NDR 2: „Auto oder Fahrrad: Wem gehört die Straße?“

  • Das alles bekommen wir für unsere Gebühren: Der Norddeutsche Rundfunk möchte gerne heute Abend ab 19:05 Uhr diskutieren, wem denn wohl die Straße gehört. In der dazugehörigen Ankündigung auf Facebook geht es schon hoch her und es offenbart sich alles, was momentan grundsätzlich in Diskussionen dieser Tragweite falsch läuft, sei es bezüglich des Straßenverkehrs oder beliebigen anderen Themen: Die Leute haben einfach keine Ahnung, dafür aber ein großes Sendungsbedürfnis.

    Nun ist es vollkommen legitim, auch ohne Experten- oder Hintergrundwissen an derartigen Diskussionen teilzunehmen. Aber wenn dann der Gastgeber, in diesem Fall also NDR 2, eine solche Frage zur Diskussion stellt, darf man sich eben nicht darum wundern, wenn die Teilnehmer auf niedrigem Niveau herumpoltern. Da geht’s dann um die obligatorischen Beobachtungen, dass sich kein Radfahrer jemals an die Verkehrsregeln hielte und die Straße ja ganz selbstverständlich den Kraftfahrern gehöre, denn die zahlten ja Kfz-Steuern und die Radfahrer nicht.

    Dazu kommt dann ein Social-Media-Team, das seine Kompetenz leider eher im Social-Media-Bereich, aber nicht im Verkehrsrecht findet und dementsprechend nur steuernd eingreifen kann, wenn allzu handfeste Ausdrücke die Runde machen. Obwohl: Wen stört es heutzutage noch, wenn Menschen unter ihrem richtigen Namen ankündigen, einen Radfahrer überfahren zu wollen, wenn er noch mal trotz Radweg mitten auf der Straße führe?

    Dann mischt auch noch Facebook mit und sortiert die Beiträge lustig hin und her, um den Nutzer möglichst lange an seine Plattform zu binden, soll heißen, oben wird das angezeigt, was die Leute am meisten aufregt — im Zweifelsfall also irgendeine Weisheit mit Steuern, die von den Radfahrern nicht bezahlt werden. Geschweigedenn dass Facebook den einzelnen Diskussionsteilnehmern zuverlässig anzeigt, dass es Antworten auf ihre Beiträge gegeben hat. Manchmal bekommt man eine Nachricht, manchmal nicht.

    Und im Endeffekt dient so etwas nur der reinen Aufregung und der Generierung zusätzlicher Reichweite. Alle können mal wieder kräftig herumpoltern und morgen ein paar Radfahrer anhupen. Toll.

    Ich bin mal gespannt, ob man solche wertvollen Diskussionsbeiträge heute Abend auch senden wird.

  • Wir haben in Deutschland ein Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Um eine Meinung zu haben, braucht man aber keine Ahnung. Es ist auch im Allgemeinen nicht verboten, falsche Tatsachen zu behaupten.

    Früher wurden unqualifizierte Meinungen im kleinen Kreis kundgetan. Heute im Internet, wo viele den Mist lesen können.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Habe mir gerade den Anfang der Sendung angehört (Danke für den Link, Malte!). Und bin leider schon ziemlich bedient. Denn der Moderator stellt die Frage: Wie kriegen wir ein harmonisches Miteinander hin? (Minute 00:40) Und damit stellt er die Weichen in die falsche Richtung. Es kann kein harmonisches Miteinander geben. Denn die vorgegebenen Strukturen sind so auf den Autoverkehr zugeschnitten, dass diese Verkehrsart den allergrößten Anteil an Verkehrsfläche einnimmt. Ein harmonisches Miteinander kann aber nur dann entstehen, wenn eine gerechte Verkehrsflächenverteilung am Anfang stünde. Da die Verkehrsfläche in der Stadt begrenzt ist, müsste zunächst geklärt werden, welche Autoverkehre sind unabdingbar notwendig, z. B. Rettungsfahrzeuge oder Lieferverkehr oder Ver- und Entsorgung. Die Politik ist jedoch ganz überwiegend nicht bereit dazu Stellung zu nehmen, geschweige denn Entscheidungen dazu zu treffen. Denn damit würde ein weitverbreitetes Dogma fallen, dass nämlich jeder Bürger ganz selbstverständlich ein Anrecht darauf habe, mit seinem eigenen PKW mobil zu sein und einen kostenfreien Parkplatz vor der Haustür wie selbstverständlich beanspruchen dürfe. In den seltenen Fällen, in denen ein Politiker mal vorsichtig etwas in diese Richtung andeutet, darf er zuverlässig mit einem gewaltigen Shitstorm rechnen und wird darin von seinen Parteikolleginnen und -kollegen schutzlos stehen gelassen.

    Mal sehen, ob ich trotzdem noch weiter die Sendung höre, obwohl ich diesen Anfang schon sehr ätzend finde. Hat denn wer anders schon mal tiefer reingehört und was Interessantes rausgehört?

    Ansatzweise zumindest ein Beispiel für einen ganz niedrigschwelligen Hinweis darauf, dass es nicht so laufen kann, dass man jedem Autofahrer "seinen" Parkplatz in Aussicht stellt, sondern dass es wichtig ist, je nach Autonutzung zu differenzieren, habe ich kürzlich in Bingen am Rhein gesehen:

    In Bingen sind Stellplätze, die mit einem Verkehrsschild eingeschränktes Halteverbot gekennzeichnet sind, zusätzlich mit der Aufschrift "Ladezone" auf dem Stellplatz beschriftet. Nutzt natürlich auch nur dann was, wenn es entsprechend kontrolliert wird. Und wenn diese Kontrollen dann nicht als Abzocke einer angeblich "unfähigen" Verwaltung geschmäht werden, die nur den Autofahrern das Geld aus der Tasche ziehen wolle. An anderer Stelle im Forum hatte ich ein ähnliches Foto aus Lille in Nordfrankreich schon mal reingestellt.

  • Ich will schon, dass jeder mit dem PKW fahren kann (ggfs. mit Profi oder Algorithmus am Lenkrad). Aber nicht alle. Wer Bedarf (oder das nötige Geld) hat, kann meinetwegen auch weiterhin seinen eigenen PKW besitzen.

    Wir sollten uns die KFZ-Werbung von Automobilkonzernen zum Herzen nehmen und das umsetzen was dort zu sehen ist. Ein einzelnes Auto, aber kein Stau, keine zugeparkten Städte.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Ein harmonisches Miteinander kann aber nur dann entstehen, wenn eine gerechte Verkehrsflächenverteilung am Anfang stünde.

    Du sprichst dich also dafür aus, dass 17% der Verkehrsflächen exklusiv für VW Golf reserviert werden, denn nur dann entspricht die Verkehrsfläche dem Marktanteil dieses Fahrzeugtyps, und nur dann herrscht per Definition "Harmonie".

  • Du sprichst dich also dafür aus, dass 17% der Verkehrsflächen exklusiv für VW Golf reserviert werden, denn nur dann entspricht die Verkehrsfläche dem Marktanteil dieses Fahrzeugtyps, und nur dann herrscht per Definition "Harmonie".

    Was wäre daran wohl gerecht oder harmonisch? Nein es geht zuallererst mal darum zu sehen, was geht und was nicht geht, weil es technisch nicht lösbar ist. Technisch nicht erfüllbar sind Städte, in denen jeder mit dem Auto mobil ist. Das ist keine sehr neue Erkenntnis. Im Gegenteil. Im antiken Rom gab's zwar noch keine Autos, aber bereits eine wichtige Verkehrsregel, nämlich dass tagsüber keine Karren in der Stadt fahren durften. Nur Fußverkehr war erlaubt.

    Was jetzt stattfindet ist der Versuch den uneinlösbaren Anspruch zu erfüllen, dass jeder auch in der Stadt jederzeit problemlos mit dem PKW mobil sein könne. Obwohl das nicht geht, wird jedoch in weiten Teilen der Politik an diesem Anspruch festgehalten, weil oft die Bereitschaft fehlt, ein Verkehrsmengenmanagement durchzuführen, bei dem es eine Rolle spielt, welche Verkehre in welchem Umfang wirklich notwendig sind. Und dort wo zumindest ansatzweise ein solches Verkehrsmengenmanagement betrieben wird (zum Beispiel Vorrangschaltung für Öffis) ist es ständiger unsachlicher Kritik und groben populistischen Anfeindungen ausgesetzt.

    Einmal editiert, zuletzt von Ullie (28. Oktober 2018 um 23:41) aus folgendem Grund: Korrektur bei der Rechtschreibung

  • Die Diskussion über die Aufteilung der Verkehrsfläche führt in die falsche Richtung, denn ich brauche mit dem Fahrrad keine andere Fläche als ein VW Golf, sondern ich beanspruche sie mit dem Fahrrad nur weniger. Trotzdem bin ich Sanktionen der Polizei und Verkehrsbehörden und Aggressionen der anderen Verkehrsteilnehmer ausgesetzt, wenn ich das tue.

    Reden wir mal über das Geld: In meiner Stadt sind im Haushaltsentwurf für das kommende Jahr gerade einmal 2,1% der Investitionen im Bereich Straßen und Brücken für den Radverkehr eingeplant. Nirgends geht es darum, Radverkehr tatsächlich zu integrieren, sondern alle Maßnahmen sind nur Flickschusterei an einem desolaten Radwegenetz. Man versenkt Geld in die Separation des Radverkehrs, die an jeder Kreuzung, Grundstücksausfahrt und an jeder sich öffnenden Beifahrertür sowieso nicht funktioniert.

    Die Ungerechtigkeit sehe ich darin, dass mit zweierlei Maß gemessen wird: Es ist unvorstellbar, dass man Hindernisse wie Ampelmasten, Laternenmasten oder Umlaufsperren dem MIV auf der Fahrbahn bereitet. Es gäbe einen Aufstand, wenn die Fahrbahnen im selben Zustand wären wie Radwege, oder wenn sich die geltenden Verkehrsregeln an jeder Kreuzung ändern. Das Problem ist, dass man das normal findet, solange davon "nur" der Radverkehr betroffen ist.

    Es erinnert mich vom Prinzip an die Geschichte der Gleichberechtigung von Mann und Frau. In vielen Köpfen ist es immer noch normal, wenn Männer für die selbe Arbeit ein höheres Gehalt bekommen oder bei der Besetzung von Führungspositionen bevorzugt werden. Bei der Gleichberechtigung im Straßenverkehr stehen wir immer noch ganz am Anfang und wir sind hier so etwas wie die Suffragetten des Verkehrs: Für ein Wahlrecht der Verkehrsfläche. :)

  • Die Diskussion über die Aufteilung der Verkehrsfläche führt in die falsche Richtung, denn ich brauche mit dem Fahrrad keine andere Fläche als ein VW Golf, sondern ich beanspruche sie mit dem Fahrrad nur weniger. Trotzdem bin ich Sanktionen der Polizei und Verkehrsbehörden und Aggressionen der anderen Verkehrsteilnehmer ausgesetzt, wenn ich das tue.

    Da die Fläche allerdings für die Mitbenutzung durch KFZ-Führer gesperrt wird, wenn ein Sonderweg eingeführt wird, beanspruchst "du" die Fläche allerdings nicht nur dann, wenn du da bist, sondern auch wenn du nicht da bist. Diese rund-um-die-Uhr-Blockade halte ich für das genaue Gegenteil des Weniger-Beanspruchens (gilt umgekehrt natürlich genau so, also für den Fall, dass die Fahrbahn wegen des Radweges auch in Abwesenheit von KFZ für Radfahrer gesperrt bleibt...).

  • Trotzdem bin ich Sanktionen der Polizei und Verkehrsbehörden und Aggressionen der anderen Verkehrsteilnehmer ausgesetzt, wenn ich das tue.

    Aber doch nur dann, wenn du blaue Lollies missachtest?

    Reden wir mal über das Geld: In meiner Stadt sind im Haushaltsentwurf für das kommende Jahr gerade einmal 2,1% der Investitionen im Bereich Straßen und Brücken für den Radverkehr eingeplant.

    Das hatten wir ja schon an anderer Stelle. ;) Mehr Geld würde aber halt auch mehr Separation bzw. die Festigung dieser Verhältnisse bedeuten. Oder nicht? Die Frage ist also, inwiefern dir (der die Fahrbahn nutzen möchte) es hilft, wenn man noch mehr Geld gegen "für den Radverkehr" aufwenden würde?

    In vielen Köpfen ist es immer noch normal, wenn Männer für die selbe Arbeit ein höheres Gehalt bekommen.

    Das ist jedoch auch nix anderes als eine ständig wiederholte Lüge, die sich leider auch in sehr vielen Köpfen festgesetzt hat. ;)

    Bei der Gleichberechtigung im Straßenverkehr stehen wir immer noch ganz am Anfang und wir sind hier so etwas wie die Suffragetten des Verkehrs: Für ein Wahlrecht der Verkehrsfläche.

    Ja, eben. Man sollte nur aufpassen, dass die wesentlich wichtigere Gleichberechtigung in Sachen Verkehrsflächenwahl nicht über der Forderung nach "Gleichberechtigung" in Sachen finanzieller Mittel - oder zu dieser im Widerspruch steht! Ich persönlich bin ja froh, wenn man weniger bis gar kein Geld für den Erhalt oder Neubau von Gefängnissen bereitstellt, in die man uns dann per blauem Schild einzusperren versucht. Radwege werden ja eben auch gerne in der Weise "begründet", wonach Radfahrer da gefälligst zu fahren hätten, weil man dafür ja auch extra Geld ausgegeben hätte... Sei der Zustand auch noch so miserabel.

  • Mehr Geld würde aber halt auch mehr Separation bzw. die Festigung dieser Verhältnisse bedeuten. Oder nicht?

    "Mehr Geld *für* den Radverkehr" bedeutet gleichzeitig auch, dass alle anderen Verkehrs-Ausgaben, die nicht explizit das Label "Radverkehr" tragen, in der Konsequenz exklusiv für den Kraftverkehr bestimmt seien. IOW: diese dämliche Aufrechnerei ermuntert nicht nur neben Radverkehrsanlagen, sondern auch und gerade da, wo es noch keine Radverkehrsanlage gibt, die autofahrende Rasselbande zum Fahren der Kampflinie gegen vermeintlich schmarotzende Fahrbahnradler.

  • "Mehr Geld *für* den Radverkehr" bedeutet gleichzeitig auch, dass alle anderen Verkehrs-Ausgaben, die nicht explizit das Label "Radverkehr" tragen, in der Konsequenz exklusiv für den Kraftverkehr bestimmt seien.

    Exakt. Hier sehe ich übrigens mittelfristig auch eine ziemliche Gefahr in Sachen Pkw-Maut (die ja so wie ich die Entwürfe verstanden habe, nicht nur Autobahnen gelten soll) - denn dann liegt da eine Zweckbindung vor. Viele Kfz-Nutzer müssen dann nicht mal mehr ihre Ahnungslosigkeit bzgl. nicht zweckgebundener Kfz- und anderer Steuern offenbaren, sondern können direkt drauf verweisen, dass sie ja (im Gegensatz zu schmarotzenden Radfahrern) auch Maut bezahlen!

    sondern auch und gerade da, wo es noch keine Radverkehrsanlage gibt, die autofahrende Rasselbande zum Fahren der Kampflinie gegen vermeintlich schmarotzende Fahrbahnradler.

    Ich hab ja generell das Gefühl, dass Radwege immer erst dann gefordert und dann auch gebaut werden, wenn zu viele Autofahrer von trotz allem auf der Straße unterwegs seienden Radfahrern "genervt" sind - oder gar dem Irrtum unterliegen, Radfahrer hätten generell nix auf "bestimmten" Straßen (wie z. B. Bundesstraßen) verloren. Dann schreckt man auch vor Sperrungen nicht zurück; selbst wenn gar kein Radweg existiert. Die B 270 bei Kaiserslautern bspw. hatte man im Grunde auch nur wegen der Beschwerden einiger Autofahrer mal eben per [Zeichen 254] gesperrt, weil auch offensichtlich vorher immer wieder Leute bei der Polizei anriefen und Radfahrer meldeten, die da ihrer Ansicht nach eh nix verloren hätten, weil die Straße wie eine Kraftfahrstraße "aussah".

    Wenn ich sehe, dass 98 % der Mittel für Straßen aufgewandt werden und 2 % für Radwege - dann freue ich mich als Fahrbahnradler über bessere Straßen. ;) Ich würde nur dann meckern, wenn ich einen Großteil dieser Straßen explizit nicht benutzen dürfte. Es ist kein "entweder oder" - auch wenn man ständig diesen Eindruck erweckt!

    Hab übrigens grade ganz aktuell mal in das Straßenbauprogramm des Kreises Südwestpfalz (für dessen Kreisstraßen) für 2019 geschaut: Fürs Haushaltsjahr 2019 wurden 3.105.000 Euro angesetzt - 15.000 Euro für Rad- und Gehwege. Find ich prima! :)

  • Da die Fläche allerdings für die Mitbenutzung durch KFZ-Führer gesperrt wird, wenn ein Sonderweg eingeführt wird, beanspruchst "du" die Fläche allerdings nicht nur dann, wenn du da bist, sondern auch wenn du nicht da bist. Diese rund-um-die-Uhr-Blockade halte ich für das genaue Gegenteil des Weniger-Beanspruchens (gilt umgekehrt natürlich genau so, also für den Fall, dass die Fahrbahn wegen des Radweges auch in Abwesenheit von KFZ für Radfahrer gesperrt bleibt...).

    Warum beanspruche ich eine Fahrbahn auch dann, wenn ich nicht da bin?

    Aber doch nur dann, wenn du blaue Lollies missachtest?

    Hä? Man wird als Radfahrer auf der Fahrbahn sogar dann drangsaliert, wenn überhaupt kein "Radweg" da ist. Zu solch feinen Unterscheidungen, ob ein Radweg benutzungspflichtig ist oder nicht, ist doch die Mehrheit überhaupt nicht imstande.

    Oder schau dir die Berichterstattung in der Presse an: Da wird über Radfahrer berichtet, die sich (offenbar selbst) verletzt haben, während das Fehlverhalten der Kfz-Führer bagatellisiert wird. "Der LKW" ist rechts abgebogen und sein Fahrer konnte den Radfahrer wegen des Toten Winkels nicht sehen. Lieber schreibt man noch dazu, dass ein verunfallter Radfahrer keinen Helm getragen hat, auch wenn das für den Unfallhergang oder die erlittenen Verletzungen völlig unerheblich war. Schau dir die brutalen Kommentare an, die unter den Unfallberichten abgesondert werden. Radfahrer scheinen die letzte Gruppe in unserer Gesellschaft zu sein, die man nach Herzenslust beleidigen und bedrohen darf, ohne dass es einen entrüsteten Aufschrei gibt.

    Zitat

    Das ist jedoch auch nix anderes als eine ständig wiederholte Lüge, die sich leider auch in sehr vielen Köpfen festgesetzt hat. ;)

    Leider nein. Es mag z.B. im öffentlichen Dienst so sein, aber ich kann dir aus meinem Freundeskreis Beispiele nennen, wo Frauen ein geringeres Gehalt bekommen als ihre männlichen Kollegen: Trotz gleicher (oder sogar besserer) Qualifikation, mehr Berufserfahrung, gleicher Aufgaben und Verantwortung.

    Genau so werde ich als Radfahrer behandelt: Ich soll mich unterordnen und mit dem zufrieden sein, was man mir übrig lässt und was man mir zugesteht. Ich soll vor allem den "richtigen" Verkehr gefälligst nicht stören, denn offenbar ist es nicht so wichtig, wenn ich mit dem Fahrrad zur Arbeit fahre. Wichtig ist eine Fahrt erst dann, wenn sie mit dem Auto erledigt wird. Daher soll ich mich als Radfahrer unterordnen, werde gezwungen, auf baufälligen Wegen zu fahren, auf denen ich an jeder Kreuzung "übersehen" werde. Ich fahre zu langsam und störe daher den Verkehr und gleichzeitig fahre ich zu schnell und daher werde ich "übersehen". Hältst du dich nicht an die Verkehrsregeln, erfüllst du das Radfahrer-Klischee und wenn du die Einhaltung der Verkehrsregeln einforderst, bist du ein Kampfradler. Fährst du ohne Licht, bist du ein lebensmüder Rowdy und fährst du mit Licht, blendest du Autofahrer. Egal, was man als Radfahrer macht: Es ist immer falsch und man ist auch immer für das Fehlverhalten aller anderen Radfahrer mit verantwortlich.

    Motorisierte Gewalt: http://fahrradzukunft.de/25/motorisierte-gewalt/

  • Warum beanspruche ich eine Fahrbahn auch dann, wenn ich nicht da bin?

    Wenn ich darf: Thomas meint (meine ich) die gesamte Verkehrsfläche. Wenn die Fahrbahn wegen eines Radwegs verkleinert wird, fehlt diese dem Kfz-Verkehr die ganze Zeit, auch wenn du (oder andere Radfahrer) da nicht herumfahren.

    Hä? Man wird als Radfahrer auf der Fahrbahn sogar dann drangsaliert, wenn überhaupt kein "Radweg" da ist. Zu solch feinen Unterscheidungen, ob ein Radweg benutzungspflichtig ist oder nicht, ist doch die Mehrheit überhaupt nicht imstande.

    Das ist jedoch genau der Punkt, wo ich mir wirklich mal eine wissenschaftliche Untersuchung über die Auswirkungen von Radverkehrsanlagen auf das Verkehrsklima wünschen würde! Denn für mich ist es immer ganz faszinierend, die Berichte auch in diesem Forum hier zu lesen. Sowas kenne ich in der Pfalz nicht, weder in der Quantität, noch in der Qualität. Und das liegt meiner Ansicht nach vor allem daran, dass es hier in der Gegend nur sehr wenige Radwege gibt (ca. 6 % des K-, L- und B-Straßennetzes sind bebläut). D. h., die von dir zurecht bemängelte Gewalt entsteht m. E. sogar zu großen Teile erst durch das Vorhandensein gesonderter Infrastruktur!

    Oder schau dir die Berichterstattung in der Presse an:

    Da hast du voll und ganz recht. Das ist halt einfach gelebte, in alle Ritzen kriechende "Automobilkultur".

    Leider nein. Es mag z.B. im öffentlichen Dienst so sein, aber ich kann dir aus meinem Freundeskreis Beispiele nennen, wo Frauen ein geringeres Gehalt bekommen als ihre männlichen Kollegen:

    Was hindert diese Frauen daran, ihrem Chef unter Verweis auf das Anti-Diskriminierungsgesetz die Hölle heiß zu machen? Oder ist Verhandlungsgeschick evtl. auch eine Befähigung / Leistung, die im Einzelfall über mehr oder weniger Geld entscheidet...? ;) Naja. "Leistung" kann man nur recht selten objektiv bemessen. In einem anderen Thread ging es ja um die Unfehlbarkeit der "unsichtbaren Hand" des "freien Marktes". 8o

    Egal, was man als Radfahrer macht: Es ist immer falsch und man ist auch immer für das Fehlverhalten aller anderen Radfahrer mit verantwortlich.

    Auch alles richtig. Damit werden wir halt noch eine ganze Weile leben müssen. Die Frage ist, wie wir damit umgehen? Ich jedenfalls nehme es inzwischen mit Humor. Und verarbeite meinen Frust darin, mich wenigstens radverkehrspolitisch zu engagieren und wenigstens ein paar Leuten aufzuzeigen, dass es auch noch eine andere Sichtweise gibt. Die nach meinen bisherigen Erfahrungen noch nicht einmal aus bösem Willen unbeachtet blieb - sondern einfach auch am mangelnden Vorstellungsvermögen, wie die Welt ausschaut, wenn man nicht hinter einer Windschutzsscheibe mit Lenkrad sitzt. :/

  • Willst du Gehwege auch gleich mit abschaffen? Alles verkehrsberuhigter Bereich mit einer durchgehenden Fläche für alle? Damit es auch keinen Gehweg mehr gibt, den man fälschlicherweise für eine "Radverkehrsanlage" halten könnte, auf den man dann lautstark und mit Einsatz der Hupe verwiesen wird?

    Du hast aber sicherlich recht: Wo es viele Radwege gibt, wird auch mehr erwartet, dass sie benutzt werden, egal ob da blaue Schilder stehen oder nicht. Mir hat hier ein leitender Fuzzi der Stadtverwaltung mal gesagt: "In Stade gilt das Paradigma, dass Radwege, die vorhanden sind, auch benutzt werden sollen." Der hat nicht mal im Ansatz begriffen, warum die allgemeine Radwegebenutzungspflicht 1997 abgeschafft wurde und ich habe den auch schon auf dem Fahrrad auf der falschen Straßenseite auf dem Gehweg fahren sehen. Zum Glück hat er mit der Verkehrsbehörde nichts zu tun, aber er ist verantwortlich für den Fachbereich Bauen und Stadtentwicklung.

    Das ist dann ein Teufelskreis: Wo Autofahrer erwarten, dass "die Straße" ihnen gehört, verhalten sie sich auch aggressiver gegenüber Radfahrern und wo Radfahrer sich deswegen noch unsicherer fühlen, fahren sie im Zweifel lieber falsch herum auf dem Gehweg als auf der Fahrbahn. Die Verwaltung sieht darin die Bestätigung, dass die Leute Radwege wollen.

    In der Nachbargemeinde Horneburg wurde im Frühjahr der Radverkehr komplett und konsequent auf die Fahrbahn gebracht. Es gibt im ganzen Ort keinen einzigen Radweg mehr und keinen einzigen für Radfahrer freigegebenen Gehweg. Ich bin zuversichtlich, dass es sich trotz anfänglichem, massivem Widerstand aus der Bevölkerung bewähren wird und dass sich spätestens in 10 Jahren niemand mehr vorstellen kann, dass man dort mal auf den Buckelwegen Fahrrad fahren musste. Allerdings hat die am stärksten befahrene Hauptstraße dort eine max. Verkehrsbelastung von 600 Kfz in der Spitzenstunde und nicht 2000.

    Umgekehrt ist mir auch schon aufgefallen, dass man als Radfahrer besser akzeptiert wird, wo die Kommunen sich erkennbar an die Regeln halten und wo (insbesondere benutzungspflichtige) Radwege die Ausnahme sind. Es mag für die meisten, die in diesem Forum aktiv sind, kein Problem darstellen, einfach ohne weiteres auf der Fahrbahn zu fahren, mache ich ja auch. Aber das ist nicht repräsentativ. Dreht mir jetzt bitte nicht wieder das Wort im Mund um und behauptet nicht, ich würde "mehr Radwege" fordern. Aber auch die Integration der Radfahrer ( =Abkehr von der Separation) kostet Geld.

  • In der Nachbargemeinde Horneburg wurde im Frühjahr der Radverkehr komplett und konsequent auf die Fahrbahn gebracht. Es gibt im ganzen Ort keinen einzigen Radweg mehr

    Ich war da ewig nicht mehr. Die B73 verläuft durch Horneburg und hat laut OSM Tempo 70 und Radweg: https://www.openstreetmap.org/way/259636848


    Falls OSM falsch liegt: bitte korrigieren! ;)

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Die B73 geht am Ort vorbei und ist außerorts, auch dort, wo sie zwischen zwei Ortsteilen verläuft. Da gibt es noch einen Radweg, aber sobald du von der Bundesstraße in den Ort fährst, gibt es am Ortseingang eine Überleitung auf die Fahrbahn. Ich war da auch zuletzt im Sommer und seitdem haben sie auch an den Ortseingängen noch Schilder aufgestellt, die darauf aufmerksam machen sollen, dass Radfahrer dort grundsätzlich auf der Fahrbahn fahren.

    Es gab übrigens auch noch viele, die nach meiner Beobachtung trotzdem weiter auf dem Hochbord gefahren sind. Aber ich denke, dass es mit der Zeit immer weniger Gehwegradler geben wird, wenn sich das eingespielt hat.

  • Willst du Gehwege auch gleich mit abschaffen? Alles verkehrsberuhigter Bereich mit einer durchgehenden Fläche für alle? Damit es auch keinen Gehweg mehr gibt, den man fälschlicherweise für eine "Radverkehrsanlage" halten könnte, auf den man dann lautstark und mit Einsatz der Hupe verwiesen wird?

    Nein. Es hat ja durchaus seine berechtigten Gründe, warum man Fahrzeuge von Fußgängern trennt. Es gibt aber schon deutlich weniger Gründe, Fahrzeuge von Fahrzeugen zu trennen. Und warum nimmst du dir diese Verweise per Hupe von irgendwelchen ahnunglosen Idioten so zu Herzen? Ich amüsiere mich meist drüber. Ich bin sogar dankbar dafür; man kann ja leider nur erahnen, wie viele ähnlich ahnungslos sind - sich aber den Huper noch irgendwie verkneifen können!

    Das ist dann ein Teufelskreis: Wo Autofahrer erwarten, dass "die Straße" ihnen gehört, verhalten sie sich auch aggressiver gegenüber Radfahrern und wo Radfahrer sich deswegen noch unsicherer fühlen, fahren sie im Zweifel lieber falsch herum auf dem Gehweg als auf der Fahrbahn.

    Dass viele Radfahrer generell lieber auf allem rumfahren, was NICHT die Fahrbahn ist, lässt sich allerdings auch hier ohne Radwege und ohne ständig ihre Reviere markierende Autofahrer beobachten. Ich bin mir noch unschlüssig, ob das nicht auch zu einem Großteil weniger auf wirklicher "Angst", denn auf den erwähnten Minderwertigkeitskomplexen und falsch verstandener Rücksichtnahme auf den (motorisierten) Verkehrsfluss geschieht? Man impft Radfahrern ja schon von kleinauf ein, sie seien fahrende Verkehrshindernisse. Ich hab auch schon mit vielen Leuten geplaudert, die ihre Gehwegradelei auch damit begründeten, dass sie die Autofahrer nicht aufhalten wollen. Dass sie dabei dann den Fußgängern auf die Nerven gehen - ist dann deren Pech. Nach dem Motto: "Nach oben bucken, nach unten treten"!

    Überhaupt scheint ja der ungehindert fließende Verkehr DIE ultimative Bürgerpflicht zu sein? Das siehste insb. auch an Kfz-Nutzern und ihrem Parkverhalten. Wenn Gehwege hauptsächlich auch deshalb zugeparkt werden, weil man die "Artgenossen" nicht unnötig behindern will.

    Ich bin zuversichtlich, dass es sich trotz anfänglichem, massivem Widerstand aus der Bevölkerung bewähren wird und dass sich spätestens in 10 Jahren niemand mehr vorstellen kann, dass man dort mal auf den Buckelwegen Fahrrad fahren musste.

    Das ist (wird oft unterschätzt) ja zu großen Teilen auch immer eine reine Gewohnheitssache. Und Nachäffen. In Münster ist der Radverkehrsanteil sicher nicht wegen der geilen Radwege so hoch. Es braucht oft nur eine nennenswerte Zahl von Leuten, die es vormachen. Der Mensch ist ja generell ein nachäffendes Herdentier. Andererseits werden auch einige auf alle Ewigkeit die Fahrbahn um jeden Preis meiden... Mich wundert eh, dass es noch keinen psychologischen Fachausdruck für "Fahrbahnangst" gibt. ;)

    Umgekehrt ist mir auch schon aufgefallen, dass man als Radfahrer besser akzeptiert wird, wo die Kommunen sich erkennbar an die Regeln halten und wo (insbesondere benutzungspflichtige) Radwege die Ausnahme sind.

    Wenn man in einer Gegend nur das Verkehrsmittel Rad hat und wirklich wohin muss - und keine (nennenswerten) Alternativen (auch keine Radwege) hat, wird man über kurz oder lang wie jeder andere auch zur Erkenntnis gelangen, dass das mit dem Radfahren auf der Fahrbahn prima klappt und der ganze Geh- und Radwegekrempel nur noch nervt! So war zumindest im Wesentlichen mein Werdegang. Leider verwehrt man einem nicht unerheblichen Teil diese Erfahrungen, weil man jene schon daran gewöhnt hat, dass man zum Radfahren halt auch unbedingt einen Radweg bräuchte. Jemand, der in der Sklaverei aufgewachsen ist, tut sich halt schwer damit, sich unter Freiheit etwas (Positives) vorzustellen.

    Aber das ist nicht repräsentativ. Dreht mir jetzt bitte nicht wieder das Wort im Mund um und behauptet nicht, ich würde "mehr Radwege" fordern. Aber auch die Integration der Radfahrer ( =Abkehr von der Separation) kostet Geld.

    Wieso kostet die Abkehr von der Separation (nennenswert) Geld? Die Aufklärung könnte ja auch die Polizei leisten. Leider macht sie genau das Gegenteil...!