Fährt denn niemand mehr über Rot?

  • Ich glaube nicht, dass das funktioniert.
    (...) Viele Autofahrer würden sich benachteiligt vorkommen, (...)
    Aus Fußgängersicht wäre der Vorschlag wohl eh indiskutabel.

    Ach Gottchen! Wann fühlt sich der deutsche Durchschnittsautofahrer eigentlich nicht diskriminiert?!? Wenn der Spritpreis stärker als die Inflationsrate steigt, wenn eine Pkw-Maut diskutiert wird, wenn eine Tempo30-Zone entsteht, wenn Radfahrer auf der Fahrbahn und gegen die Einbahnstraße fahren dürfen usw usf... Wenn wir die Meinung der Melkkühe Jammerlappen der Nation jetzt schon aus Radfahrersicht zum Maßstab der Verkehrspolitik machten, na dann gute Nacht!

    Natürlich funktioniert es! Den Änderungen der StVO in Frankreich und Belgien sind mehrjährige Feldversuche vorangegangen, bei denen eben keine erhöhte Unfallhäufigkeit festgestellt wurde. Klar hängen die Schilder nicht an unübersichtlichen und verkehrsreichen Kreuzungen; dort gilt das Rotlicht nach wie vor als Absoluthalt. In D läuft es in der Praxis genauso ab (ich persönlich beobachte in Ffm an entsprechenden Kreuzungen keine rückläufige Zahl von Rotlichtverstößen), eben nur illegal.
    Was die Gefährdung der Fußgänger angeht noch ein Beispiel: Unser Frankfurter Opernplatz. Wenn ich aus dem Radweg der Bockenheimer Landstr. in den Radstreifen der Mainzer Landstraße nach rechts abbiegen will, habe ich eine Rechtsabbieger-Fahrradampel zu beachten, damit ich nicht den Fußgängerüberweg bei grün schneide. Fahre ich aber umgekehrt vom Opernplatz kommend nach links in den selben Radstreifen, muß ich gleichzeitig mit den Fußgängern queren und dann durch die ganze Menschentraube hindurch nach links abbiegen. Warum sollte das weniger gefährlich sein als ein Fahrrad-Grünpfeil anstelle der Rechtsabbiegerampel?

  • Man muss bedenken, dass ein großer Teil der Kraftfahrzeuglenker ständig (im ruhenden, wie im fließenden Verkehr) Regelübertretungen begeht, die bei geringesten weiteren Störgrößen unweigerlich zu Behinderungen und auch zu Personenschäden führen.
    - Unangepasste Geschwindigkeit
    - Verstoß gegen das Sichtfahrgebot
    - Abstand
    - Abstand beim Überholen
    - Parken auf Geh- und Radwegen
    - Parken in Einmündungsbereichen und Feuerwehreinfahrten
    - Deadlock auf Kreuzungen

    All dieses wird aber nicht mehr als relevanter Verstoß gesehen. Solange alles "gut geht" ist das ein bißchen wie im Arbeitssicherheitsbereich: Es schadet ja Keinem!!!
    Auch die vermeindlichen Vorteile an Zeit und Wegersparnis sind allerdings wohl eher homöopatischer Natur.

    Von dieser Sinnlosigkeit und der Verantwortung für die immer schlimmere Situation auf den Strassen muss natürlich durch die massiven Vergehen "Anderer" abgelenkt werden. Ein auch historisch immer wieder bewährtes Verfahren.

    Kampfradler bieten sich natürlich durch ihr regelwidriges und provozierendes Verhalten an.

  • Erstmal ein freundliches Hallo hier ans Forum, nachdem ich mich auch angemeldet habe. So etwas habe ich schon seit Langem gesucht und freue mich sehr über den Austausch hier.

    Zum Thema: Auf meinem üblichen Standardweg zur Arbeit hier in Berlin (mit Parkstreifen achtspurige Ausfallstraße mit katastrophalem Backstein-Minimalradweg und teilweiser, wiederkehrender RWBP) sind gerade bei den beampelten Fußgängerübergängen die "Rot-Radler" der Normalfall und die anhaltenden Radler die absolute Ausnahme.

    Aber das ist mehr als verständlich, denn:
    - es ist ein Industriegebiet, deshalb sehr selten querende Fußgänger
    - überhaupt kein rollender Querverkehr
    - eine miserable Ampelschaltung (im Übrigen auch für Autos, man müsste 30-35 km/h fahren, um eine halbwegs grüne Welle zu bekommen)
    - und der inkonsequente Umgang für den Radverkehr allgemein in dieser Situation, an fast allen derartigen Ampeln im Bezirk ist sonst keine Haltelinie für Radfahrer vorhanden und das Weiterfahren angedacht.

    In der Praxis nehme ich dann auch die Ampeln mit Haltelinie eher als "Vorfahrt achten" wahr, während gerade ältere Semester fröhlich mit Normalgeschwindigkeit drüber brettern.

    Ein zweiter Punkt, der mir immer wieder aufgefallen ist, ist die (auch meine eigene) Unkenntnis über das indirekte Linksabbiegen. Ich biege indirekt so ab, wie direkt. Also Beachten der Ampel auf der Straße A, auf der ich mich befinde, dann am gegenüberliegenden Punkt der kreuzenden Straße B aufstellen und dort in die Straße B einfahren, wenn kein Verkehr auf der Straße A fährt.

    Viele Verkehrsteilnehmer sind dann total fassungslos und halten das für einen Rotlichtverstoß. Lieber fahren viele Radfahrer dann, um Zeit zu sparen, linksseitig über die Straße, was viel größere Gefahren birgt, übersehen zu werden. Sicherlich, direktes Abbiegen wäre generell die bessere Variante, aber wenn man zuvor drei Spuren queren müsste zum Abbiegen, leider oft vom Radweg aus unpraktikabel.

  • Ach Gottchen! Wann fühlt sich der deutsche Durchschnittsautofahrer eigentlich nicht diskriminiert?!? [...]

    Wohl wahr! Aber Du hast den wichtigsten "Diskriminierungsgrund" vergessen: Das Radfahrer überhaupt auf der Straße fahren dürfen! Schließlich zahlen die ja keine Steuern (auch wenn meine Gehaltsabrechnung jeden Monat was anderes meint ...).
    Aber - um mal wieder halbwegs on-topic zu werden - es gibt noch andere Ecken in Frankfurt, wo ich mich frage, weshalb Radfahrer trotz roter Ampel nicht einfach rechts abbiegen dürfen.

    Das Leben ist wie ein Fahrrad. Man muß sich vorwärts bewegen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. - Albert Einstein

  • Du musst in deiner Steuererklärung ja auch angeben dass du Radfahrer bist! Dann bekommst du sämtliche Steuern wieder zurück erstattet.

    Darauf würde ich sogar verzichten wenn alle Autler am Jahresende die von den Steuerzahlern vorgestreckten 2000 Euro Subventionierung zahlen müsste.

    "Terrorismus ist der Krieg der Armen und der Krieg ist der Terrorismus der Reichen"
    Peter Ustinov

  • Zur Illustration zeige ich 3 Beispiele aus Berlin. Zu Beginn der Columbiadamm in stadtauswärtiger Richtung nach Neukölln an der Ecke Friesenstraße:

    ColumbiadammFriesenstrasse.jpg

    Wir sehen eine fröhlich fluktuierende Mischung aus Radweg, Radfahrstreifen, Fußweg und Seitenstreifen. Ein Parkstreifen kann es aufgrund der Doppellinie und des weiter hinten noch erkennbar angeordneten Halteverbotes nicht sein. Und ein Fußweg soll es nicht sein, denn Fußgänger werden mit einem schriftlichen Hinweis zum Wechsel der Straßenseite aufgefordert, das entsprechende Verbotsschild fehlt dann jedoch. Dieses "Ding" verläuft durch den Schutzraum der hinteren Fußgängerquerung. Da ich an der Ampel nahezu täglich einmal mit meinem Rad vorbeikomme und sie mir in etwa der Hälfte aller Fälle Rot zeigt, ist der Anteil der Radfahrer, die das Rotlicht beachten, größer als 0 Prozent, da ich hier bei Rot halte. Ich bin allerdings der einzige, der das so praktiziert.

    Der Wortlaut des entsprechenden Gesetzestextes (§37 II Nr.6 StVO) gibt nun eben durchaus die Fehlinterpretation her, daß es sich auch gar nicht um Rotlichtverstöße handeln würde:

    Zitat

    Wer ein Rad fährt, hat die Lichtzeichen für den Fahrverkehr zu beachten. Davon abweichend sind auf Radverkehrsführungen die besonderen Lichtzeichen für den Radverkehr zu beachten. An Lichtzeichenanlagen mit Radverkehrsführungen ohne besondere Lichtzeichen für Rad Fahrende müssen Rad Fahrende bis zum 31. Dezember 2016 weiterhin die Lichtzeichen für zu Fuß Gehende beachten, soweit eine Radfahrerfurt an eine Fußgängerfurt grenzt.


    Wir haben vorliegend eine Radverkehrsführung. Also sind die besonderen Lichtzeichen für den Radverkehr zu beachten. Da es die nicht gibt und auch Lichtzeichen für Fußgänger in Fahrtrichtung fehlen, ist eine Rotlichtfahrt dem Wortlaut nach erlaubt. Ein Musterbeispiel gesetzgeberischer und verkehrplanerischer Inkompetenz. Glücklicherweise ist das an dieser Stelle nicht von Belang, da querende Fußgänger und Radverkehr von links hier extrem selten sind.

    Nächstes Beispiel:

    Den Columbiadamm etwa 300m weiter stadtauswärts findet sich eine Ampel, deren Rotlicht auch ich ignoriere, womit die Quote der Rotlichtmißachter unter den Radfahrern 100% erreicht:

    ColumbiadammGolssenerStrasse.jpg

    Fast das gleiche Szenario wie eben, allerdings mit dem Unterschied, daß die Radverkehrsführung an der Fußgängerquerung von der Straße deutlich abgesetzt weitergeführt wird, womit sie den Schutzraum für Fußgänger nicht mehr durchschneidet. Die selten auftauchenden Radfahrer von links fahren alle verkehrswidrig diagonal über die Kreuzung über die hintere Radwegfuhrt auf. Wahrscheinlich bin ich der einzige Radfahrer Berlins, der an dieser Stelle überhaupt noch die Rotlichtverstöße als solche bemerkt.

    Ein letztes Beispiel:

    Selbe Straße (Columbiadamm), selbe Richtung, nochmal einen Kilometer weiter bis zur Höhe des Sommerbades Neukölln:

    ColumbiadammSommerbad.jpg

    Der Radweg soll ab hier benutzungspflichtig sein. Wobei ich mich frage, wie das bisher fahrbahnbenutzende Radfahrer erkennen sollen, und auch bezweifle, daß es für diese Wirkung erlangt, da der Radweg deutlich von der Straße abgesetzt ist und somit überhaupt nicht mehr als straßenbegleitend gelten dürfte. Insofern kann man das Verkehrszeichen 237 () durchaus lediglich als Hilfe interpretieren, damit der Radwegnutzer weiß, worauf sich der darunter befindliche Hinweis auf den Gegenverkehr bezieht.
    Bei dieser Ampel bin ich unsicher: Angesichts dessen, daß der Radweg so deutlich von der Fahrbahn abgesetzt ist, dürfte sie auch juristisch für die längs fahrenden Radwegnutzer keine Wirkung entfalten. Andererseits wäre das nötig, da hier reichlich Radfahrer von links von der Bettelampel kommend einscheren und für diese kein ausreichender Schutzraum zur Verfügung steht, um den formaljuristisch vorfahrtberechtigten Radverkehr durchzulassen.

    ebayForumKopfverkl.jpg
    Peter Viehrig

    "Glaube ist die Überzeugung, dass etwas wahr ist, weil die Belege zeigen, dass es falsch ist."
    (Andreas Müller)

  • @Peter Viehrig, sind das wirklich Rotlichtverstöße? Welcher Abschnitt der StVO gilt hier? Gibt es Urteile dazu?
    Ich wäre bisher davon ausgegangen, dass man weiterfahren darf.

    Und was mir im Bild auffällt: Die NPD hängt ihre Reklame so hoch auf, dass Radfahrer nicht dagegen fahren. Aber meine Stimmen kriegen die trotzdem nicht :P

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • @Peter Viehrig Ganz pragmatisch: Da es im 1. Fall eine Haltelinie gibt und die Ampel rechts des "Dings" ist, kann ich verstehen, wieso man da anhält bzw. ggfls. einen Rotlichverstoß erkennt. Da ich mich aber nur sehr ungern an Fehlplanungen oder äußerst unsinnige Anordnungen halte, wäre mir das Rotlicht auch egal - so lange ich den Querverkehr nicht behindere.
    Bei Fall 2 und 3 wäre ich nie auch nur auf den Gedanken gekommen, bei rot für den "Fahrverkehr" anzuhalten. Den Fragen von @Gerhart kann ich mich diesbzgl. nur anschließen.

    Insofern kann man das Verkehrszeichen 237 (http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Zeichen_237.svg)

    Das geht hier auch schick: aus

    Code
    [Zeichen 237] + [Zusatzzeichen 1000-31]

    wird [Zeichen 237] + [Zusatzzeichen 1000-31]

    Und was mir im Bild auffällt: Die NPD hängt ihre Reklame so hoch auf, dass Radfahrer nicht dagegen fahren. Aber meine Stimmen kriegen die trotzdem nicht

    Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Plakate am nächsten Tag noch unverändert hängen vermutlich enorm. Wer läuft schon mit Leiter unter'm Arm durch die Straßen? ;)

  • Peter

    Vielen Dank für den Vergleich. Denn diese unterschiedliche Praxis ist in Berlin tatsächlich fast überall Gang und Gäbe. Hinzufügen wären noch die vielen mit Lichtzeichen abgesicherten Tram-Haltestellen, an denen Radfahrer auch munter weiterfahren.

    Ich bin mir auch häufig sehr unsicher, wo man legal bei Rot fährt und wo nicht, da sogar im gleichen Straßenzug oft die von Dir aufgezeigten Beispiele sich abwechseln. Ein wenig, dachte ich, kann man sich an der Haltelinie auf dem Radweg orientieren, aber das scheint oft auch willkürlich gewählt zu sein.

  • Wer ein Rad fährt, hat die Lichtzeichen für den Fahrverkehr zu beachten. Davon abweichend sind auf Radverkehrsführungen die besonderen Lichtzeichen für den Radverkehr zu beachten. An Lichtzeichenanlagen mit Radverkehrsführungen ohne besondere Lichtzeichen für Rad Fahrende müssen Rad Fahrende bis zum 31. Dezember 2016 weiterhin die Lichtzeichen für zu Fuß Gehende beachten, soweit eine Radfahrerfurt an eine Fußgängerfurt grenzt.

    Zu den beiden letzten Bildern: Dort gilt der letzte Satz. Da es keine Dreistrichfurt gibt gilt für Radler keine Ampel.

  • Zu den beiden letzten Bildern: Dort gilt der letzte Satz. Da es keine Dreistrichfurt gibt gilt für Radler keine Ampel.

    Das heißt, ich kann auch an dieser Stelle in Zukunft guten Gewissens in Zukunft weiterfahren, wo ich es bisher schlechten Gewissens getan habe?

    Wie wäre es, wenn ein Radfahrer von links kommt? Muss ich den dann vorlassen oder gilt dann rechts vor links. Abgesehen davon, dass ich ihn allein der Vermeidung des Konflikts willen schon vorlassen würde.

    vlcsnap-2014-04-18-10h17m13s22.png

    Und hier die Gegenprobe mit Haltelinie auf dem Radweg.
    vlcsnap-2014-04-18-10h32m19s95.png

  • Wie wäre es, wenn ein Radfahrer von links kommt? Muss ich den dann vorlassen oder gilt dann rechts vor links. Abgesehen davon, dass ich ihn allein der Vermeidung des Konflikts willen schon vorlassen würde.

    Dort gilt rechst vor links, was die meisten Radler allerdings nicht wissen, vor allem die, die die Fahrbahn gequert hatten und dann Vorrang geben müssten. Genauso wenig wissen Fußgänger an der Stelle, dass Radler Vorrang haben. Natürlich kann man ja dennoch Rücksicht auf Fußgänger nehmen und ggf. nachsichtig sein ;)

    Zu den beiden letzten Bildern: Oben ist der Radler ja quasi Fußgänger. Muss denn der Fußgänger dort auch warten bei ROT?

  • Zitat

    Dort gilt rechst vor links, was die meisten Radler allerdings nicht wissen, vor allem die, die die Fahrbahn gequert hatten und dann Vorrang geben müssten. Genauso wenig wissen Fußgänger an der Stelle, dass Radler Vorrang haben.

    Warum? Weil die Ampel links vom Radweg steht? IMO ist das völlig unerheblich, wo der Pfahl den Boden trifft. Oder beziehst du dich darauf, dass -- da keine Dreistrichfuhrt -- für Radler gar keine Ampel gelte?