Rechts vor links oder §10?

  • Folgende Situation: Blau fährt geradeaus über eine Kreuzung. Rot steht anfangs (schon etwas länger) am linken Fahrbahnrand, setzt dann rückwärts zurück (gestrichelte Linie) und fährt anschließend genau in dem Moment vorwärts los, als Blau die Kreuzung erreicht.

    Was gilt hier?

    - Hat Rot Vorfahrt vor Blau wegen der Vorfahrtregel rechts-vor-links und muss Blau damit rechnen, dass Rot nach dem Zurücksetzen gleich vorwärts losfährt?

    - Oder gilt das Manöver von Rot als Anfahren vom Fahrbahnrand, so dass dabei Blau gemäß §10 nicht gefährdet werden darf? Beim Zurücksetzen in die Seitenstraße lag noch keine Gefährdung vor, sondern erst beim Losfahren über die Kreuzung.

    - Oder gilt noch etwas ganz anderes?

    Die Kreuzung ist gut einsehbar.

  • Ich tippe immer noch auf § 10 StVO, denn dadurch wurde der lustige Zustand ja erst herbeigeführt. Rückwärts vom linken Fahrbahnrand loszufahren halte ich jedenfalls für ein gewagtes Manöver.

  • Macht es dabei eigentlich einen Unterschied, ob Rot erst zurückgesetzt hat? Was wäre, wenn Rot von Anfang an an der von rechts einmündenden Straße gehalten hätte, von wo aus nach dem vorherigen Zurücksetzen wieder vorwärts gefahren wurde? Vor der Begegnung von Rot und Blau stand Rot mindestens 30 Sekunden an Ort und Stelle.

    Oder ist es von Bedeutung, dass Rot vor dem Manöver am linken Fahrbahnrand stand? Nehmen wir an, Rot hätte am rechten Rand gehalten und wäre von dort aus, ohne Blau zu gefährden rückwärts in die einmündende Straße gefahren, um von dort aus geradeaus über die Kreuzung zu fahren?

    Es bleibt die Frage, ob sofort eine Vorfahrt besteht, sobald nach dem Zurücksetzen wieder vorwärts gefahren wird.

    Das Problem hätte sich natürlich gar nicht erst gestellt, wenn Rot gerade zurückgesetzt hätte, um von dort rechts abzubiegen. Dann bliebe immer noch der Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot, aber beim Abbiegen hätte dann recht eindeutig §9 gezogen, dass Rot Blau hätte durchfahren lassen müssen.

    Das Ganze vom rechten Fahrbahnrand hätte zu überhaupt keinem Konflikt geführt. Rot wäre rechts abgebogen, ohne die Fahrlinie von Blau zu kreuzen.

  • Es handelte sich dabei übrigens um diesen Hauptverkehrsknotenpunkt: https://goo.gl/maps/CqStPpz3rSmNMAmX8

    Rot stand in der Ausrundung und ist nach dem Zurücksetzen in die Richtung gefahren, von wo auf der Google-Maps Aufnahme das weiße Auto kommt.

    Und ihr werdet es euch vielleicht bereits gedacht haben: Der blaue Pfeil war ich auf dem Rennrad und wenig später auf der Motorhaube von Rot. Zum Glück kam mir die Situation von Anfang an komisch vor und ich hatte vor der Kreuzung bereits abgebremst, so dass ich Rot nicht in voller Fahrt reingeknallt bin, sondern wieder einmal nur mit dem letzten Schwung auf die Motorhaube gekullert bin. Diesmal ohne Blessuren am Yeti, am Fahrrad oder an der Motorhaube.

  • Au weia. Ich würde sagen: typischer Fall von "der wird doch nicht ... der kann doch nicht wirklich ... oh nein!"

    Der Rote hat sich jedenfalls unklar, verwirrend und im Grund hinterhältig verhalten. Erst so tun als ob er im südlichen Feldweg rangieren will, und dann plötzlich losfahren. Hat der eigentlich geblinkt? Und wie weit warst Du weg, als der das Rangieren angefangen hat?

  • Oder ist es von Bedeutung, dass Rot vor dem Manöver am linken Fahrbahnrand stand?

    Sobald jemand nicht verkehrsbedingt hält, gilt erstmal beim Wiederanfahren §10. Wann das Anfahren abgeschlossen ist, ist wohl Auslegungssache.

    Hier ein Beispiel: Nach 1,5-3,8 Sekunden ist das abgeschlossen, aber es gilt wegen §1 noch erhöhte Vorsicht (30% Haftung):

    https://verkehrsrecht.gfu.com/2018/01/lg-saa…m-fahrbahnrand/

    Aus einem anderen Urteil zum Anfahren ansich:

    Zitat

    Entscheidend ist nämlich, ob noch ein räumlicher und zeitlicher Zusammenhang mit dem Verlassen des Parkstreifens bestanden hat (vergleiche OLG Köln, Urteil vom 04.02.1986, 22 U 159/85, zitiert nach juris). Ein solcher ist erst dann entfallen, wenn jede Einflussnahme des Anfahrvorgangs auf das weitere Verkehrsgeschehen ausgeschlossen ist (vergleiche OLG Köln, aaO; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Auflage, § 10 StVO Rn. 4a und 11). Der An-/Einfahrvorgang ist erst beendet, wenn sich das Fahrzeug endgültig im fließenden Verkehr eingeordnet hat (vergleiche OLG Celle, Urteil vom 27.06.2005, 14 U 72/05, zitiert nach juris). Ob dies erst nach einer Strecke von mindestens 30 m auf dem neuen Fahrstreifen (vergleiche AG München, Urteil vom 25.01.2013, 344 C 8222/11, zitiert nach juris) anzunehmen ist oder jedenfalls bei einer Strecke von 10-15 m (vergleiche OLG Köln, Urteil vom 04.02.1986, 22 U 159/85) zu verneinen ist, kann hier dahinstehen, da es auf die Umstände des Einzelfalls ankommt.

  • Ich würde sagen: typischer Fall von "der wird doch nicht ... der kann doch nicht wirklich ... oh nein!"

    Ja, genau. Ich habe das stehende Auto schon von weitem gesehen, da war ich sicherlich noch 300-400m von der Kreuzung weg (der Weg, auf dem ich gefahren bin, macht dort eine langgezogene Rechtskurve) und hatte erst nicht gesehen, ob der mir entgegenkommt oder bei der Kreuzung hält. Als ich bis auf ca. 100m an die Kreuzung herangekommen bin, hat sich das Auto rückwärts in Bewegung gesetzt und ist langsam rückwärts von mir aus gesehen nach rechts in den Seitenweg gefahren. Da habe ich dann schon aufgehört zu treten und die Hände an den Bremsen gehabt. Als ich vielleicht noch 30m von der Kreuzung weg war, hat das Auto angehalten und ich habe etwas gebremst. Dann stand das Auto erst noch 2-3 Sekunden und ist dann losgefahren. Da war ich dann vielleicht noch 5m davor und habe sofort den Anker geworfen, aber es hat vielleicht 1m gefehlt, um vor dem Auto zum Stehen zu kommen.

    Wann das Anfahren abgeschlossen ist, ist wohl Auslegungssache

    Das ist ja hier auch gerade die Frage, ob das Anfahren mit dem Ende des Zurücksetzens abgeschlossen war und sich dann direkt eine neue Situation ergeben hat, in der ich der Dame die Vorfahrt genommen habe, weil sie von rechts kam. Bis kurz vor meinem Einschlag kam sie aber gar nicht von rechts, sondern hat sich nach rechts von mir entfernt, bzw. stand rechts von mir. Ich hätte noch ca. 2 Sekunden Zeit gehabt, die neue Situation zu erfassen, bevor sie losgefahren ist.

    Im Nachhinein betrachtet, hätte ich noch zeitiger bremsen müssen, weil die Situation die ganze Zeit über unklar war, aber ich konnte mir wohl irgendwie nicht vorstellen, dass da jemand im Auto völlig ohne zu gucken durch die Gegend fährt. Zumal ich der Fahrerin ja vorher, als sie noch entgegen meiner Fahrtrichtung gestanden hat, genau von vorne entgegen kam. Die hat mich wohl wirklich erst direkt vor dem Einschlag bemerkt 8)

    Ist ja zum Glück gutgegangen...

  • Sie hat gesagt, dass sie mich nicht gesehen hat und ich habe ihr daraufhin geantwortet, dass das auch kein Wunder ist, wenn man gar nicht guckt, bevor man losfährt. Dann hat sie noch gesagt, dass sie in den Weg geschaut hat, in den sie hineinfahren wollte, weil da häufig Autos herkommen.

    Ich habe sie dann noch gefragt, was sie dort überhaupt zu suchen hatte, weil das nämlich alles gesperrt ist (landwirtschaftl. Verkehr + Radfahrer frei), aber das wollte sie mir nicht verraten.

    Ich hoffe, dass sie sie wenigstens auch erschrocken hat und künftig nach draußen schaut, bevor sie ihr Auto in Bewegung setzt. Oder beim nächsten Mal kommt da kein Radfahrer, sondern ein Traktor mit einem 20t-Güllefass, den sie "übersehen" kann.

  • beim nächsten Mal kommt da ... ein Traktor mit einem 20t-Güllefass, den sie "übersehen" kann.

    Hoffentlich fährt sie dann in einem Cabrio hinten aufs Ventil ... :evil:

    :/Aber ich fürchte, das hängt zu tief?

    Die Sache ist womöglich nicht ganz trivial ...

    Anderswo heißt es öfters, man hat immer Vorfahrt, auch rückwärts auf dem Dach rutschend auf der falschen Seite ...

    Andererseits würde ich auch sagen, dass der Wechsel rückwärts>vorwärts wahlweise ein Wendemanöver bzw. Anfahren nach 9/10 ist ...

    Auch im VP zu fragen, wäre eine Idee, da ist wohl die Juristendichte höher ...

  • Im Verkehrsportal gab es auch keine neuen Erkenntnisse. Ein User, dessen Lieblings-VZ gemäß seiner Signatur das [Zeichen 254] ist, war sich ganz sicher, dass Rot in jedem Fall Vorfahrt hat. Als stiller Mitleser hier im Forum wusste er aber auch bereits, dass es sich bei Blau um einen Radfahrer handelte. Auf Nachfrage, ob er die Situation genauso einschätzen würde, wenn Blau das Auto und Rot der Radfahrer wäre, gab es keine Antwort mehr.

    Ansonsten fürchte ich, dass das VP und ich keine Freunde werden und meine Mitgliedschaft dort vermutlich nicht von langer Dauer sein wird :saint:

    http://www.verkehrsportal.de/board/index.php?showtopic=128776

  • Ja, es sind natürlich auch paar komische Autofahrer mit dabei, aber erst in der Diskussion mit der Gegenseite findet man oft die nötigen Denkansätze und richtigen Lösungswege, die man in der eigenen Filterblase nicht gefunden hätte ... Hätte aber auch gehaltvoller enden können, ja ...