Die dreistesten Unfallursachenausreden

  • Nun ja:

    Um 20.21 Uhr bog ein BMW-Fahrer aus dem Bachstelzenweg kommend nach links in den Rotkehlchenweg ab. Wegen eines ordnungswidrig geparkten Fahrzeugs im Einmündungsbereich musste der PKW-Lenker auf die Gegenfahrbahn ausweichen und kollidierte mit einer entgegenkommenden Zweiradfahrerin, die zur selben Zeit aus dem Rotkehlchenweg nach rechts abbiegen wollte.

    Ich finde, in dieser Darstellung des Unfallherganges fehlt das gewisse Detail, dass der BMW-Fahrer vermutlich aufgrund des Falschparkers den Einmündungsbereich nicht überblicken konnte und recht sorglos auf die Gegenfahrbahn fuhr. Nach meiner Kenntnis besteht nämlich kein Zwang, aufgrund von Falschparkern die Gegenfahrbahn zu nutzen und dortige Radfahrer zu rammen.

  • Hmm, der Titel verzichtet immerhin auf die Behauptung, die Seniorin hätte sich selbst verletzt, sondern lässt offen, wer nun für die Verletzungen zuständig war: Seniorin bei Verkehrsunfall schwer verletzt

    Im Text wird deutlich, dass sie sich selbst verletzte, als sie von einem Auto angefahren wurde. Aha. Im Gesamtkontext ist mir auch gar nicht so ganz klar, ob es, wie im Text erwähnt, nur der übliche „Übersehen“-Unfall war, oder ob am Lenkrad jemand seine Geduld nicht im Griff hatte.

  • Allein die Überschrift steckt — bewusst oder unbewusst — schon voller Framing: Für den normalen Leser ist an dem Unfall die Radfahrerin schuld, denn die fuhr ja auf dem Gehweg, naja, und der Autofahrer, der fuhr halt… irgendwie. Autofahrer fährt in Bochum Radfahrerin auf dem Gehweg an

    Interessanterweise gibt es eine genaue Ortsangabe: Castroper Straße 176 Richtung Innenstadt. Das wäre dann also hier — dann wäre die Radfahrerin allerdings auf der falschen Straßenseite gefahren, was sicherlich in der Polizeimeldung erwähnt worden wäre. Und obgleich die langgestreckten Straßen mit Straßenbahngleisen kaum Überquerungsmöglichkeiten bieten, handelt es sich um einen äußerst undankbaren Gehweg zum Geisterradeln. Nun wissen wir aber ja, dass auch ein schmaler Gehweg mit Straßenlaternen und Verkehrsschildern nicht jeden vom Gehwegradeln abhält.

    Vielleicht ist die Radfahrerin auf der richtigen Seite gefahren. Dort gibt es zwar einen Radweg, aber keine Grundstücksausfahrt in Höhe der Hausnummer 176.

    Insofern wundere ich mich: Warum ist es denn so schwer, eine einigermaßen vollständige Meldung zu verfassen, die nicht so viele Interpretationen zum Unfallhergang offen lässt?

  • Könnte es nicht einfach sein, dass die Bezeichnung "Gehweg" zutreffend ist und die Radfahrerin zu einem gewissen Anteil schuld an dem Unfall ist?

    Mit der Positions- und Fahrtrichtungsangabe ist per Google-Maps und der Tatsache, dass gegenüber keine Grundstücksausfahrten sind, doch recht gut nachvollziehbar, wo das aller Wahrscheinlichkeit nach passiert ist. Wenn ich dort mit dem Auto vom Werkstatthof fahren würde, hätte ich vermutlich auch nur einen kurzen Blick nach rechts geworfen, um zu prüfen, ob mir dort in den nächsten Sekunden Fußgänger vor's Auto laufen und meinen Blick danach den zwei Fahrspuren gewidmet, auf die ich auffahren will.

    Mit (schnellen) Radfahrern von rechts hätte ich demnach auch nicht gerechnet.

    Dass sich die Zeitung mit Formulierungen, die die Schuldfrage vorwegnehmen würden ("unberechtigt auf dem Gehweg", "entgegen der Fahrtrichtung", "falsche Straßenseite" etc. ), zugunsten der Radfahrerin zurückhält, finde ich eher bemerkenswert, als kritikwürdig.

  • Könnte es nicht einfach sein, dass die Bezeichnung "Gehweg" zutreffend ist und die Radfahrerin zu einem gewissen Anteil schuld an dem Unfall ist?

    (…)

    Dass sich die Zeitung mit Formulierungen, die die Schuldfrage vorwegnehmen würden ("unberechtigt auf dem Gehweg", "entgegen der Fahrtrichtung", "falsche Straßenseite" etc. ), zugunsten der Radfahrerin zurückhält, finde ich eher bemerkenswert, als kritikwürdig.

    Ja, vielleicht hast du da Recht. Ich habe mir gedacht, wenn die Radfahrerin auf der falschen Straßenseite unterwegs gewesen wäre, dann stünde das auf jeden Fall im Unfallbericht. Aber vielleicht ist auch das dann eines der Details, die als erstes untergehen.

  • In Thüringen hat sich ein vier Jahre altes Mädchen beim Schlittenfahren schwer verletzt, als es zwischen zwei Autos eingeklemmt wurde. Nachdem es sich schwer verletzt hatte, ist das Mädchen noch vor Ort an seinen Verletzungen erlegen.

    Was ich als Leser im Kopf habe, wenn ich so etwas lese: Die Vierjährige rodelt mit ihrem Schlitten einen Hügel hinunter, rutscht dabei übers Ziel hinaus auf eine Straße, wo sie zwischen zwei parkende Autos gerät und sich vielleicht am Auspuffrohr den Hals aufschlitzt oder was auch immer. Auf jeden Fall: Das Mädchen ist irgendwie selbst schuld, vielleicht aber auch die Eltern, die ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt haben.

    In der Berichterstattung über diesen so genannten „Rodelunfall“ fehlt ein ganz wesentliches Element: Ein Kraftfahrer. Es handelt sich nämlich mitnichten um einen „Rodelunfall“, eigentlich nicht einmal um einen „Verkehrsunfall“, sondern womöglich schon um fahrlässige Tötung. Aber in den Unfallberichten wird dieses Detail auf Teufel komm raus vermieden, allerdings auf eine derart plumpe Weise, dass nicht nur ich, sondern gefühlt halb Twittersdorf empörte Tweets und E-Mails an die Redaktionen verschickte.

    Mittlerweile wird in den Meldungen zu diesem Vorfall immerhin der eigentliche Hergang beschrieben: Ein Kraftfahrer wollte auf dem Schnee mit seinem Auto driften, verlor dabei die Kontrolle über den Wagen (was eigentlich auch eine verharmlosende Formulierung ist) und klemmte die Vierjährige mit ihrem Schlitten an einem anderen Auto ein, die daraufhin ihren schweren Verletzungen erlag. Die Überschriften, beziehungsweise die Teaser in den sozialen Netzwerken sparen allerdings teilweise immer noch eine wie auch immer geartete Beteiligung eines Kraftfahrers aus.

    Oder noch präziser formuliert: Ein Kraftfahrer verhält sich grob verkehrswidrig und tötet ein junges Mädchen. Aber ich habe langsam den Eindruck, dass man diesen Satz in deutschen Medien nicht über die Lippen, beziehungsweise nicht über die Feder bekommt.

  • Beitrag von krapotke (4. Januar 2021 um 16:39)

    Dieser Beitrag wurde vom Autor gelöscht (5. Januar 2023 um 10:25).
  • Ich wundere mich gerade schon wieder, warum ausgerechnet bei Unfallmeldungen ein derartiger Interpretationsspielraum geschaffen wird. Das Ziehen des Schlittens mit dem Seil halte ich für genauso plausibel wie einen gelangweilten 25-Jährigen, der kein Bock auf Rodeln hat und stattdessen mit seinem Wagen driften üben möchte, aber als Teil der Gruppe nunmal am gleichen Ort zugange ist.

  • Beitrag von krapotke (4. Januar 2021 um 17:16)

    Dieser Beitrag wurde vom Autor gelöscht (5. Januar 2023 um 10:25).
  • Stille-Post-mit-multiplem-Input.

    Viele Aussagen, teilweise widersprüchlich. Verarbeitung in Presseabteilung. Dann möchte man im Sinne weiterer (möglichst objektiver) Zeugenaussagen wohl auch nicht zu viel Wissen vorab in die Presse werfen...

    Hm. Tja. Schwierig.


    Hier in Jena kam vor Weihnachten noch eine Unfallmeldung in der Zeitung.

    "hat am 15. Dezember gegen 14.45 Uhr ein junger Radfahrer den Fußgängerweg [...] befahren."

    ja, Gehweg + Radfahrer frei

    "Der junge Mann beschleunigte nach Angaben der Polizei, da die Ampel grün zeigte."

    sagt wer? Er selbst als Zeuge/Opfer?

    "Durch seine ins Gesicht gezogene Kapuze habe er allerdings einen [von vorn] herannahenden, schwarzen Mercedes mit Anhänger übersehen. Der Radfahrer kollidierte mit dem Anhänger. Durch den Sturz verletzte sich der 27-Jährige und musste medizinisch versorgt werden."

    auch hier volles Programm der Schuldzuweisung. Kapuze, übersehen. Aber immerhin war der Mercedes schwarz :D

    Interessant wird es, wenn man die Kreuzung kennt. Oder besser die Signalisierung.

    Der Autofahrer war Linksabbieger. Als Linksabbieger hatte er aber einen grünen Pfeil. Und die Fußgängerampel somit auch nicht grün.

    Berücksichtigt man den Umlaufreihenfolge der LSA, dann ist der Autofahrer entweder bei so unfassbarem Dunkelrot gefahren, dass er eigentlich mit dem Gegenverkehr auf der Fahrbahn hätte kollidieren müssen, oder aber der Rad Fahrende ist bei nicht-mehr-grün über die Fußgängerampel und der Mercedes ist eben bei grün losgefahren. :/

    Hier sollte der Rennleitung vor Ort eigentlich auch klar sein, dass es soooooo nicht ganz gewesen sein kann. Steht dennoch nicht besser in der Pressemeldung. hm.

    Nach dem, was ich hier in Jena an Ampelschaltungen bislang gesehen hab: sollte ich in einen Unfall verwickelt werden, erhält mein:e Anwalt:in eine Vollmacht mit Auftrag, den Signalzeitenplan anzufordern. :huh:

  • Die Schaltzeiten dieser Kreuzung wurden im Vorfeld doch schon immer mal kritisiert. Habe spontan diesen beiden Meldungen gefunden:

    https://maengelmelder.jena.de/de/requests/4409-2020

    https://maengelmelder.jena.de/de/requests/4839-2020

    Letztere hat sogar just heute ihre Beantwortung erfahren, woraufhin der Melder bestimmt noch Post wegen des Gelblichtverstoßes erhält :D

    Da fand ich die Antwort vom September ehrlicher:

    Zitat

    Vielen Dank für den Hinweis.

    Eine angenehmere Schaltung für Fußgänger lässt sich aufgrund des mehr als ausgelasteten Knotenpunktes an dieser Stelle im Moment nicht realisieren, ist aber bereits im Neubau berücksichtigt.

    Vielleicht geht nach dem Unfall der Umbau schneller, wobei das in Jena bestimmt bedeutet, dass die Fußgängerampeln durch Geländer ersetzt werden, die einen dann zur Ampel an der Paradiesstraße leiten ...

  • und in einem anderen Ampelmangel, bei dem sich ein KFZ-Führer beschwert, dass nicht genügend Autos bei grün rüberkommen:

    ausführliche Antwort und mehrfahre Zusicherung, dass das alles nochmal geprüft wird. X/

  • Subjekt, Prädikat, Objekt. Das Subjekt kennzeichnet, wer der eigentliche Akteur ist, hat man das nicht so in der Schule gelernt?

    Was mag also hier passiert sein? Radfahrer stoßen mit Fahrzeugen zusammen

    Richtig wäre es anders herum: Fahrzeuge stoßen mit Radfahrern zusammen. Oder um den eigentlichen Verursacher nicht im Kraftfahrer-Candyland zu anonymisieren: Kraftfahrer stoßen mit Radfahrern zusammen.

  • Da wurde aber bei der Zeitung kräftig "aktualisiert":

    Zitat

    Autofahrerinnen missachten jeweils die Vorfahrt der Zweiradfahrer: zwei Verkehrsunfälle in Paderborn am Donnerstag

    Radfahrerin (81) schwer und Elektroradfahrer (57) leicht verletzt