Umgestaltung des öffentlichen Verkehrsraums in Zeiten von Corona

  • Die Frage der Verkehrsraumnutzung und auch die Umverteilung in Zeiten von Corona wurde in ein paar Threads schon verteilt thematisiert, z.B. die Frage, wie man denn auf Gehwegen Abstand halten soll. Nahverkehr Hamburg hat einen guten Überblicksartikel zur Umverteilung des Verkehrsraums: https://www.nahverkehrhamburg.de/wie-staedte-we…erteilen-14745/

    Irgendwie hoffe ich ja, dass weltweit solche Maßnahmen ergriffen werden und dass es zu einer dauerhaften Mobilitätsänderung kommt.

  • Interessant finde ich die Begründung aus dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg:

    Zitat

    Da die existente Radverkehrsinfrastruktur nicht umfassend geeignet ist, die Abstands-Vorschriften zu befolgen, liegt eine Gefährdung des höheren Rechtsgutes der körperlichen Unversehrtheit vor.

    Das gilt nämlich unabhängig von Coronaviren für jede ungeeignete Radverkehrsinfrastruktur, hat aber vielerorts seit 22 Jahren keine Sau interessiert.

  • Interessant finde ich die Begründung aus dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg:

    Das gilt nämlich unabhängig von Coronaviren für jede ungeeignete Radverkehrsinfrastruktur, hat aber vielerorts seit 22 Jahren keine Sau interessiert.

    Ich hatte auch kurz den Gedanken, ob die Begründung auch in anderen Fällen herhalten kann. Aber so einfach ist es nicht, denke ich. DIe Situationen sind dann doch im Detail anders: Die 1,5m Abstand können auf auf einem 1,5m breiten Weg nicht eingehalten werden, während man z.B. auf einem 1,5m-breiten Weg zur Not noch schiebend und ohne Verletzung aneinander vorbeikommt (das beinhaltet keine Wertung meinerseits!). Der Gefährungszusammenhang ist in dem einen Szenario direkt und in anderen nicht so direkt.

  • Daher habe ich das ja weiter gefasst und von einer ungeeigneten Radverkehrsinfrastruktur gesprochen. Neben der Unterschreitung von Mindestbreiten findet man jedenfalls hier in meinem Wohnort auf sogenannten "Radwegen" alle paar Meter eine Gefahrenstelle in Form von schlecht einsehbaren Kreuzungen und Ausfahrten, Hindernissen, unklaren Führungen, fehlenden Markierungen und Stolperfallen, Schlaglöchern, Aufwerfungen und Überwucherungen.

    Die außergewöhnliche Gefahrenlage, die Voraussetzung für die Anordnung benutzungspflichtiger "Radwege" ist, findet man hier allenfalls auf den Radwegen selbst und das hat nicht nur mit der zu geringen Breite zu tun. Die Unterschreitung von Mindestbreiten sorgt nur noch für zusätzliche Unfallgefahren, weil man nirgends ausreichend Abstand zu Fußgängern und parkenden Autos einhalten kann.

  • Ich war am Montag am Siemersplatz und es war wenig los in den Bussen. Dafür viele Autos unterwegs. In Hamburg scheint es so zu laufen: Während des "Lockdowns" kein Bedarf an Verkehrsraumumverteilung/-umgestaltung und nach dem Lockdown kann man ja nichts ändern, weil ja so viele Autos da sind.

  • Immerhin ein wenig bewegt sich was:

    "Temporäre Sperrungen für den Kfz-Verkehr

    Da der Fahrrad- und Fußverkehr (inklusive Inline-Skater*innen etc.) in den letzten Wochen stark angestiegen ist, prüft die Landeshauptstadt Hannover derzeit in enger Abstimmung mit der Polizei, in welchen Bereichen eine Umverteilung von Verkehrsflächen möglich ist."

    aus: Internetseite der Stadt Hannover https://www.hannover.de/Service/Presse…den-Kfz-Verkehr

    Ein kleiner Vorgeschmack soll das Sperren der Waldchaussee bieten. Die ist zwar an den Feiertagen und den Wochenende ohnehin geschlossen, aber am Samstag wäre sie normalerweise geöffnet gewesen.

    Für den kommenden Samstag ist die Schließung für den Autoverkehr angekündigt, um Radfahr*innen zusätzliche Verkehrsfläche anbieten zu können, wo sie unbehelligt vom Autoverkehr aktiv sein können.

    Warum ich das so ausführlich darstelle? Die Waldchaussee ist vermutlich mehr als einfach nur eine (Auto-)Straße, die ein schönes Erholungsgebiet brutal durchschneidet und im Grunde genommen überflüssig ist wie ein Kropf, wenn es darum geht Autoverkehr in Hannover zu ermöglichen. Die Heftigkeit mit der immer wieder über die Nutzung der Waldchaussee durch den Autoverkehr gestritten wird, hat sie längst zu einem Symbol gemacht für die Frage der Sinnhaftigkeit von Autoverkehr überhaupt.

    Und gerade in der aktuellen Situation, in der führende Auto-affine Politiker unisono mit Gewerkschaftern und den Autoindustriellen sich als die "wahren Opfer der Corona-Krise" hochstilisieren und deshalb saftige Abwrackprämien fordern, um den Autokonsum zu stimulieren, ist es hochinteressant zu beobachten, wie die Waldchaussee-Sperrung erneut diskutiert wird.

    Hier die Einfahrt in die Waldchaussee vom Steuerndieb aus gesehen:

    https://www.google.de/maps/@52.39008…!7i13312!8i6656

    Rechts und Links der Straße sind die Sperrschranken zu sehen.

    Und hier die Einfahrt in die Waldchaussee vom Zoo aus gesehen:

    https://www.google.de/maps/@52.38329…!7i13312!8i6656

    Und hier der HAZ-Artikel vom 9.1.2017: https://www.haz.de/Hannover/Aus-d…1991-gestritten

    Auf der Karte sind die Sperr-Schranken eingezeichnet:

  • In Hamburg gibt es jetzt während einer angemeldeten Demonstration des örtlichen ADFC eine Art „Protected Bike Lane“ entlang der Straße „An der Alster“: „Pop-up-Bikelane“: Radler „klauen“ sich Autospur, Hamburg hat einen ersten Popup-Radweg – aber nur bis heute Abend

    Drüben in Berlin hat man mittlerweile auch ganz gute Erfahrungen mit den an einer Vielzahl von Straßen aufgeploppten Bike-Lanes gesammelt.

    Hier in Kiel reicht es zwar „nur“ für die autofreie Kiellinie zur Steigerung der Aufenthaltsqualität, aber spätestens seit der Kraftverkehr in den letzten beiden Wochen wieder ganz erheblich zugenommen hat, während die Radwege teilweise wieder der üblichen Überfüllung anheim fallen, obwohl der ganze Radverkehr zur Universität momentan gar nicht stattfindet, fände ich es durchaus als angemessen, hier und da einen Fahrstreifen für den Radverkehr umzuwandeln. Kann ja nun nicht sein, dass wir aufs Rad anstatt in den Bus steigen sollen, aber mit dem Rad teilweise keinen ordentlichen Platz finden.

    Edit: Hier noch ein Tweet von gestern.

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  • Man schaue auf das dritte Bild (übervolle Aufstellfläche für Fahrräder): "... Experten befürchten, dass der Radverkehr mit den steigenden Temperaturen noch weiter zunehmen wird."

    Interessante Perspektive.

  • Man schaue auf das dritte Bild (übervolle Aufstellfläche für Fahrräder): "... Experten befürchten, dass der Radverkehr mit den steigenden Temperaturen noch weiter zunehmen wird."

    Interessante Perspektive.

    In der Tat. Und die Senatsparteien geben gerade ein groteskes Bild ab. Da wird Corona genutzt, um den Abriss des Bahnhofs Altona ohne die zuvor versprochene Beratung durchzuziehen (während man sich wundert, dass mit den Wohnungsbauflächen schon munter spekuliert wird), da wird für die Sternbrücke ein Neubau geplant, dessen Monstrosität daraus folgt, dass die Stadt die Stresemannstraße und die Max-Brauer-Allee vierspurig für die Autos (mit Fahrrädern auf Nebenflächen) haben will ...

    da staut sich der Radverkehr an vielen Stellen - aber da hört man den Herrn Pochnicht nie nach zusätzlichem Verkehrsraum schreien.

  • Da war die Waldchaussee im Hannoverschen Stadtwald, mal ein Samstagvormittag am letzten Wochenende außer der Reihe gesperrt, und schon ist es wieder vorbei mit der Radlerherrlichkeit: "Für Kraftfahrzeuge stadteinwärts verläuft die Umleitung aus Richtung Celle kommend über den Weidetorkreisel, die für die Dauer der Sperrung geöffnete Waldchaussee und die Fritz-Behrens-Allee." https://www.hannover.de/Service/Mobil-in-Hannover/Aktuelle-Verkehrshinweise/Hans-Böckler-Allee-Vollsperrungen-wegen-Brücken-Montage

    Am kommenden Wochenende 8.5.2020 um 18:00 bis 11.5.2020 um 5:00 Uhr morgens wird über die Hans-Böckler-Allee ein großer geschlossener Verbindungsgang für die neue Conti-Zentrale gebaut.

    Die Fahrradfahrer-Vergraulaktion dauert das ganze Wochenende an.

    Immerhin, wer etwas für Baustellenbesichtigungen übrig hat, der kann in der Nähe der Pferdeturmkreuzung an diesem Wochenende dabei zusehen, wie eine rund 70 m lange Fußgängerbrücke über eine achtspurige Straße montiert wird.

    Hier eine Animation von der fertigen Brücke: https://www.bing.com/images/search?…ex=0&ajaxhist=0

    Und noch ein Bild bei Tag:

    https://www.bing.com/images/search?…t=0&vt=0&sim=11

  • Hier eine schöne Übersicht über eine ganz kleine Maßnahme in Hannover. Am Samstag nach dem 1. Mai war die Straße anders als sonst schon am Samstagvormittag gesperrt. Leider war kein so schönes Wetter, deshalb waren nicht ganz so viele RadlerInnen unterwegs. Hier ein paar BIlder:

    Waldchaussee-Einfahrt von der Zoo-Seite aus.

    Durchfahrt verboten-Schild mit neuen Piktogrammen.

    Bitte in Groß ansehen, dann sieht man die Rücklichter!

    Wendemannöver an der Steuerndiebseite.

    Hier hängt noch ein Schild mit alten Piktogrammen.

    Mal schauen, was an den nächsten Wochenenden dort sein wird. Wie schon weiter oben geschrieben, ist die Waldchaussee für den Autoverkehr verzichtbar. Aber in Hannover sind die Auto-beharrenden Kräfte sehr stark, so dass wir leider nicht umgehend mit einem Rückbau rechnen dürfen.

  • Neues zur Sperrung der Waldchaussee:

    "Ab Donnerstag, Christi Himmelfahrt (21. Mai), 0 Uhr, wird die Waldchaussee (im Rahmen des üblichen Sperrbereiches) durchgängig bis Sonntag, 24. Mai, 24 Uhr, gesperrt. Die Waldchaussee wäre sonst regulär vom 22. Mai, 0 Uhr, bis 23. Mai, 15 Uhr, geöffnet gewesen.

    Über das Pfingstwochenende wird die Waldchaussee (im Rahmen des üblichen Sperrbereiches) durchgängig von Samstag, 30. Mai, 0 Uhr, bis Pfingstmontag (1. Juni), 24 Uhr, gesperrt. Die Waldchaussee wäre sonst regulär am 30. Mai, 0 bis 15 Uhr, geöffnet gewesen."

    Quelle: https://www.hannover.de/Service/Presse…r-an-Feiertagen

    Immerhin ein paar zusätzliche Sperrstunden für den Autoverkehr, das ist zwar mehr Kleckern als Klotzen aber immerhin ein Grund, dort mal wieder zu radeln und davon zu träumen, dass es so autofrei eigentlich immer sein könnte.

    Alles Gute zu Christi Himmelfahrt und Pfingsten!

  • Wer am verlängerten Wochenende die verlängerten Autosperrzeiten auf der Waldchaussee genutzt hat, dem ist möglicherweise dieser Radfahrstein am Wegesrand aufgefallen:

    Mehr dazu steht auf der hannover.de-Seite. Dort erfährt man auch, dass es einen zweiten Radfahrstein am anderen Ende des Radweges in Kleefeld, in der Nähe der Pferdeturmkreuzung gibt. Das ist am anderen Ende des Radweges, der von den Radfahrpionieren Hannovers initiiert wurde.

    Der Eilenriede-Radweg war einmal kostenpflichtig und es gab Verärgerung bei den Radfahrern, weil Fußgänger die Bänke zum Ausruhen benutzten, die eigentlich für die zahlenden Radfahrer reserviert waren.

    https://www.hannover.de/Kultur-Freizei…e-Radfahrsteine

    Wer es noch nicht geschafft hat, dort vorbeizufahren, der kann das ja am Pfingstwochenende nachholen, wenn erneut zusätzliche Autosperrstunden auf der Waldchaussee gelten.

    Hier die Standorte eingetragen in ein openstreetmap-Kartenausschnitt:

  • Nicht jeder findet Pop-Up Bikelanes gut: https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropo…fahrer-li.84666

    Tenor: Es gibt immer mehr Autos und das sei als "Abstimmung mit den Rädern" zu verstehen, dass die Leute vor allem eine bessere Infrastruktur für den MIV wünschen. Autofahren sei außerdem für viele Menschen alternativlos (in Berlin?) und Radfahren nur etwas für ein paar Privilegierte, die es sich leisten könnten, in der Nähe ihrer Arbeitsstätte zu wohnen.

    Der Autor des Artikels setzt sich auch gleich selbst in die Opfer-Schublade, dass man heutzutage sowas ja gar nicht mehr äußern dürfe, ohne als rückständig belächelt zu werden.