Radfahren ist ja sooooooo einfach

  • Jetzt im Frühjahr werden ja wieder diese ganzen Radfahren-ist-ja-so-toll-Artikel wiederverwertet. Und mir fällt immer mehr auf, dass Radfahren gar nicht so einfach ist, wie immer behauptet ist. Klar, das Radfahren an sich verlernt man angeblich nie, aber die Verkehrsregeln für Radfahrer sind in Deutschland irgendwie total kompliziert — zusammen mit den Straßenverkehrsbehörden, die offenbar einen Gefallen daran gefunden haben, für den Radverkehr unklare Situationen einzurichten, kann man dort auch als ehemaliger Radverkehrspolitik-Autor dumm herumstehen.

    Die Wahl des richtigen Straßenteils

    Mit einem Auto fährt man auf der Fahrbahn.

    So einfach kann es sein. Abgesehen von Verkehrsberuhigten Bereichen, die bekanntlich ohne Fahrbahn auskommen, gibt es mit dieser Regelung eigentlich keine Probleme.

    Und mit dem Fahrrad? Mit dem Fahrrad fährt man auch erstmal auf der Fahrbahn. Wenn es rechts einen Radweg gibt, darf man auch dort fahren. Mit der entsprechenden Beschilderung muss man aber auch auf diesem Radweg fahren. Mit der entsprechenden Beschilderung kann auch das Fahren auf einem Gehweg erlaubt oder vorgeschrieben sein.

    Das gleiche Problem gibt’s noch für die linke Straßenseite: Da darf ein vorhandener Radweg nur mit der entsprechenden Beschilderung befahren werden und Erlaubnisrecht und Erlaubnispflicht ist bezüglich der rechten Straßenseite vertauscht.

    Als Bonus kommen dann noch lustige Straßenverehrsbehörden daher, die auf Gehwegen, auf denen man nicht fahren darf, Fahrradpiktogramme markieren lassen oder eine inkonsistente Beschilderung veranlassen, so dass man überhaupt gar nicht mehr weiß, wo man eigentlich fahren darf und wo nicht.

    § 9 Abs. 3 StVO und § 10 StVO an Kreuzungen

    Gegeben sei eine solche Kreuzung. Wenn ein Radling auf dem Radweg von rechts nach links im Bild fahren will, muss ein abbiegendes Fahrzeug ihn durchlassen — da gilt § 9 Abs. 3 StVO (von der berühmten Mindermeinung des OLG Hamm, dass auch für diesen Fall bereits § 10 StVO vorsieht, einmal abgesehen).

    Wenn der Radfahrer aber nach rechts abbiegen will, muss er dazu vom Radweg auf die Fahrbahn wechseln. In diesem Fall gilt dann plötzlich § 10 StVO und er müsste theoretisch abwarten, bis der Fahrbahnverkehr abgebogen ist. Das ist allerdings eine ziemlich praxisfremde Regelung, die der Gesetzgeber so wahrscheinlich auch nicht vorgesehen hat.

    Welche Ampel gilt?

    Während der Fahrbahnverkehr relativ wenig Probleme hat, an einer Ampel seinen Signalgeber zu finden, hat man in § 37 Abs. 2 Nr. 6 StVO ein ganz lustiges Ratespiel, das immerhin im Vergleich zu der vorigen Fassung der Straßenverkehrs-Ordnung vereinfacht wurde. Abhängig von der Ausgestaltung der Kreuzung gilt dann entweder dieser oder jener Signalgeber oder vielleicht auch der da drüben.

    Diese Regelung kapiert einfach kein Mensch.

    Gilt überhaupt eine Ampel?

    Für den Fahrbahnverkehr ist — bis auf wenige Ausnahmen — ganz klar, dass die Lichtzeichenanlage gilt. Mit Haltlinien wird sogar signalisiert, wo man auf grünes Licht zu warten hat. Und mit dem Rad? Öhm, tja: Da hält sich hartnäckig das Gerücht, man müsse nur Signalgeber beachten, die rechts vom Radweg stehen — ist natürlich Unfug, auch wenn sogar die Polizei regelmäßig so etwas behauptet. Maßgeblich ist vielmehr, ob man den geschützten Bereich einer Kreuzung durchquert — und diesen Bereich zu definieren fällt sogar Land- oder Oberlandesgerichten immer wieder schwer. Im Endeffekt läuft alles auf ein lustiges Ratespiel hinaus, ob man warten muss oder nicht.

    An dieser Kreuzung dürfte der Radweg eher nicht vom geschützten Bereich betroffen sein, dennoch wurde dort extra eine Haltlinie auf dem Radweg appliziert. Nachdem die Oberfläche des Radweges erneuert wurde, gibt es allerdings keine Haltlinie mehr, obwohl sich der geschützte Bereich nicht verändert haben dürfte. Oder dort: Als Radling auf dem Radweg warten oder nicht?

    Geradeaus oder nicht geradeaus?

    Geklaut aus dem Nachbarthread: Hier will man mit dem Rad auf dem Radweg geradeaus fahren, also von rechts im Bild nach links im Bild. Der Radweg macht aber einen lustigen Schlenker — sorgt der nun dafür, dass man zwei Mal abbiegt und dadurch gegenüber des abbiegenden Fahrbahnverkehrs wartepflichtig ist oder fährt man trotz des lustigen Hin und Hers doch noch geradeaus, so dass § 9 Abs. 3 StVO gilt?

    Es ist Krieg auf der Straße!

    Das Netz zwitschert es in die facebook-Kommentare: Auf Deutschlands Straßen herrscht Krieg. Und das bringt Radfahrer in eine ganz komische Situation: Man will eigentlich ordnungsgemäß auf der Fahrbahn fahren, wird aber dennoch vorsätzlich gefährdet, weil hinter der Windschutzscheibe jemand meint, es gäbe irgendwo einen Radweg, auf dem man doch bitteschön fahren möge.

    Und sonst so?

    Das war erstmal alles, was mir so auf die Schnelle eingefallen ist. Kennt ihr noch weitere Regelungen? =O

  • Einen habe ich noch:

    Wo geht es denn eigentlich lang?

    Als Ortsunkundiger ist man mitunter ziemlich aufgeschmissen. Da endet plötzlich ein Radweg und führt woanders wieder weiter oder man will eigentlich nach links abbiegen, kann aber dank eines Drängelgitters nicht die Fahrbahn überqueren. Oder man steht an einer Kreuzung, will geradeausfahren und merkt plötzlich, dass man auf der anderen Seite der Kreuzung auf einem benutzungspflichtigen Radweg auf der linken Straßenseite weiterfahren soll.

    Solche Späßchen gibt es allerdings auch für Kraftfahrer, die stellenweise kilometerweit nicht nach links abbiegen dürfen — solche Verkehrsregelungen werden allerdings im Regelfall pünktlich ausgeschildert, während man wohl davon ausgeht, dass ortsunkundige Radfahrer an jeder Kreuzung den Feldstecher zücken.

  • Welche Ampel gilt?

    [...]

    Gilt überhaupt eine Ampel?

    Die Ampelregelung für Radfahrer in der StVO ist der allergrößte Mist, und eine Unverschämtheit, und gefährlich. Das sollte ein gefundenes Fressen für eine anständige Interessensvertretung auf Bundesebene sein, aber weder ADFC noch VCD noch ein anderer Verkehrsverein, den ich kenne, thematisiert das ausreichend.

    Es ist Krieg auf der Straße!

    Das mögen manche Bereiche bei Facebook, oder auch bestimmte Presseerzeugnisse suggerieren; meiner Beobachtung im Straßenverkehr entspricht das nicht.

  • Du hast absolut recht Malte. Wer meint, dass die theoretische Prüfung für den Pkw-Führerschein schwierig war, der sollte mal versuchen StVO-konform Fahrrad zu fahren.
    Wahrscheinlich wird es niemals eine geeignete Navigations-Software geben, die sagen kann, auf welchem Radwegstummel ich mich einordnen muss, wenn ich einfach nur links abbiegen will, die Verkehrsbehörde aber vorsieht mich gegen den Uhrzeigersinn über zwei, drei Ampeln um die Kreuzung herum zu schicken.

    Wie muss muss wohl so eine Ansage klingen...
    tyische Stimme eines Navigationsgerätes:
    "Zum Linksabbiegen bitte die Fahrbahn nach rechts verlassen,
    Bitte folgen Sie dem Radwegverlauf drei Meter
    bitte ordnen Sie sich links ein und folgen dem Radwegverlauf zwei Meter
    bitte Absteigen und Schieben 250 Meter bis Musterstraße
    danach haben Sie ihr Ziel erreicht."

  • Wahrscheinlich wird es niemals eine geeignete Navigations-Software geben, die sagen kann, auf welchem Radwegstummel ich mich einordnen muss, wenn ich einfach nur links abbiegen will, die Verkehrsbehörde aber vorsieht mich gegen den Uhrzeigersinn über zwei, drei Ampeln um die Kreuzung herum zu schicken.

    In den meisten komplizierten Fällen ist in Hamburg das Linksabbiegen nur im Fußgängermodus vorgesehen, z.B. Holstenwall nach links in die Ludwig-Erhard-Straße. Wer dort also nicht erstmal bis zum Heiligengeistfeld und wieder zurück radeln will, der kann auf den Gehwegen im Uhrzeigersinn rum, oder nimmt bestenfalls die Fahrbahn. Ob Fahrradnavis wissen, dass Radler auf der Fahrbahn fahren dürfen, wenn keine Radverkehrsführung vorhanden ist - trotz Benutzungspflicht, die nur nach rechts, aber nicht nach links führt?

  • Die Grelckstraße aus deinem ersten Kreuzungsbeispiel zeigt auch wieder, wie man die Radfahrer wunderbar dazu erziehen kann den Gehweg statt der Fahrbahn zu nutzen. Respekt an die beschissene Verkehrsplanung und an die Radfahrer die hier vom Rad absteigen, um sich auf der Fahrbahn einzuordnen.

    Man könnte doch mal eine Radtour mit konservativen Fahrlehrern oder Verkehrsexperten machen.
    Aufgabe: Eine vorbestimmte Route etwa eine Stunde durch Hamburg mit dem Rad fahren.
    Regeln:

    • Es soll gefahren werden und nicht geschoben. Es darf nur ein Fuß abgesetzt werden, wenn es der Verkehrsfluß erforderlich macht
    • die StVO ist selbstredend einzuhalten
    • Radwege sollen grundsätzlich benutzt werden, sofern welche vorhanden sind (das steigert den Spaßfaktor)
    • enden Radwege unvermittelt, wird sich auf der Fahrbahn eingeordnet (siehe 1.)
    • pro Regelverstoß gibt es 1€ für die Kaffeekasse ;)
  • Die Grelckstraße aus deinem ersten Kreuzungsbeispiel zeigt auch wieder, wie man die Radfahrer wunderbar dazu erziehen kann den Gehweg statt der Fahrbahn zu nutzen. Respekt an die beschissene Verkehrsplanung und an die Radfahrer die hier vom Rad absteigen, um sich auf der Fahrbahn einzuordnen.

    Man könnte doch mal eine Radtour mit konservativen Fahrlehrern oder Verkehrsexperten machen.
    Aufgabe: Eine vorbestimmte Route etwa eine Stunde durch Hamburg mit dem Rad fahren.
    Regeln:

    • Es soll gefahren werden und nicht geschoben. Es darf nur ein Fuß abgesetzt werden, wenn es der Verkehrsfluß erforderlich macht
    • die StVO ist selbstredend einzuhalten
    • Radwege sollen grundsätzlich benutzt werden, sofern welche vorhanden sind (das steigert den Spaßfaktor)
    • enden Radwege unvermittelt, wird sich auf der Fahrbahn eingeordnet (siehe 1.)
    • pro Regelverstoß gibt es 1€ für die Kaffeekasse ;)

    Ich würde sagen, die Euros reichen dann für die Elbphilharmonie.

  • 5. pro Regelverstoß gibt es 1€ für die Kaffeekasse ;)

    Nö, das ist wirklich ungerecht. Pro Regelverstoß die dafür vorgesehenen Bußgelder bitte, die sind lächerlich genug. Und Kaffeekasse ist auch nicht ok. Irgendwohin, wo es wirklich weh tut. Diese ehrenamtlichen Fahrradwerkstätten wären beispielsweise eine gute Möglichkeit. Da kommt am Ende nämlich Fahrradverkehr heraus. Vorwiegend von denen und für jene, die ihn am dringendsten nötig haben, Arme und Flüchtlinge.

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    Peter Viehrig

    "Glaube ist die Überzeugung, dass etwas wahr ist, weil die Belege zeigen, dass es falsch ist."
    (Andreas Müller)

  • Mit einem Auto fährt man auf der Fahrbahn.

    Mit einem Fahrrad fährt man auf der Fahrbahn. So einfach kann es sein. Das Linksabbiegen, oder überhaupt etwas für Autofahrer normales, für Radfahrer extra vorgesehen sein muß, ist nur eingebildet. Wahrscheinlich aus dem gleichen Grunde, aus dem Radfahrer an sich selbst höhere Maßstäbe anlegen, "die StVO ist selbstredend einzuhalten", und sogar noch tun, was andere von ihnen erwarten, "Radwege sollen grundsätzlich benutzt werden, sofern welche vorhanden sind". Würden Autofahrer Buckelpisten benutzen, wenn sich das einfach vermeiden läßt?