Schadet kostenfreier ÖPNV dem Radverkehr - oder ist das förderlich für den Radverkehr?

  • Vielen Dank für den Hinweis auf den Film, der allerdings deutlich mehr anspricht als das Modell kostenfreier Nahverkehr. (Hier noch mal der Link: https://www.arte.tv/de/videos/0815…hne-fahrschein/ )

    Eines spricht der Film jedoch nicht an, ich habe geradezu den Verdacht, dass das Thema ganz gezielt ausgespart wird.

    Was geschieht um den Autoverkehr aktiv zu reduzieren? Lediglich in der Berichterstattung über Templin wird angesprochen, dass die Parkgebühren angehoben wurden.

    Es wird nicht gelingen den Autoverkehr zu reduzieren, ohne entsprechend aktiv gegen den Autoverkehr vorzugehen. Den Nahverkehr kostenfrei zu machen, das alleine reicht nicht aus, um die Verkehrsbelastung durch den Autoverkehr zu reduzieren.

    Das soll jetzt nicht heißen, dass ich den Film komplett schlecht fände. Möglicherweise haben die Autoren bewusst die notwendigen Sanktionsmaßnahmen zur Reduzierung des Autoverkehrs ausgeklammert, um einfach mal so gute Stimmung für den ÖPNV zu machen und diese gute Stimmung nicht gleich wieder einzutrüben.

    Bei der Berichterstattung über Templin gibt es eine Szene in der auf die vom Autoverkehr unbelasteten Altstadtstraßen hingewiesen wird. Es wird jedoch nichts darüber berichtet, welche Verkehrsregelungen dort gelten.

    Das ist mir besonders ausgefallen:

    Bei der Berichterstattung über Duinkirchen wird darüber berichtet, dass ab 2018 der kostenlose ÖPNV kommen soll und alle Leute schon drauf warten. Über Duinkirchen wird an dieser Stelle (Min 16:00) gesagt: "Darauf wird Duinkirchen derzeit vorbereitet. Mit neuen Umgehungsstraßen und Busspuren." Und es werden dazu Bilder von Straßenausbauarbeiten gezeigt. Wie passt das zusammen? Der Autoverkehr soll doch reduziert werden durch den kostenfreien ÖPNV, wozu werden dann neue Straßen gebaut? Und warum werden die Busspuren nicht einfach dort angelegt, wo bisher Autos gefahren sind?

    Bei einem solchen Filmbericht darf natürlich Heiner Monheim nicht fehlen. Von ihm hören wir, dass das Verhältnis der Infrastruktur-Investitionen, die derzeitig bei 80% für den MIV und nur bei 20% für den ÖPNV liegen, umgedreht werden müsse. VOLLE ZUSTIMMUNG!!! Aber auch hier drücken sich die Autoren des Films um die Frage drumherum, wie sich das dann konkret gestaltet. Und welche Reaktionen das hervorrufen wird. Wen ich nur dran denke, wei jedes Jahr zum Frühlingsbeginn, das ewige Schlaglöcher-Wehklagen angestimmt wird.

    Wo ist der mutige Bürgermeister oder Verkehrsdezernent, der sagt: Ja es gibt an dieser und jener Straße diese Schäden und deshalb wird dort jetzt nur noch Tempo 20 gefahren, weil wir zuerst andere Straße ertüchtigen, auf denen zum Beispiel Omnibusverkehr stattfindet? Und auf dieser und jener dreispurigen oder zweispurigen Straße wird eine der Fahrspuren für den Autoverkehr umgewidmet zur Fahrspur für den ÖPNV und den Radverkehr?

    Apropos: Der Radverkehr kam insgesamt kaum vor in dem ganzen Filmbeitrag, wenn man mal von Heiner Monheims Faltrad absieht, das er tatsächlich immer mit sich führt, ich habe das mal bei einer Live-Veranstaltung mit ihm in Hannover erlebt.

  • Ich ergänze das mal um ein (eher entlarvendes) Zitat aus der zugehörigen Pressemitteilung der TU:

    Soziologen der Forschungsgruppe hatten […] Experimente mit dem Simulator SimCo durchgeführt. Dieser wurde in Kooperation mit der Informatik der TU Dortmund entwickelt. Die Abkürzung SimCo steht für „Simulation of the Governance of Complex Systems”. Der Simulator unterstützt die Untersuchung der Steuerung komplexer Infrastruktursysteme und bietet so auch die Option, Zukunftsszenarien durchzuspielen.

    Ein Simulator also. Aha. Wie wäre ein Abgleich mit der Realität?

    • Templin, Deutschland, 16.000 Einwohner, 1998–2003. Steigerung der Passagierzahlen von 41.000 auf 350.000. Aufgrund des Fahrgastzuwachses 2003 Umwandlung in ein freiwilliges Bürgerticket-System. Kofinanzierung über Kurgäste.
    • Tórshavn, Färöer, 20.000 Einwohner, seit 2007 in den Bussen des Stadtverkehrs, jedoch nicht in den Überlandbussen.
    • Vitré, Frankreich, 17.500 Einwohner. Seit der Errichtung im Jahre 2001 haben sich die Passagierzahlen bis 2010 versiebenfacht.

    ... um mal die eindrücklichsten Beispiele herauszugreifen. Das werden nicht nur ausschließlich Fahrradfahrer gewesen sein. Man muß parallel dazu natürlich den Kfz-, insbesondere den PKW-Verkehr einschränken.

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    Peter Viehrig

    "Glaube ist die Überzeugung, dass etwas wahr ist, weil die Belege zeigen, dass es falsch ist."
    (Andreas Müller)

  • ... um mal die eindrücklichsten Beispiele herauszugreifen. Das werden nicht nur ausschließlich Fahrradfahrer gewesen sein. Man muß parallel dazu natürlich den Kfz-, insbesondere den PKW-Verkehr einschränken.

    In Hannover wurde 1965 mit dem Bau einer U-Bahn begonnen. Das hat vor allem dazu geführt, dass der Autoverkehr sehr stark zugenommen hat. Vermutlich deutlich stärker als in anderen Städten, in denen weiterhin nur Straßenbahnen gefahren sind. (Obwohl es davon vermutlich nur wenige gibt im Gebiet der ehemaligen Bundesrepublik.)

    Es wurde versäumt, den Kfz-, insbesondere den PKW-Verkehr einzuschränken. Die 60er Jahre waren aber auch nicht die Zeit, in denen der PKW-Verkehr bereits so sehr in der Kritik stand wie heute. Und selbst heute gibt es noch genug Anhänger einer grenzenlosen Automobilität, so dass immer wieder fatale Fehlentscheidungen getroffen werden, mit denen der Autoverkehr noch weiter verstärkt wird, obwohl die Grenzen der Belastbarkeit längst überschritten sind.

    Bei der Frage des ÖPNV-Ausbaus steht auch heute noch an erster Stelle: Beeinträchtigt das den Autoverkehr? Dann verzichten wir lieber auf den ÖPNV-Ausbau. Siehe zum Beispiel Rückkehr der Straßenbahn in Hamburg unter dem Titel "Stadtbahn".

  • U-Bahnen sind imho eine riesige Geldverschwendung, weil man da für zig Millionen Tunnel in die Erde bohrt. Einfach oberirdisch das Straßenbahnnetz weiter ausbauen und vor allem vom KFZ Verkehr deutlich separieren. Eine Fahrspur für PKW pro Straßenrichtung weniger, dafür eine kleine nicht überfahrbare Mauer und damit eine eigene Spur für die Straßenbahn. Dann steht die genauso wenig im Stau wie die U-Bahn und man spart auch noch sehr viel Geld.

  • Das ist nicht ganz richtig. U-Bahnen sind auch deswegen so leistungsfähig, weil diese recht direkt (ohne "abbiegen") fahren können, also auch unter Gebäuden durch. Und Kreuzungen lassen sich durch separate Führung nicht verhindern. Genau da gäbe es dann wieder Probleme.

    Doomsday: It's nature's revenge for what we've done (Chris Pohl)

  • Mit der direkten Verbindung hast du recht, das ist einfacher. Bezüglich des Abbiegens, kommt halt vor allem darauf an ob man den Streckenverlauf und den Vorrang wirklich priorisieren will. Muss man halt richtig planen.

    Hier z.B. auf der B4 bei Nürnberg, da wird die Straßenbahn bevorrechtigt aus der Mitte nach rechts geleitet. Da steht auf der B4 eine neue Ampel, die den KFZ Verkehr ausbremst sobald die Bahn kommt. Zeigt was möglich ist, wenn man es den will. Streetview gibts da leider gerade nicht.

  • Da ich gerade mal damit gefahren war: Die STR 5 in Nürnberg (https://www.openstreetmap.org/relation/542274) ist ca. 12km lang und fährt 36 Minuten.

    Macht einen Schnitt von 20 km/h.

    Die U2 in Hamburg (https://www.openstreetmap.org/relation/1686087) ist ca. 24.5 km lang und braucht 43 Minuten. Schnitt 34 km/h.

    Um zur U-Bahn-Station zu kommen muss man paar Stufen steigen, kostet ne Minute Zeit. Um zur Straßenbahn zu kommen muss man ne Fahrbahn queren, das dauert auch.

    Der einzige wirkliche Vorteil von Straßenbahnen sind die geringeren Kosten. Aber so furchtbar teuer finde ich Tunnel auch nicht. Die U5 in Hamburg wird ca. 6 Elphis kosten. Halte ich für gut angelegtes Geld.

    Oben wird dann Platz frei, den man sinnvoller als für Verkehr nutzen kann. Z. B. Grünflächen, Außengastronomie oder Wohnraum. Und U-Bahnen machen im Vergleich zu Straßenbahnen kaum Lärm.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Es kommt darauf an.

    Für schnelle Verbindungen von Knotenpunkten sind U-Bahnen praktisch unschlagbar.

    Für die Verteilung in der Fläche sind dann Straßenbahnen und Busse die bessere Wahl. Beide kann man priorisieren.

    In jedem Fall müssen für eine Verkehrswende dem MIV zusätzliche Fahrspuren wieder entzogen werden und kostenlose Parkplätze auf öffentlichem Grund entweder wegfallen oder kostenpflichtig werden. Wo es nicht anders geht, ist über eine Citimaut nachzudenken.

    bye
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