Th(oma)s Bei Lokführern, die einen Tod auf Bahngleisen miterlebt haben, kann es zu einer posttraumatischen Belastungsstörung kommen: "Die Betroffenen bekommen zum Beispiel Atemnot oder Zitteranfälle. Viele sind von den heftigen Gefühlen der Verzweiflung und Ohnmacht überfordert, fühlen sich wie betäubt oder wirken wie weggetreten. Das klingt meist nach ein paar Stunden ab und die Menschen glauben, das Ereignis überwunden zu haben. Das ist aber nicht immer so. Die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung – oder kurz PTBS – tauchen meist nach vier bis sechs Wochen auf, manchmal auch erst nach einem halben Jahr."
Ob das häufiger oder seltener Fall ist als bei Autofahrer*innen, die an einem tödlichen Unfall beteiligt sind, wird in dem zitierten Zeit-Artikel von 2019 nicht berichtet.
Fest steht jedoch, dass ab Mitte des 19. Jahrhunderts im Eisenbahnverkehr, Sicherungsmaßnahmen zum Einsatz kamen, die Unfälle vermeiden halfen, bzw. es ermöglichten gefahrlos mit höheren Geschwindigkeiten zu fahren.
Im Eisenbahnverkehr gibt es deutlich strengere Sicherungsmaßnahmen, die verhindern sollen, dass schwächere Verkehrsteilnehmer verletzt werden, als im Autoverkehr. Trotzdem kommt es zu Unfällen, bei denen Menschen überfahren werden, die in der Regel durch die Unachtsamkeit der Verunfallten verursacht werden oder von den Getöteten bewusst herbeigeführt wurden (690 Schienensuizide in 2023 https://de.wikipedia.org/wiki/Schienensuizid )
Du schreibst: "Die Mithaftung aus der Betriebsgefahr hat mit der Frage, welcher der Beteiligten einen Unfall verursacht hat, nichts zu tun." Das mag juristisch zutreffen, aber es klammert die Frage aus, warum jemand zum Beispiel eine Autofahrt unternimmt, um von A nach B zu kommen, was mit einer erhöhten Unfallgefahr insbesondere auch für andere Verkehrsteilnehmer verbunden ist, anstatt zum Beispiel den ÖPNV zu benutzen oder zu Fuß zu gehen, was bedeuten würde, dass man bei einem Unfallgeschehen in der Regel niemand anderes gravierend verletzt.
Die moralische Schuld besteht bei einer/einem Autofahrer*in mit darin, dass ein extrem gefährliches Verkehrsmittel benutzt wird. Auch die Frage zu welchem Zweck spielt eine Rolle. Wenn jemand aus Übermut mit zu hoher Geschwindigkeit eine tempolimitierte Strecke befährt, ist das anders zu beurteilen, als zum Beispiel bei einer/einem Krankenwagenfahrer*in.
Juristisch im engeren Sinne ist die Geschwindigkeit von Bedeutung. Und genau dafür liefert der Artikel ein Beispiel, wo ich sage: Totalversagen der Polizei-Pressestelle:
"Die Schilderung war dramatisch: „Der Radfahrer wurde durch den Aufprall in die Luft geschleudert und kam hinter dem Fahrzeug auf der Straße zum Liegen. Gemäß Zeugenangaben flüchtete das Fahrzeug anschließend stark beschleunigend vom Unfallort und entkam.“ Der Radfahrer erlag vier Wochen später seinen schweren Verletzungen.
Verharmlosung statt Verantwortung
Die Fahrradverbände ADFC und Changing Cities riefen daraufhin Anfang August zu einer Demonstration zum Unfallort auf. Dort wurde bei einer Mahnwache ein „Geisterrad“ für den 45-Jährigen aufgestellt. „Der Müggelheimer Damm ist eine bekannte Raserstrecke“, teilte Changing Cities mit und forderte höhere Bußgelder für Raser.
(...)
Doch aus Sicht der Polizei hat der Radfahrer den Crash selbst verschuldet – und zwar alleine. Die Polizei ermittelte gegen ihn wegen Verstoßes gegen Paragraf 8 Straßenverkehrsordnung. Darin heißt es: „Wer die Vorfahrt zu beachten hat, muss rechtzeitig durch sein Fahrverhalten, insbesondere durch mäßige Geschwindigkeit, erkennen lassen, dass gewartet wird. (...) Der Mercedes-Fahrer war nach einigen Wochen ermittelt worden. Wie schnell er zum Zeitpunkt des Unfalls war, sei noch nicht abschließend geklärt, sagte ein leitender Beamter."
Leider ist es kein Einzelfall, dass einseitig Fußgänger*innen die Schuld an einem Unfall zugewiesen wird, bei dem sie selbst verletzt oder gar getötet wurden. Besonders infam ist das im zweiten Fall, denn Tote haben keine Chance, sich gegen einen solchen Vorwurf zu wehren.
Wenn die Polizei aber den Unfallhergang so darstellt, als spiele die gefahrene Geschwindigkeit keine Rolle, dann ist das nicht nur moralisch fragwürdig. Es ist vermutlich auch im juristischen Sinn von Bedeutung.