Am gestrigen Mittwoch wurde offenbar ein bundesweiter Kontrolltag gegen für Radfahrer veranstaltet. Das bekam ich mit, weil ich in einer kurzen Regenpause mit dem Rad durch Lüneburg fuhr und mir aus heiterem Himmel ein Fahrradpolizist begegnete. Für mich hier in Lüneburg ein absolutes Novum, was nur dadurch getoppt wurde, dass mir kurz danach zwei Streifenpolizisten in der Fußgängerzone begegneten, die dort Radfahrer pflückten, die sich in jenem Moment ordnungswidrig verhielten.
Fand ich ja auch gleich wieder ein bisschen blöd, denn die Lüneburger Altstadt, die den Krieg zu einem Großteil unbeschadet überstand, besteht aus aberdutzenden lustigen Gässchen, die mitunter normale Straßen sind, manchmal aber auch Einbahnstraßen, Verkehrsberuhigte Bereiche und Fußgängerzonen, von denen Letztere nachts oder auch ganztägig für den Radverkehr freigegeben sind. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, diese einzelnen Bereiche derart sauber zu beschildern, dass man nicht mit dem Rad irgendwo in eine ganztägig für den Radverkehr freigegebene Fußgängerzone eindringen könnte, sich dann aber nach zwei weiteren Gässchen durch einen Hinterhof schlängelt und plötzlich durch einen Bereich radelt, der nur von 18 bis 9 Uhr für Radfahrer freigegeben ist. Die Kontrolle, der ich begegnete, beschränkte sich allerdings tatsächlich auf einen Bereich, der eindeutig mit Zeichen 254 markiert war. Hier hat kein Radverkehr stattzufinden, und wer das angesichts des Zeichen 254 nicht kapierte, der lernte allerspätestens beim Anblick der beiden Uniformierten dazu und strebte eine schnelle Verwandlung vom Radfahrer in den Fußgänger an:
Unangenehm fand ich hingegen die Gegenwart der Beamten, denn ich sah ihnen geradezu an, dass sie irgendwas dachten in der Art von „der schiebt jetzt auch nur, weil wir hier unterwegs sind“. Es liegt immer diese unangenehme Vorwurf in der Luft, sich als Radfahrer einzig und allein im Sinne der Straßenverkehrs-Ordnung zu verhalten, weil gerade die Ordnungsmacht gegenwärtig ist.
Erst im Nachhinein bekam ich mit, dass diese verhältnismäßig große Polizeipräsenz einem bundesweiten Kontrolltag geschuldet war, der die Sicherheit für Radfahrer kontrollieren sollte, indem Radfahrer kontrolliert werden. Soweit ich das aus dem gesellschaftlichen Netzwerken und den einschlägigen Nachrichtenseiten rekonstruieren konnte, beschränkten sich die Kontrollen auf das übliche: Falsche Straßenseite, fehlende Klingel und rotes Licht:
- Viel zu viele Radfahrer radeln über Rot
- Die Schwächsten im Verkehr schützen: Polizei richtet Blick auf Fahrradfahrende
- Großkontrolle in Lübeck: Über 100 Fahrräder ohne Licht und Klingel
- Kontroll-Aktion in Dresden: Mehrere Autofahrer mit Verstößen
- Zahlreiche Verstöße von Radfahrern
Und ich halte es für absolut albern, wenn die Polizei stolz vermeldet, bei einem Kontrolltag dutzende Klingeln an Radfahrer ohne Klingel verschenkt zu haben. Mir ist klar, dass die helltönende Glocke in der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vorgeschrieben ist, aber ich halte diese essentielle Stellung, die ihr im Verkehrsunttericht in der Schule und bei derartigen Fahrradkontrollen zugeschrieben ist, für einseitig überhöht. Eine Klingel taugt meines Erachtens nur dafür, Fußgänger zu verschrecken oder vielleicht noch in bestimmten Situationen eine Überholabsicht gegenüber anderen Radfahrern oder Fußgängern anzukündigen, aber mir will doch wohl keiner erzählen, eine gefährliche Situation mit einem Kraftfahrzeug mit dem Einsatz der zaghaft hell tönenden Glocke abgewendet zu haben?
Was stattdessen kontrolliert wird, ist dermaßen unfreiwillig komisch, da kann man nur staunen. Die Polizei Mittelfranken nutzt auf Twitter die Abbildung eines Radfahrers mit reflektierender Kleidung, der in Nürnberg entlang der alten Stadtmauer unterwegs ist.
Diese Wege sind in jeglicher Hinsicht der Knaller und machen es Radfahrern beinahe unmöglich, sich im Sinne der Straßenverkehrs-Ordnung zu verhalten. Bei Gegenverkehr wird man auf den Gehweg ausweichen müssen und die zuständige Straßenverkehrsbehörde kann nicht ernsthaft davon ausgegangen sein, dass bei diesem untermaßigen Zweirichtungsradweg bei Gegenverkehr artig abgestiegen und geschoben wird. Und dann sucht man als Illustration ausgerechnet diesen Weg heraus, so dass der Radfahrer auf der vermeintlich falschen Straßenseite fährt. Hätte man nicht wenigstens einen Weg wählen können, der ihn beim Radeln auf der richtigen Seite zeigt?
Auf Nachfrage kommen dann plötzlich solche Antworten, bei denen ich gar nicht genau weiß, ob das einfach nicht mein Humor war oder ich etwas grundsätzliches nicht verstanden habe:
Dann kommt ein zweites Bild von der gegenüberliegenden Seite der Altstadt:
Die Polizei hat bei diesem Tweet die Kommentarfunktion deaktiviert, man wollte sich die ganzen klugen Kommentare wohl nicht mehr durchlesen, sonst könnte sie zwei Dinge erfahren: Erstens sind diese kombinierten Signalgeber für Radfahrer und Fußgänger meines Erachtens im Jahre 2021 in einer vermeintlich fahrradfreundlichen Stadt nicht mehr angemessen. Wer sich nach den Räumzeiten für Fußgänger richten und dabei dem Fahrbahnverkehr beim Weiterfahren zugucken muss, verliert vielleicht irgendwann die Geduld. Aber separate Signalgeber für den Radverkehr kosten eben Geld, erhöhen aber nach meiner Einschätzung den Willen, bei rotem Licht auch anzuhalten — mal ganz abgesehen davon, dass es diesen zweifeldrigen Signalgebern an einer Gelbphase für den Radverkehr mangelt.
Und dann steht hinten unter dem Zeichen 241: „Hauptbahnhof“. Man muss in Nürnberg nämlich eine Weile auf der linken Straßenseite fahren, wenn man zum Hauptbahnhof möchte, weil die autogerecht gebaute Verkehrsinfrastruktur auf der rechten Straßenseite leider keine Radverkehrsinfrastruktur zum Hauptbahnhof vorhält. Da sind wir dann wieder beim dem Punkt, dass man dann mal auf der linken Seite fahren muss, mal auf der linken Seite fahren darf, sich aber auf jeden Fall irgendwie so durch den Straßenverkehr wuselt, aber im Endeffekt nicht immer ordnungsgemäß im Sinne der Verkehrsregeln radelt.
Vielleicht ist das ja auch mal so Ding, über das wir uns Gedanken machen sollten. Andererseits sind diese Art der Gedanken in den letzten zehn Jahren nicht gesprossen und ich sehe wenig Hoffnung, dass es in den nächsten zehn Jahren anders sein sollte.
Der Endgegner der lustigen Links-rechts-irgendwo-Infrastruktur ist dann so etwas hier:
Ich würde mir wirklich wünschen, dass die Polizei hier nicht mahnend und verwarnend unterwegs ist, sondern solche Verkehrsführungen während einer der vorgeschriebenen Verkehrsschauen mal direkt einkassiert. Es ist doch keinem Menschen begreiflich zu machen, wann Radfahrer auf der linken Straßenseite fahren sollen, dürfen oder müssen — mal ganz davon abgesehen, dass ich diese Art der „Ende“-Beschilderung nicht für so ganz rechtssicher halte; fürs Amtsgericht mag’s noch genügen, aber in der Theorie sind diese Beschilderungen nach meinem Dafürhalten nicht vorgesehen.
Oder hier, was soll denn das werden? Die Beamten sprechen mit Lkw-Fahrern über den Toten Winkel und am Ende landet dann ein Aufkleber an der Beifahrerseite. Wo kann ich mehr über das Engagement erfahren, mit dem Lkw-Fahrer auf die innerörtlich vorgeschriebene Schrittgeschwindigkeit beim Abbiegen hingewiesen werden? Wo gehen Polizei und Verwaltung gegen großzügige Kurvenradien vor, die zum schnellen Abbiegen einladen? Wo werden Ampelschaltungen entschärft, wo Abbiegeassistenten gefordert, wo bleibt der prophylaktische Umbau von gefährlichen Stellen im Straßenverkehr?
In Lüneburg machten die Beamten am gestrigen Mittwoch rechtzeitig kehrt, bevor sie dieses DHL-Lieferfahrzeug beim Fahren auf dem benutzungspflichtigen Radweg entgegen der Fahrtrichtung beobachten konnten. Soweit ich es erkennen konnte, wurden aber wiederum eine Kreuzung weiter Radfahrer verwarnt, die ordnungswidrig auf dem Gehweg unterwegs waren.
Die eigentliche Lieferzone befindet sich hier, wo schon das andere Fahrzeug parkt:
Und das finde ich so eindrucksvoll: Einerseits soll ich mich mit dem Rad haargenau im Sinne der Straßenverkehrs-Ordnung verhalten. Andererseits soll ich aber meine Rücksicht ins teilweise Groteske überanspruchen, indem ich hier freundlich absteige und schiebe, damit das DHL-Fahrzeug auf dem Radweg bis vor die Tür fahren kann, anstatt von der Ladezone mit der Sackkarre loszuziehen, damit DHL ein paar mehr Sendungen pro Mitarbeiter ausliefern kann und Geld spart. Irgendwo muss er ja parken, wo soll er denn sonst halten, er hat ja auch dein Paket dabei, nech?
Und mein Eindruck von dieser ganzen Aktion geht eher in die Richtung, dass es gar nicht so sehr um die Sicherheit radfahrender Verkehrsteilnehmer geht. Natürlich hält man Radlinge davon ab, eine rote Ampel zu ignorieren wenn man die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass es dafür 60 Euro und einen Punkt in Flensburg gibt, ja. Aber man schützt Radfahrer nicht mit Kontrollen in Fußgängerzonen, so ärgerlich Radfahrer in Fußgängerzonen auch sein mögen, und nicht mit kostenlosen Klingeln, weil Klingeln in solchen Situationen absolut nichts bringen. Ich behaupte mal frech: Am meisten wäre wenigstens in Lüneburg für den Radverkehr getan worden, wären konsequent alle Falschparker im Bereich der Innenstadt angesprochen und im Zweifelsfall abgeschleppt worden.
Hätte man noch weiteren Bedarf an Verbesserungen für den Radverkehr entdeckt, dann hätte es an beinahe jeder Kreuzung in dieser Stadt die Möglichkeit gegeben, etwas zu verbessern. Angefangen bei albernen Bettelampeln, wenn ich entlang einer Hauptverkehrsstraße geradeaus fahren möchte, bis hin zu teilweise absurden und brandgefährlichen Zweirichtungsradwegen mit seltsamen Radverkehrsführungen über Kreuzungen, bei denen die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls unnötig steigt. Ich wohne seit zehn Wochen in dieser Stadt und entdeckte bei jeder Tour neue Unwahrscheinlichkeiten, die mitunter selbst die absurdesten Ecken Hamburgs im Handumdrehen in den Schatten stellen.
Ja, ich bin überzeugt, damit hätte man dem Radverkehr einen großen Gefallen getan. Aber so bleibt wieder das Bild in der Gesellschaft hängen, dass sich Radfahrer quasi so gut wie nie an die heiligen Verkehrsregeln halten und eigentlich irgendwie selbst schuld sind, wenn etwas passiert.
Insofern hatte vielleicht dieses Plakat die größte Wirkung:
… oder vielleicht auch nicht — denn einerseits hängt es dort, wo sowieso kein Radling fahren darf, andererseits…
… zeigen die obligatorischen Drunterkommentare, dass seitens der Kraftfahrer-Fraktion nicht mit Verständnis zu rechnen ist. Rache ist Blutwurst, sagt man nicht so?