BTW 2017: Sondierungsergebnisse

  • Mit diesen Ideen geht’s also jetzt die nächsten dreieinhalb Jahre weiter:

    Gesamtdokument_Stand_121_1_10.15.pdf

    Ab Randnummer 263 geht’s um Verkehr und Infrastruktur:

    Zitat

    Mobilität ist eine zentrale Grundlage für individuelle Freiheit und gesellschaftlichen Wohlstand, für wirtschaftliches Wachstum und für Arbeitsplätze in allen Regionen. Wir wollen deshalb für alle Menschen in Deutschland eine moderne, saubere und bezahlbare Mobilität organisieren und dabei die gesellschaftlichen Herausforderungen wie demografischer Wandel, Urbanisierung, Anbindung ländlicher Räume und Globalisierung meistern. Dazu werden wir unsere Infrastruktur weiter ausbauen und modernisieren und die großen Chancen von digitalen Innovationen, wie automatisiertes und vernetztes Fahren und von alternativen Antrieben auf allen Verkehrsträgern, nutzen.

    In dieser Einleitung zur Mobilität taucht das Wort „Fahrrad“ nicht auf, den Begriff „Fahrrad“ kann man allenfalls hinter „allen Verkehrsträgern“ vermuten, allerdings geht’s im Kontext des letzten Satzes um alternative Antriebe, nicht um alternative Formen. Mobilität ist für Schwarz-Rot weiterhin nur der motorisierte Individualverkehr, das Flugzeug und immerhin schienengebundene Verkehrsmittel im Nah- und Fernverkehr.

    Zitat

    Wir werden den Investitionshochlauf auf einem Rekordniveau für die Verkehrsinvestitionen mindestens auf dem heutigen Niveau fortführen. Wir werden die Mittel für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) erhöhen und dynamisieren. Wir werden ein Planungs- und Baubeschleunigungsgesetz verabschieden. Damit wollen wir deutliche Verbesserungen und noch mehr Dynamik in den Bereichen Verkehr, Infrastruktur, Energie und Wohnen erreichen.

    Aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz werden nach meiner Kenntnis immerhin auch Projekte des öffentlichen Nahverkehrs umgesetzt, das ist schon mal nicht so ganz schlecht. Das Baubeschleunigungsgesetz hingegen zielt nur darauf ab, dass nicht jeder Lurch ein Infrastrukturprojekt verhindern kann, es sollen also primär die Klage- und Beteiligungsmöglichkeiten von Verbänden und Betroffenen beschnitten werden. Das mag sinnvoll sein, wird aber im Endeffekt wieder auf die lokale und regionale Umwelt als großer Verlierer hinauslaufen.

    Zitat

    Wir wollen Fahrverbote vermeiden und die Luftreinhaltung verbessern. Die Mobilitätspolitik ist dem Pariser Klimaschutzabkommen verpflichtet. Wir wollen die Klimaziele von Paris erreichen und dabei soziale Belange berücksichtigen, die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie gewährleisten und bezahlbare Mobilität sicherstellen.

    Fahrverbote vermeiden ist ganz einfach: Man sitzt das Problem einfach aus, so wie man es bislang tut und führt Justitia an der Nase herum. Das, was die Luft wirklich sauberer macht, mag man ja nicht umsetzen, weil’s unpopulär ist, also versteift man sich in Berlin künftig wieder auf Aktionismus ohne richtige Ergebnisse.

    Schön, dass man sich nach den Enttäuschungen der letzten Tage wenigstens noch zum Pariser Klimaschutzabkommen verpflichtet, allerdings ist die Einschränkung mit den sozialen Belangen in historischer Sicht so zu verstehen, dass man keine sozialverträgliche Umweltschutzpolitik fahren will, sondern Umweltpolitik nicht stattfindet, wenn sie soziale Belange beeinträchtigt. Damit das auch wirklich niemand falsch versteht, gibt’s noch den Halbsatz mit industrieller Wettbewerbsfähigkeit und bezahlbarer Mobilität hinterher.

    Zitat

    Dafür bedarf es eines ganzen Bündels von Maßnahmen, wie zum Beispiel der Förderung von Elektromobilität, des Öffentlichen Personennahverkehrs und des Schienenverkehrs; effizienteren und sauberen Verbrennungsmotoren inklusive Nachrüstungen sowie der Verstetigung der Mittel im Rahmen des Nationalen Forums Diesel. Wir setzen uns dabei für ein gemeinsames und koordiniertes Vorgehen von Bund, Ländern, Kommunen, Unternehmen und Gewerkschaften ein.

    Ein Mobilitätswandel, eine Verkehrswende klingt anders. Förderung von Elektromobilität, des Öffentlichen Personennahverkehrs und des Schienenverkehrs, ja, das ist toll, das ist sinnvoll, aber das passiert in Zeiträumen von Jahrzehnten. Guckt euch an, wie lange man in Berlin und Hamburg an der jeweiligen U5 bastelt, in Berlin ist man so langsam auf der Zielgraden, in Hamburg dürfte das Ding im Endeffekt nicht vor 2040 fertig werden, Neubauprojekte wie die Verbindung zwischen Berlin und München dauern ebenfalls lange Jahre.

    Tja. Kein Wort davon, dass wenigstens innerstädtische Mobilität auch ohne Stau stattfinden könnte. Klar, das ist primär Sache der Städte selbst, aber die neue Bundesregierung könnte hier wichtige Impulse liefern hin zu einer echten Verkehrswende — die dann übrigens nicht nur den Fahrradliebhabern zugute kommt, sondern allen Einwohnern einer Stadt.

    Das war’s dann auch schon. Übrigens steht im ganzen Sondierungspapier auf 28 Seiten nur unwesentlich mehr zur Umwelt. Ab Randnummer 1085 lässt man sich dazu aus, aber ehrlich gesagt ist das auch nicht viel mehr als inhaltsloses Blabla. Immerhin macht man mit der Position im Sondierungspapier deutlich, wo die Umwelt künftig steht: Ganz hinten.

    In diesem Sinne:

  • Ich träume ja noch davon, dass die SPD-Basis diese Koalition verhindern wird. Aber so wie ich die SPD kenne, kommt die große Koalition.

    Der einzige Lichtblick ist, dass Schwarzrot in 4 Jahren keine Mehrheit mehr zusammenkriegen wird.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Am meisten wird von weiteren 4 Jahren GroKo vermutlich die AfD profitieren. Trübe Aussichten für den notwendigen Wandel in der Energie-, Verkehrs- und Sozialpolitik... :(

    Die Quellenangabe dazu findet sich übrigens direkt im AfD-Wahlprogramm. Sofern die AfD das Thema überhaupt im Wahlkampf platzierte, ging es dort auch nur um die Kosten des Bürgers, die hier und heute von Klimaschutzmaßnahmen verursacht würden. Die Kosten, die wir bei einer verfehlten Klimapolitik in dreißig oder fünfzig Jahren tragen müssen, sind der AfD leider egal — die meisten Mitglieder dürften dann schon längst in Frieden ruhen.

    Ich finde auch die Aussage so nervig, dass sich das Klima schon immer gewandelt habe. Ja, das Klima hat sich schon immer gewandelt, aber meistens in Zeiträumen von mehreren Jahrhunderten oder mehreren Jahrtausenden. Immer dann, wenn plötzlich eine mehr oder weniger abrupte Änderung des Klimas eintrat, war für viele Lebewesen Schluss mit lustig: Nach jedem Vulkanausbruch oder nach dem berühmten Meteoriteneinschlag konnten sich viele Arten nicht von heute auf morgen umstellen.

    Und genau das passiert hier auch gerade. Wir werden binnen 150 Jahren nicht nur das Klima um bis zu fünf Grad Celsius aufblasen, wir bauen auch gerade das Gesicht des Planeten großräumig um. Wo vorher ein Lebensraum war, ist heute eine Großstadt mit versiegelten Flächen. Wo vorher Nahrung wuchs, steht heute eine Monokultur. Ich weiß nicht, wie man davon ausgehen kann, dass solche massiven Eingriffe gänzlich ohne Folgen blieben.

    Das ist alles ein Desaster, dagegen sind die momentanen Fahrradstadt-Geburtswehen ein Kindergarten.

  • Nunja, es gibt noch so was wie die "Normative Kraft des Faktischen".

    Zur Zeit sind von Überschwemmungsgefahren im Bundesgebiet ca. 100.000 Menschen betroffen. Bereits in 2014 werden das 700.000 Menschen sein in Folge des Klimawandels. So die Zahlen einer neueren Studie zur Klimafolgenforschung.

    Je betroffener die Menschen werden, um so eher sind sie bereit, was dagegen zu tun, auch Einschnitte in die eigene Bequemlichkeit hinzunehmen.

    Nur könnte es etwas oder gar zu spät sein, bis genügend Menschen die Folgen spüren und die Konsequenzen akzeptieren.

    Wird bestimmt bald lustig, wenn von 200 Mill. Klimaflüchtlingen auch nur 10% an unsere Tür klopfen. Ob die AfD dann den Türsteher stellt?

    bye
    Explosiv smilie_be_131.gif

  • Ich wohne 2m über NN. Bei jeder normalen Sturmflut steht das Wasser draußen am Elbdeich so hoch wie das Erdgeschoss unseres Hauses. Das passiert mehrmals im Jahr. Wenn das Wasser mal so hoch steigt, dass der Deich nicht ausreicht oder nicht hält, oder wenn das Sperrwerk wegen eines Defekts nicht schließt, dann saufen wir ab. Gleichzeitig baggern sie die Elbe immer tiefer, so dass die Strömungsgeschwindigkeiten seit Jahren zunehmen. Da die Elbe von der Mündung bis zur Schleuse in Geesthacht ein Tidengewässer ist, ändert sich die Fließrichtung hier alle 6 Stunden. Im Stadthafen von Stade, der 150m von unserem Haus entfernt liegt, beträgt der Tidenhub knapp 3m.

    Selbst hier haben die Leute die AfD gewählt und vermutlich würden die Trottel es sogar tun, wenn sie bis zum Knie im Wasser stehen würden.

  • "Ich finde auch die Aussage so nervig, dass sich das Klima schon immer gewandelt habe. Ja, das Klima hat sich schon immer gewandelt, aber meistens in Zeiträumen von mehreren Jahrhunderten oder mehreren Jahrtausenden."

    Naja, das Argument ist mE mit Vorsicht anzubringen. Die letzte Eiszeit hat sich innerhalb von 40 Jahren verabschiedet, ohne dass ein Großereignis zu verorten wäre (Stichwort: Präboreal).

    Ohne in eine wissenschaftliche Diskussion einsteigen zu wollen: Nordamerika erlebt eine Kältewelle, in Ostasien gab es vor etwa 10 Jahren ausgedehnte Kältephasen. Das Argument "Erderwärmung" erreicht viele Menschen nicht, weil sie es unmittelbar anders erleben.

    Nicht, dass wir uns falsch verstehen: es gibt viele sehr gute Gründe für Dekarbonisierung und Verkehrsvermeidung! Stadtplanerisch, gesundheitsökonomisch, politisch im Hinblick auf repressive Regimes in Ölförderstaaten, makroökonomisch und noch viel mehr.

    Aber dem Klimaargument wird nunmal gerne mit dem aktuellen Blick aufs Thermometer und dem Hinweis auf den letzten Sommer begegnet.

  • Aber dem Klimaargument wird nunmal gerne mit dem aktuellen Blick aufs Thermometer und dem Hinweis auf den letzten Sommer begegnet.

    Allen diesen Leuten sollte man die folgende Grafik zeigen.

    https://twitter.com/FerdinandSchol…166418405933056

    Auf den ersten Blick zum Präboreal: Wikipedia schreibt nur über die Temperaturveränderungen in der nördlichen Hemisphäre aufgrund von veränderten Meeresströmungen. Da steht nichts zu globalen Temperaturveränderungen. Das ist etwas vollkommen anderes als die heutige Veränderung.

  • Ähem. Eigentlich wollte ich ja keine Wissenschaftsdikussion... Aber "eigentlich" ist eigentlich das dümmste Wort der deutschen Sprache.

    Bei der Klimadebatte würde mir wünschen, dass die Wissenschaftler in diesem Gebiet endlich mal klarstellen würden, ob sie ihre Arbeit dem wissenschaftlichem Realismus oder doch eher dem strukturellen Realismus zuordnen würden.

    Die Sache mit der Logik ist eben nicht so einfach und das Gedankenpaar "Ursache-Wirkung" taugt nicht als Beschreibung komplexer Zusammenhänge (das Klima ist ohne Zweifel komplex).

    Zudem konkurrieren hier Rezeption und Zeitempfinden mit Abstraktion. Schönes Beispiel:

    "Boah, ist das kalt."

    "Aber schau doch mal: die Grafik"

    Abstraktes Langzeitphänomen trifft auf unmittelbaren Sinnesreiz. Das geht nicht zusammen bzw. unsere entwicklungsgeschichtliche Prägung gibt uns hier vor, welchem Impuls man folgt.

    Die Klima-Community leistet sich zudem (unverständlicherweise!) einige grobe systematische Fehler, nämlich fehlende Falsifizierung.

    Ich schmeiße mal ein paar Thesen in den Raum (Thesen, nicht Positionen!):

    "Der Klimawandel findet auch ohne den Menschen statt"

    "Die als Klimaziele definierte CO2-Minderung kann dem Klimawandel nicht entgegenwirken. Es ist folglich egal, ob wir CO2 Emission mindern oder nicht"

    "Erhöhte CO2-Emission kann helfen, den aktuellen Klimawandel zu verzögern oder sogar abzumildern"

    "Es gibt keinen linearen Zusammenhang zwischen CO2-Gehalt und mittlerer Temperatur. Mal geht die Temperatur nach oben, mal geht die Temperatur nach unten"

    Für meinen Geschmack geht man diesen oder anderen Antithesen zuwenig nach. Das ist der Grund dafür, dass die Klimadiskussion bei mir immer intellektuellen Juckreiz auslöst. Ich kann halt nicht aus meiner Wissenschaftler-Haut.

    Und nochmal zu Sicherheit, damit mich keiner falsch versteht: Ich halte es für hochriskanten Irrwitz, massenhaft fossilen Kohlenstoff aus der Erde zu holen und zu verbrennen. Wir wissen wenig bis gar nichts über die Auswirkungen auf Gleichgewichte und machen uns wenig bis keine Gedanken über die Auswirkung z.B. auf biologische Systeme. Wir spielen hier leichtfertig mit unseren elementaren Lebensgrundlagen. Und als Antwort kommen Argumente wie "aber die Arbeitsplätze" oder "wie soll ich denn sonst die Kinder zur Kita bringen" oder "ohne Braunkohle geht der Landstrich den Bach runter" oder "aber die Chinesen..." oder "individuelle Mobilität darf nicht leiden". Da wird der Juckreiz zum Brechreiz.

  • Ähem. Eigentlich wollte ich ja keine Wissenschaftsdikussion... Aber "eigentlich" ist eigentlich das dümmste Wort der deutschen Sprache.

    Vor allem funktioniert die Formulierung "Ich will keine Diskussion, behaupte aber mal xy" in Foren grundsätzlich nicht :)

    Für meinen Geschmack geht man diesen oder anderen Antithesen zuwenig nach. Das ist der Grund dafür, dass die Klimadiskussion bei mir immer intellektuellen Juckreiz auslöst. Ich kann halt nicht aus meiner Wissenschaftler-Haut.

    Wie kommst Du darauf, dass diesen Antithesen zu wenig nachgegangen wird?

    Ich finde das - nach äußeren den Umständen zu urteilen - nicht plausibel.

    Es beschäftigen sich Heerscharen von schlauen Leuten mit dem Thema. Da werden doch wohl genügend dabei sein, die sich ernsthaft mit den Antithesen beschäftigen. Es gibt sogar sehr finanzstarke Länder und Unternehmen, die ein großes Interesse daran haben, den Klimawandel zu widerlegen und sicherlich gerne entsprechende Forschung finanzieren.

    Und trotzdem ist seit vielleicht 10-20 Jahren die herrschende Meinung die allgemein bekannte: Der Klimawandel existiert und er ist menschengemacht.

    Das lässt für mich nur den Schluss zu, dass die herrschende Meinung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit richtig ist.

  • Vor allem funktioniert die Formulierung "Ich will keine Diskussion, behaupte aber mal xy" in Foren grundsätzlich nicht

    Touche. Und ich dachte, ich komme damit durch....


    Es beschäftigen sich Heerscharen von schlauen Leuten mit dem Thema. Da werden doch wohl genügend dabei sein, die sich ernsthaft mit den Antithesen beschäftigen.

    Eine wohlwollende Mutmaßung, aber eben immer noch eine Mutmaßung. Fragen zur Systematik werden leicht als Skepsis am Inhalt interpretiert. Und der Skeptiker bekommt keine Fördergelder, zumindestens in Deutschland (jaja ich weiß: das ist eine platte Verallgemeinerung).


    Es gibt sogar sehr finanzstarke Länder und Unternehmen, die ein großes Interesse daran haben, den Klimawandel zu widerlegen und sicherlich gerne entsprechende Forschung finanzieren.

    Auch eine Mutmaßung. Man stelle sich vor: RWE finanziert Klimaforschung. Würde jemand die Ergebnisse ernsthaft diskutieren?

    Und trotzdem ist seit vielleicht 10-20 Jahren die herrschende Meinung die allgemein bekannte: Der Klimawandel existiert und er ist menschengemacht.

    Das lässt für mich nur den Schluss zu, dass die herrschende Meinung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit richtig ist.

    Die herrschende Meinung mag strukturell stimmen, kann aber wissenschaftlich falsch sein. Herrschende Meinung war mal, dass die Erde eine Scheibe ist, dass das Atom unteilbar ist und dass die Gravitation der klassischen Physik zuzurechnen ist. Alles falsch. Aber natürlich hat es die Welt bis zum nächsten experimentellen Befund hinreichend erklärt.

    Das Argument "Klima" steht für mich auf wackeligen Füßen, unabhängig davon, ob es tatsächlich stimmt oder nicht. Ich diskutiere gerne mit starken Argumenten und meide schwache Argumente.

  • Ich diskutiere gerne mit starken Argumenten und meide schwache Argumente.

    Geht mir nicht anders. Das Weltklima ist aber für mich einige Größenordnungen zu komplex, um die Forschungsergebnisse inhaltlich beurteilen zu können. Damit könnte ich Jahre verbringen, ohne zu einem Ergebnis zu kommen.

    Da bleibt als Notnagel nur noch eine Meta-Analyse: Stimmen die Rahmenbedingungen, unter denen die herrschende Meinung zustande gekommen ist?

    In dem Fall ist das Ergebnis für mich eindeutig: ja.

    Ganz am Rand: Die Scheibengeschichte ist hauptsächlich eine Legende. Seit dem 3. Jh vor Christus ist die Kugelform weitgehend akzeptiert. Das war auch im europäischen Mittelalter nicht anders.

  • Ich habe das Gefühl, dass grundsätzlich seit einiger Zeit das Trump-Prinzip auch hierzulande Einzug gehalten hat.

    Ich erinnere mich noch an meine Zeit an der Fachhochschule Wedel, als ich mich mit meinem Kommilitonen hin und wieder über Umweltthemen unterhalten hatte. Wir waren uns zwar nicht immer ganz einig, wie groß der anthropogene Anteil am Klimawandel sein mag und wie groß die Auswirkungen unseres Lebensstils sein mögen, aber wir waren uns grundsätzlich einig: Das Klima ändert sich und es ist eine gute Investition in unsere Zukunft, den menschlichen Einfluss auf das Klima möglichst gering zu halten.

    Ich habe dieses Ideal für mich so gut es geht umgesetzt: Ich esse nur noch einmal pro Woche Fleisch, ich habe vor zwei Jahren meinen Polo abgeschafft, ich verzichte auf Flugreisen und verbrauche unterdurchschnittlich viel Energie für einen Single-Haushalt. Ich habe da natürlich bessere Voraussetzungen, Fernbeziehung, keine Kinder, einer vierköpfigen Familie wird das vielleicht schon etwas schwerer fallen.

    Einige meiner Kommilitonen teilen mittlerweile andauernd die üblichen PI-News-Beiträge über Klimahysterie, Umvolkung und Reichsbürger-Ansichten mit Grenzen von 1937. Weihnachten traf ich einen früheren Mitschüler wieder, der mittlerweile einen Doktortitel (?) in Chemie (???) hat, der sich angesichts meiner Fahrradaktivitäten auch erstmal über die ökologische Klimadiktatur der Grünen auslassen musste, denn schließlich könnte man ja leicht bei Google nachsehen, dass es keinen Klimawandel gibt.

    Und da denke ich mir: Das stimmt nicht. Man kann einfach nicht abstreiten, dass sich das Klima wandelt. Das Klima hat sich schon immer geändert, das Klima wird sich auch weiter immer geändert, die strittige Frage ist doch eigentlich, wie die Konsequenzen aussehen, wenn eine Temperatursteigerung von fünf Grad Celsius, die früher vielleicht in einem Zeitraum von mehreren Jahrtausenden stattfand, plötzlich auf 150 Jahre beschleunigt wird — und ob wir uns nicht darauf vorbereiten sollten.

    Stattdessen wird immer hartnäckiger geleugnet, dass es überhaupt eine Temperaturänderung gibt. Insektensterben? Eine Erfindung der Grünen, um uns ein schlechtes Gewissen zu machen. Grundwasserbelastung durch Überdüngung? Panikmache, um uns die Lust am Fleischkonsum zu vergrämen. NO2-Belastungen? Reine Panikmache, um uns das Auto wegzunehmen. Mülltrennung? Ein Verbrechen am deutschen Volk, das wieder im eigenen Müll wühlen muss. Kein Witz: Das sind allesamt Argumentationen, die in echten Gesprächen da draußen in der wirklichen Welt gefallen sind.

    Ich weiß nicht, woher diese Argumentationen plötzlich kommen, die haben sich nach meiner Beobachtung erst ein den letzten 18 Monaten entwickelt. Man interessiert sich nicht mehr für wissenschaftliche Zusammenhänge, unbequeme Wahrheiten erfahren eine regelrechte Umdeutung dahingehend, dass es nur darum ginge, das „deutsche Volk“ wieder und wieder zu drangsalieren. „Die da oben“ wollten uns fertig machen — und das jetzt plötzlich wieder die Phrase „deutsches Volk“ anstatt „Deutschland“ oder „Deutsche“ Anwendung findet, halte ich mindestens für bedenklich.

    Langsam etwas schauderhaft finde ich die Kommentare unter den Artikeln bei WeLT Online. Zum Thema Diesel-Fahrverbote aufgrund der Stickoxidbelastungdiskutieren Leser, die noch nicht einmal Feinstaub von Stickoxiden unterscheiden können und auf die Fehlinformation mit dem Grenzwert von 950 µg pro Kubikmeter bei Bureauarbeitsplätzen reingefallen sind. Beim Klimawandel ist im Kommentarbereich ebenfalls nicht mit sinnvollen Beiträgen zu rechnen, dort geht’s hauptsächlich um die Leugnung jeglicher Klimaänderungen. Und das bedenkliche daran ist: Solche Meinungen strahlen seit einiger Zeit deutlich vom rechten Rand in die bürgerliche Mitte aus.

    Mindestens einmal pro Woche erscheint auf den einschlägigen Nachrichtenportalen die Nachricht, dass Umweltthema x jetzt wieder ganz brisant ist und dringender Handlungsbedarf bestünde. Aber die Menschen sind diese ständigen Alarmmeldungen überdrüssig: Wir leben schließlich immer noch. Vor dem Insektensterben wurde im letzten Herbst Dutzende Male gewarnt, aber: Wir leben noch. Mikroplastik im Meer und im Essen: Wir leben noch. Dieses Gefühl der permanenten Alarmsituation führt dazu, dass insbesondere Umweltthemen mittlerweile an jeder Ecke im Netz lächerlich gemacht werden. Ich sehe dahinter durchaus ein System: Je häufiger der Konsument liest, der Klimawandel wäre nur eine Erfindung der Grünen, je häufiger solche Meldungen in abstruse Kontexte eingebettet werden, desto lächerlicher wird das Thema angenommen. Das nimmt dann so abstruse Züge an, dass sogar bei der Grundwasserbelastung durch Gülle die üblichen Klimaleugner zugange sind.

    Mit dabei ist immer wieder die Forderung nach einem Dexit, also einem Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union. Und wenn man sich mal den Kontext reinzieht, in dem diese Forderungen laut werden, puh, dann bekommen wir langsam wirklich ein Problem:

    Das ist ein Thema, das sich nicht durch Totschweigen löst. Diese Probleme werden auch nicht mit Ausgrenzung der AfD aus dem parlamentarischen Alltagsgeschäft bewältigt. Wenn die SPD sich in ein paar Tagen einer Regierungsbeteiligung verweigert, dürften ja höchstwahrscheinlich Neuwahlen folgen, bei denen plötzlich 20 oder 25 Prozent für die AfD aufgerufen werden. Und dann wird’s ungemütlich, was Umwelt, Klima und Nachhaltigkeit angeht.

    Und vor allem stehen uns dann bundesweite Volksentscheide ins Haus. Ich kann mich in der momentanen gesellschaftlichen Situation nicht mit solchen Volksentscheiden anfreunden, dann wären wir nicht nur aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ratzfatz ausgetreten, sondern auch aus der Europäischen Union. Die direkte Demokratie würde schnell zum Spielball der Lobbyisten: Ich bräuchte nur eine Webseite und ein paar Stunden Zeit pro Woche, um eine Dexit-Kampagne zu organisieren. Einfach aufschreiben, was uns die Europäische Union kostet, dass wir deshalb so viele Flüchtlinge im Land haben und die Gurkenverordnung und zack, schon läuft die Sache.

    Dass mir auf diesen Einwand vor ein paar Wochen entgegnet wurde, bundesweite Volksentscheide würden schon nicht so schlimm, die Schweiz wäre ja auch noch nicht aus der Europäischen Union ausgetreten, passt wieder zu diesem Trump-Prinzip: Fakten interessieren einfach niemanden mehr.

  • Du hast die Impfskeptiker vergessen!

    Ich bin übrigens Trump-Fan. Ich habe noch die Hoffnung, dass dieses Genie einen riesigen Schaden anrichtet, was auch dem letzten Ami die Augen öffnet und man anschließend vieles besser machen wird.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Das ist keine Entwicklung der letzten Monate, sondern eher Jahrzehnten. Schon 2005 wurde ein gutes steuerliches Konzept von Schröder erfolgreich verunglimpft, weil es vom "Professor aus Heidelberg" stammte. Das war tatsächlich das einzige Argument im Wahlkampf.

    Dem liegen ziemlich viele verschiedene Effekte zu Grunde, die mMn alle unumkehrbar sind. Es kann eigentlich nur noch darum gehen, wie man damit umgeht. Das geht eigentlich nur über argumentative Auseinandersetzung mit jedem Einzelnen. Pauschale Diffamierung hilft nicht. Das ist aber verdammt anstrengend, da die Meinungen durch irgendwelche halbseidenen Webseiten massiv mit Pseudoargumenten untermauert sind.

    Die Erklärung für den Erfolg der AfD finde ich hingegen recht einfach: Traditionell war rechts von der Union nur noch die Wand. Das hat Merkel geändert. Also ist dort Platz für eine neue Partei. Das war eigentlich absehbar.

    Diese Lücke wurde jetzt mit einem Desaster gefüllt. Das kann passieren. Viel beängstigender finde ich, dass die restlichen Parteien (insbesondere die Union) weitermachen als wäre nichts geschehen.

  • Ich sehe mehrere Erklärungsansätze.

    1. Verdrängung. Es ist einfacher, unbequeme Tatsachen zu leugnen, herunterzuspielen oder lächerlich zu machen als daran etwas zu ändern. Beispiele: Gesundheitsrisiken von Übergewicht ("an einer richtigen Frau/richtigem Mann muss auch was dran sein"), Bewegungsmangel ("Sport ist Mord"), Klimawandel ("war schon immer so", "heute ist es aber kalt, wo bleibt der Klimawandel?").

    2. Mangelndes Vertrauen auf die Wirkung des eigenen Handelns ("was nutzt es, wenn ICH etwas ändere, solange die anderen weitermachen"). Beispiele: Kohleausstieg, Atomausstieg, Müllvermeidung, Auto stehen lassen, ...

    3. Parteienverdrossenheit: CDU und SPD sind sich inhaltlich immer ähnlicher geworden, aber die Leute wollen Alternativen. Seit Jahren gibt es keine großen politischen Projekte mehr und die, die es geben könnte, sind negativ besetzt (Flüchtlingskrise, Eurokrise, Altersarmut). Die Aufbruchstimmung der späten 1980er Jahre ist vorbei. Die Leute sind zufrieden, wenn sie sich jedes Jahr ein neues i-Phone kaufen können ("weiter so").

    4. Zunehmende Verlustangst: Je besser es den Menschen geht, desto mehr haben sie zu verlieren. Je weiter die Schere in der Gesellschaft auseinandergeht, desto mehr kämpfen die Leute darum, nicht abzurutschen oder noch weiter abgehängt zu werden.