Jetzt komme ich als Linguist und Nichtjurist und sage:
"Wenn nötig, muss der Fahrverkehr warten und darf nur mit Schrittgeschwindigkeit fahren."
wäre nicht sinnhaltig, weil man nicht gleichzeitig warten und mit Schrittgeschwindigkeit fahren kann.
Vergleiche: "Wenn die Fußgängerampel Rot zeigt, müssen zu Fuß Gehende warten und die Straße mit hochgehaltener Hand überqueren".
Was der Verordnungsgeber vermutlich ausdrücken wollte, ist:
- Fußgänger sind die Kings and Queens of the Trottoir. Auf dem Fahrrad muss man ihren absoluten Vorrang beachten, also: Vorbeifahrt nur, wenn möglich und dann mit Schrittgeschwindigkeit. Wenn Vorbeifahrt nicht möglich, dann anhalten und hoffen, dass sie gnädig sind und irgendwann das Fahrrad mit Mensch drauf/daneben vorbeilassen.
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Ich vermute es geht überhaupt gar nicht um den Fahrradverkehr im "offenen Feld" wenn weit und breit kein Fußgänger zu sehen ist und auch nur am Rande um den Fahrradverkehr in der Stadt. Sondern es geht in erster Linie um den Fahrverkehr mit Fahrzeugen, die deutlich größer und schwerer sind und sehr viel schneller fahren können als Fahrräder und die ein deutlich erhöhtes Tötungspotenzial haben als Fahrräder.
Denn der "Haken an der Sache" an dem wir uns hier gerade wundscheuern ist doch diese Aussage zu Verkehrsschild Fußweg in der Anlage 2 zu §41 StVO:
"Ist durch Zusatzzeichen die Benutzung eines Gehwegs für eine andere Verkehrsart erlaubt, muss diese auf den Fußgängerverkehr Rücksicht nehmen. Der Fußgängerverkehr darf weder gefährdet noch behindert werden. Wenn nötig, muss der Fahrverkehr warten; er darf nur mit Schrittgeschwindigkeit fahren."
https://dejure.org/gesetze/StVO/Anlage_2.html
Da taucht jetzt vor meinem geistigen Auge kein Fahrradfahrer auf, der in der Fußgängerzone Fußgänger vor seiner Lenkstange hertreibt und hetzt.
Aber sehr wohl eilige Paketboten unter Termindruck, die die zeitlich knapp bemessene Fahrzeugfreigabe für die Verkehrsart Lieferfahrzeuge möglicht noch einhalten wollen und die sich ohne eindeutige Regelung (max. Schrittgeschwindigkeit, ganz egal ob Fußgänger in Sicht oder nicht) möglicherweise ermuntert fühlen kräftig auf's Gaspedal zu drücken.
Und ein mehrere Tonnen schweres Fahrzeug hat eine ungleich größere Vernichtungswirkung bei Körperkontakt als ein Fahrrad.
Dass das Fahrrad gleich mit ausgebremst wird, ist indes nicht verkehrt, denn es gab auch schon Fahrradunfälle mit Fußgängerbeteiligung, die mal für diesen und mal für jenen tödlich endeten.
Und das man im "freien Feld" auf so einer Strecke eigentlich auch nicht schneller fahren darf als Schrittgeschwindigkeit, wenn man den Gesetzestext allzu wörtlich auslegt, hat bislang anscheinend noch keinen so richtig gestört. Wie auch. Selbst dann, wenn ich es "zum Kotzen finde", dass Verkehrsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen Fußwege für den Radverkehr freigeben, so werde ich doch nur bei wenigen Menschen auf Verständnis stoßen, wenn ich fordere, dass das rückgängig gemacht wird.
Um so weniger je unklarer eine andere Regelung aussehen würde.
Dazu dieses Beispiel für einen Fußweg, der für den Radverkehr freigegeben ist:

Vermutlich hätte ein klagender Fußgänger, der sich durch den Radverkehr gefährdet sieht, gute Chancen, dass diese Radverkehrsfreigabe aufgehoben wird.
(Der Fußweg scheint mir zu schmal für eine Radverkehrsfreigabe. Und die mögliche Begründung, holprige Straße, erscheint mir unzureichend.)
Aber:
Es kämen noch andere Betrachtungspunkte ins Spiel: Zum Beispiel würden sich viele Radfahrer nicht darüber freuen, dass sie jetzt auf dem holprigen Pflaster fahren müssten. Und wenn die sich dann zusammenschließen, um die Erneuerung der Fahrbahn mit einen glatten Asphaltbelag einzufordern, dann stoßen sie auf energischen Protest der Anwohner, die das historische Ambiente (=das Pflaster) für besonders erhaltenswert halten. Und das sind dann mitunter dieselben, die ihren Blechpanzer auf das historische Pflaster stellen, obwohl der ganz und gar nicht zum historischen Ambiente gehört.
Ein Strauß voller Widersprüche tut sich da auf!
Möglicherweise ist selbst bei den Fußgängern der Wunsch nach einem Aufheben der Radverkehrsfreigabe nicht allzu ausgeprägt. Und deshalb passiert dann auch ganz einfach nichts.
Interessant ist auch: Die Ausschilderung Fußweg mit Radverkehrsfreigabe ist nicht allzu alt. 2008 als dort das googlestreetview-Auto durchfuhr, stand das Schild jedenfalls noch nicht da:
https://www.google.com/maps/@52.38033…!7i13312!8i6656
Das wäre sicher interessant, herauszufinden, wer da wann mit welchen Intentionen was genau angeschoben und eingefordert hat.
Auf jeden Fall scheint der Leidensdruck der Fußgänger nicht allzu hoch zu sein, denn das Schild konnte aufgestellt werden und es steht noch, obwohl es möglicherweise rechtlich auf sandigem Boden steht. Ich werte das mal als Hinweis, dass die Fahrradfahrer*innen auf dem Fußweg sich rücksichtsvoll und defensiv gegenüber Fußgängern verhalten.