliche Schäden?
Irgendwo fehlt mir bei dieser Argumentation die Abgrenzung, wann ein Unfall nicht mehr von mir als Verursacher eines Staus verantwortet werden kann. Ich kann zum Beispiel mit ungeeigneten Reifen oder fast leerem Tank auf die Autobahn auffahren und nach einigen Kilometern liegen bleiben — beide Male handelt es sich um Ordnungswidrigkeiten, die in meinen Verantwortungsbereich fallen. Ich denke aber, niemand würde mir die Verantwortung für Folgeunfälle zusprechen, wenn jemand anschließend mit hoher Geschwindigkeit ins Stauende einschlägt.