Heute ist also dieser europaweite Aktionstag unter dem Stichwort #sichermobilleben, an dem die Polizei primär nach telefonierenden, nicht angeschnallten oder anderweitig abgelenkten Verkehrsteilnehmern fahndet: Europaweite Verkehrssicherheitsaktion "sicher.mobil.leben - Ablenkung im Blick"
Ich habe mir mal die Veranstaltung am Jungfernstieg angesehen und es war mal wieder sehr erhellend.
Ich näherte mich aus der Europa-Passage kommend und durfte erstmal beobachten, dass ein abbiegender Linienbus auf dem tollen Radweg am Jungfernstieg drei Radfahrer auf einmal „übersah“. Kein Wunder: Jegliche Sichtbeziehungen zwischen Radfahrern auf dem Radweg und abbiegenden Linienbussen und Taxis wurde von zwei parkenden Lieferwagen auf dem Radweg unterbunden — direkt vor dem Wagen der Polizei.
Ja, schade, schon wieder „übersehen“. Klar, wie soll ein Busfahrer bei diesen Sichtverhältnissen auch Radfahrer erkennen können? Anhalten, aussteigen, gucken, einsteigen, weiterfahren? Geht halt nicht. Und dementsprechend wird dann eben mit unangemessener Geschwindigkeit abgebogen. Die Erklärung dazu liefert die Polizei freundlicherweise im direkten Gespräch: Das Gehirn nimmt nicht wahr, dass dort etwas sein könnte, weil man nicht hingucken kann, also denkt das Gehirn, da wäre auch überhaupt nichts. So einfach ist das.
Ich sprach dann doch mal einen der beiden Beamten an, ob man sich angesichts des heutigen Verkehrssicherheitstages nicht mal dieser beiden Lieferwagen annehmen könnte. Ich staunte: Die beiden Fahrer waren gar nicht so dreist, dort einfach so zu parken, nein, die beiden Fahrer hatten bei den Beamten nachgefragt und sich die mündliche Erlaubnis zum Falschparken eingeholt. Toll. Sorry.
Wir beobachteten dann beide noch ein paar Radfahrer, die sich mit abbiegenden Taxis anlegten, aber der Beamte sah die Sache anders als ich: Auch Radfahrer müssten Rücksicht nehmen. Die Lieferwagen hätten Waren angeliefert, die wichtig für Verbraucher und insbesondere Touristen wären, die müssten irgendwo parken, denn die nächsten Lieferantenparkplätze, so rechnete er mir vor, wären in der Dammtorstraße oder oben an der Petrikirche — und die, das wusste er auch, wären überdies regelmäßig belegt.
Das ist ja alles schön und gut, aber führt doch komplett am Problem vorbei: Wenn hier am Jungfernstieg dringend Parkplätze für Lieferanten nötig wären, dann könnte man ja diesen tollen Radweg endlich mal entfernen und zwei oder gar drei Lieferantenparkplätze einrichten. Und man müsste eben die vorhandenen Lieferantenparkplätze freihalten. Aber es kann doch nicht ernsthaft einfach hingenommen werden, dass Radfahrer hier irgendwie absteigen und schieben sollen, damit Lieferanten auf dem Radweg parken können, weil die Parkplätze für Lieferanten belegt sind. Es. Will. Mir. Nicht. In. Den. Kopf.
Der komplette Radweg will mir nicht in den Kopf, auch wenn ich die grundlegende Problematik verstehe: Der rechte Fahrstreifen ist ein Bussonderfahrstreifen. Wenn es einen Bussonderfahrstreifen gibt, dann möchte die Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung gerne, dass Radfahrer nicht in der Fahrbahnmitte kurbeln müssen, sondern fordern entweder einen Radweg oder eine Freigabe des Bussonderfahrstreifens für den Radverkehr. Eine solche Freigabe kam hier nicht in Frage, weil man nicht wollte, dass Radfahrer den Busverkehr ausbremsen, wenn sie dort zum Rathausmarkt rechts abbiegen, also musste ein Radweg her, der den Radverkehr aufnimmt, an einer Stelle über den Bussonderfahrstreifen führt, an der meines Erachtens nicht mehr § 9 Abs. 3 StVO gilt, anschließend wieder mit § 10 StVO auf die Fahrbahn führt. Da ist der Radverkehr ohnehin schon angeschmiert, selbst wenn niemand auf dem Radweg parkt.
Aber gut. Leider empfahl mir mein Gesprächspartner lediglich, doch einfach eine Eingabe an die Bezirksversammlung zu formulieren, dann verlegte er sich auf Whataboutismus und zählte auf, wie viele Radfahrer er schon bei rotem Licht über die Ampel fahren sah und wie viele telefoniert haben und so weiter, wedelte dabei kräftig mit § 1 StVO. Naja. Ich habe mich dann mal lieber verzogen.
Es passt insofern aber auch wieder ins Gesamtbild: Weil Lieferwagen und Kraftfahrer nunmal irgendwo parken müssen, wird Falschparken großzügig toleriert, denn irgendwo müssen die ja nunmal parken. Das ist auch dann okay, wenn direkt vor den Augen der Polizei im Minutentakt Radfahrer gefährdet werden, denn für Radfahrer gilt § 1 StVO, da ist dann also absteigen angesagt.
Am Nebentisch wurde derweil diskutiert, warum Radfahrer trotz Radweg mitten auf der Straße führen und ich habe nicht so richtig mitbekommen, ob die Beamtin dort die Rechtslage aus § 2 Abs. 4 StVO richtig wiedergegeben hatte. Irgendwie klang das auch so als ob ein vorhandener Radweg selbstredend verwendet werden müsste, wozu wäre der denn sonst da und so. Habe das aber nur mit einem halben Ohr mitgehört — aber es passt irgendwie ins Gesamtbild, das die Hamburger Polizei in den letzten Wochen nach meinem Empfinden abliefert.
Bin ich froh, dass ich nicht mehr in dieser Stadt wohne.