12. Oktober: „Staustadt statt Weltstadt - wo bleibt die Obergrenze für Autos?“

  • Wie nun, sollen wir jetzt aus vehikelären Gründen 200,000 Autos pro Jahr aus dem Umland aufnehmen?

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Naja — was haben wir gelernt? Grundsätzlich das übliche „Hamburg wird Fahrradstadt“-Programm. Das Duo Pfaue-Gaffron erklärt relativ sachlich die üblichen Themen aus Sicht der Verwaltung (Pfaue) und der Wissenschaft (Gaffron) und dazwischen sitzt dann die CDU und lässt einen Knaller nach dem anderen ab.

    Das geht dann los bei dem üblichen CDU-Argument, dass Hamburg ja nicht Kopenhagen wäre. Hamburg wäre viel größer, hätte viel mehr Einwohner und von Fischbek nach Rahlstedt könne man ja nicht mit dem Rad fahren.

    Von Fischbek nach Rahlstedt sind es mit dem Rad etwa 35 Kilometer, das ist vielleicht tatsächlich nicht die Distanz, die ein Normalsterblicher täglich zwei Mal mit dem Rad herunterkurbelt. Aber Kopenhagen und Hamburg haben noch etwas gemeinsam: Viele der üblichen Wege sind eben deutlich kürzer als die Relation Fischbek—Rahlstedt; einige fahren ja beispielsweise „nur“ neun Kilometer von Eidelstedt zum Michel.

    Und selbst wenn: Nur weil Hamburg nicht Kopenhagen ist, wäre Hamburg hinsichtlich des Fahrrades komplett verloren? Sorry, aber das ist doch vollkommener Unsinn: Gerade weil Hamburg eine Millionenstadt ist, nein, bald sogar zwei Millionen Einwohner beherbergen soll, müssen doch neue Mobilitätsansätze her. Da kann sich doch die CDU nicht ernsthaft andauernd hinstellen, diesen Kopenhagen-Vergleich machen, schade, in Hamburg müssen aber alle mit dem Auto fahren, weil Hamburg eine Millionenstadt ist.

    Daraufhin hakte einer der beiden Moderatoren ein und fragte, ob es denn ein sinnvoll wäre, dass in Hamburg immer mehr und mehr und mehr Kraftfahrzeuge herumführen; pro Jahr würde die Zahl der in Hamburg zugelassenen Fahrzeuge um zehntausend ansteigen.

    Und die CDU so: Mit intelligenten technischen Lösungen könnte man über 30 Prozent mehr Kraftverkehr durch die Stadt leiten — und zwar staufrei!

    Was die CDU aber nicht verrät: Diese technischen Lösungen verbraten unendlich viel Geld. Allein das Umrüsten einer einzelnen Kreuzung bezüglich der Ampelschaltung ist relativ teuer; genaue Zahlen habe ich da gerade nicht zur Hand. Da muss schließlich nicht nur die Schaltung verändert, sondern auch noch der Einfluss auf die benachbarten Knotenpunkte beziehungsweise Einflüsse entlang der kompletten Straßenzüge berücksichtigt werden. Sowas kostet. Und wenn man dann auch noch technische Modifikationen in Angriff nimmt, welcher Art auch immer, da ist man schon bald bei Milliardenbeträgen für das komplette Hamburger Straßennetz.

    Und das alles „nur“, damit 30 Prozent mehr Kraftverkehr durch die Stadt fließt? Und dann? Was wird dadurch besser?

    Und so ging’s dann weiter. Ich habe mir irgendwann auf meinen Notizen nur noch „Parkplatzvernichtung ∞“ aufgeschrieben.

    Eigentlich besetzte André Trepoll echt nur noch dieses Autothema. Mobilität müsse individuell und zwangslos bleiben und die Umwandlung von Fahrstreifen in Radfahrstreifen, die Vernichtung von Parkplätzen und planlos Fahrradideologie wären eben Maßnahmen, die den Kraftverkehr einschränken.

    Ich könnte jetzt noch sehr viele Gegenbeispiele aufzählen, wo Radverkehrsinfrastruktur zugunsten des Kraftverkehrs zurückgebaut, aufgegeben oder wie in momentan so gut wie jeder Arbeitsstelle eingeschränkt wurde. Immerhin ist die CDU da konsequent, Verkehrsexperte Thering will ja auch nach dem Umzug des US-Konsulats die Fahrradstraße am Harvestehuder Weg wieder als Durchgangsstraße für den Kraftverkehr herstellen.

    Naja. Und dann wurde halt noch bemängelt, dass die Grünen in der Regierung keine anderen Themen außer des Fahrrades hätten. Bemängelt jemand von der CDU, die ja in Hamburg eigentlich auch nur das Thema der autogerechten Stadt vertritt.

  • Hamburg wäre viel größer, hätte viel mehr Einwohner und von Fischbek nach Rahlstedt könne man ja nicht mit dem Rad fahren.

    Wer die Relation fahren muss, ist eh gekniffen.
    Mit der Bahn dauert's knapp ne Stunde, die Wege zwischen Wohnung und Bahn bzw. Bahn und Büro nicht eingerechnet.
    Mit dem Auto bist laut Google Maps auch ne Stunde unterwegs. Nur blöd wenn man dann noch Stau hat oder einen Parkplatz suchen muss.

    Hier würde es doch sehr helfen, die S4 endlich zu bauen, könnte man nochmal paar Minuten sparen. Leider wird man den Umstieg im Hbf nicht loswerden.

    Oder man bringt möglichst viele andere Mitbürger dazu, die Straßen freizuhalten. Die 37 Leute, die am Tag von Fischbek nach Rahlstedt und zurück mit dem Auto fahren, haben dann größtenteils freie Bahn. Ist ja alles Autobahn bzw. (im Moment) 4-spurige Straße.
    Es geht ja nicht darum, jeglichen KFZ-Verkehr abzuschaffen. Einen gewissen Anteil braucht und verkraftet eine Stadt. Wir haben bloß zuviel davon!

    Man stelle sich mal vor, in Tōkyō würde jeder mit dem eigenen Auto zur Arbeit fahren.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Um mal einen Datenpunkt in den Raum zu werfen: Ich ziehe nächsten Monat nach Rahlstedt, gleichzeitig suchte ich einen neuen Job in Hamburg.

    Hier habe ich nach einem Versuch mit dem Rad abgewunken, die Relation mit den Öffis ist auch grausam und eine Kombination von beiden schien mir auch schwierig.

    Die neue Wohnstraße quillt schon über vor Autos, das geht also auch nicht. Wo sollen die 30% mehr Autos von der CDU denn hingestellt werden?

    Kurzum: Ich weiß nicht wie wir effektiv viele Leute jeden Tag von A nach B kriegen sollen ohne eine deutliche Stärkung des ÖPNV und MIV-Alternativen. Busse sind ja nett, aber auch nur solange sie nicht im Autostau stehen.

  • Von Fischbek nach Rahlstedt hat man als Radfahrer noch ein anderes Problem: Die Elbe, die man aus Richtung Südwesten kommend nur mit der Bahn (Metronom gegen Aufpreis oder S-Bahn außerhalb der Sperrzeit), der Hafenfähre ab Finkenwerder oder über die Kattwykbrücke und dann durch das Hafengebiet zum alten Elbtunnel queren kann. Diese Möglichkeit habe ich zur letzten Critical Mass ausprobiert und fand sie "interessant". Von der Stelle, wo ich das Rad eine Treppe runtertragen musste, habe ich kein Bild, aber vielleicht habe ich mich dort nur dumm angestellt und den vorgesehenen Weg nicht gefunden. Irgendwann muss ich mir das noch mal in Ruhe anschauen, wie man hier vom Roßdamm zum Reiherdamm kommt. Die Verbindung zur Buchheisterstraße war da jedenfalls dicht.

  • Roßdamm zum Reiherdamm kommt. Die Verbindung zur Buchheisterstraße war da jedenfalls dicht

    Letztens war die Verbindung zwischen Roßdamm und Buchheisterstraße noch offen. Wurde ja auch gerade neu gebaut, vorher musste man dort sein Rad unter der Bahn durch den Tunnel tragen.
    Dein zweites Foto irritiert mich. War besser den Ellerholzweg.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Kann sein, dass die Verbindung zur Buchheisterstraße mit Baumaschinen zugestellt war und ich sie deshalb nicht gefunden habe. Jedenfalls habe ich das Rad auch unter der Bahn durch getragen.
    Den Ellerholzweg werde ich mir auch merken. Ich bin an der Kreuzung Neuhöfer Damm/Köhlbrandbrücke unter der Straße zur Köhlbrandbrücke durchgefahrern und das Foto entstand dann am Weg "Am Travehafen". Ich bin dann den Schotterweg links der Bahngleise weiter gefahren aber an der Schleuse musste ich wieder schieben. Das ist dort alles nur dürftig ausgeschildert und ich habe wohl das entscheidende Schild übersehen.

    Ich hätte mir ja ein großes Schild gewünscht "Willkommen in der Fahrradstadt Hamburg!" :)

  • Es geht ja nicht darum, jeglichen KFZ-Verkehr abzuschaffen. Einen gewissen Anteil braucht und verkraftet eine Stadt. Wir haben bloß zuviel davon!

    Vom Prinzip her ist diese Erkenntnis bereits sehr alt. Schon vor der großen Massenmotorisierung in Europa war vielen Verkehrsexperten klar, dass keine Stadt in Deutschland dem hohen Grad an Motorisierung gewachsen sein würde. Und der Blick ins Ausland vor allem Amerika ("von Amerika lernen heißt siegen lernen", das galt damals [wie heute???] analog zum DDR-Slogan von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen) deutete darauf hin, dass autogerecht durchgestylte Städte keine Akzeptanz in der Bevölkerung finden würden, weil sie schlicht als zu unwirtlich wahrgenommen werden.

    "Doch weitblickende Stadtverkehrs-Planer haben längst erkannt: Das immer engmaschigere Netz von Betonbahnen mit seinen immer mächtigeren Pfeilern und immer breiteren Fahrbahnen wird bereits in absehbarer Zeit die Städte so sehr überwuchern, daß zum Wohnen und Geschäftigsein kaum mehr Raum bleibt. Den Fangarmen eines Kraken vergleichbar, drohen Straßen die Großstädte zu strangulieren."
    Der Spiegel 21.04.1965
    VERKEHR Ordnung im Orkus

    Auch der von den Verkehrsexperten früherer Generationen ausgesprochene Vorschlag, wie denn nun die zu erwartende Auto-Verkehrsflut aufgehalten werden könnte, leuchtete den Verantwortungsträgern im Prinzip ein:

    Einen gewissen Anteil Autoverkehr braucht und verkraftet eine Stadt. Die Verkehrsexperten früher und heute sehen in diesem "verkraftbaren Anteil" den reinen Wirtschaftsverkehr, nicht verkraftbar hingegen ist der Arbeitsstätten- und Einkaufsstätten-Zubringerverkehr. PUNKT!

    Es sei denn du zerschlägst den "gordischen Knoten", wie man die oben genannte Einsicht der Verkehrsexperten demjenigen Teil der Bevölkerung klar macht, die glauben, der Besitz eines PKW sei gleichbedeutend damit, damit überall rumkurven zu dürfen. Ich befürchte, dass viele Autofahrer generationsübergreifend sich noch nicht einmal von dem historischen Schock erholt haben, dass nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer, wie zum Beispiel Fußgänger, in bestimmten Situationen vorrangberechtigt gestellt wurden, zum Beispiel am Zebrastreifen. Als ab 1964 die StVO die Vorrangberechtigung der Fußgänger auf Zebrastreifen festschrieb, reagierte die Polizei so: "... und in den meisten Städten ließ die Polizei Lautsprecherwagen auffahren, die Belehrungen erteilten wie: "Denken Sie daran, daß auch der Kraftfahrer einmal weiter will."" Spiegel vom 10.6.1964 Wohlgemerkt: Diese Belehrung galt den Fußgängern!

    Wie also das Prinzip durchsetzen, dass der Arbeitsstätten- und Einkaufsstätten-Zubringerverkehr per Auto in der Stadt völlig Fehl am Platz ist?

  • Hier nochmal ein Ausschnitt aus einem Spiegel-Interview vom Dezember 1963 mit dem Verkehrsexperten Professor May, das verdeutlicht, dass im Prinzip die heutigen MIV-Verkehrsprobleme schon sehr früh vorausgesehen wurden, jedoch die notwendigen Gegenmaßnahmen nicht ergriffen wurden:
    "MAY: Es gibt zwei Kategorien von Verkehr; einmal den Wirtschaftsverkehr - das ist der Verkehr, der notwendig ist, um die Menschen mit Nahrung zu versorgen. Auch die Ärzte müssen umherfahren können, die Bauunternehmer, die ihre Bauten besuchen, und so weiter. Demgegenüber steht ein Verkehr, den man unsinnigerweise "Berufsverkehr" nennt - ein ganz falscher Ausdruck ich habe das "Arbeitsstätten-Zubringerverkehr" genannt, um klarzumachen, was gemeint ist.
    SPIEGEL: Sie meinen die Pendler, die mit dem Auto ins Büro oder in die Fabrik fahren.
    MAY: Eben. Das ist der Verkehr, den wir auf die Dauer nicht mehr verkraften können; der muß weg.
    SPIEGEL: Dann wäre es widersinnig, daß die Städtebauer heute noch versuchen, diesem Verkehr eine Gasse zu schlagen? Es werden Millionen über Millionen für mehrgeschossige City -Kreuzungen, Untertunnelungen, Mehr -Etagen-Straßen ausgegeben.
    MAY: Das sind keine Dauer-Lösungen. Kreuzungsfreie Straßen und Mehr -Etagen-Konstruktionen sind keine Allheilmittel. Mit wachsendem Wohlstand wird keine Stadt der Welt mehr die Autos aufnehmen können. Man sieht's ja in Amerika, in Manhattan zum Beispiel, in allen großen Städten."

    Es ist wirklich zum Haare-Raufen, dass diese Erkenntnisse schon so alt sind, aber ihre Umsetzung immer wieder verschleppt wird. Der MIV-Einkaufsstätten-Zubringerverkehr wird in dem Interview nicht explizit erwähnt, zählt aber ebenso wie der Arbeitsstätten-Zubringerverkehr zu den MIV-Verkehrsarten, die eine Stadt nicht verkraften kann, und wird an anderen Stellen genannt.

  • Wie also das Prinzip durchsetzen, dass der Arbeitsstätten- und Einkaufsstätten-Zubringerverkehr per Auto in der Stadt völlig Fehl am Platz ist?

    Das Ziel muss es sein, den PKW-Bestand und die PKW-Fahrten massiv zu reduzieren. Das kann man direkt angehen, indem man PKW verbietet bzw. eine Ausnahmegenehmigung verlangt. Oder indirekt, indem man zum einen Alternativen stärkt, zum anderen den Raum für PKW verringert (Fahrspuren reduzieren) und Parken im öffentlichen Raum nur noch gegen Gebühr erlaubt oder besser ganz verbietet.
    Im Hamburger Univiertel und an der Reeperbahn sind sie damit schon ein Stück weitergekommen: Parken kostet Geld und ist zeitlich begrenzt, Anwohner können sich für wenig Geld eine Dauerkarte kaufen.
    Nun muss man nur noch die Gebühren erhöhen und gleichzeitig Parkplätze verringern (Schrägparken nach Längsparken, etc.).
    Und mehr Kontrollen durchführen und häufiger abschleppen.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Das Ziel muss es sein, den PKW-Bestand und die PKW-Fahrten massiv zu reduzieren.

    Und Berlin und Hamburg so:
    "Wir bauen tolle Radfahrstreifen und alles wird gut"

    :D
    Mit "Angeboten" zum Radfahren senkt man die Schwelle zum Radfahren. Dann wird eben der eine Weg doch mit dem Rad statt mit dem Auto zurückgelegt. Der freiwerdende Platz auf der Fahrbahn wird dann flugs vom Fernpendler belegt, der bisher die Bahn nahm, weil Auto durch die Stadt zu stauig ist.

    Aber so isses nunmal. Die Politik will keinem was wegnehmen und die Mehrheit der Radfahrer fordert irgendwelche Bikelanes, traut sich aber nicht, diese zu Lasten von Fahrspuren einzufordern. Weil: man will ja realistisch bleiben...

  • Hier mal die Ansichten eines Experten:


    makro: Sie fordern massive Investitionen in die Bahn, die Einrichtung tausender neuer Haltepunkte: Wovon soll das alles bezahlt werden?

    Monheim: Das ist bezahlbar, wenn man erst mal die ganzen Subventionen für den Autoverkehr einspart. Nehmen sie nur die acht Milliarden Euro, die jedes Jahr in die Dieselsubvention gesteckt werden. Und eine ähnliche Größenordnung geht in die Dienstwagensubvention. Und dann muss man endlich anfangen, beim Straßenbau zu sparen. Denn wir haben ja zu viel Autoverkehr. Wer den verringern will, muss aufhören, dauernd in Kapazitätserweiterungen des Autosystems zu investieren. Das Geld für Verkehrsinvestitionen muss umgeschichtet werden. Übrigens auch auf Radverkehrsinvestitionen, damit endlich alle Bundesstraßen und Landesstraßen Radwege kriegen, alle Bahnhöfe Radstationen und ein bundesweites Netz von Radschnellwegen entstehen kann. Denn nur gemeinsam mit Bus, Bahnen und Radverkehr ist die Verkehrswende zu schaffen.