14. Oktober: Ride of Silence, Hamburg

  • Tja.

    Wenn man dort steht, da vorne die Angehörigen, da hinten Menschen, die die getötete junge Frau kannten, da wird einem schon anders. Das ganze Gelächter über „Übersehen“, das bleibt einem dann doch im Halse stecken.

    Und der Moment, der mir tatsächlich einen richtigen Schlag in den Magen verpasst hat, war dieses Motiv:

    Wahnsinn. Absoluter Wahnsinn.

  • Auf dem Weg vom Hauptbahnhof zur Unfallstelle fuhren die ca. 150 Radfahrer moderat langsam, vorn Polizei, hinten Polizei und mittendrin an den Kreuzungen zum Corken auch Polizei. Mit Blaulicht.

    Dennoch brauchte es genau 600m, bis der erste "Passant" sich genötigt sah, herüberzubrüllen: "Haltet euch mal an die StVO!"
    Und keine 50m weiter brüllten die ersten Fußgänger an der Ampel, die einem fast ins Rad liefen, weil sie selbst schließlich grün hatten: Scheiß Rowdy-Radler!

    An der Unfallstelle selbst sicherte dann die Polizei die Versammlung ab und sperrte die Wandsbeker Chaussee stadteinwärts. Dauerte auch gar nicht lange, bis ein elendiges Hupkonzert einsetzte.
    Folge: Die Polizei drängelte die Radfahrer in Richtung Ritterstraße, um die Wandsbeker Chaussee freizugeben.
    Das Gehupe hatte also Erfolg.

    In einer idealen Welt wäre ein Polizeibeamter mit Zettelblock durch den Ampel"stau" gegangen und hätte jedem Huper eine OWi über 10,- aufs Auge gedrückt bzw. durchs Fenster gereicht. Dann wäre vermutlich Ruhe gewesen.

  • … und dann war da ja auch noch der Polizist auf dem Fahrrad, der die Demonstration anführte — und dann, ich hab’s leider nicht auf der Kamera, links an dem Touristenbus durchdrängelte, während der Bus sich erst vom beherzten Eingreifen eines Motorrad-Polizisten, der irgendwie über die Gehweg gerast kam, vom weiteren Spurwechsel nach links abbringen ließ.

    Da dachte ich echt, ich halt’s einfach nicht mehr aus.

    Hat eigentlich jemand auf Video, wie ich mich gegenüber vom ZOB gemault habe?

    Das war ja der Hit: Es gab eine explizite Ansage, dass der linke Fahrstreifen zwar gesperrt, aber für die Motorradpolizisten freizuhalten wäre. Malte Hübner weiß es trotzdem besser und saust mit der Kamera in der Hand herum, natürlich auch auf dem linken Fahrstreifen, um sich dann mit Tatütata vom Motorrad verscheuchen zu lassen. Ich wechselte dann also wieder in das Teilnehmerfeld, bremste ab, weil wir gerade auf eine rote Ampel zufuhren und kippte dann einfach im Stand nach links um. Zack, einfach so — ich habe nicht mal den Arm zum Abstützen ausgestreckt. Immerhin ist nichts kaputt, weder Fahrrad noch Jacke noch Kamera.

    Ergänzend zu den ganzen Fußlingen gab’s ja auch wieder Vollprofis am Lenkrad, die das mit der Demonstration nicht verstanden haben. Hier und dort und an ein paar anderen Stellen galt auch nur das Lichtzeichen-Prinzip: „Ich habe grün, also fahre ich!“ Dr Motorradpolizist auf dem zweiten Bild wurde ja beinahe umgekachelt, an einer anderen Kreuzung bahnten sich noch zwei SUVs hupend ihren Weg zwischen den Motorrädern hindurch, während ein dritter Profi von rechts die aufgestauten Kraftfahrzeuge auf der Gegenfahrbahn überholte, dann aber irgendwie keinen Mumm hatte, durch den Demonstrationszug zu fahren und entnervt wendete.

    Und kurz vor der Unfallstelle musste ich dort noch kurz einem Kraftfahrer erklären, dass der Motorradpolizist diese „Du wartest jetzt hier!“-Geste nicht zum Spaß gemacht hatte. Und er rief mir noch hinterher: „Aber der ist doch jetzt weg!“

    Schlimm genug, dass manche Leute trotz Fahrprüfung zu blöd sind, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr zu führen, aber dass nicht einmal mehr der Polizei eine Art von Respekt entgegengebracht wird, das macht mich… ja, echt fassungslos.

    Wie soll ich eigentlich überhaupt noch irgendjemandem guten Gewissens erklären, dass Radfahren zur Arbeit eigentlich eine super Sache ist?

  • Wenn man dort steht, da vorne die Angehörigen, da hinten Menschen, die die getötete junge Frau kannten, da wird einem schon anders.

    Ja. Ich erinnere jetzt das genaue Jahr nicht mehr, war 2010 oder kurz davor, als ich durch den Westerwald über eine kleine Überlandstraße fuhr, die sich durch ein kleines Waldgebiet schlängelte. Ich meine es war nördlich von Selters.

    Da radel ich also die leicht ansteigende Straße und sehe durch das Unterholz über eine Kurve hinaus mehrere junge Menschen am Straßenrand stehen. Ich kam näher und sie standen an 2 oder 3 verschiedenen Stellen, regungslos, den Kopf leicht gesenkt und still vom Straßenrand in den Wald hinein schauend. Ich kam langsam näher und mir war als würde ich dort einfach nur stören, ja es kam mir schon fast gespenstisch vor.
    Im möglichst leisen und ruhigen Vorbeifahren sah ich dann was sie anschauten. Da standen drei oder vier Kreuze.

    Wieder daheim habe ich versucht herauszufinden, was sich dort ereignet hat. Monate vorher einer dieser Partyunfälle und eine Wagenladung junger Menschen kam dabei zu Tode.


    Ich hab in der Schule allein in meiner Klasse zwei Beerdigungen von Mitschülerinnen erleben müssen, die erste starb an Krebs, die zweite wurde Opfer eines Motorradunfalls. Aus diesem eigenen Erleben heraus kann und muss ich sagen, diese Dinge vergisst man für sehr lange Zeit nicht, sie prägen.

    Es wäre gut und wichtig, wenn wir es schaffen solche Eindrücke der Allgemeinheit nahezubringen, ohne das jedesmal dafür vorher ein Mensch einen so sinnlosen Tod gestorben ist.
    Ja, ich träume, denn aktuell wird ja wieder mal für den großen Krieg gerüstet und getrommelt und damit meine ich mal nicht nur den Straßenverkehr, in dem der Krieg schon viel zulange tobt.

  • Schlimm genug, dass manche Leute trotz Fahrprüfung zu blöd sind, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr zu führen, aber dass nicht einmal mehr der Polizei eine Art von Respekt entgegengebracht wird, das macht mich… ja, echt fassungslos.

    Wie soll ich eigentlich überhaupt noch irgendjemandem guten Gewissens erklären, dass Radfahren zur Arbeit eigentlich eine super Sache ist?

    Es ist das, was ich immer sage. Die Führer der KFZ haben es nicht explizit auf die Radler abgesehen. Die können es einfach nicht besser. Egal, wer das Gegenüber ist.

    bye
    Explosiv smilie_be_131.gif

  • Um so schlimmer, dass die Polizei hier nicht durchgreift, sondern »rechtsfreie Räume« und Selbstjustiz duldet, anstatt diesen Leuten zu erklären, wo der Hammer hängt.

    Aber Radler vom Rad holen und abzetteln, die auf einem Hochbordradweg neben einer roten Fahrbahnampel nicht anhalten, das können sie.

  • Schlimm genug, dass manche Leute trotz Fahrprüfung zu blöd sind, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr zu führen, aber dass nicht einmal mehr der Polizei eine Art von Respekt entgegengebracht wird, das macht mich… ja, echt fassungslos.

    Vor 1-2 Monaten am Berliner Tor: Mehrere Polizisten sperren im dichten Feierabendverkehr die Zufahrt zur Bürgerweide. U.a. blockiert ein Polizei-Fahrzeug am Heidenkampsweg querstehend die 2 der 4 Geradeausspuren. Was machen die Autofahrer? Sie fahren rechts und links um das Fahrzeug herum um dann geradeaus weiter zu fahren. Der Polizist rannte erst wütend hinterher, besann sich aber dann darauf, dass das wohl eh nichts bringt und lief zu seinem Fahrzeug zurück.

    ABER: Du selbst schreibst ja, dass auch du den Weisungen der Polizei nicht Folge geleistet hast (find ich jetzt nicht schlimm, aber ich finde es auch nicht schlimm, wenn Fahrzeuge durch die teils 100m große Lücken der CM durchfahren). Bei CMs fahren auch immer wieder welche trotz Polizei daneben mit dem Rad in den Gegenverkehr, bei der CM in Essen(?) war die deutsche CM-Gemeinde erbost, dass die Polizisten die StVO durchsetzen wollten,... Der mangelnde Respekt gegenüber Polizisten ist nicht vom Verkehrsmittel abhängig.
    "Team Blau", "Rennleitung" und ähnliche despektierliche Begriffe sind meiner Meinung übrigens nach mit Schuld am mangelnden Respekt gegenüber von Polizisten.

    Wie soll ich eigentlich überhaupt noch irgendjemandem guten Gewissens erklären, dass Radfahren zur Arbeit eigentlich eine super Sache ist?

    Nicht was du erklärst ist wichtig, sondern was du tust (und wie du davon berichtest). Also statt "Du solltest mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, das ist toll" besser ein "Ich fahre jetzt seit Jahren bei Wind und Wetter mit dem Fahrrad die 10 km zur Arbeit. In der Stadt ist das kein Verzicht, sondern ein Gewinn: man ist meist schneller als mit anderen Verkehrsmitteln und tut etwas für seine Fitness. Und wenn man doch mal auf den Stress den man auf dem Fahrrad und im Auto hat verzichten will, kann man sich auch mal vom ÖPNV fahren lassen."

  • ABER: Du selbst schreibst ja, dass auch du den Weisungen der Polizei nicht Folge geleistet hast (find ich jetzt nicht schlimm, aber ich finde es auch nicht schlimm, wenn Fahrzeuge durch die teils 100m große Lücken der CM durchfahren).


    Ganz klar: Ja. Aber da sehe ich das wie du bezüglich der Lücken bei der Critical Mass: Solange ich der Polizei nicht im Wege stehe oder andere Teilnehmer gefährde, sause ich eben schnell auf dem freizuhaltenden Fahrstreifen nach vorne.

    "Team Blau", "Rennleitung" und ähnliche despektierliche Begriffe sind meiner Meinung übrigens nach mit Schuld am mangelnden Respekt gegenüber von Polizisten.


    Puh, schwieriges Thema. „Team Blau“ halte ich tatsächlich auch für despektierlich, beim Begriff „Rennleitung“ habe ich dieses Gefühl tendenziell eher nicht. Bezüglich „Rennleitung“ habe ich drüben im Verkehrsportal mal bei zwei Polizeibeamten nachgefragt, wie sie diese Bezeichnung empfinden und die hatten damit eher kein Problem. Sowas wie „Bullen“ oder ähnliche Begriffe kommen mir hingegen definitiv nicht über die Lippen.

  • Der mangelnde Respekt gegenüber Polizisten ist nicht vom Verkehrsmittel abhängig.
    "Team Blau", "Rennleitung" und ähnliche despektierliche Begriffe sind meiner Meinung übrigens nach mit Schuld am mangelnden Respekt gegenüber von Polizisten.

    Wenn mir "Polizisten" in deren Arbeitsstelle erklären das sie selbstverfreilich KFZ auf Geh- und Radwegen stehenlassen da die dort ja nur "ausladen" würden und ja nicht "den Verkehr" stören (Test: wenn mit dem Dienstwagen vorbeigefahren werden kann ist "der Verkehrsfluss" ungestört und der gute Mensch "läd aus"),
    wenn mir ebensolche im München erklären das ich doch gefälligst auf dem zugeparkten Radweg zu fahren habe, sich aber auf die Aufforderung hin die Kampfparker gefälligst zu entfernen in ihren Dienstwagen eiligst verp*ssen,
    wenn mir eine Polizistin erklärt das sie selbstverfreilich nur Nebenstraßen fährt weil die Autofahrer auf den Hauptstraßen so aggressiv seien das es dort ja lebensgefährlich sei (ja, und was dann? -> Wegsehen!) -

    erklär mir mal bitte wie ich denen mit Respekt begegnen soll.

    Gut, das liegt sicher nicht immer an dem einzelnen Polizisten. Die haben auch Anderes zu tun, Verkehrsrecht ist da nur ein kleiner Teil. Und wenn die von oben gesagt bekommen das da nix gemacht wird - dann wird nix gemacht.

    Sie werden dann aber damit leben müssen das ich sie auch danach beurteile.

  • erklär mir mal bitte wie ich denen mit Respekt begegnen soll.

    Der Konflikt ist gut erkennbar.

    Ich habe vor wenigen Tagen zu der Problematik des Wegsehens woanders etwas geschrieben und möchte meinen Vorschlag von dort, hier als Alternative anbieten.
    Konfrontiere solche Polizisten mit der Empfehlung, daß sie das so ja goldrichtig machen, denn es ist bekanntlich viel lustiger und erfreulicher die schlimmen, verheerenden Unfälle aufnehmen zu müssen, die immer wieder eben auch die Folge des Fehlverhaltens sind, daß hier so bereitwillig ignorieren.

    Und wenn sie das, also das Aufnehmen von schlimmen Unfällen, dann mit derselben Freude tun, wie die mit der sie Wegschauen, dann haben sie deinen vollen Respekt verdient.

    Ja, das ist keine Ironie mehr, das ist bitterböser Zynismus. Bildet aber dann die Realität ab.