Woche 29 vom 15. bis 21. Juli 2024

  • Lies, was ich zu 30-Zonen geschrieben hab. Ich bezweifle, dass dich deine Eltern auf der B 73 spielen ließen.

    Nicht spielen, aber ganz sicher fahren.

    Bevor jetzt jemand anführt, dass in den sechziger und siebziger Jahren ja auch sehr viele tote radfahrende Kinder gab: ja, das stimmt. Aber erstens wurden auch damals Radfahrer im Allgemeinen und Kinder im Besonderen nicht einfach von hinten angefahren, sondern bei Vorfahrtfehlern/Fahrbahnquerungen getötet. Und zweitens war der Straßenverkehr seinerzeit auch für die Autofahrer selbst mörderisch, was einmal mehr zeigt, dass der Muskelantrieb keine spezifischen Risiken bedingte.

  • Nicht spielen, aber ganz sicher fahren.

    Bevor jetzt jemand anführt, dass in den sechziger und siebziger Jahren ja auch sehr viele tote radfahrende Kinder gab: ja, das stimmt. Aber erstens wurden auch damals Radfahrer im Allgemeinen und Kinder im Besonderen nicht einfach von hinten angefahren, sondern bei Vorfahrtfehlern/Fahrbahnquerungen getötet.

    Die meisten Kinder wurden damals und werden heute auch noch als PKW-Mitfahrer bei Unfällen getötet.

  • Ich möchte, dass Radwegfreunde aufhören, die Radfahrerschaft in Dauerstress zu versetzen, indem sie den (be)trügerischen Eindruck vermitteln, dass es da insgeheim doch eine okkulte Kongruenz zwischen gefühlter und realer Sicherheit von Infrastruktur (eigentlich ja genauer "gefühlter und realer Unsicherheit von Mischverkehr") gäbe.

    Was mir an deinen Beiträgen meistens gefällt, das ist der immer wieder kehrende gleiche Tenor, dass Fahrradfahren eigentlich keine gefährliche Sache ist. Und da stimme ich dir zu, da müssen Vertreter*innen des ADFC aufpassen, dass sie nicht immer wieder dieselbe Leier spielen, der zufolge das Fahrradfahren vor allem eines ist, nämlich eine sehr gefährliche Angelegenheit. Das wäre außerdem sehr kurzsichtig gedacht, immer nur auf die "Unfallgefahr-Karte" zu setzen:

    Fall 1: Sollten die Bemühungen um Radwegebau Erfolg haben und weniger Unfälle stattfinden, dann wird es von Seiten der Politik und der Verkehrsverwaltung irgendwann heißen, dass jetzt erst mal genug getan sei und jetzt Schluss ist mit Radverkehrsförderung.

    Fall 2: Sollten weiterhin viele schwere Unfälle stattfinden, dann wird es von Seiten der Politik und der Verkehrsverwaltung heißen, dass die Empfehlungen und Ratschläge des ADFC nichts taugen, und dass man in Zukunft diese Ratschläge nicht berücksichtigen wird. (Soweit man Vorschläge des ADFC überhaupt je berücksichtigt hat.)

    Diesen Sommer hatte ich mehrmals Zeit, mir die eine oder andere Tour de France Etappe anzuschauen. Ich war zunächst ein bisschen entsetzt darüber, dass es mehrfach zu Stürzen kam. Aber dann habe ich mir irgendwann gesagt: Wenn man bedenkt, mit welchem Tempo die dahin rasen, in der Regel 40 bis 50 km/h, bergab manchmal 100 km/! Und wie dicht die nebeneinander und hintereinander herfahren, sodass man denkt, sehen die denn nicht die Gefahr dabei? Aber das hat halt renntechnische Gründe: Windschatten, Renn-Taktik usw.. Und da kam ich dann zu dem Schluss, dass es so gesehen vielleicht gar nicht so viele Unfälle sind, die passieren. Wenn man dann noch von so negativen Aspekten wie Doping absieht, entwickelt sich so ein gewisses Mitfiebern, besonders bei den Berg-Etappen mit den Ausreißer-Gruppen ging mir das dann so.

    Trotzdem bleib' ich auf dem Rad im Alltag eher sichtbar unterdurchschnittlich trainiert und wenn es mal im meist flachen Hannover zwei- bis dreihundert Meter ein wenig bergauf geht, dann zieh' ich mir gedanklich schon das rot gepunktete Trikot über, nur so gedanklich halt.:saint:

    Schwerpunkt beim Tour de France Renn-Zirkus oder gar das einzige Thema, sind aber letztlich nicht die Unfälle! Und als Fernsehkonsument erfreuen mich immer wieder die schönen Landschaften, die nebenbei gezeigt werden. Wobei, die Rennradfahrer*innen haben dafür keinen Blick übrig, sagte einer der Fahrer im Interview, weil die sich viel zu sehr auf die Strecke und die anderen konzentrieren müssen.

    Einmal editiert, zuletzt von Ullie (28. Juli 2024 um 00:38) aus folgendem Grund: Gendern, Ergänzung in Klammern.

  • Ich bezweifle, dass dich deine Eltern auf der B 73 spielen ließen.

    Ein Teil meines Schulweges zur Grundschule verlief über die Radweg-freie B247.

    Da wir beim Spielen auf der Straße immer zur Seite gegangen sind, wenn ein Auto kam, hätte der Spielspaß auf der Bundesstraße sehr gelitten. Es war daher gar nicht erforderlich, dass uns das verboten wurde, weil wir dazu gar keine Lust hatten. Aber in dem Dorf, in dem ich groß geworden bin, gab es auch nur eine Kreisstraße. Wir haben direkt am Ortseingang gewohnt, wo die Autos mit 80 km/h reinkamen. Gehwege gab es damals auch nicht, so dass ich die 950m zur Bushaltestelle am Fahrbahnrand gegangen bin. Nach der Einschulung sind meine Eltern am ersten Tag mitgekommen und dann haben sie mich alleine zum Schulbus gehen lassen.

  • [Dass die Angst vor dem Auto von hinten angeboren wäre,] ist, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, Unsinn. Ohne dass vorher jemand Radfahrer mit dem „Radwege-sooo-sicher“-Virus infiziert, kommt keiner auf die Idee, Autos von hinten könnten ein Problem sein.

    Mal ein schönes aktuelles Beispiel wie dieses Animpfen mit dem Auto-von-hinten-Virus so abläuft:

    Schlagzeile "Immer wieder tödliche Unfälle: das sind die Gefahrenstellen für Radfahrer in Frankfurt"

    Reality Check: es gab in 11,5 Jahren 29 Tote beim Radeln in FFM, wovon nur 14 mit Beteiligung von fahrenden KFZ innerorts waren. Die Ereignisse verteilen sich wahllos über das gesamte Stadtgebiet, die Unterstellung, es gäbe besondere "Gefahrenstellen" ist somit Blödsinn.

    Einleitender Satz des Redakteurs:

    Zitat

    "Bei Unfällen zwischen Autos und Radfahrern ziehen letztere oft den Kürzeren – mit schweren oder gar tödlichen Verletzungen."

    "Oft" ist angesichts der bereits erwähnten niedrigen Zahl der Toten unangemessen. Aber auch bei Schwerverletzten trifft diese quantitative Angabe nicht zu. Der Destatis Unfallatlas gibt für FFM im Mittel über die letzten 8 Jahre 62 Schwerverletzte unter Beteiligung von KFZ an. Das ist für eine Metropole von der Größe FFMs mit 20% Radanteil nicht "oft" sondern "selten". Auch streuen die Schwerverletzten ohne erkennbare Schwerpunkte anders als vom Aufmacher suggeriert gleichmäßig über das ganze Stadtgebiet (eigene grafische Auswertung der Opendata aus dem Unfallatlas).

    Nach den einleitenden Nebelkerzen schreiten nun die "Experten" (hüstel) zur Stellungnahme. Zuerst der Fachmann der NGO "Ghostbike Frankfurt":

    Zitat

    "Die Hauptursachen für tödliche Fahrradunfälle liegen laut „Ghostbike Frankfurt“ im Verhalten der Autofahrer. Das Nichteinhalten des vorgeschriebenen Abstandes von mindestens 1,50 Meter beim Überholen [...] sowie Ablenkung durch Handynutzung seien häufige Unfallursachen. Die Organisation betont die Notwendigkeit einer besseren Verkehrsinfrastruktur, wie baulich getrennte Radwege"

    Wir lernen also: "Überholen (und Handy) ganz schlimm tödlich". Realtity Check: Von den 14 Todesfällen mit KFZ war genau nullmal Handy im Spiel und nullmal Unterschreitung des Mindestabstandes. Zudem dürfte der Leser mit "Autofahrern" wohl auch nur PKW-Lenker assoziieren, da waren es dann ohne Ansehen des Unfallhergangs auch eh nur noch 6 Fälle, einer davon ein Frontalzusammenstoß auf einem innerörtlichen Autobahnabschnitt.

    Dann folgt der Auftritt des Experten von der Polizei:

    Zitat

    "Zu den häufigsten Unfallursachen zählen nach Angaben der Polizei [...] Fehler beim Überholen [und] falsche Fahrspurwahl"

    Reality Check: unter den schweren und tödlichen Fällen mit KFZ-Beteiligung im Unfallatlas finden sich 6 Ereignisse jährlich mit dem Unfalltyp "im Längsverkehr" und den Unfallarten "seitlich nebeneinander" bzw. "von hinten gerammt". Ein unbekannter Teil dieser Unfälle beruht zudem noch auf Kollisionen, die auf Fehlverhalten des beteiligten Radfahrers resultierten. "Falsche Fahrspurwahl" klingt ebenfalls schwer nach "im Fahrbahnmischverkehr" und "von hinten", ist aber gar keine amtliche Unfallursache. Der Experte meint da vielleicht die Ursache 10 aus dem amtlichen Katalog (= "Benutzung der falschen Fahrbahn, auch Richtungsfahrbahn oder verbotswidrige Benutzung anderer Fahrbahnteile") was gerne als Auffangtatbestand für das nicht als eigenständige Ursache eistierende radwegetypische Gehweg-, Gehweggeister- und Radweggeister-Radeln eingetragen wird.

    Quintessenz: der oberflächliche Zeitungsleser (und wer wäre das nicht) nimmt von dem ganzen Sermon nur die Message "Fahrbahn = Selbstmord" mit, fertig ist die nächste Umdrehung im Teufelskreis aus nichtangeborener Fahrbahnangst und Fahrbahnmeidung.

    Bilder

    2 Mal editiert, zuletzt von Th(oma)s (31. Juli 2024 um 21:51) aus folgendem Grund: nochmalige Revision der tödlichen Radunfälle in FFM ergibt geringere Zahlen für PKW als Unfallgegner.

  • Mal ein schönes aktuelles Beispiel wie dieses Animpfen mit dem Auto-von-hinten-Virus so abläuft:

    https://www.fr.de/frankfurt/fahr…k-93214711.html

    Ich finde, das ist eher ein Beispiel dafür, wie die vom Autoverkehr ausgehenden Unfallgefahren und Benachteiligungen des Fahrradverkehrs banalisiert werden. Denn in dem Artikel heißt es einfach mal so mittendrin: „Allerdings gab es erst kürzlich einen tödlichen Verkehrsunfall zwischen zwei Radfahrern im Stadtwald.“ Und dazu der Link zum Anklicken, der zu diesem Unfallereignis ohne Autofahrerbeteiligung hinlenkt, bei dem zwei Fahrradfahrer zusammengestoßen sind, wovon einer leider tödlich gestürzt ist.

    Den Artikel habe ich mir dann mal angeguckt und festgestellt, dass dort ein "Symbolbild" zu sehen ist, auf dem eine irgendwie geartete Radspurmarkierung mit einem Fahrradpiktogramm zu sehen ist, an dem ein Auto vorbeifährt. Es ist das Bild, das auch der Link anzeigt zu dem anderen Artikel, den Th(oma)s kommentiert hat.

    https://www.fnp.de/assets/images/34/946/34946299-an-einer-kreuzung-in-der-frankfurter-innenstadt-faehrt-ein-auto-an-einem-radweg-vorbei-symbolbild-20CYtCnWPH70.jpg

    Das Bild passt wiederum überhaupt nicht zu dem beschriebenen Unfall von zwei Fahrradfahrern im Stadtwald, sodass ich fast befürchte, wir überinterpretieren hier mehr schlecht als recht gemachte Zeitungsberichterstattung.

  • Quintessenz: der oberflächliche Zeitungsleser (und wer wäre das nicht) nimmt von dem ganzen Sermon nur die Message "Fahrbahn = Selbstmord" mit, fertig ist die nächste Umdrehung im Teufelskreis aus nichtangeborener Fahrbahnangst und Fahrbahnmeidung.

    Ich schätze das anders ein: Der oberflächliche autofahrende Zeitungsleser, der den Artikel im Internet liest, grinst, wenn er den Link anklickt und sagt sich, "diese Fahrradfahrer*innen sollen sich mal nicht so anstellen, man sieht doch: Die fahren sich gegenseitig die Köppe ein."

    Fahrradfahrer*innen werden den Artikel eher nicht oberflächlich lesen, und fühlen sich bei dem, was sie lesen in ihren Alltagssorgen bestätigt. Das hat nicht zuletzt auch ganz viel damit zu tun, dass man auf dem Fahrrad nicht in einer Hochsicherheitskabine unterwegs ist.

    Trotzdem ist es natürlich richtig und wichtig, dass du darauf hinweist, dass die Gleichung "Fahrbahn=Selbstmord" nicht stimmt!

  • Von den 14 Todesfällen mit KFZ war genau nullmal Handy im Spiel

    Mit welcher Sicherheit kann und wird denn festgestellt werden, dass ein Fahrer die Aufmerksamkeit in dem Moment NICHT dem Handy widmete? Freiwillig wird das ja sicher keiner zugeben und bis die Polizei kommt, ist es sicherlich sicher verpackt ...

  • Mit welcher Sicherheit kann und wird denn festgestellt werden, dass ein Fahrer die Aufmerksamkeit in dem Moment NICHT dem Handy widmete? Freiwillig wird das ja sicher keiner zugeben und bis die Polizei kommt, ist es sicherlich sicher verpackt ...

    Für die vollmundige Aussage „Handy ist eine Hauptursache von tödlichen Unfällen“ braucht es schon etwas mehr Substanz als bloß den vagen Verdacht, es könne da vielleicht was im Argen liegen.

    Meiner Beobachtung auf der Straße nach ist „Handy am Ohr“ auch im Vergleich zu vor 10-15 Jahren ganz massiv zurückgegangen. Halbwegs aktuelle Wagen haben alle BT-Freisprechanlagen, und die Verbreitung von Whatsapp-Sprachnachrichten trägt sehr dazu bei, dass kaum noch jemand am Lenkrad lesen oder gar selber tippen will.